Piraterie und Terrorismus im globalen Seeverkehr
8.7 > Respektierter Seeräuber: Sir Francis Drake (1540 bis 1596) war ein geachteter englischer Kapitän, der von den Spaniern wegen seiner räuberischen Überfälle aber eher als Pirat betrachtet wurde. 1581 wurde er von der englischen Krone sogar zum Ritter geschlagen.
Die Rückkehr der Freibeuter
In den 1990er Jahren hat die Piraterie mit der fortschreitenden Globalisierung wieder an Bedeutung gewonnen, nachdem sie mehr als ein Jahrhundert lang weitgehend verschwunden war. Die Piraterie ist ein uraltes, bis Mitte des 18. Jahrhunderts oft staatlich geduldetes und bisweilen hoch respektiertes Phänomen im Weltseeverkehr. So wurden die Angriffe des englischen Weltumseglers Sir Francis Drake (1540 bis 1596) auf spanische Handelsschiffe von der englischen Krone durchaus begrüßt. In der Deklaration über das Seerecht wurde am 16. April 1856 in Paris die Abschaffung der Kaperei beschlossen. Nunmehr hat die Piraterie vor allem vor der somalischen Küste und im Golf von Aden zugenommen – also dort, wo Haupthandelsrouten verlaufen. Piraterie geht oft Hand in Hand mit bitterer Armut, die die Menschen in diesen Erwerbszweig treibt. Begünstigt wird sie oftmals durch den völligen Zusammenbruch staatlicher Ordnung in den betreffenden Nationen. Die Piraterie ist nicht nur eine unmittelbare Gefahr für die Besatzung der Schiffe und die Ladung. Sie verteuert zudem den Weltseeverkehr. Die Verlader und Reeder spüren die Kosten der Piraterie ganz erheblich. So sind die Versicherungsprämien für eine Passage durch den Golf von Aden um mehr als das Zehnfache gestiegen. Der Umweg um das Kap der Guten Hoffnung wiederum ist um Wochen länger und verbraucht deutlich mehr Treibstoff. Gleichwohl ist das Risiko, Opfer eines Piratenangriffs zu werden, auch an den Brennpunkten der Piraterie eher gering. Die jährlichen Gesamtverluste durch Piraterie in den Meerengen werden derzeit auf 0,001 bis 0,002 Prozent des gesamten Transportwerts in den betroffenen Straßen geschätzt. Nach Ansicht von Experten ist dieser Wert also keineswegs alarmierend hoch. Das gilt tendenziell auch für den gegenwärtigen Brennpunkt der Piraterie: die somalische Küste und den zwischen Afrika und der Arabischen Halbinsel gelegenen Golf von Aden, den jährlich rund 16 000 Schiffe passieren.
Eine unkalkulierbare Gefahr – der Terrorismus
Mit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 hat das Thema Gefährdung des Seeverkehrs erheblich an Bedeutung gewonnen. Von der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO wurde bereits eine Reihe von verbindlichen Sicherheitsmaßnahmepaketen erlassen. Vor allem die USA haben einschneidende Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Ein Beispiel ist die Überwachung von Containern beim Verladen und entlang der gesamten Transportkette. Diese Maßnahmen wurden von den wichtigsten Handelspartnern der USA befolgt, um Schwierigkeiten im Containerverkehr zu vermeiden. Zum einen soll verhindert werden, dass Terroristen per Schiff Nachschub an Waffen oder anderem Material anlanden. Zum anderen will man ausschließen, dass Schiffe selbst – analog zu den Flugzeugen des 11. September 2001 – als Waffe missbraucht werden.
- 8.8 > Die moderne Freibeuterei: Nach einer starken Zunahme der Piraterie zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Zahl der Überfälle weltweit wieder deutlich gesunken. Die Ausnahme sind die Gewässer vor Ostafrika und insbesondere Somalia.
- Sicherheit ist gerade im Containerverkehr eine besondere Herausforderung: Das maritime System des Containertransports ist charakterisiert durch komplexe Interaktionen zwischen verschiedensten Akteuren, Industrien, Regulierungsbehörden, Verkehrsträgern, Operationssystemen, unterschiedlichen Rechtsrahmen und verschiedenen Haftungsbedingungen. Die Europäische Verkehrsministerkonferenz (European Conference of Ministers of Transport, ECMT) stellt dazu fest, dass für die Sicherheit des Containerhandels alle Akteure verantwortlich sind. Eine einzige Sicherheitslücke in einem Bereich zerstört die Sicherheit der gesamten Logistikkette. Besonders anfällige Punkte des Containerhandels sind Rangierbahnhöfe, Stopps an der Straße und auf Parkplätzen sowie die Verladeterminals in den Häfen.
