Anspruch und Wirklichkeit des Meeresmanagements
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WOR 7 Lebensgarant Ozean – nachhaltig nutzen, wirksam schützen | 2021

Neue Ansätze des Meeresmanagements

Neue Ansätze des Meeresmanagements - Abb. 8.12 Norbert Enker/laif

Neue Ansätze des Meeresmanagements

> Trotz klarer Vorgaben des internationalen Seerechts klaffen Anspruch und Wirklichkeit des Meeresmanagements auseinander. Ursachen dafür gibt es viele. Es mangelt an Geld, Wissen und dem politischen Willen, geltendes Recht umzusetzen; starre Strukturen und sich überlappende Zuständigkeitsbereiche behindern ein effektives Handeln. Diesen Käfig gilt es aufzubrechen: mithilfe neuer Akteure und Netzwerke und durch eine zielorientierte Zusammenarbeit über Ebenen-, Sektoren- und Ländergrenzen hinweg.

Ocean Panel
Als „Ocean Panel“ wird eine gemeinsame Initiative von 14 Küs­tenstaaten bezeichnet, die im September 2018 ins Leben gerufen wurde und das Ziel verfolgt, pragmatische Lösungen für eine nachhaltige Meereswirtschaft zu entwickeln. Dazu arbeitet die Initiative mit Vertretern aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Mitglieder sind Australien, Chile, Fidschi, Ghana, Indonesien, Jamaika, Japan, Kanada, Kenia, Mexiko, Namibia, Norwegen, Palau und Portugal.

Ein offensichtlicher Widerspruch

Im Kern verpflichtet das UN-Seerechtsübereinkommen die Vertragsstaaten, auf regionaler, nationaler, überregionaler und globaler Ebene zu kooperieren und die Meeresumwelt auf diese Weise effektiv zu schützen. Alle dazu angewandten Maßnahmen und Konzepte müssen ihrem Inhalt nach integrativ und ihrer Wirkung nach vorbeugend und vorsorgend sein, heißt es in den Vorgaben. Warum aber, so stellt sich dann die Frage, ist der Welt­ozean in einem derart schlechten Zustand? Warum klaffen Wunsch und Wirklichkeit des internationalen Seerechts und des Meeresmanagements so weit auseinander?
Die Antworten auf diese Frage fallen durchaus unterschiedlich aus. Sie reichen vom Hinweis auf die fehlende Umsetzung vieler existierender Abkommen bis hin zur Forderung nach einem radikalen Wandel (Transformation) des Meeresmanagements. So argumentieren die Autoren des zweiten World Ocean Assessment der Vereinten Nationen, dass sich der Ozean und seine Ressourcen nur schützen und nachhaltig nutzen lassen, wenn das Seerechtsübereinkommen und seine vielen ergänzenden rechtlichen Instrumente weltweit tatsächlich umgesetzt werden. Zu diesen ergänzenden Rechtsmitteln zählen die Autoren:
  • Internationale Verträge: Zu nennen sind an dieser Stelle internationale Abkommen zum nachhaltigen Fischereimanagement, zum Schutz vor Meeresverschmutzung durch Schiffe, zum Schutz bestimmter mariner Lebensräume oder aber Übereinkommen zum Schutz von Schiffsbesatzungen, Fischern und anderen Arbeitnehmern im marinen Sektor;
  • Regionale Verträge: In diese Kategorie fallen die regionalen Fischereiabkommen sowie die regionalen Meereskonventionen und Aktionsprogramme;
  • Instrumente des sogenannten Soft Law: Der Begriff „Soft Law“ umfasst Übereinkünfte, Leitlinien, Resolutio­nen oder Absichtserklärungen, die im Gegensatz zum „Hard Law“ nicht rechtlich bindend sind und deren Einhaltung vor Gericht auch nicht eingeklagt werden kann. Auf internationaler Ebene werden sie dennoch häufig angewendet, und Staaten schenken ihnen viel Beachtung, in erster Linie weil Soft-Law-Regelungen oft als Vorläufer für spätere Hard-Law-Regelungen in Form von Verträgen oder Abkommen dienen. Beim Thema Meeresmanagement gehören zum Beispiel die verschiedenen Fischereirichtlinien der Welternährungsbehörde FAO dazu sowie die Leitlinien für Meeresraumplanung, herausgegeben von der Zwischenstaatlichen Ozeanografischen Kommis­sion der UNESCO (Intergovernmental Oceanographic Commission, IOC). Von Bedeutung sind außerdem die Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung sowie die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung – insbesondere das Ziel Nummer 14, mit dem sich die Staatengemeinschaft dem Schutz und der nachhaltigen Nutzung der Ozeane, Meere und Meeresressourcen verschreibt.
Es sei für alle Staaten eine große Herausforderung, diese Vielzahl von Gesetzen, Richtlinien und Vorgaben umzusetzen, schreiben die UN-Experten. Allein die Zahl der internationalen Konventionen mit Bedeutung für das Meer beläuft sich mittlerweile auf mehr als 100. Für effektive Meeresmanagementmaßnahmen würden vor allem den kleinen Inselstaaten sowie den wirtschaftlich schwächsten Ländern der Welt sowohl das Fachwissen als auch die finanziellen Mittel, das qualifizierte Personal und die notwendigen Institutionen oder Behörden fehlen, so die Wissenschaftler. Die Autoren betonen zudem, dass erfolgreiches Meeresmanagement an Land beginnt. Bereits dort müssten alle Aktivitäten so gesteuert werden, dass das Meer und seine Lebensgemeinschaften am Ende davon profitieren, anstatt wie bisher in erster Linie Schaden zu nehmen.
Den UN-Experten zufolge gibt es außerdem zahlreiche Themenbereiche, die durch existierende rechtliche Instrumente nur lückenhaft abgedeckt werden – etwa bei den Regelungen zum Umgang mit Müll im Meer oder beim Fischereimanagement. Hier müsse an vielen Stellen nachgearbeitet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass selbst in relativ gut regulierten und kontrollierten Bereichen privatwirtschaftliche Akteure oftmals Schlupflöcher finden, die ihnen finanzielle Vorteile verschaffen, letztendlich aber auf Kosten vor allem der Menschen und der Meeresumwelt gehen.
8.11 > Baye Cheikh Mbaye aus dem Senegal beschriftet Probenflaschen im Nasslabor während einer Expedition auf dem deutschen Forschungsschiff „Heincke“. Mit knapp 55 Metern ist es das zweitgrößte Schiff in der Flotte des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI).
Abb. 8.11 Alfred-Wegener-Institut/Eva-Maria Brodte
Abb. 8.12 Norbert Enker/laif;

