Die Dynamik der Küsten
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WOR 5 Die Küsten – ein wertvoller Lebensraum unter Druck | 2017

Die vielen Gesichter der Küsten

Die vielen Gesichter der Küsten © Image provided by the USGS EROS Data Center Satel- lite Systems Branch. This image is part of the ongoing Landsat Earth as Art series/NASA

Die vielen Gesichter der Küsten

> Das Erscheinungsbild unserer Küsten ist vielgestaltig. Ihr Charakter wird vor allem durch das Material bestimmt, aus dem sie bestehen, und durch die physikalischen Kräfte, die dieses Material formen. Will man die Küsten einteilen, so finden sich diverse Unterscheidungsmerkmale und eine Vielzahl von Kategori­sie­rungen.

Eine Million Kilometer Küste

Die Küsten der Welt sind vielfältig. So ist die Nordküste der französischen Bretagne durch Felsen aus Granit geprägt und von zahlreichen Buchten durchsetzt. In Namibia erstrecken sich die hohen Dünen der Wüste Namib bis direkt an den Atlantik. Die Küste verläuft hier nahezu pa­rallel zu den Dünen. In Sibirien wiederum besteht die flache Küste aus Permafrost, metertief gefrorenem Boden, der an der Oberfläche während des kurzen arktischen Sommers für einige Wochen auftaut. Dieser ist besonders anfällig für Wellenschlag. Bei Sturm kann das aufgeweichte Ufer um mehrere Meter abbrechen, sodass die Küste ständig ihr Gesicht verändert.
1.17 > In Namibia verlaufen die Dünen der Wüste Namib parallel zur Atlantikküste.
Abb. 1.17: In Namibia verlaufen die Dünen der Wüste Namib parallel zur Atlantik­küste. © marziafra/fotolia.com
Abb. 1.19: Im Satellitenbild zeigt sich das Delta des sibirischen Flusses Lena in all seinen feinen Strukturen, die rund  150 Kilometer in die Laptewsee hinausreichen. In dieser  Meeresregion bildet sich ein Großteil des Meereises, das dann in den Arktischen Ozean driftet. © Image provided by the USGS EROS Data Center Satel- lite Systems Branch. This image is part of the ongoing Landsat Earth as Art series/NASA

1.19 > Im Satellitenbild zeigt sich das Delta des sibirischen Flusses Lena in all seinen feinen Strukturen, die rund 150 Kilometer in die Laptewsee hinausreichen. In dieser Meeresregion bildet sich ein Großteil des Meereises, das dann in den Arktischen Ozean driftet.

Zusatzinfo Wie lang sind die Küsten der Welt?

