Unsere Ozeane – Quelle des Lebens
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WOR 7 Lebensgarant Ozean – nachhaltig nutzen, wirksam schützen | 2021

Von der Bedeutung und der Endlichkeit der Meere

Von der Bedeutung und der Endlichkeit der Meere Abb. 1.3: Phillip Colla/Oceanlight.com;

Von der Bedeutung und der Endlichkeit der Meere

> Mit und von den Meeren leben, das hieß für die Menschheit Jahrtausende lang, die Ozeane als grenzenlos zu betrachten – unerschöpflich in ihrer Fähigkeit, Nahrung und Rohstoffe zu liefern; unverwundbar dahingehend, alle Eingriffe des Menschen schadlos zu überstehen. Die Folgen dieses Irrtums sind heute offensichtlicher denn je: Riffe sterben, Küsten zerfallen, Fischer blicken vielerorts in leere Netze. Wer das Gute der Meere will, so viel ist mittlerweile klar, muss die Ozeane schonend behandeln und erkennen, dass auch der größte Lebensraum unseres Planeten an seine Grenzen kommen kann.

Wasser – das dominierende Elixier

Die Erde ist ein Planet des Wassers. Ozeane und Meere erstrecken sich über eine Fläche von 362 Millionen Quadratkilometern und bedecken damit 71 Prozent der Erd­oberfläche. Wen diese Zahlen allein wenig beeindrucken, der sollte sich vor Augen führen, dass allein die Fläche des Pazifischen Ozeans ausreichen würde, um alle Kontinente und Inseln der Erde darin aufzunehmen. Doch damit nicht genug: Die vier großen Ozeanbecken der Welt sind im Durchschnitt rund 3700 Meter tief und bieten gemeinsam Raum für mehr als 1,3 Milliarden Kubikkilometer Wasser. Rein rechnerisch würde diese Menge ausreichen, um Deutschlands größten Binnensee, den Bodensee (Volumen: 48 Kubikkilometer Wasser), mehr als 27 Millionen Mal bis zum Rand zu füllen. Faktisch betrachtet zirkulieren 97 Prozent allen flüssigen Wassers der Erde in den Weltmeeren.
Diese Menge mag zunächst unvorstellbar groß klingen. Teilt man diese 1,3 Milliarden Kubikkilometer jedoch durch die rund 7,9 Milliarden Menschen auf der Erde (Stand: 2021), verbleibt für jeden von uns gerade einmal rund ein Sechstel Kubikkilometer Wasser. Eine verschwindend kleine Menge, wenn man bedenkt, dass diese um­gerechnet rund 160 Millionen Kubikmeter Meerwasser jeden von uns mit all den Leistungen versorgen müssen, die wir Menschen vom Meer beziehen. Sie produziert zum Beispiel die Hälfte des Sauerstoffes, den wir einatmen, und ist Kinderstube und Lebensraum für alle Meeresfische und -früchte, die wir als Individuen verspeisen. Jeder Tropfen Wasser, den wir im Lauf unseres Lebens trinken, entspringt den Weltmeeren, weil an ihrer Oberfläche ein Großteil jenes Wassers verdampft, das anderenorts als Regen oder Schnee wieder vom Himmel fällt.
1.1 > Sehnsuchtsort Meer: Immer wieder zieht es den Menschen an das Meer – um abzuschalten und die eigenen Sorgen zu vergessen, aber auch um Gedanken und Ideen freien Lauf zu lassen.
Abb. 1.1 © Marcus Wildelau
Das Meer bremst den Klimawandel, indem es Wärme und das Treibhausgas Kohlendioxid aufnimmt und in seinen Tiefen für Jahrhunderte wegschließt. Es dient als Transportweg für unsere Waren und verbindet Kontinente über Tausende Kilometer hinweg. Es lagert Rohstoffe auf oder in seinem Boden, die wir schon jetzt nutzen oder aber erst in Zukunft nutzen werden; es ist Produzent für erneuerbare Energien – und zu alldem auch ein Ort, an dem wir uns entspannen und erholen, unter besonderen Umständen selbst auf digitalem Weg. Zum Höhepunkt der Coronapandemie im Jahr 2020 beispielsweise posteten Menschen aus aller Welt in den sozialen Netzwerken Meeresbilder, um ihrem Wunsch Ausdruck zu verleihen, einmal kurz abzuschalten und den Pandemiestress ver­gessen zu wollen. Die Ozeane und Meere sind zudem der größte zusammenhängende Lebensraum unseres Planeten. 99 Prozent des von Organismen bewohnbaren Raumes finden sich in den Weltmeeren. Ihre beeindruckende Artenvielfalt reicht von mikroskopisch kleinen einzelligen Algen und Tiefseemikroben bis zum riesigen Blauwal (Balaenoptera mus­culus), dem mit bis zu 30 Metern Körperlänge größten ­Säugetier der Welt.
1.2 > Der Weltozean bedeckt rund 71 Prozent der Erdoberfläche. Er wird in die hier dargestellten Meeresgebiete unterteilt. Die Flächen- und Volumenangaben basieren auf Berechnungen der US-amerikanischen Meeresbehörde NOAA.
Abb. 1.2 nach Eakins und Sharman, ­Volume of the World’s Oceans from ETOP01, NOAA National Geophysical Data Center, Boulder, CO, 2010

Ozean
Als „Ozean“ werden jene großen Salzwasserkörper oder -volumen bezeichnet, welche die riesigen Tiefseebecken der Erde füllen. Dazu gehören der Arktische Ozean, der Atlantische Ozean, der Indische Ozean, der Pazifische Ozean sowie der Südliche Ozean.