8.12 > Der Schiffsfriedhof von Chittagong in Bangladesch ist einer der vielen Orte, an denen ausgediente Fracht-, Tanker- und Containerschiffe direkt am Strand abgewrackt werden. Dabei gelangen nicht nur Asbest, Öl und giftige Chemikalien in die Umwelt. Die Schadstoffe beeinträchtigen auch die Gesundheit der rund 20 000 Mitarbeitenden auf der Abwrackwerft.
Ein aktuelles Beispiel für ein solches Schlupfloch kommt aus dem Bereich der Seeschifffahrt. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass Schiffseigner aus Industrie­nationen wie Japan, Südkorea, den USA und Mitgliedsländern der Europäischen Union ihre Schiffe in zunehmendem Maß ausflaggen, um sie am Ende ihrer Dienstzeit in Ländern mit schwachen Arbeitsschutz- und Umwelt­auflagen kostengünstig abwracken zu können. Daten aus den Jahren 2014 bis 2018 belegen, dass 80 Prozent aller ausgedienten Schiffe auf Schiffsfriedhöfen oder Abbruchwerften in Bangladesch, Indien und Pakistan auseinandergenommen wurden. Alle drei Länder sind bekannt dafür, dass Schiffe häufig direkt am Strand abgewrackt werden und dabei große Mengen Asbest, Öl und giftige Chemikalien in die Umwelt gelangen. Außerdem achten die örtlichen Arbeitgeber und Behörden bei der Schiffsdemon­tage nur wenig auf die Einhaltung von Arbeits- und Umweltschutzauflagen.
Die Option des Ausflaggens nutzten vor allem Schiffseigner aus Ländern der Europäischen Union: Im Zeitraum von 2002 bis 2019 stieg die Zahl der Schiffe, die unter der Flagge eines Entwicklungslandes fuhren, obwohl ihre ­Eigner EU-Bürger waren, von 46 auf 96 Prozent. Dieser Anstieg ist auch auf strengere Regeln zur Schiffsent­sorgung zurückzuführen, die seit dem 31. Dezember 2018 in der Europäischen Union gelten. Ihnen zufolge müssen Schiffe, die unter der Flagge eines EU-Mitgliedstaates fahren, am Ende in einer Demontageanlage abgewrackt und recycelt werden, die auf einer Liste genehmigter Anlagen steht und somit nachweislich eine Reihe von Sicherheits- und Umweltstandards erfüllt. Die in der EU geforderten Standards gehen dabei über jene Anforderungen hinaus, welche die Internationale Seeschifffahrts-Organisation in ihrer umstrittenen Hongkong-Konvention zum sicheren und umweltfreundlichen Recycling von Schiffen festgelegt hat. Bereits vor der Unterzeichnung dieser Konvention im Jahr 2009 hatten mehr als 100 Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften und Vertreter zahlreicher anderer Institutionen mit einer gemeinsamen Kampagne gegen die unzureichenden IMO-Mindeststandards demonstriert und Nachbesserungen verlangt.

