WOR 8 kompakt
WOR 8 Klimaretter Ozean? Wie das Meer (noch) mehr Kohlendioxid aufnehmen soll | 2024

WOR 8 kompakt

Klimaretter Ozean? Wie das Meer (noch) mehr Kohlendioxid aufnehmen soll

> Die Menschheit steckt in einem Dilemma: Jahrzehntelang haben wir die Gefahr des Klimawandels ignoriert. Umso dringender werden jetzt Lösungen benötigt. Meeresbasierte Verfahren zur Entnahme von Kohlendioxid aus der Atmosphäre könnten uns helfen, einen Teil unserer Restemissionen auszugleichen. Entsprechende Maßnahmen jedoch kontrolliert, fair und verantwortungsvoll umzusetzen, stellt eine Mammutaufgabe dar. Gebraucht werden klare internationale Regeln und Prinzipien, denn der Ozean lässt sich nur gemeinsam nutzen und schützen.

 

> Der Juli 2023 war der bislang heißeste Monat seit Beginn der Temperaturmessungen (Stand: Herbst 2023). Erstmals überschritt die globale Oberflächentemperatur die 17-Grad-Marke; die globale Meeresoberflächentemperatur außerhalb der Polarregionen stieg auf einen neuen Rekordwert von 20,96 Grad Celsius.

 

Der Sommer 2023 auf der Nordhalbkugel lieferte jene Schreckensbilder und -nachrichten, vor denen Klimaforschende schon seit Jahrzehnten warnen. Mit Tageshöchsttemperaturen von mehr als 50 Grad Celsius glichen Teile Chinas sowie der Süden der Vereinigten Staaten einem gigantischen Brutkasten, in dem Menschen und Tiere nur noch in gekühlter Umgebung überleben können. In Japan, China, Südkorea und im Nordwesten der USA regnete es derweil so stark, dass Bäche und Flüsse schwere Überschwemmungen verursachten und Menschen in den Tod rissen. Im Mittelmeerraum hingegen kämpften Feuerwehren und Freiwillige vielerorts bei lebensgefährlicher Sommerhitze gegen immer wieder aufflammende Waldbrände. Abertausende Anwohner und Urlauber ergriffen die Flucht.

S. 207 (beide): nach C3S/ECMWF, https://climate.copernicus.eu/july-2023-sees-multiple-global-temperature-records-broken, Datenaufbereitung rechte Grafik: Vincent Wawersik
S. 207 (beide): nach C3S/ECMWF, https://climate.copernicus.eu/july-2023-sees-multiple-global-temperature-records-broken, Datenaufbereitung rechte Grafik: Vincent Wawersik
Extremwetterereignisse am Fließband, die nicht nur vereinzelt auftreten, sondern parallel in vielen Regionen der nördlichen Hemisphäre: Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) sprach angesichts dieser eklatanten Häufung bereits Mitte Juli von einem Sommer der Extreme. Die allerdings noch viel bedeutsamere Aussage der Wetterexperten steckte jedoch in einem kurzen Nebensatz der WMO-Meldung. In diesem Nebensatz nämlich hieß es: Extremwetter im beobachteten Ausmaß werde in einer vom Klimawandel geprägten Welt der neue Normalzustand.
Der Klimawandel ist im Alltag eines jeden Menschen angekommen und längst bittere Realität. Mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung leidet inzwischen unmittelbar unter den Folgen der globalen Erwärmung, darunter vor allem Bevölkerungsgruppen mit wenig Geld, fehlenden technischen Möglichkeiten und fehlender politischer Unterstützung, um die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen. Zugleich versagen die ohnehin schon geschundenen Ökosysteme mehr und mehr ihren Dienst. Klima und Natur – so viel ist klar – machen keine Kompromisse. Für uns Menschen geht es im Kampf gegen den Klimawandel daher um unsere eigene Existenz. Die Veränderungen des Klimas entpuppen sich nämlich als lebensgefährliche Gefahrenmultiplikatoren. Und deren Zerstörungspotenzial, so viel muss jedem bewusst sein, steigt mit jedem weiteren Zehntelgrad Erwärmung.
> Die globale Kohlenstoffbilanz in Zahlen: In Pink werden die vom Menschen verursachten Kohlenstoffflüsse dargestellt. Sie sind der Grund, warum sich Kohlendioxid in der Atmosphäre anreichert und die Temperaturen auf der Erde steigen.
S. 208: nach IPCC, 2021, Climate Change 2021: The Physical Science Basis. doi:10.1017/9781009157896, Figure 5.12

