Hoffnung für den Ozean
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WOR 4 Der nachhaltige Umgang mit unseren Meeren – von der Idee zur Strategie | 2015

Fahrplan für eine nachhaltige Zukunft?

Fahrplan für eine nachhaltige Zukunft? © Nick Cobbing

Fahrplan für eine nachhaltige Zukunft?

> Eine umfassende nachhaltige Nutzung unserer natürlichen Ressourcen ist eine der großen Herausforderungen für die Zukunft. Daher bereiten die Vereinten Nationen derzeit eine Agenda mit 17 nachhaltigen Einwicklungszielen vor, die die Marschroute bis zum Jahr 2030 vorgeben soll. Eines dieser Ziele ist die schonende Nutzung der Meere. Ob man sich diesem Ideal annähern kann, wird aber vom Engagement einzelner Staaten abhängen.

Soziale Gerechtigkeit als großes Ziel

Weltweit unterscheiden sich die Lebensbedingungen der Menschen noch immer erheblich. Viele Menschen leben in bitterer Armut, leiden Hunger und haben keine Chance auf Bildung oder sozialen Aufstieg. Angesichts der immensen gesell­schaft­lichen Probleme, die es vielerorts gibt, verabschiedeten die Vereinten Nationen im September 2000 die sogenannte Millenniumserklärung, aus der 8 wichtige Entwick­lungs­ziele (Millennium Development Goals, MDGs) abgeleitet wurden. Diese sollten dazu beitragen, vor allem die sozialen Bedingungen in den Entwick­lungs­ländern bis zum Jahr 2015 deutlich zu verbessern. Einige dieser Ziele wurden erreicht, viele nur zum Teil. Nach Maßgabe von MDG 4 sollte beispielsweise die Kindersterblichkeit bis 2015 im Vergleich zum Jahr 1990 um zwei Drittel sinken. Damals starben pro Jahr 12,7 Millionen Kinder unter 5 Jahren. Dass diese Zahl heute trotz wachsender Weltbevölkerung auf immerhin rund 6 Mil­lionen reduziert werden konnte, werten die Vereinten Nationen als Etappensieg auf dem Weg zu einer weiteren Verringerung der Kindersterblichkeit.
4.1 > Mäßigen Erfolg gibt es bei der Verringerung der Zahl von Menschen, die weltweit in Slums leben müssen. Zwar fiel der Anteil von 46,2 Prozent im Jahr 1990 auf 32,7 Prozent im Jahr 2012. Aufgrund des Bevölker­ungs­wachs­tums nahm aber die absolute Zahl der Slumbewohner im selben Zeitraum von 650 auf 863 Millionen zu.
Abb. 4.1: Mäßigen Erfolg gibt es bei der Verringerung der Zahl von Menschen, die weltweit in Slums leben müssen. Zwar fiel der Anteil von 46,2 Prozent im Jahr 1990 auf 32,7 Prozent im Jahr 2012. Aufgrund des Bevölker­ungs­wachs­tums nahm aber die absolute Zahl der Slumbewohner im selben Zeitraum von 650 auf 863 Millionen zu © UN
Trotz solcher Hoffnungsschimmer gab es in den vergangenen Jahren immer wieder Kritik an den MDGs. Be-mängelt wurde mit Blick auf das klassische Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, dass bei den MDGs ein einseitiger Schwerpunkt auf die sozialen Belange gelegt wurde. Ökologische Aspekte wurden nur in MDG 7 berück­sichtigt. Das Thema Meer wurde erst gar nicht erwähnt. Auch hätten die MDGs, so die Kritiker, kaum Governance-Aspekte betrachtet und sich vor allem auf Entwicklungsländer bezogen.

Umfassende Nachhaltigkeitsagenda für die ganze Welt?

