Eine Anschubhilfe für die biologische Kohlenstoffpumpe
Die Rolle der mikroskopisch kleinen Meeresalgen
Die hochproduktiven Pflanzengemeinschaften der Küstenregionen zu schützen und zu erweitern (Kapitel 5), wäre eine mögliche biologische Methode, um die Aufnahme von Kohlendioxid durch den Ozean zu verstärken. Es gibt jedoch noch einen zweiten Lösungsansatz, der auf die Biologie des Meeres setzt. Dessen Grundidee lautet, die natürliche organisch-biologische Kohlenstoffpumpe des Meeres anzukurbeln. Diese wird durch die Lebensgemeinschaften im Oberflächenwasser des Ozeans angetrieben, insbesondere durch einzellige, mikroskopisch kleine Algen, das sogenannte Phytoplankton, dessen Vertreter gerade einmal 0,0001 bis 0,5 Millimeter groß sind.
Zu den bedeutendsten Gruppen des Phytoplanktons gehören die Kieselalgen (Diatomeen), die Panzergeißler (Dinoflagellaten), die Haptophyta mit ihrer bekanntesten Untergruppe den Kalkalgen (Coccolithophoriden) sowie das winzig-kleine Picophytoplankton, welches in den großen nährstoffarmen Gebieten der Meere bis zu 80 Prozent der Biomasse im Oberflächenwasser ausmacht. Gemeinsam sind die Phytoplanktongemeinschaften des Weltozeans derzeit für etwa die Hälfte der weltweiten Kohlendioxidaufnahme und Kohlenstoffbindung verantwortlich. Schätzungen zufolge nehmen sie pro Jahr etwa 50 Milliarden Tonnen Kohlenstoff auf. Die einzelligen Meeresalgen beeinflussen den Kohlendioxidgehalt von Meer und Atmosphäre damit ganz entscheidend und sind wichtige Akteure im Kohlenstoffkreislauf des Meeres.
Phytoplankton braucht Sonnenlicht, um Fotosynthese zu betreiben. Deshalb sind die Algen nur im lichtdurchfluteten Oberflächenwasser der Meere aktiv, je nach Wassertrübung in Tiefen bis zu 150 Metern. Wie schnell die Algen wachsen und in welcher Artzusammensetzung sie auftreten, hängt in erster Linie davon ab, welche Nährstoffe in welchen Mengen im Oberflächenwasser enthalten sind, denn gelöstes Kohlendioxid als Grundzutat für die Fotosynthese steht ja jederzeit in ausreichendem Maß zur Verfügung. Kieselalgen beispielsweise, die vergleichsweise viel Kohlenstoff binden und für etwa 40 Prozent der marinen Biomasseproduktion des Meeres verantwortlich sind, wachsen vor allem in Gebieten, in denen das Oberflächenwasser sowohl die Hauptnährstoffe Phosphor und Stickstoff enthält als auch Mikronährstoffe wie Eisen und im Wasser gelöste Kieselsäuren (Siliziumdioxid, auch Silikat genannt).
- 6.1 > Die einzellige Alge Emiliania huxleyi gehört zu den Schlüsselarten des Ozeans. Sie bildet riesige Algenblüten und trägt auf diese Weise maßgeblich zur biologischen Kohlenstoffpumpe des Meeres bei. Ihr auffälliger Panzer besteht aus mikroskopisch kleinen Kalzit-Scheibchen, denen der Einzeller die Bezeichnung „Kalkalge“ verdankt.
- Phosphor sowie Stickstoff (oft in Form von Nitrat) werden für den Aufbau der Algenzellen benötigt. Beide Nährstoffe gelangen unter anderem über die Flüsse in das Meer, werden über die Luft eingetragen oder aber bei mikrobiellen Recyclingprozessen etwa in der Sedimentschicht am Meeresboden freigesetzt. Der Stickstoff muss anschließend von Cyanobakterien in Nitrat umgewandelt werden – anderenfalls kann das Phytoplankton wenig mit ihm anfangen. Das Eisen wiederum brauchen die Algen, um Enzyme und Proteine zu bilden – vor allem solche, die essenziell sind für die Fotosynthese. Wichtige Eisenquelle für die Phytoplanktongemeinschaften der Meere sind das Schmelzwasser der arktischen und antarktischen Gletscher, sedimentgeladene Bäche und Flüsse, Staubwolken, die über Wüsten aufsteigen und deren Sandmengen im Anschluss über dem Ozean niedergehen, sowie hydrothermale Prozesse in der Tiefsee (etwa Schwarze Raucher), bei denen eisenhaltiges Wasser aus dem Meeresuntergrund austritt. Fehlt Silikat im Wasser, sind Kieselalgen nicht in der Lage, ihre Siliziumschalen aufzubauen, welche die Einzeller unter anderem davor schützen, von kleineren Ruderfußkrebsen gefressen zu werden. Unter diesen Voraussetzungen wachsen anstelle der Kieselalgen dann andere, meist kleinere Algenarten.