Der einzige Ausweg: Eine treibhausgasneutrale Zukunft

Der einzige Ausweg aus dieser selbst verschuldeten Klimakrise ist ein Stopp aller menschengemachten Treibhausgasemissionen. Dazu zählt insbesondere der Ausstoß der klimawirksamen Gase Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O). Sie entweichen in die Atmosphäre, wann immer wir Menschen fossile Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle fördern und zur Energiegewinnung verbrennen; wenn wir intensiven Ackerbau und Viehhaltung betreiben, unseren Müll auf Müllkippen entsorgen, Wälder brandroden, Moore trockenlegen oder aber bei Industrieprozessen wie der Zementherstellung. Soll die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf bestenfalls 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit begrenzt werden, müssen die Kohlendioxidemissionen bis zum Jahr 2050 auf eine rechnerische Null reduziert werden. Gleichzeitig muss auch der Ausstoß aller restlichen Treibhausgase drastisch minimiert werden – möglichst ebenfalls auf eine rechnerische Null. In diesem Fall wäre das globale Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2050 erreicht.
Vorschläge, wie wir einen Großteil unserer Emissionen vermeiden können, gibt es zuhauf. Allerdings werden diese nicht konsequent und im erforderlichen Größenmaßstab umgesetzt. Gleichzeitig stimmen Fachleute mittlerweile darin überein, dass es der Menschheit selbst bei größter Anstrengung nicht gelingen wird, alle Treibhausgasemissionen rechtzeitig auf ökologische und sozialverträgliche Weise zu vermeiden. Bei einigen unserer Aktivitäten werden auch nach Ablauf des Jahres 2050 weiterhin beachtliche Restmengen von Kohlendioxid, Methan, Lachgas und anderen Treibhausgasen freigesetzt. Diese Restemissionen werden wir ausgleichen müssen. Das heißt, wir werden eine aus Klimaperspektive gleichwertige Menge Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen und diese für Jahrzehnte bis Jahrtausende sicher einlagern müssen. Experten gehen von Hunderten Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus, die bis zum Ende dieses Jahrhunderts der Atmosphäre gezielt entzogen werden müssen, wenn die globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius begrenzt werden soll. Eine Herausforderung, die so groß ist, dass sie sich kaum in Worte fassen lässt.
Wichtig dabei: Als Kohlendioxid-Entnahmeverfahren (Carbon Dioxide Removal, CDR) dürfen nur jene Verfahren bezeichnet werden, bei denen das entnommene Kohlendioxid aus der Atmosphäre stammt, seine anschließende Speicherung dauerhaft erfolgt und die Entnahme ein Resultat menschlichen Handels ist und zusätzlich zu den natürlichen Kohlendioxid-Entnahmeprozessen erfolgt ist.
> Eine aktive Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre wird benötigt, um kurzfristig die Netto-Emissionen des Menschen zu reduzieren, mittelfristig die Ziele der Kohlendioxid- und Treibhausgasneutralität zu erreichen sowie um langfristig die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre durch sogenannte negative Emissionen zu senken.
S. 209: nach IPCC, 2022, Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. doi:10.1017/9781009157926, Chapter 12, Chapter Box 8, Figure 1

Weltozean: Ein Meister der Kohlendioxidaufnahme

Das Klimasystem der Erde nutzt physikalische, chemische und biologische Prozesse, um Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen und an Land, im Meer oder im geologischen Untergrund einzulagern. Der Weltozean bedient sich dieser Prozesse in so umfassendem Maß, dass er im Laufe der Erdgeschichte schon große Veränderungen der atmosphärischen Kohlendioxidkonzentration abgefedert hat. Allerdings dauern solche Ausgleichsprozesse Jahrmillionen. Aufgrund seiner natürlichen Kohlendioxid-Aufnahmefähigkeit ist der Ozean ein Hauptakteur im globalen Kohlenstoffkreislauf. Er enthält etwa 40 000 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, wobei der größte Teil im Meerwasser gelöst ist. Damit stellt der Ozean den zweitgrößten Kohlenstoffspeicher unseres Planeten dar.
Ozean und Atmosphäre stehen in einem steten Kohlenstoffaustausch. In jedem Jahr wandern mehr als 150 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in Form des Treibhausgases Kohlendioxid zwischen Ozean und Atmosphäre hin und her. Weil die Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre aufgrund der menschengemachten Emissionen steigt, absorbiert auch der Ozean mehr CO2. So hat der Weltozean in den zurückliegenden Jahrzehnten etwa 25 Prozent der vom Menschen verursachten CO2-Emissionen aus der Atmosphäre aufgenommen und die Erderwärmung auf diese Weise maßgeblich gebremst. Gleichzeitig aber sind seine Wassermassen infolge der Kohlendioxidaufnahme großflächig versauert.
> Verfahren zur Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre könnten sowohl an Land als auch im Meer eingesetzt werden. Dieses Schaubild zeigt die verschiedenen Ansätze, sortiert nach Art der Entnahme und nach anschließendem Speichermedium.
S. 210: nach IPCC, 2022, Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. doi:10.1017/9781009157926, Chapter 12, Chapter Box 8, Figure 2

