Umwelt und Recht
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WOR 3 Rohstoffe aus dem Meer – Chancen und Risiken | 2014

Eigenverantwortung der Küstenstaaten

Von der Eigenverantwortung der Küstenstaaten

> Erdgas, Erdöl und Massivsulfide finden sich in großen Mengen vor den Küsten einzelner Nationen. Will ein Staat Rohstoffe in seinem Einflussbereich abbauen, muss er sich zwar an das internationale Seerechtsübereinkommen halten, maßgeblich sind aber auch die eigenen Bergbau- und Umweltschutzgesetze, die er selbst formuliert. Diese wiederum sind nicht immer ausreichend, wie die Folgen der Explosion der Ölplattform „Deepwater Horizon“ gezeigt haben. Insofern wird der nationalstaatliche Meeresbergbau auch kritisch gesehen.

Jeder muss seinen Teil beitragen

Die Erkundung und der Abbau bestimmter Rohstoffe am Tiefseeboden werden durch Vorgaben der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) klar geregelt. Auch Umweltschutzaspekte werden darin berücksichtigt. Damit liegen weltweit einheitliche Regeln für den künftigen Abbau von Rohstoffen im internationalen Gebiet des Tiefseebodens vor. Für die Ausschließlichen Wirtschafts­zonen (AWZ) der Küstenstaaten und ihre Festlandsockel gibt es kein vergleichbares einheitliches Regelwerk. Zwar verpflichtet das Seerechts­­übereinkommen (SRÜ) jeden Nationalstaat, das Meer zu schützen. Im Detail aber erlässt jeder Staat eigene Gesetze zur Nutzung seiner Ausschließlichen Wirt­schafts­zonen, zum Meeresbergbau auf dem Festlandsockel und zum Schutz der Meeresumwelt. Doch wie die anhaltende Verschmutzung von Küstengewässern oder Unglücke wie die Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ zeigen, ist das keineswegs eine Garantie dafür, dass die Meeresumwelt tatsächlich geschützt wird. Dabei haben die Nationalstaaten eine besondere Verantwortung, denn die Küstengewässer innerhalb der AWZ sind die weltweit am intensivsten genutzten Meeresgebiete und für viele Menschen Einkommens- und Nahrungsquelle. Im Laufe der Zeit hat der Druck auf die AWZ zugenommen. Früher lieferten die Küstengewässer vor allem Fisch. Im vergangenen Jahrhundert entwickelte sich die Tourismusindustrie, später wurden an der Küste Industrieanlagen und auf dem Festland­sockel Gas- und Ölbohrinseln errichtet. Abwässer aus Fabriken und aus der intensiven Landwirtschaft belasten die küstennahen Gebiete bis heute. In den kommenden 5 Jahren dürfte in vollem Umfang auch der Meeresbergbau hinzu­kommen, vor allem der Abbau von Massivsulfiden, die zu einem großen Teil auf dem Festlandsockel zu finden sind.
4.7 > Vor der chinesischen Küste bei Qingdao badet ein Junge in einem Teppich aus Algen. Eine der Ursachen der Algenblüte ist Überdüngung. Auch andernorts werden Küstengewässer trotz internationaler Meereschutz­verein­barungen verschmutzt.
Abb. 4.7 > Vor der chinesischen Küste bei Qingdao badet ein Junge in einem Teppich aus Algen. Eine der  Ursachen der Algenblüte ist Überdüngung. Auch andernorts werden Küstengewässer trotz internationaler Meereschutzvereinbarungen verschmutzt. © China Daily China Daily Information Corp – CDIC/Reuters