Auf einem MDG-Gipfeltreffen im Jahr 2010 wurde deshalb beschlossen, eine neue Agenda für die Zeit von 2015 bis 2030 festzulegen. Die künftigen Ziele sollten für Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer gleichermaßen gelten und alle Säulen der Nachhaltigkeit berücksichtigen. Ein wesentlicher Gedanke war dabei auch, dass sich die Lebensbedingungen nicht verbessern lassen, wenn Umweltaspekte vernach­lässigt und somit die Lebensgrundlagen der Menschheit weiter zerstört werden. In die neue Agenda für die Zeit nach 2015 sollten deshalb auch die Forderungen des Rio+20-Gipfels einfließen, eines internationalen Nach­haltig­keits­gipfels, der 2012 genau ­ 20 Jahre nach der großen Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung an gleicher Stelle stattfand. In dessen Abschluss­erklärung wurden einer­seits soziale Aspekte wie die Bekämpfung der Armut berücksichtigt. Andererseits wurde aber ein nachhaltiges Wirtschaften sowie die Bekämpfung von Umwelt­pro­blemen wie Bodenerosion, Wüstenbildung und Klimawandel gefordert. Um die neue Nach­haltig­keits­agenda für die Zeit nach 2015 auszuarbeiten, wurde 2012 unter dem Dach der UN eine Arbeitsgruppe, die Open Working Group (OWG), ins Leben gerufen, die eine Vielzahl von Akteuren in die Beratungen einbeziehen sollte.
4.2 > Bis zum Jahr 2015 wurden mehrere MDGs erreicht. Dazu zählt das Ziel, die Zahl der Menschen zu halbieren, die mit weniger als 1,25 US-Dollar täglich auskommen müssen. Doch vor allem in Afrika südlich der Sahara ist noch immer fast die Hälfte der Menschen sehr arm. Dieser Wert ist seit 1990 kaum gesunken. In China hingegen ist es sogar gelungen, die Zahl der Armen um vier Fünftel zu reduzieren.
Abb. 4.2: Bis zum Jahr 2015 wurden mehrere MDGs erreicht. Dazu zählt das Ziel, die Zahl der Menschen zu halbieren, die mit weniger als 1,25 US-Dollar täglich auskommen müssen. Doch vor allem in Afrika südlich der Sahara ist noch immer fast die Hälfte der Menschen sehr arm. Dieser Wert ist seit 1990 kaum gesunken. In China hingegen ist es sogar gelungen, die Zahl der Armen um vier Fünftel zu reduzieren. © UN

Abb. 4.3: In der Diskussion um die Nachhaltigkeitsziele wurden auch die Probleme der Malediven und anderer kleinerer pazifischer Inselstaaten erörtert, die besonders durch den Meeres­spiegel­anstieg bedroht sind. © KARI/ESA 4.3 > In der Diskussion um die Nachhaltigkeitsziele wurden auch die Probleme der Malediven und anderer kleinerer pazifischer Inselstaaten erörtert, die besonders durch den Meeres­spiegel­anstieg bedroht sind.