All diesen Küsten ist gemein, dass es sich bei ihnen um einen schmalen Streifen handelt, an dem die Kräfte des Meeres auf das Land treffen. Sie können – je nach Kontext – unterschiedlich klassifiziert werden. So lassen sich die Küsten danach unterscheiden, ob sie von der Brandung und den Strömungen eher stark oder eher schwach umspült werden. Auch kann man Küsten nach dem Material einteilen, aus dem sie bestehen, oder danach, wie stark dieses Material vom Meer abgetragen wird. Küsten können auch danach unterschieden werden, wie gut sie in der Lage sind, Sedimente aufzufangen, die mit Flüssen oder Strömungen herangetragen werden. Welche Gestalt eine Küste annimmt, hängt letztlich auch vom Wechselspiel zwischen dem Material ab, aus dem der Untergrund besteht oder das von Flüssen an die Küste transportiert wird, und den physikalischen Kräften, die auf eben dieses Material einwirken: dem Wind und der Wellenbewegung. Geologen schätzen die weltweite Länge der Küsten auf etwa 1 Million Kilometer. Wobei die Länge natürlich davon abhängt, wie fein man den Maßstab wählt. Betrachtet man den gesamten Globus, dann bietet es sich an, die Küsten zunächst nach einem eher groben Maßstab zu ordnen. Für diese Kategorisierung kann man den Rändern der Kontinente folgen, die unter anderem durch die Plattentektonik ihre heutige Gestalt erlangt haben. Eine solche Einteilung haben Forscher in den 1970er-Jahren vorgenommen. Demnach unterscheidet man sechs verschiedene Kategorien von Küsten.
  • Küstenebene: ein Gebiet, in dem sich das Land zum Meer hin sanft abflacht. Ein Beispiel ist die Küste des westafrikanischen Staates Mauretanien, wo das Land in einem breiten Streifen aus Küstensümpfen und flachen Dünen ins Meer übergeht.
  • Großes Flussdelta: eine große Flussmündung, in der sich Sediment aus den Flüssen ablagert, weil die Meeresströmungen oder Gezeiten nicht stark genug sind, um das Material fortzutragen. Das ist im Delta des russischen Flusses Lena der Fall, der in der Laptewsee in den Arktischen Ozean mündet.
  • Tropisches Korallenriff: eine Struktur, die von festsitzenden Korallen (Nessel­tieren) aus Kalkverbindungen gebildet wird. Sie entsteht als Saum entlang der Küste im lichtdurchfluteten Wasser nahe der Oberfläche. Riffbildende Korallen kommen im Wasser der Tropen und Subtropen vor, das permanent eine Tempe­ra­tur von mehr als 20 Grad Celsius aufweist. Ein eindrucksvolles tropisches Korallenriff findet man an der mittelamerikanischen Karibikküste zwischen Honduras und Belize. Es hat eine Länge von etwa 250 Kilometern und gehört zu den beliebtesten Tauchrevieren der Welt.
  • Felsenküste und Fjord: eine Küste aus festen Gesteinen. Fjorde, wie man sie beispielsweise in großer Zahl an der Westküste Norwegens findet, stellen eine bestimmte Form der Felsenküste dar. Sie sind durch eiszeitliche Gletscher entstanden, die durch ihre Wanderbewegung tiefe Täler in das Gestein geschabt haben.
  • Permafrostküste: ein seit der letzten Eiszeit tiefgefrorener Boden, der weite Teile der arktischen Landmasse in der nördlichen Hemisphäre bedeckt. In Nord­amerika, Sibirien und Skandinavien findet man Permafrost über viele Tausend Kilometer entlang der Küste.
  • Buchtenküste: eine Küste, an der sich Landzungen (Headlands) aus festem Gestein ins Meer schieben. Diese Landzungen wirken wie Barrieren, die die Brandung und Strömung abbremsen. Im Schatten dieser Landzungen bilden sich langsam strömende Wasserwirbel, die das Ufer nach und nach abtragen und dadurch Buchten formen. Ein Beispiel ist die Half Moon Bay an der US-Pazifik­küste bei San Francisco. Dort hat sich im Laufe der Jahrtausende hinter einer Landzunge eine halbmondförmige Bucht gebildet.
1.20 > Die Küsten der Erde lassen sich grob in sechs verschiedene Kategorien einteilen.
Abb. 1.20: Die Küsten der Erde lassen sich grob in sechs verschiedene  Kategorien einteilen. © nach Inman et al.

Zusatzinfo Tiefgefrorene Küste – der Permafrost

Wind und Wellen gestalten die Küsten

Die physikalischen Kräfte des Meeres – die Brandung, die Strömungen und der Wind – prägen die Gestalt der Küsten ganz besonders. Je nachdem, wie stark diese Kräfte sind, wird zwischen energiearmen und energiereichen Küsten unterschieden. Auch das Material, aus dem der Untergrund im Küstengebiet besteht, ist ein wesentlicher Einflussfaktor bei der Formung der Küsten. Wattflächen aus relativ feinem Sediment werden recht schnell umgelagert, weil die Strömung das Material leicht bewegen kann. Auch ­feine Sande werden leicht transportiert, wie man an den Ostfriesischen Inseln vor der deutschen Nordseeküste beob­achten kann. Weil der Wind dort meist aus Richtung Westen weht, wird Sand durch die Wellenbewegung von der Nordwestseite der Inseln abgetragen und an der Ostseite wieder angelagert. Früher wanderten die Inseln dadurch im Laufe der Zeit Richtung Osten. Schon im 19. Jahrhundert begann man deshalb, die Inseln mit Steinkanten und Wellenbrechern, sogenannten Buhnen, zu befestigen. Damit wurde die Wanderbewegung weitgehend unterbunden.
1.22 > Das Dorf Porthleven in der englischen Grafschaft Cornwall liegt an einer besonders ener­gie­reichen Felsküste. Entsprechend stark sind die Ufer­befes­­tigungen, zu denen massive Mauern gehören. Bei starkem Wellen­gang allerdings sind diese kaum noch zu sehen.
Abb. 1.22: Das Dorf Porthleven in der englischen Grafschaft Cornwall liegt an einer besonders energiereichen Felsküste. Entsprechend stark sind die Uferbefes­tigungen, zu denen massive Mauern gehören. Bei starkem Wellengang allerdings sind diese kaum noch zu sehen. © Bernie Pettersen/SWNS.com/action press

