Küsten besser schützen
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WOR 5 Die Küsten – ein wertvoller Lebensraum unter Druck | 2017

Die Kunst, Küsten zu verwalten

Die Kunst, Küsten zu verwalten © Fernando Moleres/laif

Der Klimawandel und die Küsten

> Unterschiedliche Interessen führen immer wieder zu Konflikten beim umfassenden Schutz der Küsten. Wenn sich aber die einzelnen Interessengruppen auf einen nachhaltigen Managementplan einigen können, bringt dieser oft allen Beteiligten beträchtliche Vorteile.

Die Bedeutung der Küsten – eine Frage der Perspektive

Die Küsten der Welt sind vielfältig. Einige sind als Urlaubsdestination beliebt und fast unberührt geblieben. Andere wiederum, die an wichtigen Wasserstraßen liegen, sind industriell stark entwickelt. Und es gibt Küstengebiete, die für die handwerkliche Fischerei von Bedeutung sind. Sie liefern große Mengen an Fisch, mit dem Millionen Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten, werden andererseits oft als natürliches Klärwerk für die Hinterlassenschaften einer zunehmenden Küstenbevölkerung benutzt. Welche Bedeutung die Küsten in traditioneller oder auch religiöser Hinsicht haben, ist von Kultur zu Kultur sehr unterschiedlich. Und ob eine Region oder ein Staat die Küsten überhaupt als bedeutsam erachtet, hängt von vielerlei Faktoren ab und spiegelt sich nicht zuletzt in aktiven politischen Maßnahmen zu deren Schutz wider.

Internationale Spielregeln für die Küstengebiete der Welt

Wer ein Küstengebiet auf welche Weise nutzen darf, ist heute international klar durch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (SRÜ) geregelt, das von der UN-Seerechtskonferenz 1982 verabschiedet wurde und nach langwierigen Verhand­lungen 1994 in Kraft trat. Es legt die Spielregeln für alle Meeresnutzungen wie Schifffahrt, Fischfang, Erdgas- und Erdölförderung und Umweltschutz fest. Die Vorschriften des SRÜ gelten für alle Staaten und grundsätzlich in allen Meereszonen.
4.1 > Küstenstaaten haben in ihrer Ausschließlichen Wirt­schafts­zone (AWZ) das exklusive Recht, Meeres­re­ssourcen wie etwa Fische auszubeuten. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie ihre AWZ sogar noch um einen Teil des Fest­land­sockels erweitern.
Abb. 4.1: Küstenstaaten haben in ihrer Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) das exklusive Recht, Meeresressourcen wie etwa Fische auszubeuten. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie ihre AWZ sogar noch um einen Teil des Festlandsockels erweitern. © nach GRID-Arendal
Allerdings ist zu beachten, dass für die Umsetzung des Rechts in verschiedenen Meeres­zonen jeweils andere Zuständigkeiten gelten. Folgende Küsten- und Meeres­gebiete werden unterschieden:

KÜSTENMEER: Das Küstenmeer ist die 12-Seemeilen-Zone. Es gehört zum Hoheits­gebiet eines Staates. Aktivitäten in dieser Zone unterliegen der Gesetzgebung der einzelnen Staaten. Die Gesetzgebung muss aber den international vereinbarten Regeln entsprechen, sofern der Staat das SRÜ ratifiziert hat.

AUSSCHLIESSLICHE WIRTSCHAFTSZONE (AWZ): Diese erstreckt sich vom äußeren Rand des Küstenmeers bis 200 Seemeilen (circa 370 Kilometer) vor der Küste. Die AWZ wird daher auch als 200-Seemeilen-Zone bezeichnet (200-sm-Zone). Zur AWZ zählen der Meeresboden und die Wassersäule. Anders als das Küstenmeer gehört die AWZ nicht zum Hoheitsgebiet eines Staates. Gleichwohl darf allein der Küstenstaat in seiner AWZ Ressourcen wie etwa Erdöl und Erdgas, mineralische Rohstoffe oder auch die Fischbestände ausbeuten. Andere Nationen dürfen die Rohstoffe nur dann nutzen, wenn der jeweilige Küstenstaat zustimmt. Die Ressour­cen­gewinnung in der AWZ unterliegt der Gesetzgebung des Küstenstaats, welche wiederum den internationalen Regeln des SRÜ entsprechen muss. Für andere Meeresnutzungen, insbesondere die Schifffahrt, gilt die Freiheit der Hohen See auch in der AWZ.
4.2 > Der Nationalpark Banc d’Arguin ist ein Watt- und Lagunen­gebiet an der Küste des west­­afrika­nischen Staates Maure­tanien. Der Nationalpark ist ein wichtiges Überwinterungsbiet für Zugvögel, die sich dort ihre Fettreserven für den langen Flug anfressen.
Abb. 4.2: Der Nationalpark Banc d’Arguin ist ein Watt- und Lagunengebiet an der Küste des west­afrikanischen Staates Mauretanien. Der Nationalpark ist ein wichtiges Überwinterungsbiet für Zugvögel, die sich dort ihre Fettreserven für den langen Flug anfressen. © Harald Woeste/www.imagerover.com
FESTLANDSOCKEL: Als Festlandsockel wird der flach oder steil abfallende Meeres­boden vor der Küste bezeichnet, der eine natürliche geologische Verlängerung des Festlands ist. Für den Begriff gibt es eine rechtliche und eine geologische Definition. Im rechtlichen Sinn ist damit jener Bereich gemeint, der bis 200 Seemeilen vor der Küste reicht. Im geologischen Sinn wiederum ist der Begriff gleichbedeutend mit dem Schelf. Als Schelf bezeichnet man den küstennahen, flachen Teil des Meeresbodens. Der Schelf fällt sanft bis zu einer durchschnittlichen Tiefe von 130 Metern ab. Daran schließt sich der bis zu 90 Grad steile Kontinentalhang an. Der Festland­sockel ist wirtschaftlich besonders interessant, weil hier unter anderem große Mengen an Erdgas und Erdöl zu finden sind. In vielen Teilen der Welt gibt es Regionen, wo sich geologisch ein äußerer Festlandsockel nachweisen lässt, der innerhalb der Aus­schließ­lichen Wirtschaftszone beginnt, sich jenseits der 200-Seemeilen-Grenze fortsetzt und somit den Einflussbereich des Küstenstaats erweitert. Solch ein Nach­weis muss gegenüber der Festlandsockelkommission (Commission on the Limits of the Continental Shelf, CLCS) in New York wissenschaftlich erbracht und von dieser akzeptiert werden. Dieser äußere Festland­sockel, der über die AWZ hinausgeht, kann dann bis auf eine Linie von maximal 350 Seemeilen vor der Küste ausgedehnt werden. Alternativ kann ein Staat ein Meeresgebiet bis zu 100 Seemeilen jenseits der 2500-Meter-Tiefenlinie als Erweiterung des Festlandsockels über die Grenzen der AWZ hinaus beanspruchen und in manchen Fällen sogar noch darüber hinaus.

HOHE SEE: An die AWZ schließt sich die Hohe See an, die kein Nationalstaat für sich beanspruchen darf. Sie steht allen Staaten für eine Nutzung offen. Gleichwohl wird die Nutzung der Ressourcen in der Hohen See reguliert. Die Fischerei etwa wird durch Regionale Organisationen für das Fischereimanagement (Regional Fisheries Manage­ment Organisations, RFMOs) geregelt, die beispielsweise Höchstfangmengen für Fischarten vorgeben. Über die Nutzung und Verteilung der Rohstoffe am Meeres­boden hingegen wacht allein die Internationale Meeresbodenbehörde der Vereinten Nationen (International Seabed Authority, ISA). Sie ist für alle mineralischen Ressourcen am Meeresboden zuständig. Diese sind im Seerechtsübereinkommen als gemeinsames Erbe der Menschheit definiert.