Der Meeresbergbau unter staatlicher Regie

Angesichts der großen Bedeutung der Meeresgebiete und der Fülle an Belastungen sollten die Staaten ihre Meeresgebiete besonders pfleglich behandeln. Zwar gibt es entsprechend umfassende Vorgaben im SRÜ. Da diese aber sehr allgemein formuliert sind, bleibt für die Staaten bei der Umsetzung in nationales Recht viel Spielraum. Im Zweifelsfall schützen die nationalstaatlichen Gesetze das Meer nicht stark genug vor einer Ausbeutung und Verschmutzung. Hinzu kommt, dass nicht alle Staaten dafür sorgen, dass Umweltgesetze eingehalten und Industrieunternehmen regelmäßig überprüft werden. Trotz geltender Gesetze sind Umweltverschmutzung und -zerstörung in vielen Staaten gang und gäbe. Experten fürchten daher, dass manche Staaten auch im Fall des Meeresbergbaus im Bereich ihres Festlandsockels möglicher­weise so verfahren werden. Sie könnten Investoren ins Land locken, indem sie diesen in Aussicht stellen, Geschäfte betreiben zu können, ohne hohe und kostspielige Umweltauflagen erfüllen oder Überprüfungen fürchten zu müssen.
4.8 > Nachdem im Juli 2010 das Auffang­becken einer Kupfermine in der chinesischen Küsten­pro­vinz Fujian geborsten war, floss giftiges Abwasser in einen Fluss. 1900 Tonnen tote Fische wurden geborgen.
Abb. 4.8 > Nachdem im Juli 2010 das Auffang­becken einer Kupfermine in der chinesischen Küstenprovinz Fujian geborsten war, floss giftiges Abwasser in einen Fluss. 1900 Tonnen tote Fische wurden geborgen. © Stringer China/Reuters

Unwirksame Gesetze

Wie problematisch es in manchen Ländern ist, bestehende Umweltgesetzgebungen tatsächlich durchzusetzen, zeigt eine aktuelle Studie, die die Situation des Bergbaus in den G-20-Staaten analysiert hat. Interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse für die lateinamerikanischen G-20-Staaten Argentinien, Brasilien und Mexiko. Zwar bezieht sich die Studie auf den Bergbau an Land, doch zeigt sie exemplarisch Problemkreise auf, die ähnlich für den künftigen Meeresbergbau zu erwarten sind. In allen 3 Ländern gibt es klare Vorschriften und Umweltstandards, doch verhindern gleich mehrere Faktoren, dass diese zuverlässig eingehalten werden:
  • Den staatlichen Institutionen, die den Bergbau überprüfen sollen, fehlt es an Personal beziehungsweise Fachkräften und finanziellen Mitteln. Daher finden meist keine Begehungen und Überprüfungen der Minen vor Ort statt. In der Regel werden lediglich Anträge und Unterlagen überprüft.
  • Die staatlichen Institutionen, die den Bergbau überprüfen sollen, befinden sich räumlich oder administrativ zu nah an den politischen Entscheidern. In manchen Fällen liegen die Büros der Prüfer direkt in den Regierungsämtern der Bundesstaaten. Dadurch können Politiker Einfluss auf die Prüfer nehmen.
  • Selbst wenn die staatlichen Überwachungsbehörden unabhängig arbeiten können, werden Bedenken oftmals nicht gehört. Kritische Ergebnisse werden von entscheidungsbefugten Behörden wie etwa Bergbaubehörden nicht ernst genommen oder ignoriert.
  • Es gibt kaum Qualitätsstandards oder Zertifizierungen für Gutachterbüros, die Umweltverträglichkeitsprüfungen anfertigen. Damit ist es Industrie­unter­nehmen leicht möglich, Gefälligkeitsgutachten anfertigen zu lassen, die die negativen Auswirkungen des Bergbaus verschleiern.
Kritiker merken an, dass Umweltschäden, die beim Meeresbergbau auftreten könnten, möglicherweise unentdeckt bleiben oder verschwiegen werden. Beim Bergbau an Land gab es in der Vergangenheit häufig offene Konflikte zwischen der Bevölkerung und den Industrieunternehmen beziehungsweise den staatlichen Behörden. Die Umweltzerstörung kam dadurch ans Licht. Der Meeresbergbau hingegen findet in großer Tiefe und damit quasi im Verborgenen statt.

Dem guten Beispiel folgen?

