Wie kompliziert und langwierig es sein kann, eine nachhaltige Nutzung eines Küstengebiets trotz gegensätzlicher Positionen zu erreichen, zeigt das Beispiel des nordwesteuropäischen Wattenmeeres, das seit dem Jahr 2009 Weltnaturerbe der UNESCO (United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) ist. Dieses weltweit größte Wattgebiet ist etwa 500 Kilometer lang und erstreckt sich über weite Teile der niederländischen, deutschen und dänischen Nordseeküste. Mit dem Status als Weltnaturerbe ist es heute international als wichtiger und besonders ästhetischer Naturraum anerkannt, der insbesondere als Aufzuchtgebiet für die Fische der Nordsee und Millionen von Brut- und Rastvögeln von Bedeutung ist. Jedes Jahr besuchen heute mehrere Millionen Urlauber diese Region.
Es dauerte fast 50 Jahre, bis der Schutzstatus erreicht wurde. Interessanterweise ist dies gelungen, obwohl die Anrainerstaaten den Schutz dieses grenzüberschreitenden Naturraums jeweils durch eigene nationale Gesetzgebungen verfolgt haben und weniger durch trilaterale Abkommen. Zudem zeigt dieses Beispiel, dass sich vor allem durch das beharrliche und jahrelange Engagement einzelner Protagonisten und Naturschutzverbände anfängliche Widerstände überwinden lassen.
1953 ereignete sich in den Niederlanden und 1962 in Deutschland jeweils eine schwere Sturmflut. In beiden Fällen brachen entlang der Nordseeküste an vielen Stellen die Deiche. In den Niederlanden starben 1953 etwa 1800 Menschen, in Deutschland 1962 mehr als 300. In den folgenden Jahren wurden vielerorts Deiche verstärkt und die Küstenlinien durch die Abdeichung von Buchten begradigt. Diskutiert wurden zudem in den Niederlanden und in Deutschland die großen Lösungen – die Eindeichung großer Teile des Wattenmeeres. Damit sollte nicht nur das Land vor weiteren Fluten geschützt werden, sondern man plante zudem, die so neu gewonnenen Flächen industriell und agrarwirtschaftlich zu nutzen. In den 1960er-Jahren galt das Wattenmeer in allen drei Nationen als rückständiger Raum, der wirtschaftlich entwickelt werden müsse. Zu diesem Zweck sollte in den eingedeichten Gebieten zunächst eine Reihe von Atomkraftwerken errichtet werden, die dann weitere Industrieansiedelungen nach sich ziehen sollten. Auch der Bau eines Flughafens wurde vorgeschlagen.

Abb. 4.7 > 1972 protestierten Fischer in den Niederlanden gegen die Eindeichung der Oosterschelde.
Erste Kritik an diesen Plänen kam 1965 in den Niederlanden auf, wo Aktivisten Protestbriefe in Tageszeitungen veröffentlichten. Aus diesem einzelnen Akt des Widerstands entstand die erste Naturschutzorganisation, die sich ganz dem Schutz des Wattenmeeres widmete, die Landelijke Vereniging tot Behoud van de Waddenzee (Verein zum Schutz des Wattenmeeres). Zur gleichen Zeit hatte die Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaften eine Gruppe junger Wissenschaftler mit einer ersten systematischen Datenerhebung zur Ökologie des Wattenmeeres beauftragt. Zwar war die Bedeutung des Lebensraums für die Aufzucht von Fischen und die Vogelwelt bekannt. Darüber hinaus aber war das Ökosystem kaum verstanden. Den Naturschützern standen damit starke Befürworter aus dem wissenschaftlichen Bereich zur Seite. Die Wissenschaftler betonten schon damals die Bedeutung des Wattenmeeres als grenzüberschreitendem Lebensraum, der durch internationale Vereinbarungen zu schützen sei. Auch in Deutschland entstanden in den 1960er-Jahren erste Gruppen, die mit den niederländischen Partnern kooperierten und zudem recht früh die Etablierung eines Nationalparks Wattenmeer forderten. Allerdings wurden sie kaum beachtet. In Dänemark hingegen gab es zunächst keine nennenswerte Lobby, was unter anderem daran lag, dass das Wattenmeer dort an der Gesamtlänge der Küste von rund 7000 Kilometern nur einen relativ kleinen Anteil hat, und damit in seiner Bedeutung kaum wahrgenommen wurde.