Nationalstaatliche Reglements

Während das SRÜ die Nutzung der verschiedenen Meeresgebiete international klar regelt und damit definiert, wem das Meer beziehungsweise die Küstengewässer gehören, obliegt das Management der 12-Seemeilen-Zone allein dem betreffenden Staat, was dazu führt, dass die administrative Ausgestaltung von Nation zu Nation (und in föderalen Staaten mitunter gar von Land zu Land) unterschiedlich geregelt ist. Für das Management der Küstengewässer bedeutet das einen erheblichen Abstimmungsbedarf zwischen verschiedenen Behörden.
Wie viele Behörden in die Verwaltung der Küsten einbezogen sein können, lässt sich exemplarisch an der Verwaltung der deutschen Nordseeküste zeigen, an die die Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg grenzen. Allein in Niedersachsen teilt sich die Verantwortung für das Küstenmeer auf folgende Behörden beziehungsweise Körperschaften auf:
  • Wasser- und Schifffahrtsämter: Sie unterstehen dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur und sind für die Sicherheit der Schifffahrt im Küstenmeer und auf den Bundeswasserstraßen Elbe, Weser und Ems zuständig, die dem Bund unterstehen. Zu ihren Aufgaben gehört das Setzen und Warten von Seezeichen und die Unterhaltung von Uferbefestigungen sowie von Schleusen und Wehren entlang der Bundeswasserstraßen. Für den Naturschutz an den Ufern der Bundeswasserstraßen sind wiederum die unteren Naturschutzbehörden der Landkreise zuständig, sofern diese Gebiete nicht zu einem Nationalpark oder Biosphärenreservat zählen.
  • Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz: Es ist für jene Naturgebiete an der Küste zuständig, die den Status eines Biosphären­reservats haben. Biosphärenreservate sind von der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) ­initiierte Modellregionen, in denen eine nachhaltige Entwicklung in ökologischer, ökonomischer und so­zialer Hinsicht erreicht werden soll.
  • Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN): Er ist dem Niedersächsischen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz unterstellt und für den Küstenschutz auf den niedersächsischen Inseln zuständig; die Behörde arbeitet eng mit den Deichverbänden zusammen. Zudem ist der NLWKN für den Naturschutz in einem Teil der Deichvorländer zuständig – beispielsweise in den Salzwiesen.
  • Nationalparkverwaltung: Sie ist dem Niedersächsi- schen Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz unterstellt und für den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer zuständig, darüber hinaus für jene Deichvorländer, die im Bereich des Nationalparks liegen.
  • Hauptdeichverbände: Sie sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die für die Sicherheit der Deiche, die die Festlandküste auf voller Länge schützen, zuständig sind. Die Deichverbände haben eine lange, teils mehrere Hundert Jahre alte Tradition. Sie wurden von den Bewohnern der verschiedenen Küstengemeinden gegründet und bestehen bis heute zu einem großen Teil aus ehrenamtlichen Mitarbeitern. Der Vorsteher eines Deichverbands ist der Deichgraf. In den 1960er-Jahren wurden mehrere Deichverbände zusammengelegt, sodass es heute an der niedersächsischen Küste insgesamt 22 Hauptdeichverbände gibt, die die Deiche kontrollieren und ausbessern.
  • Untere Naturschutzbehörden: Sie sind den jeweiligen Landkreisen unterstellt und für jene Naturgebiete an der Küste zuständig, die nicht zu den Nationalparks zählen.
Schon das Beispiel Niedersachsen zeigt, welche Fülle an Zuständigkeiten es in einem Bundesland gibt. In Hamburg und Schleswig-Holstein gibt es im Detail wiederum andere Reglements und auch Behörden­strukturen. Diese Vielfalt ist zu einem großen Teil auf das föderale System der Bundesrepublik Deutschland zurückzuführen, doch ist es auch ein Beispiel dafür, dass das Management eines gesamten Küstengebiets nur bei klarer Abstimmung und Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Behörden funktionieren kann. So ist es beispielsweise über die Jahre gelungen, das deutsche Wattenmeer trotz verschiedener Zuständigkeiten über die Grenzen der Bundesländer hinweg in Gänze als Nationalpark unter Schutz zu stellen. Darüber hinaus liegt die Verantwortung für Infrastrukturen von überregionaler Bedeutung wie etwa den Bundeswasserstraßen in einer Hand – beim Bundesministe­rium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Allerdings betonen Experten auch, dass die Aufteilung in verschiedene Behörden Vorteile haben kann. So gebe es in den ­verschiedenen Behörden eine große Zahl an Fachleuten, die über wichtiges Detail- und Spezial­wissen verfügten, sei es im Küsten- oder Naturschutz oder im Hinblick auf die Sicherheit von Wasserstraßen.
4.3 > Für die Unterhaltung und die Sicherheit der Bundes­wasser­straßen wie hier der Elbe ist das Bundes­minis­terium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig. Die Deiche, die das Hinterland schützen, werden hingegen von Deichverbänden gepflegt.
Abb. 4.3: Für die Unterhaltung und die Sicherheit der Bundeswasserstraßen wie hier der Elbe ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig. Die Deiche, die das Hinterland schützen, werden hingegen von Deichverbänden gepflegt. © Kaiser/laif

Viele Ansprüche – viele Konflikte

Küsten haben viele Funktionen und erbringen viele Ökosystemleistungen – etwa die Bereitstellung von Fisch, Schifffahrtsstraßen, Tourismus und Erholung oder Raum für Landwirtschaft und Bauvorhaben. Damit konzentrieren sich auf dem relativ schmalen Streifen zwischen Land und Meer in dicht besiedelten oder stark genutzten Küsten­re­gionen zahlreiche Aktivitäten – und damit automatisch viele verschiedene Zu­ständig­keiten. Diese Vielzahl kann leicht zu Konflikten führen, wenn es keine ausreichende Abstimmung zwischen den jeweils zuständigen Behörden oder allgemein den verschiedenen Interessengruppen gibt. Beispielsweise steht die Nutzung durch den Menschen oftmals Naturschutzaspekten entgegen. So führte in China der Wunsch nach wirtschaftlicher Entwicklung zu einer erheblichen Belastung der Küstengebiete. Um möglichst schnell zu den hohen ökonomischen Standards des Westens aufzuschließen, wurde Umweltaspekten oftmals nur wenig Beachtung geschenkt. Gegen eine so einseitige Fokussierung regt sich heute in der chinesischen Bevölkerung zunehmend Widerstand und man erkennt, dass sich Zielkonflikte ergeben haben, die sich nur lösen lassen, wenn nicht nur Partikularinteressen bedient werden. Nicht nur in China, sondern auch in vielen anderen Re­gionen weltweit verhindert eine solche sektorielle Sichtweise einen effizienten Schutz der Küstenlebensräume oder eine nachhaltige Nutzung. Noch schwieriger ist die Situation, wenn sich Küsten­lebens­räume über Staatsgrenzen erstrecken, wie es zum Beispiel beim Wattenmeer in Deutschland, den Niederlanden und Dänemark der Fall ist. Hier ist ein wirkungsvolles Küstenmanagement nur in internationaler Zusammenarbeit möglich.
4.4 > In vielen Küs­tengebieten gibt es eine große Zahl an Nutzungsinteressen, die das Land und das Küstenmeer betreffen. Die Abstimmung aller dieser Interessen lässt sich in der Regel nur durch einen auf­wen­digen Küsten­manage­ment­prozess erreichen.
Abb. 4.4: In vielen Küs­tengebieten gibt es eine große Zahl an Nutzungsinteressen, die das Land und das Küstenmeer betreffen. Die Abstimmung aller dieser Interessen lässt sich in der Regel nur durch einen auf­wen­digen Küsten­manage­ment­prozess erreichen. © nach Meiner