Offen für viele Wünsche

Anders als bei vielen anderen Planungsprozessen unter dem Dach der Vereinten Nationen sollte die Open Working Group, wie der Name schon andeutet, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich sein. Interessierte Gruppen, Firmen oder Einzelpersonen konnten über ein Internetportal Positionspapiere und fundierte Vorschläge für die Definition neuer Ziele einreichen. Zudem wurden Wissenschaftler und andere Experten gebeten, ihre Erfahrungen zu verschiedenen Aspekten einer nachhaltigen Zukunft in den Prozess einzubringen. Für gewöhnlich dürfen alle Staaten einen Vertreter in die diversen Ausschüsse und Gremien der Vereinten Nationen entsenden. Soll jeder Vertreter zu Wort kommen, reduziert sich wegen der hohen Zahl von fast 200 Staaten die Zeit für einzelne Stellungnahmen auf ein Minimum. Um konstruktiv, effizient und näher am Thema arbeiten zu können, wurde daher beschlossen, in der OWG jeweils 3 Länder durch einen einzigen Sprecher vertreten zu lassen – beispielsweise das Ländertrio Deutsch­land, Frankreich, Schweiz. Die Sprecher der Ländertrios – in der Regel Diplomaten oder Referatsleiter aus den Außen- oder auch Umweltministerien der Mitgliedstaaten – lösten sich dabei untereinander turnusmäßig ab. Die Sitzungszeiten in der Open Working Group wurden dadurch deutlich abgekürzt, denn das Ziel war es, in kurzer Zeit einen umfassenden Vorschlag für die neue Nachhaltigkeitsagenda vorlegen zu können. Um eine Expertise von Forschern und anderen Gruppen der Zivilgesellschaft einzuholen, lud die OWG Experten auch direkt nach New York ein, wo sie in Kurz­re­feraten und Statements zu den verschiedenen Aspekten der Nach­haltig­keit Stellung nehmen konnten. Ziel war es, unabhängige Wissenschaftler zu hören, die einen Überblick zum Stand der Forschung in ihrer jeweiligen Fachdisziplin geben konnten. Externe Experten aus der Zivilgesellschaft direkt einzubeziehen ist in der Arbeit der Verein­ten Nationen eher ungewöhnlich. Normalerweise treten vor den UN-Gremien lediglich von den Ländern nominierte Vertreter auf, die ihrerseits von Fachreferenten oder externen Experten beraten werden.
Der Prozess der Anhörungen dauerte 8 Monate. Es kamen auch Experten und Ländervertreter zum Thema Meer zu Wort. Im Frühjahr 2014 veröffentlichte die OWG schließlich ihren Abschlussbericht. Er enthielt einen Vorschlag mit 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs, Sustainable Development Goals) mit 169 Unterpunkten beziehungsweise Teilzielen (Targets), die bis zum Jahr 2030 erreicht werden sollen. Damit ist die SDG-Liste deutlich aus­dif­feren­zierter als die alte MDG-Agenda mit ihren 8 Millenniums-Entwicklungszielen und 21 Teilzielen. In einem ersten Schritt stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen diesem Vorschlag der Open Working Group im Herbst 2014 zu. In den fol­gen­den Monaten wurde in einem Ausschuss der Ver­ein­ten Nationen weiter darüber verhandelt, wie die SDGs im Detail ausgestaltet und finanziert werden sollen.

Zusatzinfo Die SDGs

Ritterschlag von höchster Stelle

Im Juli 2015 wurde die SDG-Liste der Dritten UN-Konferenz zur Finanzierung der Entwicklungshilfe (Third International Conference on Financing for Development, FfD) in Addis Abeba, Hauptstadt von Äthiopien, vorgelegt. Dort berieten Regierungschefs, hohe Regierungsbeamte sowie Außenminister, Finanzminister und Minister für wirt­schaft­liche Zusammenarbeit darüber, welche finanziellen Mittel die Staaten­gemein­schaft Entwicklungsländern für deren Entwicklungsmaßnahmen zur Verfügung stellen sollte. Im Vorfeld der Konferenz hatte es diesbezüglich noch eine Zusicherung der ent­wick­vvelten Länder gegeben, Maßnahmen zu nachhaltigem Wirtschaften und Maßnahmen gegen die Bedrohungen durch den Klimawandel vom Jahr 2020 an mit 100 Milliarden US-Dollar jährlich zu unterstützen. Vor Ort aber wollte keines der Länder eine definitive Zusage über Zahlungen machen. So bleibt zunächst unklar, woher das Geld künftig kommen soll. Immerhin einigten sich die Delegierten darauf, dass Projekte zur Bekäm­pfung der Armut oder des Hungers nicht getrennt von Klima­schutz­bemühungen betrachtet werden dürften. Künftige Entwicklungsinitiativen müssten beide Ziele zugleich verfolgen.
Ein Ergebnis der Konferenz ist auch, dass Deutschland, Großbritannien, die Nieder­lande und die USA eine Initiative auf den Weg bringen, mit der Ent­wick­lungs­länder dahingehend unterstützt werden sollen, ihr Steuersys­tem so zu reformieren, dass Gelder für die Finanzierung der SDGs frei werden. Kritiker merken an, dass der Kampf für mehr Nachhaltigkeit damit aber auf die national­staat­liche Ebene reduziert werde, statt die Heraus­forderungen durch internationales Enga­gement anzugehen. Im September 2015 stimmte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, das höchste Gremium der UN, dem SDG-Entwurf zu. Damit ist erstmals ein Handlungsrahmen für eine umfassende nachhaltige Entwicklung der Welt geschaffen worden. Positiv hervorzuheben ist auch, dass mit Verabschiedung der SDGs knapp 2000 Initiativen weltweit ihre Arbeit aufgenommen haben, die auf regionaler Ebene verschiedene Projekte im Sinne der SDGs durchführen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Aufbruchstimmung auch in Zukunft anhält. Denn auch nach der General­voll­ver­sammlung bleibt offen, wie die SDGs bis 2030 finanziert werden sollen.