Das ungenutzte Potenzial der Böden und Landvegetation

Die natürliche Kohlendioxidaufnahme des Ozeans gezielt zu verstärken, wird erst seit knapp zehn Jahren intensiver diskutiert. Zuvor richteten sich alle Hoffnungen auf die Kohlendioxid-Aufnahmekapazität der Böden und Vegetation an Land. Beide stellen im Vergleich zum Ozean einen kleinen Kohlenstoffspeicher dar. Ihre Kohlenstoffflüsse spielen dennoch eine Schlüsselrolle in der aktuellen Klimakrise. Zum einen trägt die Menschheit seit je durch Landnutzungsänderungen zu einem Abbau der natürlichen Kohlenstofflagerstätten an Land bei. Das geschieht, wo immer Wälder (brand-)gerodet, Feuchtgebiete trockengelegt, natürliche Graslandschaften in Ackerland umgebrochen und Böden durch intensive Landwirtschaft ausgelaugt werden. Bei jeder dieser Tätigkeiten wird organische Substanz zersetzt oder verbrannt, sodass Treibhausgase entstehen und freigesetzt werden. Zum anderen stellen die Landvegetation und Böden der Welt noch immer eine sogenannte Kohlenstoffsenke dar. Das heißt, sie nehmen in der Summe noch immer mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf und speichern den enthaltenen Kohlenstoff, als sie durch gegenläufige Prozesse wieder freisetzen.
Auf Grundlage dieses Wissens wurden Lösungen entwickelt, mit denen ein weiterer Treibhausgasausstoß durch Landnutzungsänderungen weitgehend verhindert, die Kohlenstoffspeicher der Böden und Landvegetation vergrößert und mögliche Restemissionen des Menschen kompensiert werden können. Nicht alle diese Maßnahmen sind risikolos, und mancherorts ist der Wettbewerb um benötigte Landflächen und Wassermengen groß. Richtig umgesetzt aber ließen sich mit den bekannten Landnutzungsverfahren etwa 20 bis 30 Prozent jener Emissionseinsparungen und Kohlendioxid-Entnahmen erreichen, die bis zum Jahr 2050 benötigt werden, um die globale Erwärmung langfristig auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen. Bislang aber werden die entsprechenden Maßnahmen in einem viel zu kleinen Rahmen umgesetzt.
> Der natürliche Kohlenstoffkreislauf der Erde: Blau hinterlegt sind Kohlenstoffsenken oder -speicher, in denen Kohlenstoff oder eine seiner vielen Verbindungen eingelagert wird. Die Pfeile stellen Austauschprozesse dar, bei denen Kohlenstoff oder eine seiner vielen Verbindungen gebunden, verlagert, ausgetauscht oder freigesetzt wird.
S. 211: nach Rita Erven, CDRmare