Global betrachtet, gelten nur 25 Prozent der Meeresoberfläche als nährstoffreiche Gebiete. Diese liegen hauptsächlich in den höheren Breiten (z.B. Nordatlantik) sowie in den natürlichen Auftriebsgebieten der Erde. Auf den restlichen 75 Prozent fehlen jeweils bestimmte Nährstoffe im Oberflächenwasser, sodass dessen Algenwachstum auf natürliche Weise begrenzt ist. Im Tiefenwasser stehen allerdings überall ausreichend Nährstoffe zur Verfügung.
- 6.2 > Die für das Algenwachstum wichtigen Hauptnährstoffe Phosphor, Stickstoff (in Form von Nitrat) und Silikat sind ungleichmäßig im Meer verteilt. Daher können nur 25 Prozent der Meeresoberfläche als nährstoffreiche Gebiete bezeichnet werden. Sie liegen vor allem in höheren Breiten sowie in den natürlichen Auftriebsgebieten der Erde.
Künstlicher Auftrieb: Nach dem Vorbild des Ozeans
Diese Zusammenhänge muss man kennen, um zu verstehen, wie die organisch-biologische Kohlenstoffpumpe theoretisch angekurbelt werden könnte. Der Plan lautet nämlich, in nährstoffarmen Meeresregionen, in denen bislang wenig Algenwachstum stattfindet, nährstoffreiches Wasser aus 200 bis 1000 Meter Wassertiefe an die Meeresoberfläche zu pumpen. Artificial Upwelling, künstlicher Auftrieb, nennt sich dieser Lösungsansatz. Dieser Idee zufolge würde das Tiefenwasser in der lichtdurchfluteten Oberflächenschicht wie Dünger wirken: Algen würden vermehrt wachsen – insbesondere Kieselalgen – und im Zuge der Fotosynthese mehr Kohlendioxid aus dem Wasser aufnehmen und den enthaltenen Kohlenstoff in ihre Biomasse einbauen. Der Kohlendioxidgehalt des Oberflächenwassers würde demzufolge sinken und den Ozean in die Lage versetzen, neues Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen.
Ein verstärktes Algenwachstum im Oberflächenwasser wiederum würde mehr Futter für Krill, Ruderfußkrebse, Flügelschnecken und andere frei treibende Organismen (Zooplankton) und Fische bedeuten und zu einem zunehmenden Transport kohlenstoffhaltigen Materials in Form von Partikeln, Kotballen und Kadavern in größere Wassertiefe führen, bestenfalls tiefer als 1000 Meter. Der in dem herabsinkenden Material enthaltene Kohlenstoff wäre auf diese Weise für Jahrzehnte, mitunter sogar für Jahrhunderte in den Tiefen des Meeres weggeschlossen – bis zu dem Zeitpunkt, wenn die kohlenstoffreichen Wassermassen eines Tages wieder zur Meeresoberfläche aufsteigen.
- 6.3 > Künstlicher Auftrieb lässt sich durch unterschiedliche Verfahren erzeugen. Eine Idee ist, schlauchähnliche Wellenpumpen im Meer auszusetzen. Sie besitzen am oberen Ende einen Schwimmkörper, der im Rhythmus der Wellen auf- und absteigt. Seine Bewegung wird auf einen Wasserheber im Aufstiegsschlauch übertragen, der das Tiefenwasser dann an die Meeresoberfläche hievt.