Radikaler Wandel benötigt

Angesichts dieser und vieler anderer Diskrepanzen zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Ocean Governance geht eine wachsende Zahl von Fachleuten mit ihren Lösungsansätzen weit über den Standpunkt der Vereinten Nationen hinaus. Sie fordern nicht nur eine klare Umsetzung bestehender Abkommen, Gesetze und Richtlinien, sondern grundlegende Reformen des Meeresmanagements. Zu diesen Fachleuten zählen beispielsweise Experten des Weltklimarates und des Weltbiodiversitätsrates sowie eine Gruppe von Forschenden, die im Auftrag des Ocean Panel Strategien für eine radikale Neuorganisation des Meeresmanagements erarbeitet haben.
Sie alle sind der Ansicht, dass die aktuelle Situation des Ozeans einen Mentalitätswechsel erfordert – oder in anderen Worten: ein neues Verhältnis des Menschen zur Natur und insbesondere zum Ozean, geleitet von dem Bewusstsein, dass das Meer allen gehört, keiner individuellen Bereicherung dienen und nur in jenem Umfang genutzt werden soll, den seine Ökosysteme auch zu leis­ten imstande sind, ohne selbst Schaden zu nehmen. Alle menschlichen Aktivitäten müssten deshalb vornehmlich die Erholung und Wiederbelebung mariner Ökosys­teme zum Ziel haben und nicht deren Ausbeutung.
Zum anderen müssten flexible und effektive Meeres­managementprozesse gefunden werden, die den Schutz sowie eine nachhaltige Nutzung der Meere garantierten. Nur so könne der drohende Zusammenbruch der Lebensgemeinschaften des Ozeans und somit seiner Schlüsselfunktionen für Wirtschaft und Gesellschaft verhindert werden.
8.13 > Eine Studie belegt: Ein Großteil der Schiffe, die im Jahr 2019 abgewrackt wurden, gehörte Eignern aus der Europäischen Union, Südkorea oder den USA. Diese aber ließen die alternden Frachter am Ende unter fremder Flagge fahren, sodass die Schiffe anschließend in Ländern mit laschen Umweltauflagen entsorgt werden konnten.
Abb. 8.13 nach Schiermeier, 2021
Um zu beschreiben, welche Dimensionen diese Transformation umfassen muss, greifen die Ocean-Panel-Experten auf Beispiele aus der Menschheitsgeschichte zurück. Ihrer Meinung nach ist der notwendige gesellschaftliche Wandel in etwa vergleichbar mit jenen fundamentalen Veränderungen, die dazu führten, dass Jäger und Sammler vor etwa 12 000 Jahren zu sesshaften Bauern wurden – oder aber mit jener Umwälzung, in der Europas bäuerlich geprägte Gesellschaften der Renaissance und Reforma­tionszeit (Zeitraum von 1450 bis 1750) den Sprung in das Industriezeitalter meis­terten. Will heißen: Um das Ziel einer nachhaltigen Meeresnutzung zu erreichen, müssen sich alle Aspekte unseres modernen Lebens grundlegend verändern. Nahezu alles muss neu gedacht und auf nachhaltige Weise neugestaltet werden. Die Belastungsgrenzen der Natur sollten der Menschheit dabei als rote Linie dienen, die es nicht zu überschreiten gilt.
Das Versagen des aktuellen Meeresmanagement­systems ist nach Meinung der Wissenschaftler darauf zurückzuführen, dass erstens die Aufgaben auf zu viele eigenständig agierende Sektoren und Institutionen verteilt sind. Zweitens fehlen Instrumente oder Anreize für ein gemeinsam abgestimmtes Vorgehen, obwohl das Seerechtsübereinkommen eigentlich den notwendigen Rahmen dafür bietet. Symptomatischen Charakter hatte demzufolge eine Inhaltsanalyse von mehr als 500 internationalen Übereinkommen zum Umweltschutz sowie zu menschlichen Aktivitäten auf den Weltmeeren. Ihren Ergebnissen zufolge beziehen sich globale Abkommen größtenteils auf einzelne Meeressektoren – etwa auf Fischerei, Verschmutzung, Rohstoffförderung und Schifffahrt. Nur selten betrachten sie zwei oder mehrere Sektoren. Regionale Übereinkommen dagegen decken in der Regel mehrere Bereiche ab. Übergreifende Themen wie die Stärkung mariner Lebensgemeinschaften aber fänden auch dort nur am Rand Erwähnung.
8.14 > Das Große Blaue Loch bildet den Eingang in ein unterseeisches Höhlensystem und gehört zu den touristischen Highlights in jenem Teil des Mesoamerikanischen Riffes, der von Belize verwaltet wird. Der integrierte Küstenmanagement-plan des Landes gilt als vorbildlich. Er setzt darauf, dass gesunde, robuste Küstenökosysteme dem Menschen weitaus mehr nutzen als ausgebeutete und geschädigte.
Abb. 8.14 Andrew Hounslea/Getty Images
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Blick auf die wichtigsten Institutionen des globalen und nationalen Meeresmanagements. Auch sie sind überwiegend Sektoren zugeteilt und selten über deren Grenzen hinaus zuständig. Zu ihnen gehören Institutionen, die:
  • die Landnutzung im Küstenraum, im ländlichen oder im städtischen Raum steuern,
  • Binnengewässer verwalten und ihre Nutzung überwachen,
  • die Nutzung natürlicher Ressourcen steuern (etwa Land- und Forstwirtschaft, Bergbau, Fischerei),
  • für Umweltschutz zuständig sind,
  • die Entwicklung vorantreiben sollen (Wirtschaft, Energiesektor, Transportwesen) oder
  • menschliche Aktivitäten auf dem Meer beaufsichtigen und regulieren.
Sie alle arbeiten nach Ansicht der Wissenschaftler in einem unzureichenden Maß zusammen. Hinzu komme, dass der Klimawandel, der technologische Wandel sowie die Ansprüche einer wachsenden Weltbevölkerung den menschengemachten Druck auf die Meere verschärften. Das Scheitern des gegenwärtigen Meeresmanagements werde dadurch umso deutlicher.