Forschen unter enormem Zeit- und Erwartungsdruck

Angesichts der viel zu geringen Fortschritte bei der Emissionsvermeidung und Kohlendioxid-Entnahme an Land suchen Wissenschaft, Politik und Wirtschaft nun nach meeresbasierten Lösungen – und zwar unter stetig wachsendem Zeit- und Erwartungsdruck. Da viele an der Erforschung beteiligte Akteure kommerzielle Interessen verfolgen, wurden Verhaltensregeln für die wissenschaftliche Arbeit erstellt. Sie sollen Transparenz garantieren und Fehlentwicklungen verhindern. Neu ist zudem, dass große Forschungsprojekte zu marinen CDR-Verfahren von Anfang an interdisziplinär ausgerichtet sind.
Sie untersuchen sowohl zentrale naturwissenschaftliche Aspekte als auch relevante wirtschaftliche, rechtliche, soziale und politische Fragestellungen und Prozesse und wie sich diese gegenseitig beeinflussen. Eines steht nämlich heute schon fest: Soll der Ozean einen entscheidenden Anteil am Ausgleich der Restemissionen leisten, werden CDR-Maßnahmen im kleinen Maßstab nicht ausreichen. Stattdessen wird eine neue Kohlendioxid-Entnahme-Industrie entstehen müssen, die das Landschaftsbild in den betroffenen Meeres- und Küstenregionen entsprechend verändern wird. Zugleich werden wir Menschen massiv in die natürlichen Prozesse des Ozeans eingreifen müssen, über große Regionen hinweg und für einen langen Zeitraum.
> Eine nachhaltige Landnutzung sowie der fachgerechte Einsatz landbasierter Verfahren zur Kohlendioxid-Entnahme brächte Vorteile für Klima, Mensch und Natur. Diese Übersicht zeigt, in welchem Umfang Treibhausgasemissionen mithilfe 21 ausgewählter landbasierter Verfahren verhindert oder kompensiert werden könnten und wie groß der jeweilige Anteil wäre, der sich zu einem Preis von 100 US-Dollar pro Tonne Kohlendioxid-Äquivalente umsetzen ließe. Die runden Icons signalisieren, mit welchen Vorteilen und Risiken bei einem Einsatz des jeweiligen Verfahrens zu rechnen ist. Augenfällig ist, dass das Minderungspotenzial in Asien und dem sich entwickelnden Pazifikraum am größten ist.
S. 212: nach IPCC, 2022, Climate Change 2022: Mitigation of Climate Change. doi:10.1017/9781009157926, Figure 7.11

Drei Kategorien meeresbasierter CDR-Verfahren

Die Kohlendioxidaufnahme des Ozeans ließe sich durch verschiedene CDR-Verfahren verstärken. Biologische Verfahren nutzen die Fotosynthese, bei der Algen und Meeres- oder Küstenpflanzen das Kohlendioxid zerlegen, den enthaltenen Kohlenstoff in organische Verbindungen umwandeln und in Form von Biomasse speichern. Chemische Verfahren beeinflussen eine Gleichgewichtsreaktion, die beginnt, wenn sich Kohlendioxid im Meerwasser löst. In ihrem Zuge wird der enthaltene Kohlenstoff chemisch gebunden, sodass er bestenfalls für viele Jahrtausende im Ozean verweilen kann. Bei geochemischen Verfahren hingegen wird verflüssigtes oder aber in Wasser gelöstes Kohlendioxid in Gesteinsformationen tief unter dem Meeresboden verpresst. Als Entnahmeverfahren gilt diese Form der Kohlendioxidspeicherung allerdings nur, wenn das eingelagerte CO2 der Atmosphäre entzogen wurde. Das ist bislang kaum der Fall. In aktuellen CO2-Speicherprojekten unter dem Meer wird Kohlendioxid eingelagert, welches nahezu ausschließlich aus fossilen Quellen stammt. Es wurde entweder bei der Erdgasförderung abgeschieden oder aber bei Industrie- und Verbrennungsprozessen wie der Zementherstellung, der Stahlproduktion oder bei der Müllverbrennung. Durch eine Speicherung dieses Kohlendioxids wird also nur seine Freisetzung verhindert. Ein Ausgleich von Restemissionen ist nicht möglich.