Alle Parteien an einem Tisch

Ein entsprechendes Konzept für das nachhaltige und umfassende Management von Küsten wurde erstmals im Jahr 1992 während der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro vorgestellt: das Integrated Coastal Zone Management (ICZM), das Integrierte Küstenzonenmanagement (IKZM), das die nachhaltige Entwicklung der Küstenzonen zum Ziel hat und dabei versucht, alle Aspekte der Küstenentwicklung miteinander in Einklang zu bringen. Bis heute haben viele Staaten und Staatengemeinschaften das ICZM zur Leit­linie für die Planung der zukünftigen Küstenentwicklung gemacht – beispielsweise die Europäische Union, die ICZM wie folgt definiert: „Das Integrierte Küstenzonenmanagement versucht lang­fris­tig, ein Gleichgewicht herzustellen zwischen den Vorteilen der wirtschaftlichen Entwicklung und der Nutzung der Küstengebiete durch die Menschen, den Vorteilen des Schutzes, des Erhalts und der Wiederherstellung der Küstengebiete, den Vor­teilen der Minimierung der Verluste an menschlichem Leben und Eigentum sowie den Vorteilen des Zugangs der Öffentlichkeit zu und der Freude an den Küstenzonen, und zwar stets innerhalb der durch die natürliche Dynamik und die Belastbarkeit gesetzten Grenzen.“ Obwohl das ICZM heute als Werkzeug für das künftige Küsten­zonen­management anerkannt ist, bleibt die Abstimmung der Partikularinteressen der verschiedenen Interessengruppen die größte Herausforderung.
Nach Aussage der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations, Welternährungsorganisa­tion) gibt es heute eine Reihe von Gründen, die dazu führen, dass Küstenlebensräume nicht nachhaltig genutzt, sondern ausgebeutet und zerstört werden. Dazu zählen:
  • große, auf schnellen Profit ausgerichtete Wirtschaftsunternehmen, die Ressour­cen ausbeuten oder zerstören und mit den Interessen der Küsten­bevöl­kerung in Konflikt stehen;
  • Mangel an ernsthaften staatlichen Folgemaßnahmen bei der Unterstützung und Durchsetzung von Naturschutzprogrammen;
  • mangelndes Bewusstsein bei Einheimischen und politischen Entschei­dungs­trägern für ein Management, das auf nachhaltige Ressourcen­nutzung setzt;
  • Armut, die durch die Verknappung von Ressourcen, die Schädigung der Habitate und Aufzuchtgebiete von Fischen sowie einen Mangel an alternativen Existenz­grund­lagen verschärft wird;
  • starkes Bevölkerungswachstum.

Gutes Management lohnt sich

Dieses Konfliktpotenzial lässt sich, so die FAO, entschärfen, wenn alle diese Aspekte im Rahmen eines Integrierten Küstenzonenmanagements berücksichtigt und einmal aufgesetzte ICZM-Programme auch vollständig umgesetzt werden. Gemäß FAO können ICZM-Programme Staaten beziehungsweise einzelnen Küstenregionen auf folgende Weise nützen:
  • Erleichterung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums auf der Grundlage natürlicher Ressourcen;
  • Erhaltung der natürlichen Lebensräume und Artenvielfalt;
  • Kontrolle der Verschmutzung und der Veränderung von Küsten und Strandfronten;
  • Kontrolle möglicher Verschmutzungen in Wassereinzugsgebieten, die in die Küstenregion entwässern;
  • Kontrolle von Meeresbergbau oder sonstigen baulichen Veränderungen in Korallenriffen und allgemein am küstennahen Meeresboden;
  • nachhaltige Verwendung übernutzter Ressourcen, sodass sich diese erholen können, etwa die Bestände von Fischen und anderen Meeresorganismen;
  • Bereitstellung von Mechanismen und Werkzeugen für eine gerechte und nachhaltige Zuteilung von Ressourcen unter den verschiedenen Interessengruppen;
  • schnellere und zielgerichtete Umsetzung von Projekten durch Einbeziehung aller Interessengruppen, weil nachträgliche Differenzen vermieden werden, die ein Projekt verzögern könnten;
  • Vermeidung von Schäden an der Meeresumwelt oder an marinen Ressourcen.
Darüber hinaus soll ein umfassendes ICZM heute nicht nur den unmittelbaren Küsten­streifen und das Küstenmeer betrachten, sondern auch die vielfältigen Beziehungen zwischen der Küste und dem Hinterland – sei es im Hinblick auf die Schaffung von Absatzmärkten für neue nachhaltig gewonnene Produkte oder im Hinblick darauf, Verschmutzungen der Küstengewässer, die ihren Ursprung an Land haben, zu verhindern. Die FAO betont, dass diese Auflistung die ideale Form eines ICZM darstellt und dass heute nicht in jedem Falle bei ICZM-Projekten alle Ziele erreicht werden. Doch immerhin hat sich die ICZM-Idee vielerorts durchgesetzt.
Je nach Zahl der Nutzungsinteressen kann ein ICZM-Prozess unterschiedlich komplex sein. Sind nur einzelne oder wenige Nutzergruppen beteiligt, ist der Gesamtprozess meist schlanker. Das kann beispielsweise in Küstengebieten von Entwicklungsländern der Fall sein, wo die Küste durch handwerkliche Fischerei geprägt ist und wenige andere Nutzungsarten existieren. Inzwischen gibt es erfolgreiche Beispiele, die Schule machen können.

Abb. 4.5: Im Idealfall verläuft ein ICZM-Prozess in Zyklen. Dabei werden Maßnahmen geplant, umgesetzt und dann bewertet. Gibt es Optimierungsbedarf, startet der nächste Zyklus mit der Planung neuer Maßnahmen. © nach GESAMP

4.5 > Im Idealfall verläuft ein ICZM-Prozess in Zyklen. Dabei werden Maßnahmen geplant, umgesetzt und dann bewertet. Gibt es Optimierungsbedarf, startet der nächste Zyklus mit der Planung neuer Maßnahmen.

Optimierung durch Qualitätskontrolle

Für einen erfolgreichen ICZM-Prozess ist die regelmäßige Kontrolle, ob mit bestimm­ten Maßnahmen ein gesetztes Ziel erreicht werden konnte, von entscheidender Bedeutung. Das bedeutet auch, dass ein ICZM kein einmaliges Projekt ist, sondern einen zyklischen Prozess darstellt, in dem Ergebnisse immer wieder überprüft und bewertet werden. So ist es auch möglich, den ICZM-Prozess nach und nach an neue Bedingungen anzupassen und zu optimieren. Ein ICZM-Zyklus beginnt mit einer Analyse der Situation und Bewertung der Probleme. Es folgt die Ausgestaltung eines Aktionsplans, der alle Probleme berücksichtigt. Anschließend wird der Aktionsplan formal von allen Beteiligten verabschiedet. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Finanzierung sämtlicher Maßnahmen aus dem Aktionsplan geklärt wird. Es folgt die Phase der Implementierung. Wurden die im Aktionsplan festgelegten Maßnahmen umgesetzt, erfolgt eine Evaluation, die die Maßnahmen hinsichtlich ihrer Wirkung bewertet. ­Treten weiterhin Probleme oder neue Schwierig­keiten auf, muss der Aktionsplan nachgebessert werden. Damit schließt sich der Kreis.
Je nachdem, welche Dimension ein ICZM-Prozess hat, dauert ein Zyklus unter­schied­lich lange. Best-Practice-Beispiele zeigen, dass bei einem ICZM-Projekt von nationaler Dimension ein Zyklus von der Analyse der Situation bis zur Evaluation etwa acht bis zwölf Jahre dauert. Umfasst der Prozess nur eine bestimmte Küsten­region oder eine einzige Küstenstadt, dauert ein Zyklus im Schnitt rund drei bis vier Jahre.