Das Watt
Als Watt wird jener Teil der Küste bezeichnet, der im Rhythmus der Gezeiten täglich freifällt und wieder überflutet wird. Man unterscheidet Schlick-, Sand- und Felswatt. Die Besonderheit des Felswatts besteht darin, dass es vor Steilküsten vorkommt, während die übrigen Watten an flachen Küsten liegen. Großräumige Wattflächen, zu denen auch die Salzwiesen am Ufer gehören, werden als Wattenmeer bezeichnet.

Ist bei Sandküsten die Gestaltänderung oft noch mit dem bloßen Auge nachvoll­zieh­bar, ist diese bei anderen Materialien meist schwerer zu erkennen. Doch auch ener­gie­reiche Felsenküsten verändern im Laufe der Zeit ihr Gesicht. Wie schnell das geht, hängt wiederum von der Beschaffenheit der Felsen ab. Besonders leicht werden Küsten aus verdichteter, noch nicht versteinerter Asche erodiert, die im Laufe der Zeit durch Ascheregen bei Vulkanausbrüchen entstanden sind. Solche Küsten findet man unter anderem in Neuseeland. In einem Jahr können dort an einigen Stellen bis zu
10 Meter verloren gehen. Auch Kreidefelsen wie die Klippen von Dover im äußersten Südosten von England sind verhältnismäßig weich. Werden sie stark von Wasser umströmt, können sie pro Jahr um mehrere Zentimeter abgetragen werden. Harte Granitfelsen hingegen schrumpfen im selben Zeitraum nur um höchstens wenige Millimeter. Noch härter ist das schwarze Vulkangestein Basalt, das vom Wasser pro Jahr um maximal einige Hundert milliardstel Meter abgetragen wird.
1.23 > Küsten werden, je nach dem Material, aus dem sie bestehen, langsamer oder schneller abgetragen. Manche können in einem Jahr um mehrere Meter schrumpfen.
Abb. 1.23: Küsten werden, je nach dem Material, aus dem sie bestehen, langsamer oder schneller abgetragen. Manche können in einem Jahr um mehrere Meter schrumpfen.<br /> © Flemming

Abb. 1.24: Das Material, aus dem Küsten bestehen, wird nach der Größe der Partikel unterschieden, aus denen es zusammen­gesetzt ist. Diese Skala reicht von mikroskopisch kleinen Tonpartikeln bis zum Felsbrocken. © Flemming

1.24 > Das Material, aus dem Küsten bestehen, wird nach der Größe der Partikel unter­schieden, aus denen es zusam­men­­gesetzt ist. Diese Skala reicht von mikros­kopisch kleinen Tonpar­tikeln bis zum Fels­brocken.