Kritik am SDG-Katalog

Bereits im Frühjahr 2015 veröffentlichte der Internatio­nale Wissenschaftsrat (Inter­nat­ional Council for Science, ICSU) eine Stellungnahme zum SDG-Katalog der Open Working Group. Darin bewertete er die 169 Teilziele der SDGs aus der Sicht der Wissenschaft und auch danach, wie ausgereift sie erscheinen. Er kam zu dem Schluss, dass nur ­29 Prozent der SDGs ausgereift sind. Für 54 Prozent der Teilziele wünschte sich der ICSU, dass die Ziele spezifischer ausformuliert würden. Für 17 Prozent der Teil­ziele empfahl der Rat eine ausführliche Überarbeitung. Be­mängelt wurde unter anderem, dass die ausformulierten SDGs nicht den hohen Ansprüchen genügten, die die OWG anfangs selbst an ihre Ziele gestellt habe. Demnach sollten alle Ziele die sogenannten SMART-Kriterien erfüllen. Das Akronym SMART stammt aus der Betriebswirtschaftslehre und dem Projektmanagement. Es besagt, dass sich Ziele nur dann erreichen lassen, wenn sie die folgenden 5 Kriterien erfüllen: Sie müssen spezifisch, messbar, akzeptiert, realistisch und terminiert sein. Dementsprechend wurde kritisiert:
  • dass manche Ziele nicht ausreichend spezifiziert worden seien (So fordere Teilziel 14.7, die Meeresressourcen kleiner Inselentwicklungsstaaten nach­haltig zu nutzen. Doch werde die Art der Nutzung der Ressourcen nicht ausreichend differenziert. In diesem Fall müsse konkret eingefordert werden, dass der Meeresbergbau oder auch die Energieerzeugung nachhaltig gestaltet werden sollten);
  • dass bei manchen Zielen messbare Zielwerte fehlten (Das könne dazu führen, dass einzelne Staaten die Ziele nicht mit dem nötigen Engagement verfolgten. Teilziel 14.1 etwa fordere lediglich, alle Arten der Meeres­ver­schmutz­ung deutlich zu senken. Damit werde aber eher ein Ideal als ein klares Ziel formuliert. Sinnvoller sei es, konkrete Werte anzugeben. So sei etwa eine Reduzierung der Meeresverschmutzung um 30 Prozent ein klares und erreichbares Ziel);
  • dass es zu große Unterschiede in der Dringlichkeit verschiedener Ziele gebe (Entwicklungsländer, die derzeit große Anstrengungen unternehmen müssten, um die Unterernährung ihrer Bevölkerung zu bekämpfen [SDG 2], würden zum Beispiel weniger Energie in die Entwicklung eines sanften Tourismus [Teilziel von SDG 8] stecken können als eine Industrienation. Insofern wäre von vornherein eine Priorisierung bestimmter Ziele sinnvoll gewesen);
  • dass die Zahl von 17 Zielen und 169 Teilzielen unrealistisch hoch sei (Schon jetzt sei absehbar, dass sich mit den verfügbaren Geldern nur ein Teil der Ziele er­reichen lasse. Die Zahl der MDGs sei kleiner gewesen, und zudem habe es klare Prioritäten gegeben, wodurch Erfolge überhaupt erst möglich geworden seien);