Ideen für ein neues Meeresmanagement

Die Suche nach Auswegen aus dieser Misere sollte nach Auffassung der Fachleute lern- und wissensbasiert erfolgen. Die Forschung habe gezeigt, dass Ökosysteme an Land, in Flüssen, Flussmündungen, Ästuarien sowie im Meer eng miteinander verbunden sind und dass sich keine der drei globalen Krisen (Klimawandel, Artensterben, Verschmutzung) für sich allein betrachtet lösen lässt. Eine nachhaltige Meeresnutzung erfordere daher einen ganzheitlichen Ansatz des Meeresmanagements. Dieser setzt jedoch eine viel größere Kooperationsbereitschaft aller Akteure voraus – angefangen von der lokalen Ebene bis hoch zur internationalen Ebene. Benötigt werden außerdem ein größeres Verantwortungsbewusstsein, klare Haftungsregeln im Falle von Verstößen, transparente Entscheidungsprozesse sowie neue Beteiligungsverfahren, mit denen gewährleistet werden kann, dass Nutzungskonflikte gelöst und alle Beteiligten auf faire Weise von den Ressourcen und Leistungen des Meeres profitieren werden – vor allem von jenen außerhalb der nationalen Hoheitsgebiete.
Besondere Hoffnungen setzen die Experten auf sogenannte Nischenlösungen, die im Kleinen oder auf lokaler Ebene ersonnen und getestet werden, sich bewähren und anschließend als Best-Practice-Beispiel in die Welt hinausgetragen und vielerorts angewandt werden. Globale Strahlkraft und Vorbildfunktion besitzt zum Beispiel ein sektorenübergreifender integrierter Küstenmanagement-plan, der im Jahr 2016 in Belize verabschiedet wurde. Angestoßen wurde dessen Ausarbeitung durch ein neu geschaffenes Ministerium, welches die Bereiche Landwirtschaft, Fischerei, Fortwirtschaft, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung in sich vereint.