Eine Frage der Partikelgröße

Das Wissen darum, wie der Untergrund im Bereich der Küste beschaffen ist, ist besonders für den Küstenschutz, das Küstenmanagement, die Planung von Wasser­straßen oder Hafen­anlagen wichtig. Vor allem die Größe und Dichte der Partikel, aus denen sich das Material zusammensetzt, spielen hierbei eine wichtige Rolle. Denn davon hängt zum Beispiel ab, ob das Ufer einer bewohnten Insel abzu­brechen droht oder ob sich Fahrrinnen verlagern, sodass Schiffe auf Grund laufen können. Im Hinblick auf die Größe der Partikel unterscheidet man zwischen:
  • Schlickküsten
  • Sandküsten
  • Kiesküsten
  • Schotterküsten
  • Fels- oder Felsbrockenküsten.
Zu welcher Kategorie eine Küste gehört, ist durch die Korngröße der vorhandenen Partikel definiert. Die feinsten sind Tonpartikel, die vom Festland über die Flüsse in die Küstengewässer getragen werden. Diese haben eine Größe von maximal 2 Mikro­me­tern (1000 Mikrometer sind 1 Millimeter). Die nächste Größenklasse sind Silt- bezieh­ungs­weise Schluffpartikel, die maximal 62 Mikrometer messen. Als nächste Größen­klasse schließt sich der Sand an, der in weitere Unterkategorien aufgeteilt wird. Feine Sande können zusammen mit Ton- und Silt- beziehungsweise Schluffpartikeln Schlick bilden, wie man ihn aus dem Wattenmeer kennt. Die nächsten Größenklassen sind Kieselsteine, Schotter und Felsbrocken, die ebenfalls in weitere Unterkategorien aufgeteilt werden können.

Zusatzinfo Eine besondere Küsten­form – die Watt­gebiete

Die Filterfunktion der Küsten

Die Gestalt der Küsten wird in vielen Gebieten vor allem durch Flüsse stark geprägt – und zwar durch deren Strömungskräfte und durch das Material, das sie mit sich tragen. Dieses enthält viele Mineral- und Nährstoffe und wird zum Teil ins Sediment eingelagert. Küsten, die reich an solchen Sedimenten sind, sind damit auch besonders produktiv. Ein Beispiel sind die Sundarbans in Bangladesch und in Indien – das mit einer Fläche von rund 10 000 Quadratkilometern größte zusammenhängende Mangrovengebiet der Welt. Die Sundarbans haben sich im Mündungsgebiet der Flüsse Ganges und Brahmaputra gebildet, die Unmengen an Material in den Golf von Bengalen spülen. Die Sundarbans sind ein bedeutender Naturraum. Hier leben viele Vögel, Fische, Krokodile, Pythons, Hirsche und Wildschweine. Zudem finden hier seltene Tiere wie der Axishirsch oder der Königstiger einen Rückzugsraum.
Je nachdem, wie gut die jeweilige Küste das Material, das mit den Flüssen heran­ge­tragen wird, herausfiltern und anlagern kann, unterscheidet man zwischen Küsten mit stärkerer und Küsten mit geringerer Filterfunktion.