  • dass nicht bei allen Zielen Termine gesetzt worden seien (Das sei etwa bei Teilziel 14.3 der Fall, nach dem die Ozeanversauerung lediglich genauer untersucht und grundsätzlich eingedämmt werden soll);
  • dass nicht ausreichend berücksichtigt werde, dass es zwischen einzelnen Zielen Widersprüche gebe (So fordert SDG 2, den Hunger in der Welt zu bekämpfen. Gemäß Teilziel 2.3 müsste sich dafür die landwirtschaftliche Produktivität bis zum Jahr 2030 verdoppeln. Da dafür auch große Mengen von Kunstdünger eingesetzt werden würden, sei zu befürchten, dass die Überdüngung von Flüssen und Küstengewässern weiter zunehmen könnte, was aber wiederum Teilziel 14.1 widerspreche. Dieses fordert unter anderem, die Nährstofffracht in die Küstengewässer zu verringern).
Dass es so viele Kritikpunkte gibt und dass die SMART-Kriterien nicht immer erfüllt wurden, erklären Fachleute damit, dass die Verhandlungen bei den Vereinten Nati­onen in erster Linie ein politischer Prozess seien. Dabei gehe es darum, eine For­mu­lierung zu finden, die von allen Ländern akzeptiert werden könne. Trotz Vorgaben wie den SMART-Kriterien ergäben sich dabei oft schwammige For­mu­lie­rungen. Tatsächlich ist ein solcher Konsens essen­ziell für die Arbeit der Vereinten Nationen, denn Resolutionen wie die SDG-Agenda können nur dann in Kraft treten, wenn sie von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig beschlos­sen werden. Mehrheitsbeschlüsse gibt es bei den Vereinten Nationen nur bei wenigen Gremien. Die Vertreter der Open Working Group haben seit Beginn des SDG-Prozesses offen auf Kritik reagiert. Sie entgegnen, dass es der Sinn ihrer Arbeit gewesen sei, die Beschränkungen der Millenniumsziele aufzubrechen und eine möglichst umfassende Nachhaltigkeitsagenda zu entwickeln – die eben ökologische, ökonomische und soziale Belange gleichermaßen abdecke. Zum politischen Prozess gehöre es stets auch abzuwägen, welche Ziele am Ende mit welcher Intensität verfolgt werden sollten. Die OWG gibt den Kritikern insofern Recht, dass bis 2030 nicht alle Ziele erreicht sein werden. Sie möchte allerdings in jedem Fall, dass jene Projekte weitergeführt werden, die dank der MDGs bereits mit Erfolg vorangebracht wurden.
4.5 > Kritiker fordern, dass die Bedrohung, die vom Meer­es­berg­bau und der Öl­för­derung in der Tiefsee ausgeht, in den SDGs klarer definiert werden muss. Wie hier in Miami Beach gab es bereits viele Proteste gegen den Ausverkauf des Meeresbodens.
Abb. 4.5: Kritiker fordern, dass die Bedrohung, die vom Meer­es­berg­bau und der Öl­för­derung in der Tiefsee ausgeht, in den SDGs klarer definiert werden muss. Wie hier in Miami Beach gab es bereits viele Proteste gegen den Ausverkauf des Meeresbodens. © Tim Rainger/ Clean Media NZ