Küstenökosysteme: Marine Kohlenstoffsenken mit unverzichtbaren Zusatzleistungen

Die Salzmarschen, Seegraswiesen, Mangroven- und Tangwälder unserer Welt tragen maßgeblich zur Kohlendioxidaufnahme und -speicherung des Ozeans bei. Viele der Küstenökosysteme speichern deutlich mehr Kohlenstoff im Untergrund als Wälder an Land. Sicher wegschließen können die Meereswälder und -wiesen den Kohlenstoff allerdings nur, solange sie gedeihen. Wo wir Menschen Küstenökosysteme schützen, verhindern wir demzufolge den Zerfall ihrer Kohlenstofflager und damit die Freisetzung großer Mengen Treibhausgase. Gleichzeitig besteht die Hoffnung, durch das Anpflanzen neuer Meereswiesen und -wälder oder durch das Wiederherstellen geschädigter Naturräume die natürliche CO2-Aufnahme so zu verstärken, dass sich Restemissionen ausgleichen lassen.
Wie groß das CO2-Entnahmepotenzial der Küstenökosysteme ist, wird kontrovers diskutiert. Ungeklärt ist zum Beispiel, wie viel Kohlenstoff einzelne Meereswiesen und -wälder speichern. Vieles deutet darauf hin, dass die Kohlenstoffeinlagerung von lokalen Umweltfaktoren abhängt und sich von Ort zu Ort stark unterscheidet. Neuanpflanzungen, die darauf abzielen, der Atmosphäre zusätzliches Kohlendioxid zu entziehen, machen daher nur dort Sinn, wo optimale Wachstums- und Einlagerungsbedingungen gegeben sind.
Trotzdem muss auch anderenorts und aus anderen Gründen in den Schutz und die Wiederherstellung zerstörter Küstenökosysteme investiert werden. Viele ihrer Zusatzleistungen sind für uns Menschen überlebenswichtig. Salzmarschen, Seegraswiesen, Mangroven und Tangwälder produzieren Sauerstoff, reinigen das Wasser, bieten Lebensraum und Nahrung für Tiere und Pflanzen, schützen die Küsten vor Erosion und versorgen Abermillionen Menschen mit Essen, Holz und Verdienstmöglichkeiten unterschiedlicher Art. Wo Küstenökosysteme wiederhergestellt oder aber erweitert werden, könnte die Gesellschaft somit doppelt profitieren – von der zusätzlichen Kohlendioxid-Entnahme und den wieder verfügbaren Ökosystemleistungen. Ob geplante Restaurations- und Erweiterungsprojekte allerdings von Erfolg gekrönt sein werden, hängt auch davon ab, wie die lokale Bevölkerung in alle Entscheidungsprozesse eingebunden wird. Ohne ihre Unterstützung sind jegliche Vorhaben zum Scheitern verurteilt.
> Wie viel Kohlenstoff Küstenökosysteme langfristig im Untergrund einlagern, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen der Materialeintrag von Land oder aus anderen Meeresregionen sowie die Menge an Biomasse, die von Tieren gefressen oder von Mikroorganismen zersetzt wird.
S. 214: nach NOAA Climate.gov, graphic adapted from original by Sarah Battle, NOAA Pacific Marine Environmental Laboratory

Künstlicher Auftrieb: Nur bedingt nützlich

Als „künstlicher Auftrieb“ werden Verfahren bezeichnet, die darauf abzielen, nährstoffreiches Tiefenwasser an die Meeresoberfläche zu transportieren, um dort das Wachstum mikroskopisch kleiner Algen und somit die biologische Kohlenstoffpumpe des Ozeans zu verstärken. Dieses Konzept geht jedoch nur dann auf, wenn durch die zusätzliche Biomasseproduktion mehr Kohlendioxid gebunden und in die Tiefe verlagert wird, als durch das Emporpumpen des zumeist kohlendioxidreichen Tiefenwassers an die Meeresoberfläche in die Atmosphäre entweicht. Eine Anforderung, die vermutlich nur unter ganz bestimmten Bedingungen erfüllt werden kann. Das CO2-Entnahmepotenzial dieser Verfahren ist daher eher als gering einzuschätzen.
Hinzu kommt, dass weiterhin ungeklärt ist, mithilfe welcher technischer Mittel künstlicher Auftrieb in einem klimarelevanten Maßstab erzeugt werden kann, welche Risiken die Verfahren für die Meeresumwelt mit sich bringen sowie welche regulatorischen Rahmenbedingungen für einen großflächigen Einsatz in Zukunft benötigt werden würden. Der Betrieb Tausender Pumpen würde andere Formen der Meeresnutzung vermutlich stark einschränken.
Sinnvoll und wirtschaftlich lohnenswert erscheint ein Einsatz von künstlichem Auftrieb bislang nur als Hilfsmittel in der Großalgenzucht. Die geernteten Algen werden aktuell jedoch vor allem als Nahrungs- oder Futtermittel sowie als Zusatzstoff bei der Herstellung verschiedener Produkte verwendet. Verfahren zur gezielten Kohlendioxid-Entnahme durch eine verstärkte Großalgenzucht befinden sich derzeit noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase.
> Künstlicher Auftrieb lässt sich durch unterschiedliche Verfahren erzeugen. Eine Idee ist, schlauchähnliche Wellenpumpen im Meer auszusetzen. Sie besitzen am oberen Ende einen Schwimmkörper, der im Rhythmus der Wellen auf- und absteigt. Seine Bewegung wird auf einen Wasserheber im Aufstiegsschlauch übertragen, der das Tiefenwasser dann an die Meeresoberfläche hievt.
S. 215: nach Rita Erven, CDRmare