- Bis dahin jedoch könnte der in der Tiefe eingelagerte Kohlenstoff nicht mehr in Form von Kohlendioxid in die Atmosphäre entweichen. Tatsächlich entzogen werden dem Kohlenstoffkreislauf allerdings nur jene Restmengen Biomasse, die unbeschadet bis zum Meeresboden rieseln und dort dauerhaft im Sediment eingelagert werden. Ihr Anteil entspricht jedoch weniger als einem Prozent des ursprünglich von den Algen aufgenommenen Kohlenstoffs. Stammt der Kohlenstoff aus anderen Quellen (Holz, Walknochen etc.) kann der Anteil höher sein (ausführlichere Informationen in Kapitel 2).
Künstlicher Auftrieb kopiert das Funktionsprinzip der großen natürlichen Auftriebsgebiete vor den Westküsten Perus, Namibias, Kaliforniens und Mauretaniens (subtropisches Afrika und Amerika). Vom Wind angetrieben, steigt dort kaltes, nährstoffreiches Tiefenwasser zur Meeresoberfläche auf und lässt das Leben im Oberflächenwasser aufblühen. Die Nährstoffzufuhr aus der Tiefe ist der Grund, warum die Auftriebsgebiete zu den produktivsten und fischreichsten Meeresregionen der Welt gehören. Um dieses Erfolgskonzept des Ozeans jedoch technisch nachzuahmen und in bislang wenig produktiven Meeresregionen anzuwenden, bräuchte es allerdings Zehn- bis Hunderttausende Auftriebspumpen mit einem Gesamtfördervolumen von einer Million Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Erst dann käme die künstlich erzeugte Auftriebswirkung in etwa jener in den natürlichen Auftriebsgebieten gleich.
Ob es zielführend und wirtschaftlich sinnvoll wäre, so viele Pumpen einzusetzen, darf angezweifelt werden. In einer Modellstudie aus dem Jahr 2022 kommen Forschende zu dem Ergebnis, dass die zusätzliche Kohlendioxid-Entnahme und Kohlenstoffeinlagerung in größerer Tiefe selbst dann nur 150 Millionen Tonnen pro Jahr betragen würde, wenn die Menschheit auf jedem Quadratkilometer Meeresfläche eine bis in 500 Meter Tiefe reichende Auftriebspumpe installieren würde – und das von den Tropen bis in die subpolaren Gewässer.
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Die erhoffte Verwandlung des Ökosystems
Das größte theoretische Wirkungspotenzial hätte künstlicher Auftrieb in nährstoffarmen und demzufolge weniger produktiven Meeresregionen wie beispielsweise den subtropischen Wirbeln. Die Lebensgemeinschaften in ihrem Oberflächenwasser sind bislang perfekt an die Nährstoffarmut angepasst. So wachsen hier anstelle vieler großer Kieselalgen eher kleinere Algenarten, die nach ihrem Absterben weniger schnell absinken und dabei auch weniger Biomasse (gebundener Kohlenstoff) in die Tiefe entführen. Vergleichsweise klein fällt auch das Zooplankton aus: Zum einen benötigt es keine großen Mundwerkzeuge, um die harten Schalen der Kieselalgen zu knacken. Zum anderen brauchen kleinere Organismen weniger Futter und Energie zum Überleben. Beides ist schließlich Mangelware im nährstoffarmen Oberflächenwasser der subtropischen Wirbel.
Ändert sich die verfügbare Nährstoffmenge durch künstlichen Auftrieb dauerhaft, würde sich die Lebensgemeinschaft des Oberflächenwassers vermutlich mit der Zeit daran anpassen. Zunächst würden vermehrt Kieselalgen wachsen, dann könnte sich größeres Zooplankton ansiedeln, welches in der Lage wäre, die harten Siliziumschalen der Kieselalgen aufzubrechen. Großes, nahrhaftes Zooplankton wiederum würde Fische anlocken, weshalb Fachleute davon ausgehen, dass künstlicher Auftrieb langfristig zu einem Anstieg der Fischbestände in der jeweiligen Meeresregion führen würde. Wie gut die erhofften Anpassungsprozesse jedoch in der Praxis funktionieren würden, ist Gegenstand aktueller Forschungsprojekte.
Zusammenwirken von biologischer und physikalischer Kohlenstoffpumpe
Die biologische Kohlenstoffpumpe ist jedoch nicht der einzige Prozess, der entscheidet, ob sich mit künstlichem Auftrieb tatsächlich zusätzliches Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen lässt. Das Tiefenwasser im Ozean enthält neben hohen Nährstoffkonzentrationen nämlich auch zusätzliches Kohlendioxid, welches sich dort über zwei Prozesse angereichert hat: erstens über die oben beschriebene biologische Kohlenstoffpumpe, zweitens über die sogenannte physikalische Kohlenstoffpumpe.