Suche nach der richtigen Messgröße

Bei aller Kritik ist zu bedenken, dass der SDG-Prozess noch keineswegs abge­schlos­sen ist. Vielmehr geht es derzeit an die Feinarbeit. Die Definition von Zielen und Teilzielen war nur der erste Schritt. Der zweite Schritt besteht darin, Indikatoren, also Messgrößen, festzulegen, mit denen künftig überprüft werden kann, ob und inwieweit Ziele erreicht werden. Dieser Indikatorkatalog soll bis zum Frühjahr 2016 vorliegen. Bereits für die 8 MDGs hatte die Statistische Divi­sion der Vereinten Nationen vor 15 Jahren 60 Indikatoren entwickelt, mit denen die Erfolge und Misserfolge der MDG-Agenda bewertet wurden. Da sich nicht alle Ziele gleich gut messen lassen, wurden diese Indikatoren danach eingeteilt, wie gut und wie gesichert sich die erforderlichen Daten erheben lassen. Diese Skala reichte wie bei Finanzratings, mit denen die Kreditwürdigkeit von Staaten bewertet wird, von AAA bis CCC und soll voraussichtlich auch für die SDGs übernommen werden. Verdeutlichen lässt sich das Prinzip an MDG 1 „Bekämpfung von extremer Armut und Hunger“. Ein Indikator für MDG 1 war der „Anteil der Bevölkerung, der unter der nationalen Armutsgrenze lebt, aufgeteilt nach Geschlecht und Altersgruppe“. Dieser Parameter lässt sich sehr gut messen, weil es in den meisten Staaten ausführliche Statistiken gibt. Dieser Indikator wurde deshalb mit AAA bewertet. Für die SDGs sollen zudem all jene MDG-Indikatoren weiterverwendet werden, die sich bewährt haben. Darüber hinaus arbeiten Experten der Statistischen Division der Vereinten Nationen derzeit neue oder bessere Indikatoren aus. Auch für diesen Prozess wurde die Expertise von externen Forschern eingeholt. So veröffentlichte die Statistische Division der Vereinten Nationen im Frühjahr 2015 eine Liste mit 338 Indikatorvorschlägen.
4.6 > Das Abschmelzen von Festlandgletschern wie hier auf Grönland ist eine der größten Gefahren des Klimawandels – dessen Bekämpfung wiederum eines der anspruchvollsten Ziele der SDG-Agenda ist.
Abb. 4.6: Das Abschmelzen von Festlandgletschern wie hier auf Grönland ist eine der größten Gefahren des Klimawandels – dessen Bekämpfung wiederum eines der anspruchvollsten Ziele der SDG-Agenda ist. © Nick Cobbing