Die Menschen vor Ort mitnehmen

Je nach Situation vor Ort müssen verschiedene Interessengruppen in den ICZM-Prozess eingebunden werden. Das verdeutlichen die folgenden erfolgreichen Beispiele.
Im Jahr 2000 gründete sich im indopazifischen Raum, jener Meeresregion, die den Indischen Ozean und den westlichen Pazifik umfasst, das Locally-Managed Marine Area Network (LMMA, Netzwerk lokal verwalteter Meeresgebiete). Dieses Netzwerk wurde zunächst durch die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen und einzelnen gut vernetzten Wissenschaftlern angeregt und konnte sich schließlich in der Region etablieren. Es hat das Ziel, Küstengewässer zu schützen, indem sie nachhaltig und schonend genutzt werden – beispielsweise, indem Fischer von der zerstörerischen Dynamitfischerei auf sanftere Fangmethoden umsteigen. Die LMMA-Idee ist aus der Einsicht geboren, dass Meeresschutzgebiete, die auf hoher politischer Ebene festgelegt werden, von der Bevölkerung oftmals nicht akzeptiert werden, weil sie deren Rechte mitunter massiv beschneiden. In konkreten Fällen wurde der Bevölkerung die Fischerei in Meeresschutzgebieten (Marine Protected Areas, MPAs) komplett untersagt, was nicht mit dem traditionellen Verständnis der Einheimischen in Einklang zu bringen war. Die Einheimischen widersetzten sich dem Nutzungsverbot, womit der Meeresschutz in den betreffenden Gebieten von Anfang an unterhöhlt wurde. Dem LMMA-Netzwerk gehören inzwischen viele Dorfgemeinschaften in verschiedenen Ländern an, die sich immer wieder in regionalen, nationalen und internationalen Workshops austauschen. Das oberste Ziel des LMMA ist der Meeresschutz.
Der Unterschied zu der Idee von MPAs besteht darin, dass die Basis bei der Planung Gehör findet und das nachhaltige Management vor Ort selbst regelt. So sind bei der Planung alle Interessengruppen beteiligt: die Dorfgemeinschaften, die Gemeinschaften von Landbesitzern, Naturschützer, Vertreter der regionalen oder nationalen Behörden, die vor Ort wohnen, sowie Wissenschaftler, die beratend zur Seite stehen.
4.6 > Ein selbst gemaltes Schild für ein selbst verwaltetes Schutz­gebiet. Das Meer um die Insel Vanua Levu, die zu Fidschi gehört, wurde in einem umfas­senden Manage­ment­prozess zu einem lokal verwalteten Meeres­gebiet erklärt. Hier sorgen die einheim­ischen Fischer selbst für eine nachhaltige Nutzung der Fische und Meeresfrüchte.
Abb. 4.6: Ein selbst gemaltes Schild für ein selbst verwaltetes Schutzgebiet. Das Meer um die Insel Vanua Levu, die zu Fidschi gehört, wurde in einem umfassenden Managementprozess zu einem lokal verwalteten Meeresgebiet erklärt. Hier sorgen die einheimischen Fischer selbst für eine nachhaltige Nutzung der Fische und Meeresfrüchte. <br>  © Stacy Jupiter

Zusatzinfo Der lange Weg zum Weltnaturerbe Wattenmeer

Die Probleme sind in vielen Küstengebieten des indopazifischen Raumes ähnlich. So werden die Meeres­­lebens­gemeinschaften und natürlichen Ressourcen vielerorts durch Überfischung, zerstörerische Fischerei wie etwa Dynamit- und Zyanidfischerei, durch Verschmutzung oder industrielle Aktivitäten an Land geschädigt. Die Korallenriffe in der Region werden zusätzlich durch das Betreten durch Touristen, durch Anker oder durch Entnahme von Korallen für den Verkauf als Souvenirs zerstört. Wichtig ist, dass die einheimische Bevölkerung durch den LMMA-Prozess ihre Souveränität behalten kann, indem sie in Abstimmung mit anderen Interessen­gruppen dar­über mitent­scheiden kann, welche Fischerei­methoden sie künftig anwenden sollte. Zum Plan­ungs­prozess gehört auch, alternative Aktivitäten zu entwickeln, mit denen die Einheimischen künftig ihr Einkommen sichern können. Über die Einhaltung der vereinbarten Regeln wachen entweder lokale Chiefs, traditionell organisierte Dorf­ge­mein­schaften oder auch die örtlichen Küstenfischereibehörden. In der Regel wird während des LMMA-Planungsprozesses auch ein Gebiet festgelegt, für das ein völliges Nutzungsverbot gilt, wodurch garantiert wird, dass sich die Bestände der genutzten Meeresorganismen erholen können. Damit kommt die LMMA-Idee dem Prinzip der MPAs durchaus nahe. Zusammengefasst verfolgt der LMMA-Ansatz folgende Ziele:
  • verbesserter Zustand des Meereslebensraums (Bedeckung mit Korallen, Seegras, Mangroven);
  • größere Fischbestände und damit verstärkte Reproduktion der Fische und höhere Fischbiomasse;
  • daraus resultierend höhere Einkommen aus der Nutzung mariner Ressourcen;
  • bessere Fähigkeit der lokalen Bevölkerung, ihre Ressourcen zu managen;
  • Gefühl der stärkeren Umweltverantwortung und des gemeinschaftlichen Zusammenhalts.
Da die verschiedenen Dorfgemeinschaften und Küsten­regionen heute über das Netzwerk miteinander verbunden sind, können Best-Practice-Lösungen leicht weiter­gegeben werden. Seit dem Jahr 2000 wurde eine Reihe von LMMA-Projekten erfolgreich durchgeführt – darunter in Indonesien, Papua-Neuguinea, den Philippinen, auf der Inselgruppe der Salomonen sowie auf den Inseln Fidschi, Pohnpei und Palau. Da die einzelnen Regionen oftmals klein sind, sind manche Nationalstaaten allerdings wenig motiviert, sich von ministerieller oder behördlicher Seite in diesen Gebieten zu engagieren. Da die Küstenbereiche für die Nahrungsversorgung der Menschen vor Ort bedeutend sind, sind es in manchen Fällen vor allem die Nicht­regierungs­orga­ni­sationen, die Projekte vor Ort initiieren.

Nachhaltiges Management in China: zugleich schützen und nutzen

Weltweit gibt es eine Reihe vergleichbarer Projekte, die zwar ihrerseits nicht als LMMA bezeichnet werden oder im Detail anders konzipiert sind; alle diese Projekte haben aber dasselbe Ziel, dass den Menschen vor Ort eine Art Eigentümerschaft über die Meeresressourcen zugestanden wird und dass diese Ressourcen gemeinschaftlich bewirtschaftet werden. So versucht man auch in China seit einigen Jahren die Nutzung und den Schutz von Meeresgebieten in Einklang zu bringen. Auch hier hatte man die Erfahrung gemacht, dass starr festgelegte Meeresschutzgebiete nicht akzeptiert und damit ignoriert werden. Seit 2005 werden dort deshalb sogenannte Special Marine Protected Areas (SMPAs) ausgewiesen, in denen Zonen für unter­schied­liche Nutzungen wie etwa Fischerei oder Tourismus zeitweise geöffnet werden. Andere Zonen wiederum sind für jegliche Nutzung gesperrt.
In einer Studie wurde jetzt untersucht, wie wirkungsvoll dieses System ist. Dazu wurden Interviews mit Befürwortern und Kritikern der SMPAs-Politik durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass SMPAs als eine Ergänzung zu den üblichen Meeres­schutz­gebieten zu betrachten sind, aber diese nicht ersetzen. Je nach Situation sei ein völliger Schutz eines Meeres­gebiets oder eher die SMPAs-Lösung angebracht. Deutlich wird, dass durch Abstimmung der verschiedenen Interessen während der Planung Konflikte deutlich reduziert werden und die Akzeptanz der Schutz­zonen innerhalb der SMPAs erhöht wird. Kritisch angemerkt wird allerdings, dass es bislang an wissenschaftlicher Begleitforschung fehlt, mit der untersucht wird, ob die Schutz­ziele erreicht werden. Ein Grund dafür ist die mangelnde Finanzierung dieser wissenschaftlichen Arbeit. Eine fundierte Evaluation, wie zum Beispiel für ICZM-Prozesse vorgesehen, muss im chinesischen SMPAs-Konzept also erst noch fest ver­ankert werden. Insgesamt wird das SMPAs-Konzept aber in der aktuellen Studie als sinnvolles Werkzeug für den ­Meeresschutz in China bewertet, dessen Bedeutung in Zukunft weiter stark zunehmen dürfte.