Dass in den folgenden Jahren das Wattenmeer als ein Naturraum von transnationaler Bedeutung trotzdem wahrgenommen wurde, lag auch daran, dass 1971 die internationale Ramsar-Konvention zum Schutz von Feuchtgebieten wie Mooren, Marschen, Salzwiesen, Sümpfen und Watten verabschiedet wurde. Sie war auf Betreiben der UNESCO und der nicht staatlichen Weltnaturschutzunion (International Union for Conservation of Nature and Natural Resources, IUCN; Internationale Union zur Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen) ausgearbeitet worden und wurde am 2. Februar 1971 in der iranischen Stadt Ramsar beschlossen. Zwar war die Konvention nicht völkerrechtlich bindend, dennoch ging von ihr eine Signalwirkung aus. Galten Feuchtgebiete bis dahin vielerorts als Flächenreserve für eine künftige wirtschaftliche Nutzung, so wurde mit der Konvention erstmals auf politischer Ebene die internationale Bedeutung von Feuchtgebieten vor allem für Wasser- und Zugvögel offiziell unterstrichen.
1974 verabschiedete sich in den Niederlanden die neue linksliberale Regierung von den meisten in den Jahren zuvor geplanten Bau- und Wirtschaftsprojekten im Wattenmeer, und die Naturschutzverbände wurden nicht müde, die Bedeutung des Wattenmeeres als Naturraum vor allem auch in der Bevölkerung bekannt zu machen. In Deutschland hingegen wurden an der Nordseeküste von Naturschutzverbänden zwar Informationszentren errichtet, in denen Touristen die Ökologie des Wattenmeeres durch Wattführungen und Vorträge nahegebracht wurde. Aber politisch blieb man weiterhin bei der Idee, das Wattenmeer industriell und landwirtschaftlich zu nutzen und den Küstenschutz durch Deichbau zu verstärken. In Dänemark fingen zu dieser Zeit erstmals auch dänische Forscher an, sich für den Schutz des Lebensraums in ihrem Land starkzumachen.
Anfang der 1980er-Jahre schließlich begann sich die umweltpolitische Gesamtsituation in Europa deutlich zu ändern. Angesichts der Verschmutzung durch die Verklappung von Industrieabfällen und die starken Schmutzfrachten in den Flüssen Rhein, Elbe, Humber und Themse wurde die Nordsee und mit ihr das Wattenmeer immer stärker als bedrohter Lebensraum wahrgenommen. Dies spiegelte sich auch in der intensiven Medienberichterstattung zu dem Thema wider.
In Deutschland gelangte das Thema Nordseeverschmutzung endgültig auf die politische Agenda, nachdem der Rat der Sachverständigen für Umweltfragen 1980 ein alarmierendes Gutachten über den besorgniserregenden Zustand der Nordsee und allgemeine Meeresbelastungen veröffentlicht hatte. In den Niederlanden wurde als Ziel der Regierungspolitik jetzt die Erhaltung des Naturraums Wattenmeer in ein raumplanerisches Gesamtkonzept eingeordnet. Die niederländische Regierung strebte damit eine verstärkte trilaterale Kooperation an. So betonte sie die Bedeutung der „Unteilbarkeit des internationalen Wattengebietes“. Sie strebte ein Statut für das Wattgebiet an, das über nationale Grenzen hinausgehen und gemeinsame Verwaltungsziele sowie die Zusammenarbeit mit Dänemark und Deutschland regeln sollte.
Eine engere Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten Deutschland und Dänemark kam aber zunächst nicht zustande, weil diese Staaten das Wattenmeer weiter nach eigenen Regeln verwalten wollten. Zudem kollidierte die Vorstellung vom Wattenmeer als einem einheitlichen Naturraum mit der in Dänemark und Deutschland vorherrschenden Auffassung von einer uneingeschränkten nationalen Souveränität in den eigenen Hoheitsgewässern. Die drei Staaten unterzeichneten zwar 1982 eine gemeinsame trilaterale Absichtserklärung (Joint Declaration), die aber nicht bindend war. Dänemark beispielsweise behielt sich das Recht vor, weiter im dänischen Wattenmeer Seehunde zu jagen, während sich die Niederlande zu deren Schutz entschlossen.