Die physikalische Kohlenstoffpumpe wird durch das Absinken kalter Wassermassen in den Polarregionen angetrieben. Da kaltes Wasser eine hohe Gaslöslichkeit hat – das heißt, viel Gas aufnehmen kann –, enthalten die in den hohen Breiten absinkenden und dann in der Tiefe Richtung Äquator wandernden Wassermassen entsprechend viel Kohlendioxid. Pumpt man nun dieses kalte, kohlendioxidreiche Tiefenwasser an die Meeresoberfläche, erwärmt es sich. Parallel dazu sinkt seine Gaslöslichkeit und das gespeicherte Kohlendioxid kann wieder in die Atmosphäre entweichen. Soll also durch künstlichen Auftrieb die Aufnahme von Kohlendioxid durch den Ozean verstärkt werden, muss mithilfe des Verfahrens mehr Kohlendioxid nachhaltig durch Algen gebunden und in große Tiefen transportiert werden, als mit dem emporgepumpten Tiefenwasser an die Oberfläche gelangt.
Für einen Einsatz von künstlichem Auftrieb spricht, dass der fortschreitende Klimawandel die Schichtung der Wassermassen im Ozean verstärkt. Infolgedessen vermischen sich das Oberflächenwasser und das darunterliegende Zwischenwasser in einem geringeren Maß, weshalb die natürliche Nährstoffzufuhr aus der Tiefe des Meeres abnimmt und damit langfristig auch die Biomasseproduktion im lichtdurchfluteten Teil der Wassersäule. Ein künstlich erzeugter Auftrieb könnte dieser Entwicklung ein Stück weit entgegenwirken.
- Mithilfe von Computersimulationen haben Forschende zudem herausgefunden, dass das Kohlendioxid-Entnahmepotenzial durch künstlichen Auftrieb mit jedem Grad zusätzlicher Erwärmung steigt, ganz ungeachtet der abnehmenden Biomasseproduktion infolge von Meereserwärmung, -versauerung und Sauerstoffverlusten. Verantwortlich dafür ist abermals die physikalische Kohlenstoffpumpe. Sie würde laut Modellrechnungen in einer wärmeren Welt auf dreifache Weise von großflächigen Einsätzen des künstlichen Auftriebs profitieren:
- Erstens würde der Auftrieb kalten Tiefenwassers zu einer Abkühlung der oberflächennahen Luftschichten führen und gleichzeitig die Temperatur des Oberflächenwassers verringern.
- Zweitens ist ein Großteil des heutigen Tiefenwassers bereits vor Beginn der Industrialisierung entstanden. Das heißt, diese Wassermassen enthalten bislang nur Kohlenstoff aus natürlichen Kohlendioxidquellen – und noch keine Anteile aus vom Menschen verursachten Emissionen. Aus diesem Grund besitzt das Tiefenwasser noch genügend Pufferkapazitäten, um zusätzliches Kohlendioxid aufzunehmen und dazu beizutragen, schwer vermeidbare Kohlendioxidemissionen des Menschen zu kompensieren (weiterführende Erläuterungen in Kapitel 2).
- Drittens ist das Säurebindungsvermögen des Tiefenwassers – die sogenannte Alkalinität – in einigen Meeresregionen höher als jene des Oberflächenwassers. Künstlicher Auftrieb würde dort zu einer Alkalinitätserhöhung im Oberflächenwasser führen, was eine verstärkte Aufnahme von Kohlendioxid erlaubt, die damit verbundene Versauerung jedoch abpuffern würde (weiterführende Erläuterungen in Kapitel 2).
- 6.5 > Das spanische Forschungsschiff „Sarmiento de Gamboa“ mit einer Wellenpumpe. Sie wurde im November 2022 zu Test- und Forschungszwecken in einem Meeresgebiet südlich Gran Canarias ausgelegt. Der dunkle Auftriebsschlauch ist dabei zunächst um den gelben Schwimmkörper gewickelt und entrollt sich erst, wenn das Bodengewicht in die Tiefe sinkt.