Nicht alle teilen diese Bedenken. Nach Ansicht einiger Seerechtler legt die ISA mit ihren Regelwerken für den Meeresbergbau allgemeingültige Best-Practice-Standards vor. Dies sind zwar keine verbindlichen Vorgaben für nationale Regelungen über Tiefseebergbau auf dem Kontinentalsockel. Dennoch stellen die Instrumente der ISA ein Musterbeispiel dar, mit dem sich die Küstenstaaten zumindest auseinandersetzen müssen. Mehr noch: Sollte sich herausstellen, dass ein Staat im Bereich seines Festlandsockels massive Umweltzerstörungen verursacht, könnte er vor einem internationalen Gericht wie etwa dem Internationalen Seegerichtshof verklagt werden – beispielsweise durch Nachbarstaaten, deren Gewässer verschmutzt worden sind. Sowohl Kobaltkrusten als auch Massivsulfide finden sich vor allem im Bereich des Festlandsockels von Inselstaaten, die keine eigene Bergbauindustrie haben. Hier werden künftig internationale Bergbauunternehmen auf Basis von Verträgen tätig sein. Auch diese Unternehmen dürften kaum ein Interesse daran haben, die Meeresumwelt im Bereich des staatlichen Festlandsockels zu zerstören. Denn sollte ein solches Unternehmen in Zukunft auch Gebiete auf dem internationalen Tiefseeboden abbauen wollen, könnte die ISA ihm mangels Vertrauen die Lizenz verweigern. Damit gingen dem Unternehmen profitable Meeresgebiete verloren.
4.9 > Das Ende eines Tankers ist meist der Beginn einer Ölkatas­trophe. Im November 2002 sank die „Prestige“ vor der spanischen Nordwestküste. Rund 60 000 Tonnen Öl liefen aus und verschmutzten fast 3000 Kilo­meter der französischen und spanischen Küste.
Abb. 4.9: © STR New/Reuters
Aus Sicht einiger Seerechtler kommt hinzu, dass international tätige Bergbau­unter­nehmen keineswegs unzuverlässige Staaten mit laxen Vorschriften als Abbaugebiet bevorzugen könnten. Denn die Erfahrung zeigt, dass die Kooperation mit solchen Staaten für die Unternehmen durchaus problematisch sein kann. Ausgehandelte Ver-träge werden nicht immer eingehalten. In politisch instabilen Regi­onen besteht zudem das Risiko, dass die Ver­träge nach einer politischen Wende von den neuen Regie­rungen und Machthabern aufgekündigt werden und Investitionen verloren gehen können. Ein sehr viel höheres Maß an Rechtssicherheit bietet der Meeresbergbau im internationalen Gebiet, der durch Lizenzen der ISA mit verläss­lichen Vertragslaufzeiten und festen Vereinbarungen klar geregelt ist

Lassen sich Ölkatastrophen künftig vermeiden?