Einige dieser Meeresorganismen nutzen wir Menschen direkt, von anderen wiederum profitieren wir auf indirekte Weise, so zum Beispiel vom Phytoplankton. Die ein- bis mehrzelligen Algen nehmen nicht nur das Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) auf und produzieren etwa die Hälfte des Sauerstoffs in der Erdatmosphäre; sie dienen auch vielen jener Zooplankton- und Fischarten als Nahrungsgrundlage, von denen wir Menschen uns am Ende ernähren.
Diese wenigen einleitenden Beispiele zeigen: Das Schicksal der Menschheit ist auf vielfältige Weise an die Weltmeere geknüpft. Sie sind die Wiege und der Motor des Lebens auf dem Planeten Erde und gewinnen in dieser Rolle mit jedem neuen Tag und jedem neuen Erdenbürger an Bedeutung. Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2050 auf rund neun Milliarden Menschen angewachsen sein. Das heißt, der Anteil eines jeden Menschen an den Weltmeeren und seinen Leistungen wie Sauerstoff, Nahrung und Wasser wird in dieser Zeit auf rund ein Siebtel Kubikkilometer Meerwasser schrumpfen

Abb. 1.3 Phillip Colla/Oceanlight.com

 

1.3 > Giganten der Meere: Geschätzte 25 Meter beträgt die Körperlänge dieses Blauwals, der vor der Küste Kaliforniens auf Futtersuche geht. Erst kürzlich haben Forscher heraus­gefunden, dass das Herz der Riesen beim Fressen in großer Tiefe nur vier- bis achtmal pro Minute schlägt. Beim Auftauchen beschleunigt es auf bis zu 37 Schläge pro Minute.

Wachsende Ansprüche an die Weltmeere

Zeitgleich aber, das lässt sich heute schon sagen, werden unsere Ansprüche an das Meer wachsen – vor allem in Hinblick auf die Nahrungsmittelproduktion. An Land nämlich sind unsere Möglichkeiten, auf herkömmliche Art und Weise ausreichend Lebensmittel zu produzieren, begrenzt. Die Konkurrenz um fruchtbare Flächen nimmt zu; Wasser und Dünger sind in vielen Teilen der Welt nur eingeschränkt verfügbar; im Zuge des Klimawandels häufiger auftretende Extremereignisse wie Hitzewellen, Dürreperioden, Starkregen oder Schädlingsplagen schmälern vielerorts die Ernteerträge.
Um den Hunger der stetig wachsenden Weltbevölkerung langfristig stillen zu können, bedarf es zum einen neuer Konzepte zur nachhaltigen Landnutzung und ressourcenschonenden Lebensmittelproduktion – eine Rückkehr zur vornehmlich pflanzenbasierten Ernährung ein­geschlossen. Zum anderen, so argumentieren einige Wissenschaftler, müssten die Weltmeere einen noch größeren Beitrag zur Versorgung leisten und seien dazu auch durchaus in der Lage – vorausgesetzt, die intensivere Nutzung basiere auf einem nachhaltigen und naturnahen Ausbau der marinen Aquakultur sowie einem verbesserten Schutz und Management der natürlichen Bestände und Lebensräume.
Andere Wissenschaftler bezweifeln, dass die Ozeane diesem Anspruch genügen können. Sie verweisen darauf, dass nach Angaben der FAO schon im Jahr 2017 rund 34,2 Prozent aller natürlichen Fischbestände im Meer überfischt waren. Weitere 59,6 Prozent der Bestände wurden zu diesem Zeitpunkt bereits bis zur Grenze des biologisch Machbaren befischt. Kritisch bewerten die Experten auch Pläne, die Aquakultur in Küstennähe auszubauen. Eine solche Expansion sei ihrer Einschätzung nach vielerorts ökologisch unmöglich.
1.4 > Als „marine Wildnis“ werden Meeresgebiete definiert, deren Lebensgemeinschaften bislang gar nicht oder aber nur in sehr geringem Maß unter menschlichen Eingriffen leiden. Im Jahr 2017 galt dies für lediglich 13,2 Prozent des Ozeans (rund 55 Millionen Quadratkilometer). Ein Großteil dieser ökologisch intakten Gebiete lag auf hoher See – weit entfernt von den übernutzten Küstenräumen.
Abb. 1.4 nach Jones et al., DOI: 10.1016/j.cub.2018.06.010

Meer
Der Begriff „Meer“ wird in der deutschen Sprache auf zweierlei Weise verwendet. Erstens synonym zu Weltmeer: In diesem Fall bezeichnet er die sich weithin ausdehnende, das Festland umgebende Wassermasse, die einen großen Teil der Erd­oberfläche bedeckt. In Kombination mit dem Wort „Ozean“ meint die Bezeichnung „Meer“ meist deren Nebenmeere. Diese Wasserflächen sind kleiner als die Ozeane, liegen an deren Rändern oder aber werden durch Inselketten, Tiefseerinnen, Meeresrücken oder Meerengen vom Ozean getrennt.

