Ökosystem
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WOR 1 Mit den Meeren leben - ein Bericht über den Zustand der Weltmeere | 2010

Gestörter Planktonkreislauf

Störung im Planktonkreislauf

> Aktuelle Experimente und Studien zeigen, dass der Klimawandel, besonders die Erwärmung der Erde, eingespielte biologische Systeme aus dem Takt bringt. Für manche Lebewesen ist das fatal. Beunruhigend ist vor allem, dass sich der Lebensrhythmus der wichtigsten Nahrungsgrundlage in den Ozeanen, der des pflanzlichen Planktons, verändert.

Lebenswichtige Einzeller

Das Plankton ist von enormer Bedeutung als Nahrungsquelle für das Leben im Meer. Das Phytoplankton, Algen und Cyanobakterien, nimmt im Wasser gelöste Nährstoffe auf, wächst und teilt sich. Dadurch wird im Meer die Biomasse produziert, von der sich Zooplanktonorganismen, wie Kleinkrebse und Fischlarven, ernähren. Das Zooplankton wiederum wird von Fischen und ihren Larven gefressen. Das Plankton spielt somit in den biogeochemischen Kreisläufen des Ozeans eine Hauptrolle. Durch den Klimawandel bewirkte Veränderungen des Planktons werden daher in der Zukunft auch einen entscheidenden Einfluss auf das Funktionieren des gesamten pelagischen Systems haben.

Die Copepoden Copepoden (Ruderfußkrebse) zählen zu den Krebsen (Crustacea). Sie besiedeln sowohl Meerwasser als auch Süßwasser. Die meist nur wenige Hundert Mikrometer bis wenige Millimeter großen Tiere sind die artenreichste Gruppe der Crustaceen (etwa 14 000 Arten) und machen den größten Anteil des marinen Zooplanktons aus. Copepoden stellen damit eine wichtige Nahrungsgrundlage für Fische und andere Krebsarten dar.

Zusatzinfo Plankton-Experiment: Klimawandel im Wassertank

Das Planktonwachstum kommt aus dem Takt

Zum Plankton gehören überwiegend kurzlebige Organismen. Diese vermehren sich in der Regel so schnell, dass innerhalb eines Jahres mehrere Generationen entstehen können. Grundsätzlich folgt die Entwicklung der Planktonorganismen einem regelmäßigen Jahreszyklus, der mit der Frühjahrsblüte des Phytoplanktons beginnt. Dementsprechend bewirkt das zunehmende Lichtangebot im Frühjahr, dass die Menge des Phytoplanktons extrem schnell zunimmt. Schon wenige Wochen nach dem winterlichen Minimum erreicht die Biomasse einen Jahresspitzenwert. Danach nimmt die Biomasse wieder kontinuierlich ab. Zum einen, weil das Zooplankton das Phytoplankton wegfrisst, zum anderen, weil die im Wasser gelösten Pflanzennährstoffe während der Blüte stark aufgezehrt wurden und absinken. Die Phytoplankter finden also im Wasser immer weniger Nahrung. In nährstoffarmen und kalten Meeresgebieten ist die Frühjahrsblüte die einzige, in vielen anderen Meeresgebieten die größte Nahrungszufuhr für das Zooplankton im Jahresverlauf. Damit ist die Frühjahrsblüte auch für die Ernährung der Fische, die sich vor allem von Zooplankton ernähren, von größter Bedeutung. Die Bodenlebewesen wiederum profitieren von den großen Mengen absinkenden organischen Materials, den Resten der abgestorbenen Phyto- und Zooplanktonorganismen. Das kurzlebige Plankton reagiert ausgesprochen schnell auf physikalische und chemische Veränderungen im Meer oder Schwankungen im Nahrungsangebot. Gelegentlich kann die Größe der Populationen innerhalb nur weniger Tage oder Wochen extrem variieren. In anderen Fällen verändert sich die Zusammensetzung der Planktongemeinschaften: Bestimmte Planktonarten dominieren auf einmal. Veränderungen durch den Klimwandel sind in jedem Fall schon erkennbar. Einige davon entsprechen den Erwartungen: So wie die Obstbaumblüte an Land beginnt auch die Frühjahrsblüte des Planktons in vielen Meeresgebieten früher. Zudem verschieben sich die Verbreitungsgebiete von Planktonarten aufgrund der Meeres­erwärmung weiter Richtung Pol. Ein Beispiel ist die nach Norden gerichtete Ausbreitung der für die gemäßigte Zone charakteristischen Copepoden-Art Calanus helgolandicus, eines Kleinkrebses, der die in skandinavischen Breiten heimische Art Calanus finnmarchicus verdrängt. Da beide Arten wichtige Fischnährtiere sind und ein ähnliches Nahrungsspektrum haben, sollte das keine gravierenden Auswirkungen auf das Funktionieren des Ökosystems haben. Aber nicht alle Veränderungen in den Plankton-Lebensgemeinschaften sind so unbedenklich. In manchen Fällen führt die Erwärmung des Wassers dazu, dass der Zooplanktonnachwuchs zu früh schlüpft und verhungert.