Küsten mit stärkerer Filterfunktion

  • Delta: Eine Flussmündung, die durch die Ablagerung von Sedimenten langsam ins Meer wächst, wird als Delta bezeichnet. Die Meeresströmungen oder Gezeiten sind nicht stark genug, um das Material fortzutragen. Deltas können unter­schied­licher Gestalt sein. Letztlich werden sie durch das Wechselspiel der verschie­denen Kräfte Brandung, Flussströmung und Gezeiten geprägt. Je nachdem, welche Kräfte überwiegen, bilden sich unterschied­liche Deltas aus, die in tidedominierte, flussdominierte und wellen­dominierte Deltas eingeteilt werden können.
    • Bei der tidedominierten Form wird das Sediment durch den ständigen Wechsel von Flut- und Ebbstrom zu länglichen Sandbänken geformt, die senkrecht zur Küste liegen. Die Brandung ist hier relativ schwach. Die gemeinsame Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in Indien ist ein Beispiel für ein derartiges Delta.
    • Bei der flussdominierten Form ist der Einfluss der Wellen eher gering. Zudem beträgt der Tidenhub, also die Differenz zwischen dem Niedrigwasser bei Ebbe und dem Hochwasser bei Flut, höchstens 2 Meter, weshalb der Gezeitenstrom relativ schwach ist. So kann sich viel Sediment in der Flussmündung ablagern. Ein derartiges Flussdelta versandet daher mit der Zeit. Der Fluss sucht sich neue Wege, schafft dadurch neue Betten und verzweigt sich nach und nach zu einem sogenannten Bird’s Foot Delta, Vogelfußdelta.
    • Bei der wellendominierten Form schiebt die Brandung das Sediment im Laufe der Zeit zu Mündungsbarren auf, zu Stränden und Sandkörpern, die pa­rallel zur Küste liegen. Weder der Fluss noch die Gezeiten sind hier stark genug, um die Mündungsbarren abzutragen. Ein Beispiel dafür ist das Donaudelta am Schwarzen Meer.
1.26 > Flussdeltas können unterschiedlich geformt sein. Letztlich wird ihre Gestalt durch das Wechselspiel der Kräfte bestimmt – der Gezeiten, der Brandung und der Strömung des Flusses.
Abb. 1.26: Flussdeltas können unterschiedlich geformt sein. Letztlich wird ihre Gestalt durch das Wechselspiel der Kräfte bestimmt – der Gezeiten, der Brandung und der Strömung des Flusses. © maribus
  • Tidedominierte Flussmündung: Anders als ein ­Delta handelt es sich bei einer gezeitengeprägten Flussmündung um eine einzige große Flussmündung, die durch die Gezeiten geprägt wird. Diese hat meist die Gestalt eines weit ins Land reichenden Mündungstrichters, der zum Beispiel in Nordeuropa den alten, in der Eiszeit gebildeten Flusstälern folgt. In diesen Trichtern wird das Flusswasser bei Flut aufgestaut. Bei Ebbe fließt das aufgestaute Flusswasser dann mit hoher Geschwindigkeit ins Meer. Dadurch wird viel Material mitgeführt, sodass sich direkt im Mündungstrichter kein Delta bilden kann. Stattdessen können zu beiden Seiten des Trichters weitläufige Wattflächen wie zum Beispiel in der Mündung der Elbe in Deutschland entstehen. Die Elbe kann damit als eine typische tidedominierte Flussmündung bezeichnet werden.
  • Lagune: Lagunen sind vergleichsweise flache Küs­tengewässer mit maximal 5 Meter Wassertiefe. Sie sind in der Regel durch Barrieren vom offenen Meer getrennt. Das können Sandbänke, Korallenriffe oder vorgelagerte Inseln sein. Lagunen sind meist lang gestreckt und liegen parallel zur Küste. Das trifft auch auf die Haffe in der Ostsee zu, die durch lang gestreckte Dünen vom Meer abgetrennt sind, wie das Frische Haff. In Lagunen ist die Wechselwirkung zwischen dem Sediment und dem Wasser besonders ausgeprägt. Da es in der Lagune kaum Strömungen oder Wellenbewegungen gibt, steht das Wasser relativ ruhig. Damit bleibt mehr Zeit, in der sich das Material absetzen kann. Oftmals haben Lagunen kleine Öffnungen zum Meer, sodass sich Salz- und Süßwasser zu Brackwasser mischen. In diesem Mischungsbereich kann es zu chemischen Reaktionen kommen. Diese führen dazu, dass Material als feiner Niederschlag im Wasser ausflockt und sich ebenfalls im Sediment absetzt.
  • Fjord: Bei Fjorden handelt es sich in der Regel um Täler, die durch Gletscher geformt wurden. Mit dem Meeresspiegelanstieg wurden diese oftmals sehr steilen und tiefen Täler überflutet. Viele Fjorde sind zum Meer hin durch Geröll abgeschlossen. Dabei handelt es sich meist um Ablagerungen, sogenannte Moränen, die von den wandernden Gletschern auf-gehäuft wurden. Mit den Fjorden sind die Förden verwandt. Auch sie sind durch die Bewegungen von ­Gletschern entstanden. Allerdings sind sie meist weiter, flacher und verzweigter. Da in der Regel keine großen Flüsse in die Fjorde münden, gibt es dort nur geringe Strömungen, sodass sich auch hier Material ablagern kann.