Kaum ein Flecken ohne Spuren des Menschen

Fakt ist, dass der Mensch seit Jahrzehnten maßgeblich die Gesundheit und das Wohlergehen der Meere und Ozeane beeinflusst. Der Weltbiodiversitätsrat kommt in seinem 2019 veröffentlichten Bericht zum Zustand der globalen Artenvielfalt zu dem Schluss, dass Meeresökosysteme auf der ganzen Welt – von der Küste bis hin zur Tiefsee – Spuren menschlichen Handelns zeigen. 66 Prozent der marinen Lebensräume hat der Mensch demnach in einem bedeutenden Maß verändert. Das heißt im Klartext, ihr Zustand hat sich nachweislich verschlechtert. Besonders drastisch sind die Zustände in den Küstengebieten, von denen die meisten auch weiterhin zerstört werden.
Die Abnahme der marinen Artenvielfalt und die Verschlechterung der Lebensbedingungen seien in erster Linie auf die zunehmende Fischerei sowie auf die intensive Nutzung der Küstenräume (unter anderem Verbauung der Küstenzonen, Wachstum der Küstenstädte, Inbetriebnahme von Erdöl- und Erdgasförderanlagen, Eintrag von Schadstoffen und Nährstoffen durch Flüsse) zurückzuführen, berichten die Forscher. Beide Entwicklungen haben in den zurückliegenden fünf Jahrzehnten mehr als 50 Prozent der beobachteten Veränderungen ausgemacht. Auf den weiteren Rängen folgen der Klimawandel, die Verschmutzung der Meere sowie die Einwanderung ortsfremder Arten, wobei die Experten des Weltbiodiversitätsrates betonen, dass der Einfluss dieser drei Triebkräfte stetig zunehme.
1.5 > Ein scharfkantiges Steinwerkzeug, entdeckt in einer Höhle an der Küste Portugals. Ebenfalls dort gefundene Muschelschalen, Krabbenpanzer, Fischüberreste und versteinerte Seevogelknochen belegen, dass auch Neandertaler ihren Hunger mit Nahrung aus dem Meer stillten.
Abb. 1.5 José Paulo Ruas, © João ­Zilhão
Unverfälschte marine Wildnis, das heißt biologisch und ökologisch intakte Meereslebensräume, in denen der Mensch bislang so gut wie keine Spuren hinterlassen hat, gibt es nach Angaben von Meeresforschern noch in einigen südlichen Gebieten der Hohen See sowie in den noch immer schwer zugänglichen Polarmeeren. Die Gesamt­fläche dieser naturbelassenen Meeresgebiete beläuft sich auf rund 55 Millionen Quadratkilometer. Sie ist damit zwar in etwa dreimal so groß wie Russland, entspricht aber lediglich einem Anteil von 13,2 Prozent der globalen Meeresfläche.
In den vom Menschen stark frequentierten Naturräumen der Erde ist der Druck auf die natürlichen Lebensgemeinschaften mittlerweile so groß geworden, dass einige Arten derzeit eine beschleunigte Evolution durchlaufen – so auch im Meer. Stark befischte Speisefischarten beispielsweise werden mittlerweile früher geschlechtsreif. Steigende Luft- und Wassertemperaturen wiederum führen dazu, dass sich bestimmte Arten neuerdings zu einem früheren Zeitpunkt im Jahr paaren und gewohnte Muster des Lebens im Meer an vielen Stellen aus den Fugen geraten. Die Folgen einer solchen rapiden Evolution für die Artenvielfalt und die Lebensgemeinschaften des Meeres können einerseits positiv, andererseits aber auch negativ sein, schreiben die Experten des Weltbiodiversitätsrates. Auf jeden Fall aber müssen sie in allen relevanten ­Planungen zum Meeresschutz und zur Meeresnutzung berücksichtigt werden.
Fasst man alle vom Weltbiodiversitätsrat gelisteten Beobachtungen zusammen, so kristallisiert sich schnell heraus, dass der Mensch zur größten Gefahr der Weltmeere geworden ist und er sich durch die vielerorts ungebremste Ausbeutung der Ozeane Stück für Stück seiner eigenen Zukunft beraubt.

Wie profitiert der Mensch vom Meer?