Noch ist der Meeresbergbau eine Zukunftsvision. Die Offshore-Ölförderung hingegen ist eine längst etablierte Industrie, die jedes Jahr Milliardengewinne erzeugt. Anders als beim Meeresbergbau aber sind die Sicherheits- und Umweltstandards nicht vor der Ausbeutung der Ressourcen, sondern erst im Laufe der Zeit entwickelt worden – in der Regel als Reaktion auf Unfälle oder größere Ölverschmutzungen. Gemäß SRÜ verfügen heute die meis­ten Staaten über Umweltgesetze und Regeln für die Offshore-Ölproduktion, dennoch ereignen sich Unfälle und Verschmutzungen. Für die Zukunft wird befürchtet, dass sich durch den Trend zu immer größeren Bohrtiefen die Zahl großer Ölunfälle erhöht, die sich wie bei der „Deepwater Horizon“ kaum beherrschen lassen. Seit Langem wird daher darüber nachgedacht, wie man die Situation verbessern könnte. Dabei geht es vor allem um 2 Aspekte: erstens um die Frage, wie man Unfälle vermeiden und die Umwelt schützen kann, und zweitens, wer bei einem Unfall haftet. Folgende Lösungen schlagen Fachleute vor:
  • verbesserte Sicherheitsstandards und strengere Kontrollen für den Betrieb von Bohr- und Förderinseln;
  • klar definierte Haftung für den Fall eines Unfalls;
  • Schaffung von Fonds, aus denen bei einem größeren Ölunfall Aufräum­ar­bei­ten bezahlt und Betroffene schnell und unbürokratisch entschädigt werden.
4.10 > Der Betrieb von Atom­kraft­werken wie dem in Onagawa, das 80 Kilometer nördlich von Fukushima an der japanischen Ostküste steht, wird von Juristen als „höchst gefähr­liche Tätigkeit“ bezeichnet, da Unfälle in solchen Industrie­anlagen weitreichende Konse­quenzen haben können.
Abb. 4.10 > Der Betrieb von Atomkraftwerken wie dem in Onagawa, das 80 Kilometer nördlich von Fukushima an der japanischen Ostküste steht, wird von Juristen als „höchst gefährliche Tätigkeit“ bezeichnet, da Unfälle in solchen Industrieanlagen weitreichende Konsequenzen haben können. © Issei Kato/Reuters
Intensiv diskutiert wird derzeit vor allem die Haftungsfrage. Die Öffentlichkeit schaut bei einem Unglücksfall meist auf die Betreiber der Anlagen. In der Regel wird das damit begründet, dass diese die nationalen Sicherheits- und Umweltstandards nicht eingehalten haben. Die Folge sind oft jahrelange Rechtstreitigkeiten. Die Geschädig­ten er-halten lange kein Geld. Doch auch die Staaten, in deren Einfluss­bereich die Anlagen stehen, sind in der Pflicht. Die Situation ist noch komplizierter, wenn bei einem Unglück auch die Gewässer von Nachbarstaaten betroffen sind. Ein Beispiel ist der Brand der „Montara“-Bohrinsel nördlich von Australien in der Timorsee, der sich 2009 ereignete und sehr dem Fall der „Deepwater Horizon“ ähnelte. Dabei liefen zwischen 5000 und 10 000 Tonnen Öl aus, die die Fanggründe indonesischer Fischer verseuchten. Australien, in dessen AWZ die „Montara“-Plattform stand, weigerte sich, Entschädigungen zu zahlen. Es stellt sich also die Frage, wie man die Haftung eines Staates beziehungsweise die Entschä­di­gung künftig besser regeln kann.