Küsten mit geringerer Filterfunktion

  • Küsten an schnell fließenden Flüssen: In manchen Fällen tragen große Flüsse zwar viel Material mit sich, doch sind die Fließgeschwindigkeiten so hoch, dass sich das Material nicht in Küstennähe ablagert, sondern in einer Art Wolke ins Meer hinausgetragen wird. Insofern ist die Filterwirkung dieser Flussmündungen beschränkt wie zum Beispiel beim Columbia River in Nordamerika.
  • Karstdominierte Küsten: Das Gestein bei dieser Küstenart besteht zum großen Teil aus Kalkstein. Dieser entstand im Laufe der Jahrmillionen aus den Kalkgehäusen und Panzern von Meereslebewesen. Durch die Plattentektonik wurden diese Kalkmassen aus dem Meer gehoben. Dort verfestigte sich die Masse nach und nach zu Kalkstein. Typischerweise bilden sich in diesen Kalksteinen durch chemische Verwitterung Höhlen und Gänge, durch die Regen- und Flusswasser unterirdisch ins Meer fließen. Die Landschaft verkarstet und Flüsse graben sich tief ein. An manchen Stellen wurden solche Karstlandschaften durch den Meeresspiegelanstieg seit der letzten Eiszeit überflutet. Ein Beispiel ist die weltweit berühmte Halong-Bucht in Vietnam, die ursprünglich mal eine Fluss- beziehungsweise Karstlandschaft war. Als der Meeresspiegel stieg, wurde sie überflutet, weshalb die ehemaligen Felsen am Flussufer heute als Inseln aufragen. Karstküsten sind dadurch charakterisiert, dass sich hier wegen der schroffen Struktur und der Wellenbewegungen kaum Sedimente ablagern.
  • Arheische Küsten: Entlang trockener Regionen und Wüsten, in denen die Niederschläge so gering sind, dass vom Land gar kein Wasser ins Meer abfließen kann, findet man sogenannte arheische Küsten. Der Name leitet sich von der geowissenschaftlichen Bezeichnung für Flüsse ab, die in einer Wüste oder einer Salzpfanne versickern und keinen Ozean erreichen. Diese Flüsse werden als arheisch bezeichnet.
1.27 > Die Karstfelsen in der vietnamesischen Halong-Bucht sind weltberühmt. Touristen werden auf Booten durch das Archipel gefahren.
Abb. 1.27: Die Karstfelsen in der vietnamesischen Halong-Bucht sind weltberühmt. Touristen werden auf  Booten durch das Archipel gefahren. © mauritius images/imageBroker/Flavia Rad- davero
Die Menge an Sediment, die die Flüsse pro Jahr in die Küstengewässer tragen, ist riesig. Letztlich stammt das Material aus der Verwitterung von Gesteinen an Land. Es wird mit dem Regenwasser entweder direkt aus Gebirgsregionen abtransportiert oder aus Böden im Flachland gewaschen. Das Land verflacht dadurch im Laufe von Jahrtausenden. Spitzenreiter beim Materialtransport ist der Ganges, der jährlich
3,2 Milliarden Tonnen ins Meer trägt. Er führt vor allem Siltbeziehungsweise Schluffpartikel aus dem zentralasiatischen Hochland mit sich, die durch physikalische Verwitterung aus dem Untergrund gelöst werden. Das Gleiche ist beim Gelben Fluss in China der Fall, dessen Farbe von einem ganz bestimmten Typ von Silt- beziehungsweise Schluffpartikeln herrührt.