Alkalinitätserhöhung: Theoretisch verstanden, im Feld kaum getestet

Lösungsprodukte aus der natürlichen Verwitterung von Gestein erhöhen das Säurebindungsvermögen (Alkalinität) des Ozeans. Sie versetzen ihn auf diese Weise in die Lage, im Wasser gelöstes Kohlendioxid chemisch zu binden und anschließend neues CO2 aus der Atmosphäre aufzunehmen. Dieser natürliche Prozess der Klimaregulation wiederum könnte gezielt beschleunigt werden, indem man große Mengen an Kalk- und Silikatgestein abbauen und in Form von Gesteinsmehl oder aber alkalischen Lösungen in das Meer eintragen würde. Entsprechende Verfahren zur Alkalinitätserhöhung brächten zudem den Vorteil mit sich, dass die Versauerung der behandelten Wassermassen zurückgehen und sich die Lebensbedingungen für viele Meereslebewesen verbessern würden.
Die chemischen Prozesse einer gezielten Alkalinitätserhöhung sind mittlerweile gut verstanden. Ihre technische Machbarkeit kann jedoch nur schwer eingeschätzt werden, weil das meiste Wissen aus Computersimulationen und kleinen Laborexperimenten stammt. Großflächige Feldexperimente fehlen. Wissenschaftler testen derzeit im Labor verschiedene natürlich vorkommende und künstlich hergestellte Minerale auf ihre Eignung und Verwitterungseigenschaften. Parallel dazu laufen Untersuchungen zu möglichen Umweltfolgen und -risiken, über die man bisher ebenfalls nur wenig weiß. Fachleute arbeiten außerdem an elektrochemischen Verfahren zur Alkalinitätserhöhung. Diese erfordern zwar einen hohes Maß an Energie, die natürlich aus erneuerbaren Energiequellen stammen sollte, kämen im Gegenzug jedoch ohne Gesteinsmaterial aus.
Würden bislang bekannte chemische Verfahren zur Alkalinitätserhöhung weltweit eingesetzt, könnten der Atmosphäre pro Jahr schätzungsweise 100 Millionen bis mehr als eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid zusätzlich entnommen werden. Demgegenüber stehen allerdings neue Treibhausgasemissionen, die im Zuge des Abbaus, Transportes und der Verarbeitung der Gesteine entstehen würden.
> Der Alkalinitätsgrad des Meerwassers wird durch zwei grundlegende Prozesse bestimmt: zum einen durch den Eintrag von im Wasser gelösten, säurebindenden Lösungsprodukten der Gesteinsverwitterung; zum anderen durch die natürliche Aufnahme und Weiterverarbeitung dieser Lösungsprodukte durch Meeresbewohner wie kalkbildende Organismen (Karbonate) oder aber Kieselalgen (Silikate). Bei der Kalkbildung (CaCO3) wird ein Teil des vorher gebundenen Kohlendioxids (CO2) wieder freigesetzt.
S. 216: nach Rita Erven, CDRmare