Eine wachsende Bedrohung: Harmful Algal Blooms

Harmful Algal Blooms (HABs, schädliche Algenblüten) sind Massenentwicklungen giftiger oder auf andere Art schädlicher Phytoplankter. Sicher ist, dass HABs weltweit zunehmen. Warum das so ist, weiß man bislang allerdings nicht ganz genau. Als Hauptursache gilt die Eutrophierung, die Überdüngung des Wassers mit Nährstoffen, aber auch der Klimawandel scheint eine Rolle zu spielen. Die schädlichen Algenblüten treten üblicherweise in den Sommermonaten auf, wenn die Wassersäule thermisch ge­­schichtet ist: Eine erwärmte, leichte Oberflächenschicht liegt auf einer kälteren, schwereren Tiefenschicht. Der Temperaturgradient in der dazwischenliegenden Sprungschicht ist umso ausgeprägter, je wärmer das Oberflächenwasser ist.

5.6 > Die stark nesselnde, für Menschen aber normalerweise nicht tödliche Leuchtqualle Pelagia noctiluca trat in den vergangenen Jahren gehäuft im Mittelmeer auf.

5.7 > Der Dinoflagellat Karenia brevis kommt vor allem im Golf von Mexiko vor. Sein Nervengift Brevetoxin A kann beim Menschen zu Entzündungen und Asthmaanfällen führen.

5.8 > Mikroskopisch kleine Ruderfußkrebse wie diese Calanus-Art sind weit verbreitet und gehören zu den wichtigen Nahrungsorganismen der Fische.