Der einzige Ausweg aus dieser Abwärtsspirale führt über eine nachhaltige Nutzung des Lebensraumes Meer und den Schutz wichtiger Ökosysteme mit Schlüsselfunktionen. Letzteres setzt jedoch voraus, dass klar definiert wird, was eigentlich als schützenswert zu erachten ist. Die Wissenschaft diskutiert die Frage nach dem Wert der Natur und ihrer Leistungen für den Menschen seit den 1970er-Jahren. Damals begannen die Forscher zum einen besser zu verstehen, wie die Natur und ihre natürlichen Lebensgemeinschaften, die sogenannten Ökosysteme, funktionieren. Zum anderen wurde in jener Zeit immer sichtbarer, in welchem Ausmaß der Mensch die Natur zerstört und dadurch auch viele ihrer sogenannten Leistungen verliert.
Um beurteilen zu können, welchen Nutzen der Mensch durch die Natur erfährt und welche Schäden im Zuge ihrer Zerstörung entstehen, entwickelten Wirtschaftswissenschaftler und Ökologen in den 1990er-Jahren ein Konzept der sogenannten Ökosystemleistungen (Ecosystem Services). Darunter werden jene Funktionen und Prozesse eines Ökosystems verstanden, die auf direkte oder indirekte Weise zum Wohlergehen des Menschen beitragen. Dazu gehören zum Beispiel das Bereitstellen von Trinkwasser, frischer Luft oder Nahrung in Form von Fischen oder Meeresfrüchten.
Zerstörerische oder Schaden bringende Eigenschaften der Natur wie Stürme, Krankheiten, Erdbeben, Überschwemmungen oder Dürren werden als „Disservices“ bezeichnet und wurden lange nicht zu den Ökosystemleis­tungen gezählt. Unter anderem der Weltbiodiversitätsrat nahm diese konzeptionelle Schwachstelle fast 20 Jahre später zum Anlass, den Analyseansatz zu überdenken und zu erweitern. Geleitet von der Erkenntnis, dass der Mensch der belebten Natur auch ein Stück weit ausgeliefert ist und sie nicht nur dominiert, schließt sein Analysekonzept vom sogenannten Beitrag der Natur für die Menschheit („nature’s contributions to people“) auch die für den Menschen schädlichen Seiten der belebten Natur mit ein. Dazu gehören Schädlingsplagen und Parasiten ebenso wie Krankheiten, welche durch Viren oder Bakterien übertragen werden.
Das Konzept der Ökosystemleistungen wurde im Jahr 1997 erstmals in einem wissenschaftlichen Fachartikel vorgestellt und anschließend von den Vereinten Nationen als Grundgerüst für ihre im Jahr 2005 veröffentlichte Millennium-Ecosystem-Assessment-Studie verwendet. Deren Vorbild folgend werden die Ökosystemleistungen der Natur und damit auch jene des Meeres bis heute in folgende vier Kategorien eingeordnet:

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Bereitstellende Dienstleistungen

Dazu gehören jene Funktionen und Prozesse des Meeres, auf deren Basis sich der Mensch zum einen mithilfe von Arbeit und technischen Hilfsmitteln mit Produkten wie Nahrungsmitteln und Rohstoffen versorgt. Zum anderen aber zählen auch Räume und Flächen dazu, die das Meer zum Beispiel für den Schiffstransport oder aber die Gewinnung erneuerbarer Energien zur Verfügung stellt. Der Nutzen oder die Erträge der bereitstellenden Dienstleistungen lassen sich häufig direkt messen und werden auf Märkten gehandelt. Das heißt, sie haben in der Regel einen Marktwert, der sich exakt beziffern lässt. So belief sich zum Beispiel nach Angaben der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) der Marktwert aller Speisefische, Schalentiere, Krebstiere und Wasserpflanzen, die im Jahr 2018 weltweit in Meeren, Seen und Flüssen gefangen oder aber in Aquakultur erzeugt wurden, auf eine Gesamtsumme von schätzungsweise 401 Milliarden US-Dollar.
Fisch und Meeresfrüchte liefern rund 20 Prozent des tierischen Eiweißes für 3,3 Milliarden Menschen auf der Welt, doch nicht überall wird gleich viel Fisch gegessen. Nicht wegzudenken ist das Meer als Nahrungs- und Einkommensquelle zum Beispiel für die Bewohner der Küstenregionen vieler Entwicklungsländer. In Indonesien, Sri Lanka und vielen kleineren Inselstaaten beispielsweise beziehen die Menschen mehr als die Hälfte ihrer tierischen Nahrung aus der Fischerei.