Kohlendioxidspeicherung unter dem Meer: Ein umstrittenes Verfahren im Aufwind

Technologien zur Kohlendioxidabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) sind unerlässlich, wenn das Ziel der globalen Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 erreicht werden soll. Zum einen verhindern sie die Freisetzung von Kohlendioxid aus fossilen Quellen. Zum anderen können CO2-Entnahmemethoden wie die viel diskutierte Energie- und Wärmegewinnung in Biomasse-Heizkraftwerken (Bioenergy with Carbon Capture and Storage, BECCS) nur dann zu einem Ausgleich von Restemissionen beitragen, wenn das bei der Verbrennung entstehende Kohlendioxid abgeschieden wird. Anschließend muss es dann zu langlebigen Produkten wie etwa Kohlefasern weiterverarbeitet oder aber sicher eingelagert werden.
Die Zahl der weltweit in Betrieb befindlichen Abscheidungsanlagen steigt, wobei die meisten Kohlendioxid aus fossilen Quellen auffangen. Fraglich ist allerdings, wo das entnommene CO2 langfristig gespeichert werden soll. Fachleute gehen davon aus, dass der größte Teil des Gases unterirdisch eingelagert werden muss. Technisch umsetzbar ist dies nur in Gesteinsschichten, die von einer undurchlässigen Deckschicht verschlossen sind. Diese soll verhindern, dass das Kohlendioxid aus der Tiefe aufsteigen kann.
An Land stoßen geologische Kohlendioxid-Speicherprojekte vielerorts auf Widerstand. Fachleute suchen deshalb nach geeigneten Speichergesteinen im tiefen Meeresuntergrund. Infrage kommen sowohl Sandstein-formationen als auch die poröse obere Basaltschicht der Ozeankruste. Technologien für eine CO2-Speicherung in Sandsteinformationen werden seit dem Jahr 1996 erfolgreich eingesetzt. In die obere Ozeankruste wird Kohlendioxid bisher nur in Island injiziert, weil das Basaltgestein dort bis über die Meeresoberfläche hinausragt und leicht zu erreichen ist. Über das Speicherpotenzial von Basaltgesteinen im tiefen Meeresuntergrund hingegen ist noch nicht sehr viel bekannt. Es wird aktuell in verschiedenen Forschungsprojekten untersucht.
Ein wichtiger Unterschied ist jedoch bereits erkennbar: In Sandstein verpresstes Kohlendioxid verweilt unter Umständen viele Tausend Jahre lang im Porenwasser des Gesteins, bevor es mineralisiert und damit in fester Form sicher gebunden wird. Im reaktionsfreudigen Basaltgestein hingegen laufen die Mineralisierungsprozesse deutlich schneller ab.
Dennoch ist auch eine Kohlendioxidspeicherung tief unter dem Meer nicht risikolos. Lagerstätten müssen gründlich erkundet, wohlüberlegt ausgewählt und am Ende über lange Zeit hinweg überwacht werden, mit möglichst umweltschonenden Technologien (Stichwort: Lärmbelästigung). Zudem kann die Kohlendioxid-Verpressung in einem bestimmten Gebiet andere Formen der Meeresnutzung in der betroffenen Region einschränken. Entsprechende Speicherprojekte müssen daher sektorenübergreifend abgestimmt werden.
> Für zwei der vielversprechenden Verfahren zur Alkalinitätserhöhung des Ozeans müssten Kalk- oder Silikatgestein an Land abgebaut und zu Gesteinspulver zermahlen werden. Die dabei entstehenden Kohlendioxid-emissionen müssten abgeschieden und gespeichert werden, anderenfalls wären die Methoden kaum klimawirksam.
S. 217: nach Rita Erven, CDRmare