Die Suche nach der optimalen Pumptechnik
Eine offene Forschungsfrage lautet zum Beispiel, mit welcher Pumptechnik sich künstlicher Auftrieb am effizientesten erzeugen ließe. Die bislang diskutierten Verfahren unterscheiden sich zum einen in der Pumpentechnik, zum anderen in der Auftriebsdauer. Für die Pumpentechnik ist entscheidend, woher die Pumpen die Energie beziehen, die sie benötigen würden, um große Wassermassen an die Meeresoberfläche zu transportieren. Deutsche Meeresforschende konnten bereits Erfahrungen mit einer sogenannten Wellenpumpe sammeln. Pumpen dieses Typs bestehen aus einem langen Aufstiegsschlauch und besitzen am oberen Ende einen Schwimmkörper, der im Rhythmus der Wellen auf- und absteigt. Seine Bewegung wird auf einen Wasserheber im Aufstiegsschlauch übertragen, der das Tiefenwasser dann mit der Kraft der Wellen in die Höhe hievt. Ein Bodengewicht hält den Schlauch dabei senkrecht in der Wassersäule.
Als Wissenschaftler aus Deutschland eine solche Wellenpumpe mit einer Schlauchlänge von 30 Metern und einem Durchmesser von 0,4 Metern vor der Küste Gran Canarias einsetzten, erzeugte sie einen Aufwärtsstrom von circa 35 Kubikmeter Wasser pro Stunde. Bei Wellenfrequenzen und Wellenhöhen, wie sie typisch für ozeanische Regionen in niederen bis mittleren Breiten sind, lassen sich mit größer dimensionierten Pumpen dieser Art maximale Durchflussraten von ein bis zwei Kubikmeter Wasser pro Sekunde erzeugen. Um eine substanzielle klimawirksame Leistung zu erreichen, müsste jedoch mindestens eine Million Kubikmeter Tiefenwasser pro Sekunde an die Oberfläche gepumpt werden.
Höhere Pumpraten ließen sich mithilfe von elektrisch betriebenen Propellerpumpen erzielen. In Norwegen werden solche Pumpen bereits in der Lachs-Aquakulturhaltung eingesetzt, um sauerstoffreiches und im Winter wärmeres Tiefenwasser in die Käfige zu pumpen. Die Lachse wachsen so schneller. Für Projekte zum künstlichen Auftrieb auf hoher See wurden Propellerpumpen allerdings noch nicht getestet. Die elektrisch betriebenen Pumpen kämen auch nur infrage, wenn sie vor Ort mit Wind- oder Solarstrom betrieben werden könnten.
Sollten Verfahren zum künstlichen Auftrieb großflächig eingesetzt werden, entstünde zudem ein beträchtlicher Wartungsaufwand, denn die senkrecht im Wasser stehenden Pumpen wären rund um die Uhr enormen Belastungen ausgesetzt. Ein Problem wären beispielsweise die unterschiedlich starken Strömungen je nach Wassertiefe. Sie alle würden im unterschiedlichen Maß an der Pumpe zerren und das Material kontinuierlich strapazieren, vor allem in strömungsreichen Meeresregionen wie den subtropischen Wirbeln. Welche Folgen das haben kann, erlebten Forschende aus Deutschland beim ersten Testlauf einer neu entwickelten Wellenpumpe im November 2022. Drei Stunden nach dem Aussetzen der 200 Meter langen Pumpe löste sich deren Bodengewicht aus seiner Halterung und sank. Die Wellenpumpe versagte daraufhin ihren Dienst.
- 6.6 > Das Aufsteigen des Tiefenwassers und sein anschließendes Verhalten in der Deckschicht des Meeres simulieren Forschende mithilfe verschiedener Strömungsmodelle. Diese Modell-Abbildung zeigt, wie das kalte, nährstoffreiche Wasser (gelb) aus der Pumpe aufsteigt, dann sofort in mittlere Tiefen absinkt und sich dort verteilt.
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Einmal düngen oder besser dauerhaft?
Eine zweite wichtige Kenngröße neben der Pumpentechnik ist die Auftriebsdauer. Hierbei unterscheiden Fachleute zwischen einer einmaligen und einer kontinuierlichen Zufuhr von Tiefenwasser, was ersten Testläufen zufolge unterschiedliche Auswirkungen auf das marine Ökosystem und die Produktion schnell absinkender Biomasse hat. Beim ersten Verfahren (gepulster Auftrieb) wäre die Pumpe stationär im Meer verankert. Das Oberflächenwasser würde stetig an ihr vorbeiströmen und, jede einzelne Wassermenge für sich betrachtet, nur ein einziges Mal mit Nährstoffen aus der Tiefe angereichert werden. Im zweiten Verfahren hingegen würde die Pumpe in der Strömung mittreiben und könnte so ein und denselben Wasserkörper kontinuierlich mit nährstoffreichem Tiefenwasser versorgen.