- Es gibt eine Reihe ausgewählter Studien zu den wirtschaftlichen Folgen des Terrorismus im Seeverkehr, die sich vor allem auf US-amerikanische Häfen beziehen. Damit wird versucht, die Gesamtverluste durch materielle Schäden im Fall eines terroristischen Angriffs und anschließende Hafenschließungen zu bestimmen. In Simulationen wurde zum Beispiel der wirtschaftliche Schaden eines Angriffs auf den Hafen von Los Angeles mit einer „dirty radioactive bomb“ berechnet: In der Folge des Anschlags wird jeder US-Hafen für acht Tage geschlossen; der Abbau des resultierenden Containerstaus dauert 92 Tage. Der Gesamtschaden wird auf 58 Milliarden US-Dollar geschätzt. Die Zahl der Menschen, die bei einem solchen Angriff getötet werden könnten, und auch die Schäden an den Gebäuden wurden in dieser rein wirtschaftlichen Studie nicht berücksichtigt. Die Folgen dürften jedoch katastrophal sein.
- Die Effekte wären im Fall der weltweit größten Häfen (zum Vergleich der Containerumschlag 2007: Los Angeles 8,4 Millionen TEU; Hamburg 9,9 Millionen TEU und Singapur 27,9 Millionen TEU) noch schwerwiegender. Allerdings gibt es bislang keine verlässlichen Schätzungen über die Höhe der Vermeidungskosten und ihr Verhältnis zu den möglichen Schäden durch terroristische Angriffe.
- 8.9 > Deutsche Marinesoldaten überführen im Golf von Aden ein Piratenboot zur Fregatte „Rheinland-Pfalz“. Wegen der häufigen Überfälle werden die ostafrikanischen Gewässer seit Längerem durch Kriegsschiffe gesichert. Dennoch kommt es in dieser derzeit gefährlichsten Küstenregion immer wieder zu Übergriffen auf Handelsschiffe.
- Solche Vermeidungskosten entstehen unter anderem durch den Kauf spezifischer Ausrüstungen zur Kontrolle der Schiffsladungen (beispielsweise Röntgengeräte) und durch den Einsatz von in der Regel hoch qualifiziertem Personal. Zum einen investieren private Akteure wie beispielsweise die Reedereien selbst in derartige Sicherungsmaßnahmen. Zum anderen schreiben Staaten bestimmte Schutzvorkehrungen vor. Die OECD schätzte die anfängliche Last der Reedereien durch die Implementierung der Schutzvorkehrungen auf 1,3 Milliarden US-Dollar und danach auf jährlich 730 Millionen US-Dollar. Diese erhöhten Kosten schlagen sich zumindest kurzfristig in höheren Preisen beziehungsweise geringeren Gewinnmargen nieder und verringern dadurch tendenziell den Seeverkehr. Andererseits können die ergriffenen Maßnahmen auf verschiedene Weise langfristig zur Kostensenkung beitragen – etwa durch verringerte Verzögerungen und schnellere Durchlaufzeiten. Kostensenkungen sind auch durch verbesserte Kontrolle der Transport- und Verladeanlagen, durch intensiveren IT-Einsatz und daraus folgende geringere Personalkosten, durch geringeren Verlust durch Diebstahl aufgrund höherer Sicherheit und durch niedrigere Versicherungsprämien denkbar.
- Trotz dieser möglichen Kostensenkungen gehen Experten davon aus, dass die Transportkosten durch die höheren Sicherheitsstandards in der Summe erheblich gestiegen sind. So zitiert die OECD Schätzungen, dass die Gefahr terroristischer Anschläge in den USA etwa die Hälfte der Produktivitätsgewinne in der Logistik zunichte gemacht hat, die man in den vergangenen zehn Jahren erzielt hatte. Gelegentlich wurde sogar die Befürchtung geäußert, dass die allgegenwärtige internationale terroristische Bedrohung den Globalisierungsprozess der vergangenen drei Jahrzehnte insgesamt infrage stellt. Wenig quantifizierbar sind gegenwärtig auch die Folgen für die Organisation der Produktion. Wird es auch in Zukunft möglich sein, die Just-in-time-Produktion aufrechtzuerhalten? Erste Hersteller haben auf die durch die permanente terroristische Bedrohung erzeugte Unsicherheit reagiert. Sie verlassen sich nicht mehr nur auf Just-in-time-Lieferungen.
Die Kosten der Angst
Eine umfassende ökonomische Analyse der gesamtwirtschaftlichen Kosten und Erträge der Schutzmaßnahmen im Weltseeverkehr steht derzeit noch aus. Bislang gibt es dazu keine umfassenden Studien. Die Frage, ab wann die Kur teurer wird als die Krankheit, lässt sich zurzeit also kaum beantworten: Niemand weiß, wann die Kosten des Sicherheitsgewinns die Kosten möglicher Schäden und Zerstörungen durch tatsächliche Terrorangriffe übersteigen. Albtraum-Szenarien von gekaperten Schiffen, die in wichtigen Häfen in die Luft gejagt werden und gigantische Explosionen auslösen, lassen sich zwar nicht gänzlich in Abrede stellen, nach Ansicht von Experten sind sie aber ausgesprochen unwahrscheinlich.