Our Ocean Conference
Die Our Ocean Conference (OOC) ist eine jährlich stattfindende Veranstaltung, auf der Regierungs- und Unternehmensvertreter sowie Führungspersönlichkeiten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammentreffen, um sich über Fortschritte im Meeresschutz auszutauschen und neue Projekte bekanntzugeben. Diese entfallen stets auf einen der folgenden sechs Themenbereiche: (1) marine Schutzgebiete, (2) Klimawandel, (3) Meeresverschmutzung, (4) nachhaltige Fischerei, (5) nachhaltige Meereswirtschaft und (6) maritime Sicherheit.

Auf dem Weg zum neuen Plan ließ sich die Regierung von Experten für integrierte Küstenplanung beraten. Außerdem veranstaltete sie einen interaktiven Findungsprozess, an dem sich alle von der Küstenplanung betroffenen Interessengruppen einbringen konnten. Beteiligt haben sich sowohl Ministerien als auch Nichtregierungsorganisationen, Unternehmen und Vertreter der lokalen Gemeinden. Der neue Managementplan verfolgt das Ziel, die Küsten effektiver vor Sturmschäden und steigendem Meeresspiegel zu schützen, die Gewinne aus Fischerei und Tourismus zu steigern sowie den Schutz für Mangroven, Korallenriffe und Seegraswiesen zu verstärken und somit die Lebensgrundlage eines Großteils der Küstenbevölkerung zu sichern.
Der Plan stellt zudem heraus, dass für eine erfolgreiche Umsetzung eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Maßnahmen koordiniert und mit ausreichend finanziellen Mitteln ausgestattet werden müssen – angefangen von den Themenbereichen Küstenverschmutzung, Grundnetzfischerei, pelagische Fischerei und Aquakultur über Tourismusentwicklung bis hin zu Bildung, Anpassung an den Klimawandel und Erhalt des kulturellen Erbes. Obendrein führte der neue Managementplan dazu, dass die Regierung Belizes die Erdölförderung im zweitgrößten Korallenriff der Welt, dem Mesoamerikanischen Barriereriff, verbot. Die UNESCO lobte den Küstenmanagementplan als einen der fortschrittlichsten der Welt und sah das große Korallenriff des Landes nun so gut geschützt, dass es das Riff von der Liste der gefährdeten Weltkulturerbe-­stätten strich.
Wichtige Fortschritte im Meeresschutz können auch durch die Streichung von Subventionen erzielt werden. Ohne sie wäre nicht nur so manche Hochseefischerei ein Verlustgeschäft, subventioniert werden auch dünge­intensive Anbauformen in der Landwirtschaft, die zu einer Überdüngung der Flüsse und Küstengewässer führen. Und schaut man über die Küstenzonen hinaus, schaden letztendlich auch subventionierte Küstenumbauten, Waldrodungen und Bodenversiegelungen dem Meer. Sie beschränken einerseits die Fähigkeit der Naturräume, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu entfernen, und treiben somit den Klimawandel voran. Zum anderen ver­nichten sie wichtigen Lebensraum für Artenvielfalt und minimieren deren Funktionsvielfalt, auf die wiederum auch die Meere auf direkte und indirekte Weise angewiesen sind.
Erste Anzeichen für einen Bewusstseinswandel in Politik und Wirtschaft spiegeln sich in der zunehmenden Bereitschaft von Staaten und Unternehmen wider, auf selbst gesteckte Umwelt- und Klimaschutzziele hinzuarbeiten. Das prominenteste Beispiel für solche Selbstverpflichtungen sind die nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs), zu denen sich die Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaschutz­abkommens verpflichtet haben.
Freiwillige Selbstverpflichtungen mit direktem Meeresbezug geben staatliche und nicht staatliche Akteure auf der regelmäßig stattfindenden Our Ocean Conference oder aber bei der UN-Ozeankonferenz ab. Und erstaunlich viele setzen die angekündigten Projekte im Anschluss auch um. Im Zeitraum der Jahre 2014 bis 2017 beispielsweise betraf ein Drittel aller Selbstverpflichtungen, die auf den Our Ocean Conferences verkündet wurden, das Thema marine Schutzgebiete. Von diesen 143 Ankündigungen wiederum waren bis zum Jahr 2019 die Hälfte in die Tat umgesetzt – das heißt, es wurden weltweit mehr als fünf Millionen Quadratkilometer Meeresgebiet neu unter Schutz gestellt, so zum Beispiel in Palau, Argentinien, Chile, Kanada, den USA, Norwegen, Irland und Mikronesien.