Zerstörung und Aufbau

Je nach den Bedingungen vor Ort wachsen oder schrumpfen die Küsten. Während manche Küsten durch sich ablagernde Sedimente zunehmen, werden andere durch Strömungen oder die Brandung nach und nach zerstört, wie das Beispiel der Küste der englischen Grafschaft Norfolk zeigt. Hier liegt der kleine Ort Happisburgh, in dem etwa 1400 Menschen in circa 600 Häusern leben und der es mittlerweile zu trauriger Berühmtheit gebracht hat.
1.28 > Küsten lassen sich auch danach unterscheiden, wie stark sie Sedimente filtern, die über die Flüsse aus dem Binnenland herantransportiert werden.
Abb. 1.28: Küsten lassen sich auch danach unterscheiden, wie stark sie Sedimente filtern, die über die Flüsse aus dem Binnenland herantransportiert werden. © Dürr et al.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Happisburgh noch viele Hundert Meter von der Küste entfernt. Weil die Küste aber immer weiter abgebrochen ist, liegt der Ort heute direkt an der bis zu 10 Meter hohen Steilküste. Diese nimmt kontinuierlich ab, weil sie aus einer weichen Mischung aus Ton, Schluff und Sand besteht. Schlagen bei starkem Ostwind die Wellen gegen die Küste, fallen große Teile hinab. Inzwischen sind mehrere Häuser in die Tiefe gestürzt. In der nächsten Dekade könnte Happisburgh seine normannische Kirche, seinen Leuchtturm und ein Herrenhaus aus dem
14. Jahrhundert ans Meer verlieren. Zwar hat man versucht, die Erosionskräfte der Brandung durch den Bau von Wellenbrechern zu bändigen, doch erwiesen sich diese als wirkungslos. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis Happisburgh komplett in die Nordsee gestürzt sein wird.
1.29 > Die Sedimentfrachten, die Flüsse ins Meer tragen, sind zum Teil gigantisch. Den Weltrekord hält der Ganges in Asien mit einer Fracht von 3,2 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Abb. 1.29: Die Sedimentfrachten, die Flüsse ins Meer tragen, sind zum Teil gigantisch. Den Weltrekord hält der Ganges in Asien mit einer Fracht von 3,2 Milliarden Tonnen pro Jahr. © Milliman et al.
Ob eine Küste wächst oder schrumpft, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Im Detail unterscheidet man folgende Kategorien des Aufbaus und der Zerstörung, wobei verschiedene Zeithorizonte betrachtet werden:

Zerstörungsvorgänge

  • Endogene Zerstörung: Zerstörung, die durch die Küste selbst hervorgerufen wird. Dazu zählen Felsstürze und Risse (Verwerfungen), die durch Erdbeben entstehen, oder der Kollaps vulkanischer Inseln, bei dem zum Beispiel alte Krater zusammenstürzen.
  • Mechanische Zerstörung: durch Brandung und Treibeis hervorgerufene Abrasion. Diese kann viele verschiedene Küstenformen erzeugen. Ein Beispiel sind Kliffe, steile Felswände, die keineswegs unveränderlich sind, denn auch festes Gestein wird mit der Zeit abgetragen. Sie entstehen, indem die Brandung zunächst das Gestein am Fuße der Steilwand aushöhlt. Die Wand wird dadurch instabil und bricht ab, sodass sich die typischen hohen Kliffe bilden. Eine andere durch Abrasion hervorgerufene Küstenform ist die Schorre. Dabei handelt es sich um eine breite, zum Meer hin flach abfallende Fläche in der Uferzone. Je nach Material unterscheidet man zwischen Sand-, Geröll- und Felsschorre. An Sandstränden ist die Schorre der flach abfallende, feuchte Teil des Strandes, der durch das Wasser geformt wird. Vor Felsenkliffen treten die Schorren eher als flache Brandungsplattformen auf. Sie sind daran zu erkennen, dass im Gestein parallel zueinander tiefe Rippen verlaufen. Diese entstehen, weil der Untergrund aus einzelnen Gesteinsschichten aufgebaut ist. Da die verschiedenen Materialien von der Brandung unterschiedlich stark ausgewaschen werden, bilden sich tiefere und flachere Bereiche, die nach und nach als Rippen der Schichtgrenzen erkennbar werden. Die Abrasion kann Küsten noch auf andere Art abtragen. Ein Beispiel sind sogenannte Hohlkehlen. Dabei handelt es sich um Einkerbungen in Felsenküsten auf Höhe der Wasserlinie, die durch Wellenschlag entstehen.
  • Zurückschneiden der Küstenlinie: eine Zerstörung, die an gefrorenen Küsten wie etwa Permafrost und Gletschern stattfindet. In den Permafrostgebieten auf der Nordhalbkugel führt das Auftauen während der Sommermonate dazu, dass der im Winter gefrorene Boden aufweicht und somit leicht von den Wellen abgetragen werden kann. Durch diese Art der Zerstörung, die als Thermoabrasion bezeichnet wird, ändert sich die Küstenlinie. In der Arktis und Antarktis ändert sich die Küstenlinie vor allem durch das Abbrechen großer Gletscherflächen. Festlandgletscher gleiten aufgrund ihres hohen Gewichts langsam vom Land ins Meer, wo sie als Schelfeis zum Teil viele Kilometer aufs Wasser hinausragen. Da Eis eine geringere Dichte als Wasser hat, schwimmen die Gletscher trotz ihres hohen Gewichts auf. Immer wieder brechen große Brocken ab, weil von Land neue Gletschermasse nachgeschoben wird. Die Gletscher kalben.
  • Bioerosion: Zerstörung von Gestein durch den Bewuchs mit Mikroorganismen, die das Gestein durch ihren Stoffwechsel langsam zersetzen. Das ist beispielsweise an Hohlkehlen der Fall.
1.30 > An der Südküste von Wales, in der Nähe der Stadt Cardiff, hat sich durch Abrasion eine Schorre im Kalkstein gebildet
Abb. 1.30: An der Südküst­e von Wales, in der Nähe der Stadt Cardiff, hat sich durch Abrasion eine Schorre im Kalkstein gebildet.  © Science Photo Library/Martyn F. Chillmaid