Leitprinzipien für eine Regulierung und Steuerung möglicher CDR

Die immer drastischeren Auswirkungen des Klimawandels verpflichten uns, alles Menschenmögliche zu tun, um die globale Erwärmung auf ein Minimum zu begrenzen. Oberste Priorität hat dabei die Emissionsvermeidung. Langfristig wird vermutlich aber auch der Einsatz vielversprechender meeresbasierter CDR-Verfahren dazugehören. Sie allein bieten jedoch keinen Ausweg aus der Klimakrise, sondern können nur Teil eines übergreifenden Plans zum Umgang mit Restemissionen sein.
Sollten meeresbasierte CDR-Verfahren angewendet werden, beträfe der Einsatz einen Ozean, der bereits auf vielfache Weise vom Menschen genutzt und ausgebeutet wird. Um das Meer zu schützen und eine gerechte Lastenverteilung zu garantieren, braucht es deshalb gut durchdachte nationale und internationale CDR-Strategien mit klaren Zielstellungen und Regeln für alle Akteure. Fachleute haben erste Leitprinzipien für eine Steuerung und Regulierung land- und meeresbasierter CDR-Verfahren entwickelt. Ihnen zufolge muss zusätzlich zum Vorrang der Emissionsvermeidung bereits vor einem Einsatz sichergestellt werden, dass erstens die Kohlendioxid-Entnahme dauerhaft erfolgen wird und die Maßnahmen nicht mehr neue Treibhausgasemissionen verursachen, als Kohlendioxid der Atmosphäre entnommen werden kann. Zweitens müssen die Verfahren im Vorfeld umfassend aus Klima-, Umwelt- und sozialer Perspektive bewertet und mögliche Zielkonflikte vermieden oder aber auf umwelt- und sozialverträgliche Weise gelöst werden.
> Vier Mechanismen tragen dazu bei, dass Kohlendioxid in tief liegenden Gesteinsformationen gespeichert werden kann. Wirklich sicher ist das Gas allerdings erst dann eingelagert, wenn es sich im Porenwasser gelöst hat und anschließend mineralisiert ist.
S. 218: nach Global CCS Institute
Abhängig von der jeweiligen CDR-Methode würde zudem eine Vielzahl technischer Anlagen und Infrastrukturen gebraucht – etwa CO2-Leitungen, -Transportschiffe und -Speicher für eine Verpressung im tiefen Meeresuntergrund, Reaktoren für die beschleunigte Verwitterung von Gestein oder aber Abscheideanlagen für eine direkte Entnahme von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft. Der Bau solcher Infrastrukturen kann viele Jahre in Anspruch nehmen. Er müsste jedoch innerhalb kurzer Zeit realisiert werden, wenn durch CDR-Verfahren der Atmosphäre bis zum Jahr 2050 Kohlendioxid in so großen Mengen entnommen werden soll, wie es Klimaszenarien vorsehen, in denen unsere Klimaziele erreicht werden.
Weil im Weltozean alle Meeresregionen durch Strömungen miteinander verbunden sind, bräuchte es einen international einheitlichen Regulierungsrahmen für meeresbasierte CDR-Einsätze. Experten zufolge deutet momentan wenig darauf hin, dass sich die Staatengemeinschaft auf ein gemeinsames übergreifendes Regelwerk für alle CDR-Verfahren einigen wird. Dafür unterscheiden sich die vielen land- und meeresbasierten Verfahren zu stark voneinander. Aussichtsreicher sind Vorschläge, marine CDR-Methoden separat zu regulieren. Wie das gelingen könnte, zeigt sich am Beispiel des Londoner Protokolls. Dessen Regelwerk ist in den zurückliegenden Jahren um „marines Geoengineering“ erweitert worden. Zudem wurden bereits Vorgaben zur Ozeandüngung und zur Kohlendioxidspeicherung im tiefen Meeresuntergrund in das Protokoll aufgenommen. Auf dieselbe Weise ließen sich Vorschriften für weitere CDR-Verfahren integrieren, bei denen ebenfalls Stoffe oder Technik in das Meer eingebracht werden müssten. Dringend benötigt werden auch einheitliche Verfahren, mit denen die tatsächlichen Kohlendioxidflüsse in Entnahmeprojekten an Land und im Meer gemessen, dokumentiert und verifiziert werden können. Ein solches Monitoring könnte Rechtsunsicherheiten reduzieren, Missbrauch verhindern und böte die Chance, Zertifikate auf dauerhaft entnommene CO2-Mengen auszugeben. Wirtschaftliche Vorteile, die mit diesen Zertifikaten verbunden wären, könnten Unternehmen und andere Akteure motivieren, in meeresbasierte CDR-Projekte zu investieren.
Gleichzeitig braucht unsere Gesellschaft allerdings auch eine breite öffentliche Debatte über den möglichen Einsatz mariner CDR-Verfahren. Diese findet bislang nur in der Wissenschaft, in einigen Teilen der Wirtschaft sowie in wenigen politischen Gremien statt. Ein starkes Engagement der Öffentlichkeit ist jedoch aus vielerlei Gründen Grundvoraussetzung für erfolgreichen Klimaschutz. Das gilt im Falle meeresbasierter CDR-Vorhaben insbesondere für die Küstenbevölkerung, vor deren Haustür die Verfahren zum Einsatz kämen oder aber in deren Nachbarschaft ein Teil der benötigten technischen Anlagen errichtet werden würde.
Fest steht heute schon: Risiko- und folgenlos werden solche Einsätze nicht sein. Daher gilt es, bei jeder Entscheidung sorgsam abzuwägen und die Bedürfnisse von Menschen, Klima und Natur gemeinsam zu berücksichtigen – eine enorm schwierige Aufgabe. Die Zeit der leichten Antworten aber ist aufgrund unseres Nichtstuns in Sachen Klimaschutz längst vorbei. Textende