Zusatzinfo Die CO2-Pumpe im Ozean

5.6 > Die stark nesselnde, für Menschen aber normalerweise nicht tödliche Leuchtqualle Pelagia noctiluca trat in den vergangenen Jahren gehäuft im Mittelmeer auf. © David B. Fleetham/SeaPics.com
5.7 > Der Dinoflagellat Karenia brevis kommt vor allem im Golf von Mexiko vor. Sein Nervengift Brevetoxin A kann beim Menschen zu Entzündungen und Asthmaanfällen führen. © www.learner.org/jnorth/tm/manatee/RedTide.html 
5.8 > Mikroskopisch kleine Ruderfußkrebse wie diese Calanus-Art sind weit verbreitet und gehören zu den wichtigen Nahrungsorganismen der Fische. © Arco/NPL Kim Taylor Ein größerer Temperaturgradient bedeutet, dass sich die Wassermassen an der Sprungschicht kaum durchmischen, da der Dichteunterschied, kalt und schwer zu warm und leicht, wie ein Widerstand wirkt. Daher gelangen kaum Nährstoffe aus der Tiefe an die Oberfläche. Sind die Nährstoffe an der Oberfläche durch das Phytoplanktonwachstum aufgezehrt, fehlt es also an Nachschub. Die für den Sommer charakteristische vertikale Trennung in eine Zone mit genug Licht und zu wenig Nährstoffen sowie eine Zone mit zu wenig Licht und ausreichend Nährstoffen wird also durch die Sprungschicht verschärft. Hier haben große bewegliche Phytoplankter einen Vorteil. Sie können durch vertikale Wanderungen zwischen dem tiefen nährstoffreichen Wasser und den sonnendurchfluteten oberflächennahen Bereichen hin- und herwandern, wo sie Photosynthese betreiben. Hierzu gehören zahlreiche Dinoflagellaten und in der Ostsee vor allem auch Cyanobakterien, die ihr spezifisches Gewicht regulieren und wie ein Taucher auf- und absteigen können. Problematisch ist, dass es in beiden Gruppen zahlreiche toxische Arten gibt. Nehmen Muscheln diese Organismen auf, werden sie für den Menschen ungenießbar oder sogar tödlich. Zum Teil geben die Planktonorganismen die Gifte auch direkt ins Wasser ab. In manchen Fällen sind diese sogar in Aerosolen nachweisbar – kleinen, in der Luft schwebenden Tröpfchen, die durch Wellenschlag in der Brandung entstanden sind. Ein besonders berüchtigter Vertreter ist der Dinoflagellat Karenia brevis, dessen regelmäßig vor Florida vorkommende Blüten Fischsterben, Muschelvergiftungen, Entzündungen bei Baden­den und im Extremfall sogar Asthma bei Strandbesuchern verursachen. Fachleute schreiben die Häufung dieser Blüten der Klimaerwärmung zu. Wie erwähnt, gibt es auch unter den Cyanobakterien zahlreiche giftige Stämme. Zwar wurden Untersuchungen bislang vor allem an Cyanobakterien durchgeführt, die im Süßwasser leben – insbesondere in Gewässern, aus denen Trinkwasser gewonnen wird oder in denen Badende durch dichte Cyanobakterienblüten gefährdet sind. Doch auch in der Ostsee wurden toxische Stämme verschiedener Cyanobakterien wie etwa Nodularia spumigena nachgewiesen.

Quallen werden zum Problem

Nicht nur HABs treten immer öfter massiv auf. Darüber hinaus beobachten Wissenschaftler zunehmende Massenvermehrungen bei Quallen. Die Folgen dieser explosionsartigen Vermehrungen sind bekannt: verletzte Badegäste, verstopfte Fischernetze, Nahrungskonkurrenz für Fische, Fraßdruck auf Fischeier und -larven. Die möglichen Ursachen dieser Massenvermehrungen sind durchaus umstritten. Ein wesentliches Problem ist vermutlich die Über­fischung der Meere. Zooplankton fressende Fische sind Nahrungskonkurrenten der Quallen. Fehlen die Fische, bietet sich den Quallen ein reich gedeckter Tisch. Bekannt ist inzwischen auch, dass Quallen robuster als viele Fischarten sind und deutlich niedrigere Sauerstoffkonzentrationen ertragen. Sauerstoffmangel im Meer wiederum tritt zunehmend infolge der Eutrophierung auf. Durch Eutrophierung bildet sich mehr Biomasse. Damit sinkt auch mehr organische Substanz ins Tiefenwasser ab, die dort von sauerstoffzehrenden Mikroorganismen abgebaut wird. Die Folge ist Sauerstoffmangel. Der Klimawandel kann diese Situation noch verschärfen, denn er führt zu einer Erwärmung der Meeresoberfläche. Dadurch werden Austauschprozesse verlangsamt, weil sich das sauerstoffreiche Oberflächenwasser weniger mit dem kalten Tiefenwasser mischt. Durch die Mikroorganismen in der Tiefe gezehrter Sauerstoff wird nur in geringem Maße ersetzt. Zunehmende Quallenplagen könnten somit die Folge kombinierter Stressoren sein.
Der Klimawandel wird also zu einer Neustrukturierung der pelagischen Lebensgemeinschaften führen, was Nachteile für die klassische Nahrungskette Phytoplankton – Zooplankton – Fische haben wird. Quallen hingegen werden davon profitieren. Es ist anzunehmen, dass die Überfischung und die Eutrophierung der Küstengewässer zudem synergistische Effekte haben werden, die die Situation weiter verschärfen. Textende