Regulierende Dienstleistungen

Diese Kategorie beschreibt Vorteile und Nutzen, die der Mensch aus der regulierenden Wirkung des Meeres bezieht. Sie umfasst daher Leistungen wie die Regulation des Klimas durch das Meer (Wärmetransport und -austausch); den Küstenschutz durch Mangrovenwälder, Dünen, Seegraswiesen und Riffe; das Bereitstellen von Atemsauerstoff durch das Phytoplankton und andere Meerespflanzen; die Reinhaltung des Wassers durch den Abbau eingetragener Nähr- und Schadstoffe. Diesen Dienstleistungen einen finanziellen Wert zuzuschreiben, ist bislang ausgesprochen schwierig, weil es für viele von ihnen keinen klassischen Markt gibt, auf dem sie gehandelt werden. Stellenweise wird versucht, ihren Wert durch Vergleichsrechnungen zu beziffern. Dabei wird dann zum Beispiel gefragt, welche Investitionen notwendig wären, wenn der Mensch dieselben Leistungen mit­hilfe technischer Lösungen vollbringen wollen würde. Oder aber die Wissenschaftler analysieren, welche wirtschaftlichen oder finanziellen Schäden entstünden, wenn es die Schutzfunktionen der Natur nicht gäbe.
In einer aktuellen Studie beispielsweise kommen US-amerikanische Forscher zu dem Schluss, dass die Mangrovenwälder, Salzmarschen, Seegraswiesen und Sumpfgebiete entlang der US-Atlantikküste und am Golf von Mexico allein im Zeitraum von 1996 bis 2016 Sturm- und Hochwasserschäden in Milliardenhöhe verhindert haben. Ihren Ergebnissen zufolge bewahrte ein Quadratkilometer Feuchtgebiet Grundstück- und Hausbesitzer im Durchschnitt vor Sturmschäden (Wind und Überschwemmung) in Höhe von 1,8 Millionen US-Dollar pro Jahr. In besonders dicht besiedelten Küstenregionen belief sich der Schutzeffekt der Küstenwälder und Sumpfgebiete pro Jahr sogar auf nahezu 100 Millionen US-Dollar pro Quadrat­kilometer Fläche.

Abb. 1.6 mauritius images/nature ­picture library/Christophe Courteau

 

1.6 > Wenn an der französischen Atlantikküste ein Wintersturm tobt, wohnt der Kraft des Meeres durchaus etwas Beängstigendes inne.

Kulturelle Dienstleistungen

Hierzu zählen vielfältige Funktionen, die dem Wohlbefinden des Menschen auf immaterielle Weise dienen. Diese können eine besondere gesellschaftliche, religiöse oder spirituelle Bedeutung haben beziehungsweise zu den Traditionen eines Volkes gehören. Berücksichtigt werden hierbei Leistungen wie die reine Ästhetik einer Meereslandschaft, deren Erholungsfunktion und Freizeitwert oder die Inspiration, welche Künstler, Wissenschaftler, Architekten und viele andere Bevölkerungsgruppen durch das Meer erfahren.
Der Nutzen der kulturellen Dienstleistungen des Meeres ist ebenfalls schwer zu messen. Ihr Wert lässt sich daher kaum in monetären Größen beziffern. Bekannt sind jedoch die Umsatzzahlen der Meerestourismusbranche, deren Geschäft zum Großteil auf den kulturellen Dienstleistungen der Meere fußt. Mit einer globalen Wertschöpfung von 390 Milliarden US-Dollar und rund sieben Mil­lionen Vollzeitangestellten war sie bereits im Jahr 2010 der zweitwichtigste Zweig der Meeresindustrie, übertroffen nur von der Öl- und Erdgasförderung. Bis zum Jahr 2030, so Prognosen, wird sich der Tourismus zur weltweit führenden Meeresindustrie entwickeln. Ob diese Vorhersage aus dem Jahr 2016 jedoch eintreffen wird, ist angesichts der weltweiten Coronapandemie in den Jahren 2020/21 und dem damit verbundenen Zusammenbruch der Reisebranche fraglich.