Auf der 6. Our Ocean Conference im Oktober 2019 versprachen Regierungen, Unternehmen und andere Akteure insgesamt 370 Maßnahmen mit einem Gesamtwert von 64 Milliarden US-Dollar. Die Palette umfasste dabei unter anderem:
  • Zusagen, unabhängige Wissenschaftler Krill-Fischzüge von Bord des Schiffes aus beobachten zu lassen (Fischereiunternehmen);
  • Investitionen in Ozean-Risiko-Initiativen (Versicherung);
  • Finanzierungszusagen für Projekte zum ökologischen Wandel der Seeschifffahrt (Bank);
  • eine Vielzahl an Forschungs- sowie Wissens- und Datentransferprojekten (Forschungsinstitutionen und Regierungen);
  • Projekte zur Vermeidung oder Reduktion von Müll im Meer (NGOs und Regierungen);
  • verstärkte Anstrengungen, die Schutzmaßnahmen in ausgewiesenen Meeresschutzgebieten auch wirksam umzusetzen (Regierungen) und vieles mehr.
8.15 > Auf der 6. Our Ocean Conference im Jahr 2019 machten die Teilnehmenden Meeresschutzzusagen im Gesamtwert von 64 Milliarden US-Dollar. Die meisten Projektideen wurden dabei von Regierungen eingereicht, während die finanziell aufwendigsten Zusagen aus der Privatwirtschaft kamen.
Abb. 8.15 nach Commitments Statistics, 2019 Our Ocean Conference
Insgesamt entfielen 23 Prozent der angekündigten Maßnahmen auf den Themenbereich nachhaltige Meereswirtschaft, 21 Prozent wurden der Kategorie Meeresverschmutzung zuteil. Weitere 16 Prozent zielten auf nachhaltige Fischerei ab, fünf beziehungsweise vier Prozent auf marine Sicherheit und die Ausrichtung künftiger ­Konferenzen. Im Hinblick auf die zugesagten Gelder sollten 80 Prozent der Mittel für Maßnahmen zum Kampf gegen den Klimawandel verwendet werden, gefolgt von Finanzierungszusagen für Maßnahmen für eine nachhaltige Meereswirtschaft.
Selbstverpflichtungen allein aber reichen nicht aus, um den notwendigen Wandel voranzutreiben. Auch die Strukturen der Meeresverwaltung müssten sich ändern, sagen Fachleute. Wurden Entscheidungen bislang häufig auf höchster staatlicher Ebene gefällt und ihre Umsetzung dann bis auf die tiefste Ebene durchgedrückt (Top-down-Methode), erfordere nachhaltige Entwicklung netzwerk­ähnliche Entscheidungsstrukturen, in denen Vertreter aus Politik, Privatwirtschaft, Forschung und Zivilgesellschaft mitwirken – und die über Themengrenzen und Zuständigkeitsebenen hinweg auf vielfältige Art und Weise zusammenarbeiten. Die Stränge eines solchen polyzentrischen Managementnetzwerkes würden demzufolge in alle Richtungen reichen – mit vielen Querverbindungen über Sektoren-, Themen- und Bezirks-, Landes- und Staats­grenzen hinweg.
Nach Überzeugung der Wissenschaftler hat ein solches komplexes Managementnetzwerk mit vielen kooperierenden Entscheidungszentren drei große Vorteile:
  • Es ist offener für innovative Lösungsansätze und fördert das gemeinsame Lernen.
  • Es bezieht alle Gruppen der Gesellschaft in die Entscheidungsfindung mit ein, vor allem die von den ­Entscheidungen betroffene lokale Bevölkerung.
  • Es kann daher effektiver auf die Herausforderungen unserer Zeit reagieren als ein Verwaltungssystem, in dem es wenig Interessenvielfalt und nur eine Art der Entscheidungsfindung gibt.
In der Praxis, so die Wissenschaftler, gebe es solche netzwerkartigen Ansätze bereits dort, wo zum Beispiel die Entscheidungshoheit über das lokale Meeresmanagement in die Hände der ansässigen Küstenbevölkerung gelegt wurde und die Anwohner, unterstützt von Fachleuten, gemeinsam über die Nutzung und den Schutz ihrer Gewässer beraten und entscheiden. Erfolgentscheidend sei obendrein, dass die Meinungen und Ansätze der lokalen Akteure auch in regionale und nationale Entscheidungsprozesse einfließen und sich die Beteiligten auf den verschiedenen Ebenen miteinander abstimmen würden.
8.16 > Abalone-­muscheln dürfen in Chile seit einigen Jahren nur noch von jenen Fischern gefischt werden, die eine Fischereilizenz für das jeweilige ­Küstengebiet besitzen, in denen die Muscheln heranwachsen. Seit der Einführung dieser exklusiven Fischereirechte für Kleinstfischer haben sich die einst stark überfischten Muschelbestände vielerorts wieder erholt.
Abb. 8.16 Juan José Toro Letelier