Zusatzinfo Das schmutzige Ölgeschäft in Westafrika

Entschädigungsgarantie bei Tankerunfällen

Die Situation wäre deutlich einfacher, wenn es international einheitliche und anerkannte Haftungsregeln gäbe, nach denen Betroffene entschädigt werden. Ein solches internationales Haftungsregime, das für alle Staaten bindend ist, wäre nicht nur für die Ölförderung, sondern auch für alle anderen „höchst gefährlichen Tätigkeiten“ in der AWZ beziehungsweise auf dem Festlandsockel sinnvoll. Mit dem Terminus bezeichnen Juristen Tätigkeiten, die zwar nicht verboten sind, bei denen sich aber Unfälle mit schweren, vor allem grenzüberschreitenden Schäden ereignen können – etwa beim Betrieb von Atomkraftwerken, Chemieanlagen oder eben von Ölbohrinseln. Noch aber ist nicht abzusehen, dass sich die Staaten auf gemeinsame Spielregeln einigen. Dabei ist so etwas durchaus möglich. Schon 1969 wurde für den Tankerverkehr die Konvention zur Haftung bei Schäden durch Ölunfälle (International Convention on Civil Liability for Oil Pollution Damage) verabschiedet, die 1992 noch einmal aktualisiert wurde. Mit dieser Konvention gibt es heute einen verbindlichen internationalen Rechtsrahmen für Zivilklagen im Tankerverkehr, der vor allem das Ziel hat, Betroffene nach Tankerhavarien schnell und unbürokratisch zu entschädigen. Verhandelt wird in der Nation, in der sich der Unfall ereignet hat. Die Stärke dieser internationalen Haftungskonvention, die von 109 Staaten ratifiziert wurde, besteht darin, dass nach einheitlichen Regeln verhandelt wird. Oftmals ziehen sich internationale Zivilklagen in die Länge, weil es große Unterschiede zwischen den Rechtssystemen verschiedener Staaten gibt. So gibt es verschiedene Gerichtssprachen, andere Verfahrensarten oder andere Fristen wie zum Beispiel Verjährungsfristen. Zudem kann sich ein Rechtsstreit durch Gutachten und Gegengutachten in die Länge ziehen. Die Folge: Die Betroffenen werden gar nicht entschädigt. Oft drehen sich Streitigkeiten um die Schuldfrage, die Frage, wer für einen Schaden verantwortlich ist. Strittig ist häufig auch, ob ein Unfall durch anderes Verhalten hätte abgewendet werden können. Dank der Konvention passiert das bei Tankerunfällen heute nicht mehr, weil grundsätzlich der Reeder dazu verpflichtet ist, für Schäden durch eine Tankerhavarie aufzukommen. Diese Regelung gilt immer, unabhängig davon, ob der Reeder den Schaden verschuldet hat oder hätte abwenden können. Nur in ganz wenigen Fällen wie zum Beispiel Bürgerkriegen oder außergewöhnlichen und extremen Naturkatastrophen wird der Reeder entlastet.
Abb. 4.12 > Bei der Havarie des Tankers „Hebei Spirit“ vor Südkorea im Dezember 2007 wurden etliche Kilometer der Küste verschmutzt. Die Behörden mobilisierten 12 000 Helfer, die das Öl mitunter mit einfachster Ausrüstung wie Eimer und Schaufel zu beseitigen versuchten. Die Kosten solcher Reinigungsarbeiten sind immens. © Kim Jae Hwan/AFP/Getty Images 4.12 > Bei der Havarie des Tankers „Hebei Spirit“ vor Südkorea im Dezember 2007 wurden etliche Kilometer der Küste verschmutzt. Die Behörden mobilisierten 12 000 Helfer, die das Öl mitunter mit einfachster Ausrüstung wie Eimer und Schaufel zu beseitigen versuchten. Die Kosten solcher Reinigungsarbeiten sind immens.

Entschädigungszahlungen aus dem großen Topf

Da ein Reeder damit bei einem Unfall stets weitreichend haften muss, ist er gemäß Konvention verpflichtet, sich gegen Unfälle zu versichern. Laut Konvention werden Schäden im ersten Schritt aus der Versicherung des Reeders beglichen. Übersteigen die Schäden die Versicherungssumme, springt ein Fonds ein, der Schäden in einem mehrstufigen Verfahren von bis zu etwa 1 Milliarde Dollar trägt. Dieser International Oil Pollution Compensation Funds (IOPC, Internationaler Fonds für die Kompensation von Ölverschmutzungen) wurde mit der Konvention ins Leben gerufen. Er garantiert, dass die Betroffenen tatsächlich ihr Geld erhalten. Aus dem Fonds werden Kosten für die Aufräum- und Reinigungsarbeiten nach Tankerhavarien gezahlt sowie Entschädi­gung­szahlungen an Fischer oder die Tourismusindustrie geleistet. In den Fonds zahlen die Erdöl importierenden Nationen ein, die die Beiträge wiederum von der Erdöl verarbei­tenden Industrie in ihrem Land einfordern. Die Beitragssumme bemisst sich nach der Menge des importierten Öls. Der Charme des Fonds besteht darin, dass die Zahlungen direkt nach einem Unglück unabhängig von der Schuldfrage geleistet werden, ganz gleich, ob der Tankerkapitän einen Fehler gemacht oder der Reeder das Schiff nicht ausreichend gewartet hat. Das ist vor allem auch dann wichtig, wenn sich die Zahlung der Versicherungssumme durch eventuelle Rechtstreitigkeiten verzögert. Die Betroffenen werden dann schnell und unbürokratisch aus dem Fonds entschädigt. In einigen Fällen hat der Fonds in der Vergangenheit direkt mit Betroffenen verhandelt. Damit wird vermieden, dass Geschä­digte lange auf ihr Geld warten oder sich erst durch mehrere Instanzen klagen müssen. Hat der Fonds die Opfer entschädigt, kann er sich dann seinerseits das Geld von dem Reeder oder dessen Versicherung zurückholen. Die Konvention und der Fonds sind ein bislang einmaliges, unschlagbares Doppel: Die Konvention schafft Rechtssicherheit; der Fonds sorgt dafür, dass im Schadensfall immer entschädigt wird.