Unterstützende Dienstleistungen

Gemeint sind grundlegende biologische, chemische und physikalische Prozesse, die in der Umwelt auf natürliche Weise ablaufen und die Basis des Lebens auf dem Planeten Erde darstellen. Dazu gehören im Meer zum Beispiel die Biomasseproduktion durch Algen und Wasserpflanzen, die Nährstoffkreisläufe des Meeres, sein Beitrag zum globalen Wasserkreislauf, Räuber-Beute-Beziehungen sowie die Artenvielfalt und die verschiedenen Lebensräume an sich. Von all diesen unterstützenden Leistungen profitiert der Mensch in der Regel auf indirekte Weise, denn sie legen den Grundstein für die oben genannten kulturellen, regulierenden und bereitstellenden Dienstleitungen.
Wichtig dabei ist zu wissen, dass sich einzelne Dienstleistungen des Meeres durchaus mehr als einer Kategorie zuordnen lassen. Korallenriffe beispielsweise sind aufgrund ihrer reichen Fischbestände oftmals ein idealer Ort zur Nahrungsbeschaffung – eine Leistung aus der Kategorie der bereitstellenden Dienstleistungen. Gleichzeitig erbringen sie aber auch regulierende Dienstleistungen, indem sie beispielsweise Wellen brechen, und auf diese Weise die Küstenabschnitte in ihrem Windschatten vor Erosion schützen.
1.7 > Der Ozean hat Küstenmetropolen wie Hongkong groß und reich gemacht. Hafenstädte sind wichtige Fischerei- und Handelszentren, doch sind sie besonders stark durch den Anstieg des globalen Meeresspiegels bedroht.
Abb. 1.7 plainpicture/­Sabine Bungert
Eine große Stärke dieses Konzeptes der Ökosystemleis­tungen ist es bis heute, dass es Wissenschaftlern erlaubt, zu untersuchen und zu beschreiben, in welchem Maß unser menschliches Wohlergehen von der Natur abhängt. Einige Wissenschaftler betonen, das Konzept helfe, den Umweltschutzgedanken zu stärken, indem es herausstelle, welche entscheidende Rolle Ökosysteme und Artenvielfalt in der Welt des Menschen wirklich einnähmen. Sie bildeten unsere Lebensgrundlage, förderten unser Wohlergehen und seien ein elementarer Grundpfeiler unserer Wirtschaft. Andere Experten loben, dass der Ansatz der Ökosystemleistungen geholfen habe, den gesellschaftlichen Dialog zum Umwelt- und Meeresschutz zu fördern, so zum Beispiel auch die Kommunikation zwischen Interessengruppen wie Umweltschützern, Wissenschaftlern, Unternehmern und politischen Entscheidungsträgern.
Es gab und gibt allerdings auch Kritik, und diese bezog sich nicht allein auf die Missachtung von Erdbeben und anderen schädlichen Aspekten der Natur. Ein Vorwurf ­lautet, mithilfe des Konzeptes würden die Güter und Leistungen der Natur mit Preisschildern versehen und damit in Produkte oder Services verwandelt, die sich handeln oder sogar privatisieren ließen. Umweltethiker bemängeln zudem, dass oftmals unklar sei, wer basierend auf welchen Wertmaßstäben die Güter und Leistungen der Natur beurteile. Wissenschaftler und Politiker dürften nicht die Einzigen sein, denen diese äußerst wichtige Aufgabe anvertraut werde, denn der Wert der Natur bemesse sich für jeden Menschen anders und lasse sich oft gar nicht monetär beziffern. Dies ist etwa der Fall, wenn es um den ästhetischen, kulturellen oder symbolischen Wert der Natur für jeden einzelnen Menschen geht oder aber darum, welchen persönlichen Wert ein Mensch einem Baum, einem Fluss oder aber einem Meeresgebiet zurechnet, dem er sich besonders verbunden fühlt. Ein indonesischer Küstenfischer, der seit Kindheitstagen täglich in das Korallenriff vor der Küste seines Dorfes taucht, um dort mit dem Speer nach Fischen zu jagen, wird sich ­diesem Riff auf gänzlich andere Weise verbunden fühlen und dessen Wert anders einschätzen als ein Regierungsmitarbeiter, der in Indonesiens Hauptstadt Jakarta über die finanziellen Mittel zum Schutz dieses Riffes entscheidet. Nicht materielle Ökosystemleistungen, so kritisieren die Ethiker, würden zudem aus dem Fokus geraten, wenn man sich allein auf jene Güter und Services der Natur ­konzentriere, die sich quantifizieren und mit einem Preisschild versehen ließen.

Ein Jahrzehnt der Meeresforschung für eine nachhaltige Entwicklung

Trotz all dieser berechtigten Kritik war und ist das Konzept der Ökosystemleistungen ein viel genutzter Ansatz, mit dessen Hilfe Wissenschaftler darlegen, wie elementar und schutzbedürftig Naturräume wie die Weltmeere sind. Sachstandsberichte wie das „Second World Ocean Assessment“, veröffentlicht im Jahr 2021, oder der Sonderbericht des Weltklimarates über die Ozeane und die Kryosphäre im Klimawandel, erschienen im September 2019, zeigen klar und deutlich auf, dass die Meere unter den menschengemachten Einflüssen leiden, ihre Artenvielfalt abnimmt und ihre Funktionspalette kleiner und eintöniger wird. Vieles spricht dafür, dass sich dieser Abwärtstrend weiter verschärfen wird – insbesondere wegen des fortschreitenden Klimawandels und der wachsenden Weltbevölkerung.
Auf Basis dieser Erkenntnisse ist unter anderem die Idee der Vereinten Nationen entstanden, die Dekade der Meeresforschung für eine nachhaltige Entwicklung (Decade of Ocean Science for Sustainable Development) auszurufen. Sie beginnt im Jahr 2021 und endet 2030. Dem Projektplan zufolge sollen die Wissenschaft und andere gesellschaftliche Gruppen in diesem Zeitraum große Anstrengungen unternehmen, um das vielfältige, bereits existierende Meereswissen über Fach- und Ländergrenzen hinweg besser miteinander zu verknüpfen. Auf diese Weise soll es gelingen, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Meere und Ozeane direkter in Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen sowie Vorher­sagen zu verbessern, um die Tragweite möglicher Entscheidungen besser abschätzen zu können.
Zum anderen verstehen es die Vereinten Nationen als Aufgabe der interdisziplinären Meeresforschung, die internationale Zusammenarbeit auszubauen und innovative Technologien zu entwickeln, mit denen zum Beispiel verschmutztes Meerwasser gereinigt, wertvolle Lebensräume wie Riffe oder Seegraswiesen kartiert und geschützt sowie Veränderungen der Weltmeere so genau vorhergesagt werden können, dass die Menschheit ausreichend Zeit hat, sich daran anzupassen.
1.8 > Im Gegensatz zu Steinkorallen bilden Weichkorallen zwar keine festen Kalk­skelette. Aber auch sie bieten vielen Riffbewohnern Schutz und Nahrung und sind für die Artenvielfalt der Korallenriffe ­daher unverzichtbar.
Abb. 1.8 hillip Colla/Oceanlight.com