Aufwendige Datenerhebung

Die Erfahrung mit den MDGs hat gezeigt, dass die Erfassung und statistische Auswertung von Indikatoren viel Zeit und Geld kostet. Der Erfolg der SDG-Agenda hängt also nicht zuletzt davon ab, dass Geld für die Datenerfassung und statistische Analyse bereitgestellt wird. Für die 17 SDGs mit ihren 169 Teilzielen ist der Aufwand um ein Vielfaches größer als bei den MDGs. Schon Mitte 2015 deutete die Open Working Group an, dass es für viele Staaten zu aufwendig sein wird, für 169 Teilziele ebenso viele Indikatoren zu erfassen und die Daten an die Vereinten Nationen zu melden. Das gilt vor allem für jene Staaten, in denen Beobachtungsinfrastruktur kaum vorhanden ist, statistische Ämter schlecht ausgestattet sind oder ganz fehlen. Die Experten gehen davon aus, dass die Höchstgrenze bei 100 Indikatoren liegen sollte, wenn man sichergehen will, dass alle Staaten ihre Daten in überschaubarer Zeit an die Statistische Division der Vereinten Nationen melden. Denn nur wenn die Staaten ihre Daten rechtzeitig melden, lassen sich Rückschlüsse darauf ziehen, ob sie auf einem guten Weg sind, ihre gesteckten Ziele auch zu erreichen.
Während der MDG-Ära war eine solche Überprüfung oftmals schwierig, weil Zahlen mit mehreren Jahren Verspätung gemeldet wurden. Die Situation hat sich im Laufe des MDG-Prozesses aber verbessert, weil viele Entwicklungsländer statistische Kompetenz aufgebaut haben. So geht die OWG davon aus, dass 100 Indikatoren zu bewältigen sind. Ob es allerdings gelingt, 169 Teilziele mit 100 globalen Indikatoren zu beschreiben, ist noch nicht geklärt. In der Praxis wird sich zudem zeigen, dass wohl nicht alle Teilziele für alle Nationen gleich relevant sind. So muss beispielsweise nicht jedes Binnenland Maßnahmen gegen die Eutrophierung der Küstengewässer ergreifen, wenn es dort keine Flüsse gibt, die Nährstoffe ins Meer spülen. Nordeuropäische Staaten wiederum haben kein Malariaproblem und können die Bereitstellung von Daten zu den Indi­kator­bestim­mungen ohne großen Aufwand betreiben. Insofern muss ein Land auch nicht zu jedem Teilziel Daten liefern, sondern nur zu einer Teilmenge.

Wenige Indikatoren für alles?

Diskutiert wird, ob sich mehrere Teilziele mit einigen wenigen, aber umfassenden Indikatoren beschreiben lassen. Das ist durchaus denkbar, da viele Ziele inhaltlich miteinander verknüpft sind. Das große Ziel, das Meer nachhaltig zu nutzen, setzt sich beispielsweise aus vielen Teilzielen wie dem Schutz der Fischbestände oder der Verringerung der Nährstoffeinträge zusammen. Theoretisch ließen sich alle diese Aspekte mit einem einzigen Indikator wie dem Ocean Health Index (OHI) beschreiben, der den Zustand von Meeresgebieten und auch des ganzen Meeres mit einer einzigen Zahl angibt. Fachleute nennen einen solchen aus vielen Aspekten zusam­men­gesetz­ten Indikator einen Composite Indicator. Auch das Brutto­­national­einkommen eines Landes wird als Composite Indicator betrachtet.
Tatsächlich wurde der OHI als SDG-Indikator diskutiert. Inzwischen aber wurde er abgelehnt, weil der OHI ein sehr komplexer Indikator ist und 10 Kategorien be­­inhaltet, die den Zustand des Meeres beschreiben. Es gibt auch Bedenken wegen der Gewichtung der Kategorien, weil diese beim OHI schlicht addiert und daraus anschließend einfache Mittelwerte errechnet wurden. Damit, so die Kritiker, könnten schlechte Ergebnisse bei einer Kategorie durch gute Ergebnisse in einer anderen Kategorie komplett ausgeglichen werden. Damit folge der OHI im­plizit der Idee der schwachen Nachhaltigkeit, die davon ausgeht, dass sich ein zerstörtes Naturkapital praktisch unbegrenzt durch andere Naturkapitalien substituieren lasse. Trotzdem wird derzeit geprüft, inwieweit Indikatoren verschmolzen werden können, um deren Zahl zu reduzieren. Die Suche nach inhaltlichen Überschneidungen kann dabei helfen. Die Bekämpfung der Armut (SDG 1) ist beispielsweise nicht ohne eine sichere Versorgung mit Nahrungsmitteln möglich (SDG 2).

Klimaprotokoll von Kyoto Um den Ausstoß von Klimagasen wie etwa Kohlendioxid zu beschränken, verabschiedeten die Vereinten Nationen im Mai 1992 in New York die Klimarahmenkonvention. Diese Konvention wurde 1997 durch ein Protokoll präzisiert, das die UN in der japanischen Stadt Kyoto verabschiedete. Mit diesem Kyoto-Protokoll wurden erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen festgelegt. Trotz dieser Vereinbarungen nahm der Ausstoß von Klimagasen in manchen Industriestaaten zu, vor allem aber in den aufstrebenden Schwellenländern.