Dennoch bewegte sich ab Mitte der 1980er-Jahre etwas. Die Niederlande entschieden, Bereiche ihres Wattenmeeres zu schützen, indem diese für landwirtschaftliche, industrielle oder touristische Nutzungen gesperrt oder als Naturschutzgebiete ausgewiesen wurden. In Deutschland setzte sich hingegen die schon seit den 1970er-Jahren immer wieder diskutierte Idee von Nationalparks durch, die den höchsten Schutzstatus besitzen, den ein Naturraum in Deutschland erhalten kann. Da die Entscheidung zur Einrichtung eines Nationalparks Ländersache ist, wurden in Deutschland nacheinander drei verschiedene Nationalparks ausgewiesen – 1985 im Bundesland Schleswig-Holstein, 1986 in Niedersachsen und 1990 ein kleiner Teil, der zur Stadt Hamburg gehört und in der Mündung der Elbe liegt. Damit waren allerdings nicht alle Probleme gelöst. Vor allem in Schleswig-Holstein gab es Kritik. Die Naturschutzorganisationen bemängelten, dass in unmittelbarer Nähe der Nationalparkgrenze Ölbohrungen genehmigt wurden. Zudem war in begrenztem Maße weiterhin eine Jagd auf Vögel und außerdem Muschelfischerei erlaubt. In Dänemark wiederum erachtete man es zunächst nicht als nötig, das Wattenmeer in seiner Gesamtheit zu schützen. Die Einrichtung eines großflächigen Schutzgebiets hätte beispielsweise ein Verbot der Jagd auf Wasservögel oder Seehunde nach sich gezogen.

Abb. 4.8 > 1985 wurde das Wattenmeer in Schleswig-Holstein zum Nationalpark erklärt. Trotzdem gab es anfangs heftige Kritik, weil noch umstrittene Küstenschutzmaßnahmen durchgeführt wurden wie beispielsweise die Eindeichung der Nordstrander Bucht, deren Deich mit Sand aufgespült wurde.
Eine stärkere, auch internationale Kooperation wurde erst auf erneute Initiative von Naturschutzverbänden aus den drei Anrainerstaaten durchgesetzt. Auf ihr Drängen wurde schließlich 1987 das trilaterale Wattenmeersekretariat in Wilhelmshaven gegründet. Im Laufe der Jahre konnte es sich als Koordinierungsstelle etablieren, die politisch beratend tätig ist. Heute wird es von allen drei Ländern gemeinsam finanziert. Es koordiniert die Forschung, die Öffentlichkeitsarbeit sowie Umweltbeobachtungsprogramme – beispielswiese die Kontrolle invasiver Arten. Ebenso organisiert es trilaterale Wattenmeerkonferenzen, die alle drei bis fünf Jahre stattfinden.
Nach Einschätzung von Experten kann heute in Bezug auf das Wattenmeer aufgrund der verschiedenen nationalen Regelungen nicht von einem idealen Integrierten Küstenzonenmanagement gesprochen werden. Dieses gilt bislang noch als Zukunftsziel. Zwar gibt es mit dem Wattenmeersekretariat eine staatlich unterstützte Organisation, und die Anerkennung als Weltnaturerbe durch die UNESCO hat die Wahrnehmung des Wattenmeeres als länderübergreifende Einheit weiter befördert. Doch sind mit diesem Status in keiner Weise rechtlich bindende Vorgaben verknüpft. Allerdings hat der Weltnaturerbestatus internationale Strahlkraft und letztlich dazu geführt, dass auch Dänemark sein Wattgebiet, das zunächst nicht zum Weltnaturerbe zählte, 2010 schließlich zum Nationalpark erklärte, womit derselbe Schutzstatus wie in Deutschland erreicht wurde. 2014 wurde der dänische Teil des Wattenmeeres dann ebenfalls als Weltnaturerbe anerkannt.

Abb. 4.9 > Obwohl das Wattenmeer in seiner Gesamtheit Weltnaturerbe ist, sind die Zuständigkeiten für diesen Lebensraum auf mehrere Länder verteilt. Das Gebiet erstreckt sich über drei Nationen und wird in den Staaten durch verschiedene regionale Behörden verwaltet.