Blue Economy: Wirtschaft und Meer im Einklang

Bestenfalls gelingt es den Forschenden sogar, Handlungsempfehlungen zu entwickeln, mit denen sich die Weltmeere nach den Leitsätzen der sogenannten Blue Economy (blaue Wirtschaft) nutzen lassen. Dieses Konzept, welches vielerorts auch als Ocean Economy (Meereswirtschaft) bezeichnet wird, wurde im Jahr 2012 erstmals auf der Nachhaltigkeitskonferenz der Vereinten Nationen in Rio de Janeiro vorgestellt. Eine allgemeingültige Definition dessen, was genau mit dieser Bezeichnung gemeint ist, gibt es bis heute nicht. Die Zielstellung aber ist klar: Die Weltmeere sollen auf eine Art und Weise genutzt werden, bei der ein maximaler wirtschaftlicher und sozialer Nutzen erzielt wird, ohne die Gesundheit und Lang-lebigkeit der marinen Lebensräume und -gemeinschaften zu gefährden. Im Idealfall soll es sogar gelingen, bereits geschädigte Lebensräume wie Seegraswiesen, Riffe, Mangrovenwälder und andere zu restaurieren und ihre bereits verloren gegangenen Funktionen zurückzugewinnen.
Zur Meereswirtschaft werden mittlerweile alle mit dem Meer verbundenen menschlichen Aktivitä­ten gezählt, bei denen Umsätze generiert und Men­schen beschäftigt werden oder anderweitiger Nutzen finan­zieller oder nicht finanzieller Art erzeugt wird. Dazu gehören demnach Fischfang und marine Aquakultur, der Abbau von Rohstoffen und Ressourcen, die Nutzung des Meeres für erneuerbare Energien, aber auch die Schifffahrt und der Schiffbau, der Meerestourismus, das Geschäft mit Sicherheitstechnik und sich neu entwickelnde Geschäfts­felder wie marine Biotechnologien, die Verwaltung großer Meeresschutzgebiete sowie die sogenannten CCS- und Blue-Carbon-Märkte.
Die Abkürzung CCS steht für Carbon Capture and Storage und umfasst Verfahren, mit denen das in Kraftwerken oder aber in Industrieprozessen entstehende Treibhausgas Kohlendioxid abgeschieden wird, bevor es in die Atmosphäre gelangen kann, und anschließend im Untergrund gespeichert oder aber zu synthetischen Kraftstoffen und anderen Produkten weiterverarbeitet wird. Unter Blue Carbon versteht man die Menge des Treibhausgases Kohlendioxid, welche Küstenökosysteme wie Seegraswiesen, Mangrovenwälder, Salzwiesen und -marschen der Atmosphäre auf natürliche Weise entziehen und in ihren Pflanzenbestandteilen sowie im Erdboden speichern.

Bruttoinlandsprodukt
Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Maß für die wirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum. Es misst den Wert der im Inland hergestellten Waren und Dienstleistungen (Wertschöpfung), soweit diese nicht als Vorleistungen für die Produktion anderer Waren und Dienstleis­tungen verwendet werden.