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In Chile beispielsweise führte die Regierung nach dem Zusammenbruch der Abalonebestände im Jahr 1991 sogenannte regionale Fischereirechte für Kleinstfischer ein (Territorial Use Rights in Fisheries, TURFs). Das heißt, in mehr als 550 ausgewiesenen Küstengebieten dürfen seit einigen Jahren jeweils nur bestimmte Gruppen von Kleinstfischern der chilenischen Abalone (Concholepas concholepas) und anderen Arten nachstellen – eine jede in dem ihr zugewiesenen Abschnitt. Die Fischerkooperativen entscheiden selbst über Fangmengen. Sie über­wachen eigenständig die Einhaltung der gesetzlichen ­Vorschriften in ihrem Gebiet und sind verpflichtet, regelmäßige Bestandsschätzungen an die Aufsichtsbehörden zu melden. Infolge dieses lokalen Fischereimanagements sind die Fänge der Kleinstfischer in den meisten Regionen kontinuierlich angestiegen, stellenweise haben sie sich sogar verfünffacht. Der Sektor bietet wieder verlässlich Nahrung für die Küstenbevölkerung und Arbeit für mehr als 17 000 Fischer. In besonders gut verwalteten TURFs hat zudem die Bestandsdichte und die Größe der Fische zugenommen, was darauf hindeutet, dass sich diese Vorgehensweise auch als Werkzeug für ein nachhaltiges Küsten- und Fischereimanagement eignet.
Damit aber noch nicht genug: Nach Ansicht der Ocean-Panel-Autoren bedarf es einer internationalen Ozean­agentur als oberster Institution. Diese sollte einerseits die Normen und Prinzipien und damit die übergreifenden Spielregeln eines nachhaltigen netzwerkartigen Meeresmanagements definieren. Andererseits hätte sie die Aufgabe, Regeln und Mechanismen zur Streitbeilegung anzubieten und die Einhaltung wichtiger Grundsätze wie Transparenz, Verantwortungsbewusstsein und Beteiligungsvielfalt durchzusetzen. Um sie ins Leben zu rufen, bedürfte es einer Resolution der Vereinten Nationen sowie einer Gruppe von Staaten, welche die notwendigen Gel­der zur Verfügung stellt, ohne sich dadurch jedoch Sonderrechte erkaufen zu wollen.
Einen ähnlich lautenden institutionellen Vorschlag hatten deutsche Experten des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) bereits im Jahr 2013 gemacht. Sie schlugen vor, eine Welt-Ozean-Organisation (World Ocean Organisa­tion) als globalen Sachverwalter des Menschheitserbes Meer zu etablieren, und definierten zehn Kriterien, an denen sich ambitionierte Meeres-Governance messen ­lassen müsste.
Die Idee einer UN-Ozeanagentur stößt jedoch nicht bei allen Fachleuten auf Zustimmung. Kritiker geben an­gesichts der Erfahrungen aus den Verhandlungen zum Mining Code für den Tiefseebergbau sowie zum BBNJ-Abkommen zu bedenken, dass sich vermutlich auch dieses Gremium wieder aus Vertretern der Nationalstaaten zusammensetzen würde. Somit bestünde die Gefahr, dass deren Interessenunterschiede abermals elementare Entscheidungsprozesse verzögern und die Ozeanagentur in ihrer Arbeit stark behindern würde. Fraglich wäre zudem, ob sich die Industrienationen überhaupt auf ein solches Meeresgremium einlassen würden. Schließlich hätten sie auch dort jeweils nur eine Stimme und müssten gemeinsam mit vielen Entwicklungsländern und solchen Staaten, die keinen eigenen Meereszugang besitzen, über grundsätzliche Fragen zur Meeresnutzung entscheiden – und sich womöglich deren Mehrheit unterwerfen.