Naturschutz und Tourismus – (k)ein Streitpunkt

Für den Schutz von Küstenlebensräumen ist es unerlässlich, bestimmte Nutzungen zu beschränken. So besteht beispielsweise das Problem beim Tourismus darin, dass oftmals gerade die besonders wertvollen und naturnahen Lebensräume wegen ihrer Ursprünglichkeit auf Urlauber eine besondere Anziehungskraft haben, etwa weitläufige Dünen und Strände oder Feuchtgebiete, die zum Baden einladen oder wegen ihrer Artenvielfalt beispielsweise für Vogelbeobachter besonders interessant sind. Hier die Grenzen zwischen touristisch genutzten Zonen und Schutzgebieten zu ziehen, ist schwierig. Daher führten in vielen europäischen Küstenregionen zwei Umwelt­schutz­richtlinien in den vergangenen Jahren zu besonders ­vielen Konflikten zwischen Behörden, Naturschutzverbänden und anderen Interessengruppen: die Vogel­schutz­richtlinie von 1979, deren Ziel die Erhaltung wild lebender Vogelarten ist, und die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie von 1992, deren Ziel die Erhaltung verschie­dener natürlicher Lebensräume mitsamt den darin wild lebenden Tieren und Pflanzen ist. Mit Verabschiedung dieser Richtlinien war jeder EU-Mitgliedsstaat verpflichtet, die Regelungen in nationales Recht umzusetzen und im eigenen Land entsprechende Schutzgebiete auszuweisen.
Ergebnisse einer Studie zu den Konflikten zwischen Tourismus und Naturschutz in touristisch besonders beliebten Küstengebieten Deutschlands legen folgende Schlüsse nahe: Konflikte treten vor allem dann auf, wenn die Konfliktparteien vor der Ausweisung von Schutzgebieten nicht im Dialog standen. Wurden die Schutzgebiete von den zuständigen Behörden schlicht durchgesetzt und die Bevölkerung vor voll­en­dete Tatsachen gestellt, führte das nicht nur bei den Touristen, sondern auch bei Gewerbetreibenden, dem Einzelhandel und Landwirten zu ­großem Widerstand.
Kritisiert wurde von Gewerbetreibenden oder auch Fremdenverkehrsverbänden unter anderem, dass die Ausweisung von Schutzgebieten dazu führt, dass Touristenströme gelenkt werden müssen, was vor allem in großräumigen Schutzgebieten einen hohen Aufwand bedeutet. So müssen Wege durch die Schutzgebiete mit Zäunen versehen und Parkplätze am Rand der Schutzgebiete errichtet werden.
Kritisiert wird auch, dass die Öffentlichkeit vielerorts in der ersten Phase der Gebiets­ausweisung nicht ausreichend informiert, aufgeklärt und damit ernst genommen worden sei. Als Fehler wurde insbesondere das Vorgehen vieler Ver­wal­tungen gesehen, nicht die Vorteile und ­Chancen kommuniziert zu haben, sondern schlicht die EU-Richtlinien in den Vordergrund gestellt zu haben. Dadurch sei in der Öffentlichkeit die weitverbreitete Auffassung entstanden, Maßnahmen von oberster Stelle überge­stülpt zu bekommen und keinen Einfluss zu haben. Für die Zukunft schlägt die Studie deshalb folgende Maß­nahmen vor:
  • Verhandlungen und Absprachen mit den jeweils zuständigen Organisationen (Tourenanbieter, Gemeinden, Sportverbände), um gemeinsame Lösungen zu erarbeiten, beispielsweise eine zeitliche Koordinierung von geführten Wan­der­ungen, eine Ausweisung von Parkplätzen oder Anlegestellen für Boote und Kanus;
  • gute durchdachte Konzepte für eine Besucherinformation und -aufklärung, insbesondere durch ein gut ausgebautes Netzwerk von Rangern und Infor­ma­tionszentren und durch Informationstafeln;
  • Kommunikation der Qualität eines Gebiets aufgrund der vorhandenen Natur­schätze und des Schutzbedarfs mit der Perspektive, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, beispielsweise Ökotourismus.

Das Erfolgsrezept: Bürgerbeteiligung von Anfang an

Ein erfolgreiches Beispiel für einen ICZM-Prozess im Bereich des Tourismus sind die Küstenschutzmaßnahmen, die in den beiden deutschen Ostseegemeinden Scharbeutz und Timmendorfer Strand zwischen 1999 und 2011 durchgeführt wurden, nachdem eine Untersuchung gezeigt hatte, dass diese stark durch Hochwasser gefährdet sind. Beide Gemeinden sind dicht besiedelt und als Urlaubsdestination touristisch intensiv genutzt. Merkmal der Orte ist eine lange Uferpromenade, die einen offenen Zugang zur Ostsee bietet und zwischen einer Ladenzeile aus Geschäften, Gewerbebetrieben und dem Strand verläuft. Beide Orte liegen in einer Bucht, in der bei starkem Ostwind der Wasserstand lokal deutlich steigen kann. Eine Wertermittlungsanalyse ergab, dass es bei Wasserständen von mehr als 3 Metern über Normalnull zu starken Über­flut­ungen kommen kann. Konkret wären dadurch bis zu 6000 Menschen und Sachwerte von mehr als 3,4 Milliarden Euro bedroht. Die Gemeinden entschlossen sich daher, mit finanzieller Unterstützung durch den Landkreis und das Land Schleswig-Holstein einen Landesschutzdeich zu errichten. Dagegen regte sich in der Bürgerschaft von Anfang an Widerstand, weil befürchtet wurde, dass ein solcher Wall die Ästhetik der Promenade zerstört, was letztlich zu Einbußen im Tourismus führen kann. Aus diesem Grund wurde die Bevölkerung in die weitere Planung eingebunden – zum einen über Informationsmaterial, das umfassend die Problematik erklärte, zum anderen durch Teilnahme an Gesprächsrunden, bei denen mehr als 50 Personen aus der Bevölkerung und der Verwaltung über verschiedene Lösungswege diskutierten, die von einem völligen Verzicht auf Schutzmaßnahmen bis zum Bau des Deiches als Maximallösung reichten.
Als gemeinsames Ergebnis kristallisierte sich eine Kombination heraus: eine Hoch­wasser­schutzanlage, die geschmackvoll an die örtlichen Gegebenheiten angepasst wird. Durch den Verzicht auf den Deich konnte der Promenadencharakter komplett erhalten bleiben. Während der Baumaßnahmen wurden alle zwei Wochen samstags öffentliche Führungen über die Baustelle veranstaltet, um über den aktuellen Stand der Arbeiten zu informieren und offene Fragen zu klären.
Konkret konnte mit den Maßnahmen ein insgesamt ästhetischer Küstenschutz erreicht werden. In einem Bereich wurde zum Beispiel auf das Fällen von Bäumen verzichtet, stattdessen wurde ein steiler Strandwall angelegt, der zusätzlich durch eine unauf­fäl­lige, nur etwa einen halben Meter hohe Mauer vor Überspülung geschützt ist. Zwischen der kleinen Mauer und der Baumreihe verläuft jetzt ein Spazierweg. Insge­samt konnte somit eine hohe Akzeptanz der Küstenschutzmaßnahmen erreicht werden, die die Promenade dank der hochwertigen Bauausführung jetzt sogar optisch bereichert.