Erste Ergebnisse aus Experimenten im Rahmen des EU-Forschungsprojektes „Ocean artUp“ deuten darauf hin, dass die biologische Kohlenstoffpumpe leistungsfähiger wird, wenn ein Wasserkörper kontinuierlich mit Nährstoffen versorgt wird. Das wiederum würde bedeuten, dass die Pumpen im Falle eines gezielten Einsatzes mit den Wassermassen mittreiben müssten – eine Voraussetzung, die viele Risiken für Mensch und Umwelt mit sich brächte und obendrein noch logistische und rechtliche Probleme.
Simulationen von künstlichem Auftrieb in Strömungsmodellen lassen zudem vermuten, dass sich das emporgepumpte nährstoffreiche Tiefenwasser nicht gleichmäßig an der Meeresoberfläche verteilt. Stattdessen sinkt es aufgrund seiner kühleren Temperatur und der daraus resultierenden höheren Dichte wahrscheinlich in mittlere Tiefen ab, wo dem Phytoplankton dann aber nicht mehr genügend Sonnenlicht zur Verfügung steht, um viel Fotosynthese zu betreiben.
Über den Erfolg von künstlichem Auftrieb entscheidet außerdem der Nährstoffgehalt des Tiefenwassers. Dieser kann sehr unterschiedlich sein, je nachdem, in welchem Meeresgebiet der Pumpeneinsatz erfolgt und aus welcher Tiefe das Wasser nach oben verfrachtet wird. Welche Nährstoffkonstellation die Kohlendioxidaufnahme des Meeres am effizientesten verstärkt, ist noch nicht hinreichend erforscht.
Die Folgen für die Ökosysteme des Meeres
Künstlicher Auftrieb verändert die Nährstoffverfügbarkeit im Oberflächenwasser und somit eine der Säulen des Lebens im Meer. Wie tiefgreifend dieser Wandel sein kann und welche Unterschiede auftreten, haben Forschende durch vergleichende Experimente im Humboldtstrom (natürliches Auftriebsgebiet vor der Küste Perus) und in einer nährstoffarmen Meeresregion vor der Küste Gran Canarias untersucht. Dabei konzentrierten sie sich auf drei Kenngrößen: das Mischungsverhältnis zwischen nährstoffreichem Tiefenwasser und nährstoffarmem Oberflächenwasser (wenig bis viel), die Auftriebsdauer (kontinuierliche oder einmalige Zufuhr von Tiefenwasser) und den Silikatgehalt des Tiefenwassers, der wiederum entscheidend ist für das Wachstum von Kieselalgen.
Wie von den Forschenden erwartet, veränderten alle drei Parameter das Wachstum und die Artenzusammensetzung der Algen. Die stärksten Algenblüten entstanden, wenn viel Tiefenwasser heraufbefördert wurde, dieses viel Silikat enthielt und das Oberflächenwasser einmalig damit gedüngt wurde. Unter diesen Voraussetzungen lagerten die Algenblüten sogar besonders viel Kohlenstoff in ihre Biomasse ein. Kohlenstoff-Überkonsum nennen Fachleute dieses Phänomen.
Zur Überraschung des Forscherteams aber führten die zusätzlich gebildete Algenbiomasse und ihre vorteilhaften Eigenschaften bei den Experimenten vor Gran Canaria nicht automatisch zu einer Erhöhung des Kohlenstofftransportes in die Tiefe. Die zusätzlich gebildete Algenbiomasse wurde kaum vom Zooplankton und anderen Meeresorganismen gefressen. Das heißt, anders als im Humboldtstrom, dessen Lebensgemeinschaften an Nährstoffreichtum gewöhnt sind, fiel vor Gran Canaria sowohl die erhoffte Weitergabe des gebundenen Kohlenstoffs im Nahrungsnetz aus als auch die beschleunigende Wirkung des Zooplanktonfraßes auf den Tiefentransport. Stattdessen sank die im Oberflächenwasser gebildete kohlenstoffreiche Biomasse nur langsam ab und wurde von Mikroorganismen abgebaut, noch bevor sie große Tiefen erreichen konnte.