Die Meereswirtschaft bot im Jahr 2010 rund 31 Mil­lionen Menschen einen Vollzeitarbeitsplatz. Die größten Arbeitgeber waren damals der industrielle Fischfang und die Tourismusbranche. Schätzungen zufolge beläuft sich der finanzielle Gesamtwert der im, am oder auf dem Meer erzeugten handelbaren Produkte und Leistungen pro Jahr auf 2,5 Billionen US-Dollar. Damit stünden die Meere im Vergleich der stärksten Wirtschaftsnationen der Welt ­theoretisch auf Platz sieben. Würde man jedoch ihre nicht marktbasierten Leistungen wie zum Beispiel die regulierenden und kulturellen Dienstleistungen hinzuzählen, wären die Ozeane die unangefochtene Nummer eins. Denn auch wenn in der Wissenschaft viel über die richtigen Methoden zur Bewertung der nicht marktbasierten Leistungen der Weltmeere diskutiert wird, so sind sich die Experten in ihrem Urteil häufig ziemlich einig: Der Gesamtwert der regulierenden und kulturellen Leistungen der Meere übersteigt den Wert ihrer marktbasierten ­Produkte und Leistungen um ein Vielfaches. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-opera­tion and Development, OECD) geht in ihrem 2016 ver­öffentlichten Bericht zur Meereswirtschaft im Jahr 2030 davon aus, dass diese bis zum Jahr 2030 weiter wachsen werden – und zwar mindestens so schnell wie die globale Wirtschaft insgesamt. Neue Industriezweige würden entstehen und die Nutzung der Ozeane weiter zunehmen, prognostizieren die Wirtschaftsexperten.
Als Ursachen dafür benennen sie das globale Bevöl­kerungswachstum, den zunehmenden Handel, den weltweiten Ressourcenverbrauch, neue technologische Entwicklungen sowie den Klimawandel. Gleichzeitig aber verweist die OECD darauf, dass mit der zunehmenden Nutzung eine Vielzahl komplexer Risiken einhergingen. Diese gelte es zu minimieren, denn mit dem Zustand der Meere verschlechterten sich auch die Aussichten für die Meereswirtschaft.
Um finanzielle Verluste zu vermeiden und sowohl der Meereswirtschaft als auch den Ozeanen selbst eine gesunde, nachhaltige Zukunft zu garantierten, schlägt die OECD eine Reihe von Maßnahmen vor, von denen sich einige auch in den Zielen der UN-Ozeanforschungsdekade für nachhaltige Entwicklung wiederfinden. Zu nennen sind an dieser Stelle:
  • weitreichende Innovationen sowie der Ausbau von Expertennetzwerken infolge einer größeren, inter­nationalen Kooperation in der Meeresforschung und -entwicklung;
  • Kapein verstärktes integriertes Meeresmanagement, einschließlich verbesserter Regulierungsstrukturen, einer besseren Einbindung von Entscheidungsträgern aus Gesellschaft und Wirtschaft sowie effizienterer Management- und Entscheidungsprozesse;itel
  • verbesserte Messverfahren für die wichtigsten Kennzahlen der Meereswirtschaft sowie optimierte Vorhersagemethoden zur Zukunft dieses Wirtschaftszweiges.
Der Ansatz, die vielen Leistungen des Meeres zu analysieren und ihren materiellen oder nicht materiellen Wert zu beurteilen, hat dazu geführt, dass ein Verschwinden einzelner Ökosystemleistungen mittlerweile als wahrhaftiger Verlust wahrgenommen wird – und das nicht nur von Meeresschützern oder betroffenen Menschen vor Ort. Gleichzeitig hat sich vielerorts die Erkenntnis durchgesetzt, dass es eines großen Umdenkens in der Politik und der Meereswirtschaft bedarf, wenn eines Tages nur noch so viele Meeresprodukte und -services vom Menschen konsumiert oder aber gezielt in Anspruch genommen werden sollen, wie die Meere tatsächlich langfristig zu leisten in der Lage sind.
1.9 > Mangrovenwälder wie die Sundarbans im Grenzgebiet Indiens und Bangla­deschs sind Lebensraum und Kinderstube für viele Fischarten. Das machen sich auch die einheimischen Fischer zunutze. Sie setzen ihre Netze bei Ebbe in den Schlick und warten darauf, dass ihnen die Flut die Beute direkt in die Maschen spült.
Abb. 1.9 Xavier Desmier

Zusatzinfo Perspektivwechsel: Aus fünf mach eins Zusatzinfo öffnen

Damit dieses Vorhaben gelingt, bedarf es eines neuen, ökologischen Wirtschaftsparadigmas, in dessen Mittelpunkt die Natur stehe, schreiben die Vordenker des Konzeptes der Ökosystemleistungen. Der Weg bis dahin aber sei lang, weil in den meisten Staaten der Welt noch immer alte Wirtschaftskonzepte die politischen Dis­kussionen und Entscheidungsprozesse dominieren würden. Ein wichtiger Fortschritt sei allerdings die Erkenntnis, dass das Bruttoinlandsprodukt eines Landes allein nicht ausreiche, um Reichtum und Wohlstand der Nation richtig zu erfassen. Stattdessen müssten sowohl verschiedene Umweltindikatoren als auch Kennzahlen zur Gesundheit und zum sozialen Wohlstand einer Nation in die Rechnung mit einfließen.
Vorschläge, wie eine solche Neubewertung des Wohlstandes gelingen könnte, haben sowohl die Weltbank als auch die Vereinten Nationen und die OECD vorgelegt. Doch auch diese Messverfahren schafften es nicht zu erfassen, in welchem Maß wirtschaftliche Prozesse auf die Natur und die Gesellschaft einwirken würden, kritisieren die Wissenschaftler. Sie fordern zudem eine Abkehr von der Idee des grenzenlosen Wachstums. Das gemeinschaftliche Ziel müsste vielmehr lauten, ausreichend Wohlstand für alle zu sichern, um auf diese Weise sowohl die drohende ökologische Krise als auch die damit verbundene soziale Krise abwenden zu können. Damit beides gelinge, müssten die Belange der Natur ein integraler Bestandteil der globalen Wirtschaftspolitik werden und in breiteren Teilen der globalen Gesellschaft häufiger und differenzierter diskutiert werden.
Eine entsprechende Transformation menschlichen Denkens und Handels hin zu einer nachhaltigen Entwicklung wird um so dringender, je weiter der Klimawandel voranschreitet. Infolge der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen und der dadurch ausgelösten globalen Erwärmung verändern sich nämlich nicht nur die Grundpfeiler des Lebens im Ozean. Die Weltmeere verlieren auch einige wichtige regulierende Funktionen, denen wir Menschen bislang die anhaltend konstanten Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde verdanken. Textende