Zusatzinfo Große Meeresökosysteme

Das Konzept der Large Marine Ecosystems

Zu einer besonderen Herausforderung wird das ICZM immer dann, wenn Küsten­gebiete und -lebensräume so groß sind, dass sie sich über mehrere Länder erstrecken. Ein umfassender Schutz dieser Gebiete ist dann nur möglich, wenn die Staaten kooperieren, etwa was die Verschmutzung des Meeres oder das Management von Fischbeständen angeht. Forscher der Wetter- und Ozeanografiebehörde der USA (National Oceanic and Atmospheric Administration, NOAA) haben deshalb in den 1990er-Jahren das Konzept der großen Meeresöko­systeme, der Large Marine Ecosystems (LMEs), entwickelt. Demnach werden die küstennahen Meeresgebiete der Erde heute in 66 LMEs aufgeteilt, wobei jedes LME sich durch eine typische Flora und Fauna auszeichnet. Die LMEs erstrecken sich entlang der Küsten bis zum Kontinentalabhang, jenem Bereich des Meeresbodens, wo der Festlandsockel in die Tiefsee abfällt. Die Schwierigkeit besteht darin, dass man für ein erfolgreiches Küstenmanagement eine grenzüberschreitende Kooperation auf verschiedenen Ebenen verwirklichen muss. Zum einen müssen die einzelnen Staaten zunächst der Kooperation auf hoher nationalstaatlicher Ebene zustimmen. Zudem müssen die zuständigen Fachbehörden und die Verwaltung vor Ort eingebunden werden, damit die ansässige Küstenbevölkerung überhaupt in die grenzüberschreitende Zusammenarbeit einbezogen werden kann. Größere Fischbestände zum Beispiel können nur dann erhalten werden, wenn die neuen Regeln für eine nachhaltige Fischerei im gesamten Meeresgebiet von allen Fischern und Behörden umgesetzt werden.
Mit Unterstützung der Weltbank, der Globalen Umweltfazilität (Global Environment Facility, GEF, einer internationalen Einrichtung zur Finanzierung von Umwelt­schutz­projekten) und des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP) versucht man, vor allem in den Entwick­lungs- und Schwellenländern die zwischenstaatliche Zusammenarbeit beim Schutz der LMEs zu verbessern. Forscher, Politiker, aber auch Laien benachbarter Nationen treffen sich in Workshops und Konferenzen. Da oftmals wirtschaftliche Aspekte wie etwa die Ölförderung im Meer Vorrang vor dem Schutz der Umwelt haben, soll das Konzept der LMEs hier ein Gegengewicht liefern und in den Ländern ein Bewusstsein für den Lebensraum Meer schaffen.

Ein junges Netzwerk für den Schutz des Golfs von Bengalen

Ein Beispiel für eine erfolgreiche Kooperation ist das Bay of Bengal Large Marine Ecosystem (BOBLME), in dem die Anrainerstaaten des östlich von Indien gelegenen Golfs von Bengalen zusammenarbeiten: Bangladesch, Indien, Indonesien, Malaysia, die Malediven, Myanmar, Sri Lanka und Thailand. In diesem Gebiet wurde 2010 das auf fünf Jahre angelegte BOBLME-Projekt gestartet mit den Zielen, die Fischbestände besser zu managen, um die Über­fischung zu bekämpfen, und zudem die Meeres­ver­schmutzung zu bekämpfen. Zunächst stand eine umfangreiche Analyse der Situation vor Ort an. Zum einen mussten die vielen verschiedenen lokalen, regionalen und nationalen Zuständigkeiten geklärt und gemeinsame Arbeitsschwerpunkte festgelegt werden. Diese wiederum hingen davon ab, welche Nöte oder Bedürfnisse die Menschen vor Ort jeweils hatten. Da die Fischerei in jeder Nation von verschie­denen Behörden verwaltet wird, etwa von Fischerei- oder Wirtschafts­behörden, mussten zunächst zuständige Ansprechpartner gefunden werden, die dann in interna­tionalen Tagungen und Workshops miteinander in Kontakt kamen. Darüber hinaus hatte das Projekt das Ziel, den Zustand der verschiedenen Fischbestände zu erfassen. Hier bestand eine große Wissenslücke, weil in vielen Ländern lange Zeit keine regel­mäßigen Ausfahrten zur Bestandsschätzung durchgeführt worden waren. In Myanmar beispielsweise hatte es seit 30 Jahren keine ­derartige Erhebung mehr gegeben. Mit Unterstützung durch ein norwegisches Forschungsschiff wurden die Bestands­schätz­ungen für den gesamten Golf durchgeführt. Dank dieser Schätzungen konnte erstmals für die Region eine Managementempfehlung für den nachhaltigen Fang der wirtschaftlich wichtigen Indischen Makrele und den Hilsa-Hering gegeben werden. Um die Fischbestände und den Zustand der Meeresumwelt künftig über­wachen zu können, wurden zudem wissenschaftliche Arbeitsgruppen mit Forschern aus allen Anrainerstaaten gebildet, die künftig in Sachen Fischbe­stands­statistik, bei der Überwachung der Meeres­ver­schmutzung und bei ökologischen Untersuchungen im Golf von Bengalen zusammenarbeiten sollen. Die Arbeitsgruppen haben zudem vorbildliche Lösungen für einen nachhaltigen Fischfang in der Region zusam­menge­tragen und stellen diese Methoden in Workshops vor Ort anderen Fischern vor, die diese übernehmen werden. 2015 ging das BOBLME-Projekt zu Ende. Seitdem werden die während der Projektlaufzeit entwickelten Fischerei­prak­tiken und Managem­entemp­fehlungen in jedem Land nach und nach weiter eingeführt und umgesetzt.

Abb. 4.11: Die Schnecke <em>Concholepas concholepas</em> ist in Chile eine beliebte Meeresfrucht. Für ihren Fang wurden räumlich begrenzte und von einzelnen lokalen Kooperativen verwaltete Fischereiterritorien entlang der chilenischen Küste eingerichtet. © https: ©//archive.org/details/ illustrationsdez00lesso

4.11 > Die Schnecke Concholepas concholepas ist in Chile eine beliebte Meeresfrucht. Für ihren Fang wurden räumlich begrenzte und von einzelnen lokalen Kooperativen verwaltete Fischereiterritorien entlang der chilenischen Küste eingerichtet.

Schutz durch regionale Selbstverwaltung

Um Küstengebiete nachhaltig zu nutzen, kann es reichen, dass eine einzige betroffene Nutzergruppe ihr Verhalten ändert. Das gilt etwa für die handwerkliche Fischerei in verschiedenen Küstenregionen, die sich durch neue Managementmethoden so gestalten lässt, dass die Bestände schonend genutzt werden. Ein Beispiel ist die chilenische Locos-Fischerei. Locos sind Schnecken der Art Concholepas concholepas, der sehr beliebten sogenannten Chilenischen Seeohren, die an der Küste von Tauchern vom Meeresboden aufgelesen werden. Fischereien wie diese werden von Fischereibiologen als „S-Fischerei“ bezeichnet, ein Begriff der sich von den englischen Bezeichnungen „small-scale fisheries“ (kleinskalige, handwerkliche Fischerei), „sedentary stock“ (ortsfester Bestand) und „spatially structured“ (räumlich strukturiert) ableitet. Räumlich strukturiert bedeutet, dass es in einer Region an diversen Stellen verschiedene, räumlich von­einander getrennte Populationen gibt. Bei der S-Fischerei besteht die Gefahr darin, dass diese Populationen lokal überfischt werden.