- 6.8 > Beim Wellenpumpentest vor Gran Canaria leiten die Wissenschaftler eine ungiftige grellgrüne Flüssigkeit aus Meerwasser und dem Farbstoff Uranin in den Auftriebsschlauch, um erkennen zu können, wie sich das Tiefenwasser an der Meeresoberfläche verteilt. Technische Probleme lassen das Experiment am Ende scheitern.
- Eine Erklärung für diese Beobachtungen könnte die kurze Dauer der Experimente sein. Sie ließ der an Nährstoffmangel gewöhnten Lebensgemeinschaft vor der Küste Gran Canarias nur unzureichend Zeit, sich an das plötzlich zunehmende Nahrungsangebot anzupassen. Die Meeresorganismen waren deshalb nicht in der Lage, den plötzlichen Futterüberschuss zu verwerten und die gut gepanzerten Kieselalgen und andere große Algenarten zu vertilgen, sagen die Forschenden. Eine wichtige Erkenntnis, denn ähnliche Resultate erwarten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen künftig für den Einsatz ortsfester Auftriebspumpen in nährstoffarmen Meeresregionen. Das Oberflächenwasser würde an diesen fest installierten Pumpen vorbeiströmen und nur einmalig einen Nährstoffpuls erfahren, was die Planktongemeinschaften vermutlich vor die gleichen Probleme stellen wird wie bei den Experimenten vor Gran Canaria.
Außerdem fehlen weiterhin Antworten auf die Fragen, welche Risiken für das Leben im Meer mit künstlichem Auftrieb einhergehen und wie lange es zum Beispiel dauern würde, bis sich nach der Inbetriebnahme einer oder mehrerer Pumpen das lokale Ökosystem vollständig angepasst hätte und in der Lage wäre, die maximale Menge Kohlenstoff zu binden und in die Tiefe zu exportieren. Experten vermuten, dass zunehmende Algenblüten unter Umständen zu Nährstoffknappheit und verringerter Lichtdurchlässigkeit im Oberflächenwasser führen würden sowie zu einem steigenden Sauerstoffmangel in mittleren Tiefen – dort, wo Mikroorganismen die herabsinkende Biomasse zersetzen würden.
Auch muss untersucht werden, welche Auswirkungen ein zunehmender Transport kohlenstoffreicher Biomasse auf die Ökosysteme im tiefen Ozean haben könnte und wie die Tiefseelebensgemeinschaften auf mögliche Veränderungen der Temperatur und Wassermassen-Schichtung reagieren. Entsprechende Experimente, Laborstudien und Computersimulationen führen Wissenschaftler im Rahmen der deutschen Forschungsmission „CDRmare“ durch, deren Ergebnisse jedoch erst im Laufe des Jahres 2024 vorliegen werden.
Ein unklarer rechtlicher Rahmen
Die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Einsatzes von künstlichem Auftrieb sind bislang noch überhaupt nicht klar definiert. Es stellt sich zum Beispiel die Frage, ob das Ausbringen vieler Auftriebspumpen gegen derzeit geltendes Recht verstoßen würde oder ob ein Einsatz überhaupt genehmigungspflichtig wäre – und wenn ja, wer unter welchen Bedingungen eine solche Genehmigung erteilen dürfte. Bedacht werden muss auch, dass es sich bei künstlichem Auftrieb um eine Aktivität im Meer handelt, die rechtlich in den Regelungsrahmen des Seevölkerrechts fällt, in der Sache aber auf die Erhöhung des Kohlendioxid-Aufnahmepotenzials des Ozeans abzielt und somit ein klimaschutzrechtliches Ziel verfolgt. Solche neuen Meeresnutzungspläne berücksichtigt das Seevölkerrecht bislang noch nicht. Aus diesem Grund überprüfen Rechtswissenschaftler derzeit die juristischen Rahmenbedingungen großangelegter Pumpeneinsätze zur Steigerung der Kohlendioxidaufnahme des Meeres. Relevante Konventionen und Prinzipien sind hierbei das internationale Londoner Protokoll sowie das deutsche „Gesetz über das Verbot der Einbringung von Abfällen und anderen Stoffen und Gegenständen in die Hohe See“. Darüber hinaus analysieren die Fachleute, inwiefern Einsätze zum künstlichen Auftrieb völkerrechtlich reguliert werden könnten, welche Entscheidungsbefugnisse einzelne Staaten besitzen und auf welche Weise Maßnahmen zum künstlichen Auftrieb in das internationale Meeresumweltschutz- und Klimaschutzrecht integriert werden können, ohne andere Formen der Meeresnutzung sowie Belange des Umwelt- und Artenschutzes zu gefährden. Dabei wollen die Forscherinnen und Forscher herausfinden, welche Änderungen der rechtlichen Übereinkommen und Prinzipien vorgenommen werden müssten, um ein angemessenes Regelwerk für die Steuerung des künstlichen Auftriebs zu schaffen (mehr zu rechtlichen Rahmenbedingungen in Kapitel 9).