Aufbauvorgänge

  • Endogener Aufbau: die Entstehung neuer Küsten durch plattentektonische Prozesse, bei denen Landmasse emporgehoben wird. Dazu zählen auch Vulkan­ausbrüche, bei denen sich Magma aus dem Erdinneren nach und nach zu Inseln aufbaut. In anderen Fällen entstehen neue Küstenabschnitte, wenn sich Lava bei einem Vulkanausbruch in großen Mengen ins Meer ergießt.
  • Potamogener Aufbau: Aufbau von Deltas, Watten oder Schwemmland durch Material, das von Flüssen herantransportiert wird.
  • Aufbau durch Eis: Aufbau, bei dem Material durch Küsteneis oder Treibeis an der Küste zusammengeschoben wird. Die treibende Kraft sind hier Wellen oder Gezeiten, die das Eis in Richtung Küste drücken.
  • Aufbau durch Wind: Aufbau von Küstendünen aus lockerem Sand. Aufgehäuft wird er vom Wind.
  • Thalassogener Aufbau: Aufbau von Material, das durch Wellen, den Gezeitenstrom oder Meeresströmungen an einer Küste abgelagert wird.
  • Biogener Aufbau: Aufbau von Küsten durch die Einwirkung von Organismen. Dazu zählen Korallen, die feste und haltbare Strukturen bilden, oder Mangroven, in denen der Wellengang und die Strömungen so stark gebremst werden, dass sich feine Partikel ablagern und Watten entstehen können. Organismen tragen aber nicht nur zum Aufbau, sondern auch zum Schutz der Küsten bei. Korallen und Mangroven sind ein natürlicher Wellenbrecher. Auch Tangwälder oder Algenrasen können viel Brandungsenergie schlucken. Zudem verfestigen diese Pflanzen das Sediment, sodass es bei starkem Wellengang nicht mehr fortgetragen wird. Ebenso tragen Salzwiesen als natürliche Strömungsbarriere zum Schutz des Hinterlandes bei.
Welche Dimension diese natürlichen Aufbauvorgänge erreichen, zeigen die Deltas der großen Flüsse. Der Mississippi hat im Laufe der Zeit so viel Material angespült, dass das Delta auf eine Breite von rund 200 Kilometern anwachsen konnte. Das Gewicht der Sedimentpakete ist so groß, dass das Delta ständig absinkt. Zudem wird Wasser aus dem Sediment gepresst, was eine Form von Kompaktion darstellt. Kompaktion bezeichnet in der Geologie die Verdichtung und Volumenabnahme von Sedimenten, unter anderem durch den Druck, der durch darüberliegende Sedimentschichten entsteht. Das Absinken wurde früher durch frisches Material kompensiert, das neu herangetragen wurde. Der Mensch aber hat diesen Kompensationsvorgang gestört. So wurden entlang des Flusses Staudämme gebaut, die große Mengen des Materials abfangen, ehe sie das Delta erreichen. Damit geht der Küste Sedimentnachschub verloren. Da das Delta unter den alten Sedimentpaketen aber weiter absinkt, stehen die Menschen dort heute vor großen Problemen: So kommt es immer öfter zu Überflutungen. Textende