Genau das passierte in Chile in der Vergangenheit. War eine Population komplett abgeerntet, fuhren die Tauchfischer in das nächste Gebiet. Das führte zu Konflikten mit den jeweils ortsansässigen Tauchfischern, weil sich dadurch der Druck auf die dortige Population erhöhte. Ende der 1980er-Jahre waren die Locos-Bestände so weit geschrumpft, dass es entlang der ganzen Küste zur Krise in der Locos-Fischerei kam. Viele Fischer verloren ihre Arbeit. Die chilenische Regierung setzte deshalb 1991 ein neues Managementsystem durch, mit dem räumlich begrenzte Fischereiterritorien entlang der Küste und entsprechende lokal verortete Tauchfischerkooperativen eingerichtet wurden. Den in dem Gebiet ansässigen Kooperativen wurden damit exklusive Nutzungsrechte und eine Selbstverwaltung zugestanden. Im Spanischen werden diese Gebiete mit territorialem Nutzungsrecht als Áreas de Manejo y Explotación de Recursos Bentónicos (AMERB, Management- und Nutzungsgebiete benthischer Ressourcen) bezeichnet. Man spricht auch vom AMERB-Management. International wird diese Art von lokalem Management als territoriale Nutzungsrechte in der Fischerei (Territorial Use Rights in Fisheries, TURFs) bezeichnet. Dieses territoriale Fischereinutzungsrecht wurde nur dann gewährt, wenn sich die Tauchfischer zu Kooperativen zusammenschlossen, um dann mit Experten­unter­stützung einen Managementplan für eine künftige schonende Nutzung der Locos-Population in einem bestimmten Gebiet auszuarbeiten – etwa bezüglich der Höchstmengen, die dem Meeresgebiet täglich entnommen werden dürfen. Diese Höchstmengen wurden dann auf jedes einzelne Mitglied der Kooperative umgelegt. Tauchfischer aus anderen Küstengebieten und Kooperativen waren vom Fang in diesem Gebiet ausgeschlossen. Durch den Zusammenschluss zu Kooperativen ergab sich für die Fischer zudem eine bessere Verhandlungsposition gegenüber Zwischen­händlern. Während die Tauchfischer früher meist allein nach Locos gefischt und ihren Fang weiterverkauft hatten, konnten sie nun einen gemeinsamen Preis für die Muscheln vereinbaren.
4.13 > Die Zucht von Algen könnte sich künftig in vielen Regionen am Indischen Ozean und im Pazifik als Alternative zum Fischfang etablieren. Der Vorteil der Algenzucht ist, dass diese kostengünstig ist, weil nur wenige Geräte und Materialien benötigt werden.
Abb. 4.13: Die Zucht von Algen könnte sich künftig in vielen Regionen am Indischen Ozean und im Pazifik als Alternative zum Fischfang etablieren. Der Vorteil der Algenzucht ist, dass diese kostengünstig ist, weil nur wenige Geräte und Materialien benötigt werden. © https: ©//commons.wikimedia.org/wiki/ File: ©Seaweed_farm_uroa_zanzibar.jpg (Stand: © 08.2017)
Abb. 4.12: Ein Fischmarkt in Bangladesch. Hier werden vor allem Hilsa-Heringe verkauft, die in der Region, dem Golf von Bengalen, besonders beliebt sind. Nach jahrelanger Überfischung ist es jetzt in einem internationalen Projekt gelungen, für den gesamten Golf ein schonendes Fischereimanagement zu entwickeln. © Fernando Moleres/laif

4.12 > Ein Fischmarkt in Bangla­desch. Hier werden vor allem Hilsa-Heringe verkauft, die in der Region, dem Golf von Bengalen, besonders beliebt sind. Nach jahrelanger Über­fischung ist es jetzt in einem internationalen Projekt gelungen, für den gesamten Golf ein schonendes Fischerei­manage­ment zu entwickeln.
Tatsächlich erholten sich die Locos-Bestände, sodass das AMERB-Management zu einem Erfolg wurde. In der Folge wurde das Prinzip in Chile auch für andere Fischer­eien übernommen. Heute werden etwa 45 bodenbewohnende Organismen wie etwa Muscheln, Schnecken, aber auch Algen nach AMERB-Managementplänen befischt.
Doch nicht in jedem Fall war diese Art des Managements ein Erfolg. Zwischenzeitlich brachen verschiedene Bestände zusammen und das sorgfältig ausgearbeitete AMERB-Konzept wurde hinfällig. Ein maßgeblicher Grund dafür war, dass die Populationsdynamik bestimmter Organismen nicht ausreichend erforscht war und es aufgrund von Fehleinschätzungen zu einer Überfischung kommen konnte.

Alternativen zur Fischerei

Eine Strategie heutiger ICZM-Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern besteht darin, mit der Küstenbevölkerung vor Ort alternative Einkommensmöglichkeiten zu entwickeln. So lässt sich in Regionen, die durch Fischerei dominiert werden, Druck von den überfischten Beständen oder überbeanspruchten Meereslebensräumen nehmen. Ein Beispiel sind Projekte in den Philippinen und in Indonesien, in denen die Zucht von Meeresalgen an langen Leinen als Alternative zum zerstörerischen Fischen mit Dynamit und Zyanid etabliert wurde. Der Vorteil der Algenzucht ist, dass diese kostengünstig ist, weil nur wenige Geräte und Materialien benötigt werden. Zudem gibt es weltweit eine wachsende Nachfrage nach Algen, die zu einem großen Teil für die Produktion von Carrageen verwendet werden, einem Algeninhaltsstoff, der in der Lebensmittelindustrie als Gelier- und Verdickungsmittel verwendet wird. Die Projekte zeigen, dass die Algenproduktion den Fischfang zwar nicht ersetzen kann, in einigen Orten aber zu einer Reduzierung der Fangmengen führte, sodass hier tatsächlich der Druck auf das Ökosys­tem abnahm. Anderenorts wurde trotz Algenzucht mit derselben Intensität weiter gefischt. Nicht in jedem Fall konnte die lokale Bevölkerung hinreich­end von der Bedeutung des Ressourcenschutzes überzeugt werden. Experten betonen daher, dass eine einzige alternative Einnahmequelle nicht immer ausreicht. Idealerweise sollte in der­artigen ICZM-Projekten eine gewisse Vielfalt an Alternativen aufgezeigt werden können.

Viele Köche erschweren die Entwicklungshilfe

Für ein erfolgreiches Integriertes Küstenzonenmanagement in Entwicklungs- und Schwellenländern ist es nicht nur essenziell, alle nationalen und lokalen Interes­sen­gruppen in den Managementprozess einzubinden. Dar­über hinaus ist auch eine Abstimmung zwischen den ­verschiedenen internationalen und regionalen Entwicklungshilfeorganisationen nötig. Das ist keineswegs immer der Fall. So gibt es Regionen, in denen in benachbarten Orten verschiedene Organisationen mit teils sogar gleichen Schwerpunkten tätig sind, ohne sich abzustimmen oder voneinander zu wissen. Das hat mehrere Nachteile: Zum einen ist es nicht möglich, Ressourcen wie etwa Infrastruktur, Büros oder Fahrzeuge gemeinsam zu nutzen. Zudem ist kein umfassendes integriertes Management möglich, bei dem man beispielsweise gleichzeitig die Trinkwasserversorgung, die Landwirtschaft und den Küstenschutz im Blick hat, wenn verschiedene Entwicklungshilfeorganisationen ihre Projekte isoliert voneinander verfolgen oder nicht mit den Entwicklungsprioritäten vor Ort abstimmen. Im ungünstigen Fall werden Ergebnisse erzielt, die nicht nachhaltig oder sogar kontraproduktiv sind. Um diesen Aspekten entgegenzuwirken und die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe im Ganzen zu erhöhen, verabschiedete die OECD deshalb im Jahr 2005 die Paris-Deklaration über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (Paris Declaration on Aid Effec­tiveness). Diese Paris-Deklaration verfolgt insgesamt fünf wesentliche Ziele:
  • Ownership (Eigentümerschaft): Die Partnerländer und nicht die Geberländer haben die Federführung und Verantwortung bei jedem Entwicklungsprozess.
  • Alignment (Anpassung/Angleichung): Die Geber passen ihre Strategien und Prozesse an die der Partnerländer an und nutzen vorhandene Institutionen der Kooperationsländer oder der Partnerorganisationen.
  • Harmonisation (Harmonisierung): Die Geber sollen ihre Programme und Verfahren untereinander abstimmen und harmonisieren.
  • Managing for Results (Ergebnisorientierung): Die Geber lassen sich an den Wirkungen ihres entwicklungspolitischen Handelns messen, etwa der Verrin­gerung der Analphabetenquote, und nicht am finan­ziellen Einsatz, etwa
    10 Millionen Euro für neue Schulen.
  • Mutual Accountability (gegenseitige Rechenschaftspflicht): Geber- und Kooperationsländer sollen gemeinsam über ihr entwicklungspolitisches Handeln und über ihre Fortschritte gegenüber der Öffentlichkeit und den Parlamenten Rechenschaft ablegen.
Seit 2012 werden diese Ziele zum Teil leicht abgewandelt über die Globale Partner­schaft für effektive Entwicklungszusammenarbeit (Global Partnership for Effective Development Cooperation) gesteuert und weiterverfolgt.