Zusatzinfo Source-to-Sea-Ansatz: Meeresschutz beginnt weit im Inland Zusatzinfo öffnen

Dennoch sollte die internationale Staatengemeinschaft den Handlungsempfehlungen der Ocean-Panel-Autoren Aufmerksamkeit schenken. Die von ihnen erarbeiteten Prinzipien eines netzwerkähnlichen nachhaltigen Meeresmanagements könnten sich als ausgesprochen sinnvoll erweisen – ganz unabhängig davon, ob es am Ende eine Ozeanagentur geben wird oder nicht. Mit ihnen als Leitplanken könnte es gelingen, den vom UN-Seerechtsübereinkommen vorgegebenen Rahmen tatsächlich mit Leben zu füllen und dem Meer jenen Schutz zu garantieren, den es braucht, um dem Menschen bestmöglich zu dienen. Die wichtigsten Handlungsempfehlungen für ein zukünftiges Meeresmanagement noch einmal auf einen Blick:
  • Alle Entscheidungen sollten auf eine nachhaltige Meeresnutzung abzielen und sich nach den Vorgaben richten, auf die sich die Staatengemeinschaft in der UN-Klimakonvention, im Pariser Klimaabkommen, im Übereinkommen über die biologische Vielfalt verständigt hat. Außerdem gilt das Verursacherprinzip (Verursacher zahlt für Schadensbeseitigung), welches bereits in der Rio-Erklärung über Umwelt und Entwicklung festgeschrieben wurde. Das UN-Seerechtsübereinkommen bildet die rechtliche Basis allen Handelns.
  • Programme und Maßnahmen sollten über Sektoren- und Zonengrenzen hinaus reichen und Informationen aus allen betroffenen Bereichen berücksichtigen. Dazu bedarf es einer engen Zusammenarbeit der vielen Akteure und Institutionen.
  • Entscheidungen sollten wissenschaftsbasiert erfolgen und stets dem Vorsorgeprinzip Rechnung tragen. Um Expertenwissen zuverlässig in Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen, sollten feste Abläufe eingeführt werden, die Anhörungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder aber ihre Mitarbeit ermöglichen. Außerdem sollten die Wirksamkeit und Effi­zienz aller Maßnahmen durch großflächige Beobachtungs- und Evaluationsprogramme überprüft werden.
  • Nachhaltiges Meeresmanagement benötigt einen ­flexiblen Organisationsrahmen, innerhalb dessen auch zeitnah und effizient auf überraschende Veränderungen reagiert werden kann.
  • Nachhaltiges Meeresmanagement sollte auf ein enges Netzwerk aus vielen Akteuren setzen, um die Betei­ligung aller an der Entscheidungsfindung zu gewährleis­ten. Zudem gilt es, alle Entscheidungsprozesse transparent zu gestalten.
  • Jegliches Wissen über den Zustand des Meeres, über rechtliche Rahmenbedingungen, Nutzungspläne, Forschungsergebnisse, Technologieentwicklungen, Best-Practice-Beispiele sollte über Wissens- und Daten­portale frei unter allen Beteiligten geteilt werden.
  • Der Prozess des Meeresmanagements sollte von Fairness und Gleichheit geprägt sein. Grundlegend dafür ist, dass Menschenrechte geschützt und durchgesetzt werden, Akteure Verantwortung für ihr Handeln übernehmen und für negative Folgen haften. Ferner muss eine Balance gefunden werden zwischen individuellen kurzfristigen Zielen und dem gemeinsamen Langfristziel einer nachhaltigen Meeresnutzung.
Außerdem rufen die Autoren alle Regierungen, Unternehmen und Vertreter der Zivilgesellschaft auf, die auf Transformation angelegten Meeresprogramme der Vereinten Nationen und ihrer Institutionen zu stärken. Der Lebensspender Ozean befindet sich aufgrund menschlichen Handelns in einer ausgesprochen prekären Lage, die durch den Klimawandel weiter verschärft wird. Ihn daraus zu befreien und sowohl den Lebensgemeinschaften des ­Ozeans als auch den Milliarden Menschen, die vom Meer profitieren, eine nachhaltige Zukunft zu garantierten, ­verlangt die Unterstützung und Mitarbeit aller – eine Forderung ganz im Sinne des Seerechtsübereinkommens. Textende