Wachstumshilfe für Großalgen
Angesichts des vergleichsweise geringen Kohlendioxid-Entnahmepotenzials, der doch zahlreichen immensen Wissenslücken und des darüber hinaus enormen technischen und logistischen Aufwandes, der notwendig wäre, um künstlichen Auftrieb im industriellen Maßstab umzusetzen, gilt es als eher unwahrscheinlich, dass diese Verfahren tatsächlich eines Tages großflächig eingesetzt werden, um die biologische Kohlenstoffpumpe des Meeres zu verstärken. Viel zielführender scheint hingegen ihr Einsatz zu sein, wenn es um die Frage geht, Großalgenfarmen in Küstengewässern mit ausreichend Nährstoffen zu versorgen.
Diese Aussage beruht unter anderem auf Versuchen, die chinesische Forschende im Zeitraum von 2018 und 2020 im Gelben Meer durchgeführt haben, genauer gesagt in der Aoshan-Bucht in der chinesischen Provinz Shandong – einem Zentrum der chinesischen Großalgen-produktion. Dort werden mittlerweile so viele Großalgen angebaut, dass die Menge an Nährstoffen im Oberflächenwasser nicht mehr ausreicht und sich daher Krankheiten und Mangelerscheinungen in den Algenbeständen ausbreiten. Die bodennahen Wasserschichten als auch das Porenwasser im Meeresboden hingegen weisen viel zu hohe Nährstoffkonzentrationen auf, weil diese Küstengewässer lange Zeit überdüngt worden sind. Für die Algenkulturen an der Meeresoberfläche sind diese überschüssigen Nährstoffe in der Tiefe jedoch weiterhin außer Reichweite.
Diese Beobachtung brachte die Wissenschaftler auf die Idee, künstlichen Auftrieb zu nutzen, um das nährstoffreiche Tiefenwasser an die Meeresoberfläche zu transportieren. Den Auftrieb erzeugten sie, in dem sie Luft zu einer am Meeresboden verankerten Plattform leiteten und diese dann durch viele kleine Düsen aufsteigen ließen, an jeweils zwei Stunden pro Tag. Die Ergebnisse bestätigten die Arbeitshypothese der Wissenschaftler: Großalgen, die in der näheren Umgebung der Auftriebsstelle wuchsen, hatten mehr als viermal so viel Biomasse produziert wie Großalgen, die in größerer Entfernung geerntet wurden. Gleichzeitig hatten die Großalgen jede Menge Phosphor und Nitrat aus der Tiefe aufgenommen und auf diese Weise die Wasserqualität der überdüngten Meeresbucht verbessert.
Am richtigen Ort eingesetzt, haben Verfahren zum künstlichen Auftrieb also durchaus das Potenzial, das Algenwachstum und somit die ozeanische Aufnahme von Kohlendioxid zu verstärken und obendrein dazu beizutragen, dass sich der Umweltzustand überdüngter Küstengewässer verbessert. Ob die Verfahren aber tatsächlich jemals eingesetzt werden, um das Wachstum des Phytoplanktons und damit die biologische Kohlenstoffpumpe des Ozeans anzutreiben, erscheint zum aktuellen Zeitpunkt mehr als fraglich.
- 6.9 > Mit dieser Anlage, bestehend aus einer solarstrom-betriebenen Plattform, Luftschläuchen und vielen Düsen, ist es chinesischen Wissenschaftlern gelungen, in einer überdüngten Meeresbucht nährstoffreiches Tiefenwasser an die Meeresoberfläche zu befördern. Dort wuchsen im Anschluss nicht nur die angebauten Großalgen besser, zeitgleich nahm auch die Überdüngung des Wassers ab.