Die Grenzen der SDG-Agenda

Viele Wissenschaftler halten die SDGs trotz aller berechtigten Kritik für eine erfolgreiche Weiterentwicklung der MDGs. Während die MDGs in relativ kurzer Zeit von Experten der Vereinten Nationen definiert und von der Generalversammlung der Vereinten Nationen abgenommen worden waren, haben sich die SDGs in einem mehrjährigen offenen Prozess entwickelt. Erst dadurch wurde es möglich, eine umfassende Agenda zu entwerfen, die beispielsweise auch einen Schwerpunkt auf eine entsprechend gute Regierungs­führung (Good Governance) in den einzelnen Nationen legt. So fordert SDG 16, friedliche Gesellschaften zu schaffen und allen Menschen Zugang zu einem gerechten Justizwesen zu ermöglichen. Ziele wie diese adressieren politisch sensible Gebiete. Sie sind gänzlich neu, waren in den MDGs nicht enthalten und wurden bisher statistisch nicht erfasst. Die Entwicklung von geeigneten Indikatoren erweist sich daher als äußerst schwierig. So stellt sich beispielsweise die Frage, mit welchem Indikator man messen soll, wie groß der „Anteil der Bevölkerung ist, der glaubt, dass Entscheidungs­findungen inklusiv sind und alle Ebenen der Bevölkerung einbeziehen“. Ob die SDGs tatsächlich zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen können, hängt zweifelsohne von der Politik in den verschiedenen Nationen ab. Die SDG-Agenda ist nicht rechtlich bindend. Erreichen Staaten ihre Ziele nicht, gibt es keine Möglichkeit, das Versagen zu sanktionieren. Wissenschaftler betonen, dass aber schon durch die MDGs ein gewisser Druck erzeugt wurde. Ein Scheitern bei wichtigen Zielen kam damit einem internationalen Gesichtsverlust gleich. Einen entsprechenden Einfluss dürften auch die SGDs haben. Nationale oder regional begrenzte Umweltprobleme wie die Überdüngung von Gewässern könnten sich durch national oder regional begrenzte Maßnahmen lösen lassen.
In der Regel haben für einen Nationalstaat die Probleme im eigenen Land oberste Priorität. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit die Staaten künftig bereit sind, gemeinsam weltumspannende Herausforderungen wie den Klimawandel, die Meereserwärmung und -versauerung anzugehen. Bislang hat die Staaten­ge­mein­schaft die globalen Umweltgefährdungen in vielen Fällen noch nicht einmal durch verbindliche multinationale Vereinbarungen wie das Klimaprotokoll von Kyoto in den Griff bekommen. So lässt sich kaum einschätzen, inwieweit die SDG-Agenda die Staaten dazu bewegen wird, gemeinsam aktiv zu werden. Die Stärke der MDGs lag vor allem darin, dass sie klar definiert und für jeden Menschen leicht nachzuvollziehen waren. Dadurch wurden sie von der Öffentlichkeit sehr gut wahr­ge­nommen. In vielen Ländern beob­achteten Nichtregierungsorganisationen oder auch Bürgerinitiativen und die Presse kritisch, ob und inwieweit die Ziele erreicht wurden. Bedenkt man, wie viel Aufmerksamkeit die SDGs bereits jetzt haben, dann ist zu erwarten, dass auch ihr Fortschritt in den kommenden Jahren kritisch beobachtet und in der Öffentlichkeit diskutiert werden wird. Möglicherweise entsteht dadurch zusätzlich öffentlicher Druck, der dazu beiträgt, dass Staaten die globalen Probleme in den kommenden 15 Jahren mit mehr Engagement gemeinsam angehen. Textende