Kiribati geht mit gutem Beispiel voran

Heute werden die Prinzipien der Paris-Deklaration auch im Integrierten Küsten­zonen­management berücksichtigt. Ein Beispiel ist der pazifische Inselstaat Kiribati, zu dem mehr als 30 Inseln gehören. Die Ausdehnung des Inselstaats ist enorm. In west-östlicher Richtung erstreckt sich die Nation über rund 4500 Kilometer, was in etwa der Entfernung von der Westküste zur Ostküste der USA entspricht. Die Einwohner Kiribatis verstehen sich damit keineswegs als Bewohner eines kleinen Inselstaats, sondern als Bewohner eines großen Ozeanstaats, die auf eine jahr­tausende­alte Tradition als Seereisende im Pazifik zurückblicken. Im Laufe der Jahre wurden viele Entwicklungshilfeprojekte umgesetzt, zwischen denen teilweise kaum Abstimmungen stattfanden oder die sich kaum an nationalen Entwicklungszielen orientierten. Die Regierung entschied sich daher gemäß Paris-Deklaration, eine stärkere Kooperation der einzelnen Entwicklungshilfeprojekte einzufordern, die sich zudem an nationalen und lokalen Prioritäten ausrichten sollten. Dazu wurde auf Kiribati vor einigen Jahren der sogenannte Whole of Island Approach (Ganze-Insel-Ansatz) ins Leben gerufen. Damit haben sich jetzt der Staat und mehrere internationale Entwick­lungs­hilfe­orga­nisationen darauf verständigt, Projekte gemein­sam durch­zu­führen und nicht nur Teilaspekte im Blick zu haben, sondern jeweils eine ganze Insel mit all ihren Problemen und Herausfor­derungen. Das heißt, dass nicht einzelne Aspekte isoliert voneinander betrachtet werden – etwa Küstenschutz oder Landwirtschaft –, sondern für alle Lebensbereiche zugleich Lösungen entwickelt und in einem Entwicklungsplan für die jeweilige Insel formuliert werden. Darin enthalten sind im Detail Maßnahmen, die nachhaltig Bildung, Fischerei, Infrastruktur, Küstenschutz, Landwirtschaft, Energie, ­Wasserversorgung und Gesundheit fördern. Dabei wird zugleich berücksichtigt, wie sich die Bevölkerung an den Klimawandel anpassen kann.
Kiribati will in den nächsten Jahren zusammen mit den Entwick­lungs­hilfe­orga­nisationen nach und nach auf allen Inseln Analysen durch­führen, mit denen Bedürf­nisse der Bevölkerung erfragt und die Auswirkungen des Klima­wandels untersucht werden – soge­nannte Integrated Vulnera­bility Assessments (Integrierte Vulnera­bilitäts­analysen). Wie für einen ICZM-Prozess typisch, spielt auch beim Whole of Island Approach die Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort eine entschei­dende Rolle, weil sich nur dadurch gewährleisten lässt, dass Maßnahmen durch­geführt werden, die die Menschen tatsächlich benötigen und akzeptieren.
4.14 > Der Inselstaat Kiribati bemüht sich, seine flachen Atolle teils durch massive Mauern vor dem Meer zu schützen. In vielen Fällen aber zerstören Sturmfluten die Bauwerke, wie hier vor der Hauptstadt South Tarawa.
Abb. 4.14: Der Inselstaat Kiribati bemüht sich, seine flachen Atolle teils durch massive Mauern vor dem Meer zu schützen. In vielen Fällen aber zerstören Sturmfluten die Bauwerke, wie hier vor der Hauptstadt South Tarawa. © Vlad Sokhin/laif

Startschuss auf der Insel Abaiang

Auf jeder Insel Kiribatis gibt es einen Ältestenrat, in den aus jedem Dorf Mitglieder entsandt werden. Der Ältestenrat ist die erste Adresse für die Kooperation. In einem ersten Schritt besuchen die Mitarbeiter der Entwicklungshilfeorganisationen zusammen mit Vertretern der verschiedenen zuständigen Ministerien aus der Hauptstadt Kiribatis, South Tarawa, die Inseln, um dort Interviews durchzuführen. Dabei wird auch darauf geachtet, dass nicht nur der ausschließlich aus Männern bestehende Ältestenrat zu Wort kommt. In Einzelinterviews werden auch die Bedürfnisse und Meinungen aller anderen Bevölkerungsgruppen abgefragt – insbesondere der Frauen und Jugendlichen. Insgesamt wird ein repräsentatives Meinungsbild darüber erstellt, wie sich die Bewohner ihre Zukunft in zehn oder
20 Jahren vorstellen. Zudem werden Gespräche mit Vertretern der verschiedenen Institutionen vor Ort geführt, etwa der Kirche oder der Polizei. Die erste Insel, auf der der Whole of Island Approach derzeit umgesetzt wird, ist die Insel Abaiang. Sie hat 5500 Einwohner und ist damit relativ bevölkerungsreich. Inzwischen wurde eine Vulnerabilitätsanalyse durchgeführt. Drängend ist unter anderem die Frage der zuverlässigen Wasserversorgung, denn die Inseln Kiribatis besitzen nur kleine Wasserreserven, die als Süßwasserlinsen im Untergrund liegen und ausschließlich durch Regenwasser gespeist werden. Wenn zu viel Wasser entnommen wird oder Regenfälle ausbleiben, aber auch wenn der Meeresspiegel steigt, sickert aus dem Meer Salzwasser nach, sodass die Wasserlinsen versalzen. Zudem werden die Süßwasserlinsen durch Nutztiere oder durch Dünger und Pflanzenschutzmittel aus nahe gelegenem Ackerbau verschmutzt. In Abaiang wird daher aktuell das Wasser­management verbessert. Zudem wird Ackerbau jetzt in ausreichender Entfernung von den Süßwasserlinsen betrieben.
4.15 > Für die Insel Abaiang ist der Klimawandel bereits spürbar. Die deutlichsten Zeichen sind für die Bewohner laut einer Umfrage der Süßwassermangel, die Zunahme der Temperaturen und die Erosion der Ufer.
Abb. 4.15: Für die Insel Abaiang ist der Klimawandel bereits spürbar. Die deutlichsten Zeichen sind für die Bewohner laut einer Umfrage der Süßwassermangel, die Zunahme der Temperaturen und die Erosion der Ufer. © Synthesis report, 2016. The Secretariat of the Pacific Regional Environment Programme, Secretariat of the Pacific Community, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit
Ein anderes Thema ist die Vermeidung beziehungsweise Beseitigung von Abfällen. Traditionell wurden die früher ausschließlich organischen Abfälle ins Meer entsorgt und mit der Flut abtransportiert. Angesichts wachsender anorganischer und giftiger Abfallmengen führt diese Praxis zu erheblicher Verschmutzung von Meer und Umwelt und kann besonders die Süßwasserlinsen erheblich belasten. Da die Bewohner ihr Trinkwasser aus Brunnen gewinnen, die zum großen Teil stark mit Keimen belastet sind, kommt es oft zu Durchfallerkrankungen, durch die vor allem ­Kinder gefährdet sind. Daher soll jetzt, dem Wunsch der Einwohner Abaiangs entsprechend, eine bessere sanitäre Versorgung aufgebaut werden. Derzeit wird eine solche Analyse für eine zweite Insel durchgeführt.
Darüber hinaus gibt es Herausforderungen, die für alle Inseln Kiribatis gleich sind. Das sind neben der Wasser- und Sanitärversorgung vor allem der Küstenschutz, Überfischung und nachlassende Erträge in der Land­wirt­schaft. Hinzu kommt der Klimawandel, der alle diese Aspekte stark beeinflusst und erheblich verstärkt. So treten heute auf einigen Inseln Kiribatis gehäuft Dürren auf, die zu Wassermangel führen und die Land­wirt­schaft erschweren. Da die Landwirtschaft auf den Inseln wegen der relativ unfruchtbaren Böden ohnehin nicht stark ausgeprägt ist, kann das zu Engpässen bei der Versorgung mit Lebensmitteln führen. Daher sollen auf den Inseln künftig alternative landwirtschaftliche Methoden und der Anbau anderer Früchte erprobt werden. Während des Prozesses wird von vornherein darauf geachtet, dass sich die Bevölkerung vor Ort realistische Ziele setzt. So machen die Vertreter der Ministerien klar, dass der Managementprozess nicht beliebige Forderungen nach deutlich höherem Wohlstand erfüllen kann. So soll verhindert werden, dass zu hohe Erwartungen geweckt werden. Textende