Kein Fonds für Bohrinseln

Die Konvention und der IOPC-Fonds wurden in enger Abstimmung mit der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organisation, IMO) entwickelt und beziehen sich damit ausschließlich auf Schiffe, nicht aber auf feststehende Anlagen wie etwa Bohrinseln oder ankernde Halbtaucherplattformen. Obwohl grundsätzlich auch bei diesen ein solches Modell denkbar ist, zeichnet sich nicht ab, dass die Ölindustrie ein Interesse daran hat. Bis dato sind Ölfirmen nur über allgemeine Haftpflichtversicherungen mit bis zu 1,5 Milliarden US-Dollar abgesichert. Einzelne Bohrvorhaben sind gar nicht versicherbar. Wie die Explosion der „Deepwater Horizon“ aber zeigte, kann eine solche allgemeine Haftpflichtversicherung die Schäden eines großen Ölunfalls nicht annähernd abdecken. Dennoch lehnten die Ölunternehmen ein über mehrere Jahre ausgearbeitetes Versicherungsmodell von Rückversicherern ab, das künftig einzelne Bohrvorhaben und mögliche Umweltschäden und Folgekosten bei einem Unfall bis zu einer Schadenssumme von 10 bis 20 Milliarden Dollar absichern sollte. Fachleute sehen den Grund für die ablehnende Haltung darin, dass die Ölunternehmen schlicht so reich sind, dass sie eine Versicherung in dieser Größenordnung für überflüssig halten. Entsprechend gering ist derzeit das Interesse an einer Konvention und einem Fonds nach dem Haftungsmodell für Tankerunfälle. Das ist bedauerlich, weil damit künftig nach Unglücken auf Ölbohrinseln nur noch selten Rechtstreitigkeiten oder Prozesse nötig wären.

In jedem Fall schuldig

Seerechtler halten eine umfassende Form der Zivilhaftung, wie es sie heute für das Tankergeschäft gibt, für ideal. Bis es Haftungskonventionen für andere Arten „höchst gefährlicher Tätigkeiten“ und damit einen international einheitlichen Rechtsrahmen für die Zivilhaftung gibt, dürften jedoch noch viele Jahre vergehen. Eine Übergangslösung könnte eine Neuregelung der Staatenhaftung sein, bei der nicht ein Privat­unter­nehmen, sondern stets der Staat für die Schäden aufgrund einer „höchst gefährlichen Tätigkeit“ aufkommt. Heutzutage haftet ein Staat nur dann, wenn er gegen Regeln verstoßen hat – beispielsweise weil Gesetze oder Vorschriften nicht ausreichend sind oder er seiner Pflicht zur Kontrolle von Chemiewerken oder Bohr­inseln nicht nachgekommen ist. Um jahrelange Rechtsstreitigkeiten um Haftungsfragen zu vermeiden, könnte die von Juristen so bezeichnete„verschuldensunabhängige Staatenhaftung“ im Fall „höchst gefährlicher Tätigkeiten“ eine probate Lösung sein. In einem solchen Fall haftet ein Staat immer, ganz gleich, ob der Betreiber der Anlage Schuld hat oder nicht. Eine solche Situation kennt man aus dem Alltag. Beißt ein Hund ein Kind, haftet der Hundebesitzer in jedem Fall – unabhängig davon, ob er seinen Hund gut erzogen und zur Hundeschule geschickt hat, also unabhängig davon, ob er Schuld hat oder nicht. Er haftet „verschuldensunabhängig“. Eine solche Haftung wäre auch beim Betrieb von Bohrinseln gerechtfertigt, immerhin gestattet der Staat den Betrieb einer „höchst gefährlichen Tätigkeit“. Zudem vergeben Staaten in vielen Fällen Lizenzen an Unternehmen, erhalten dafür regelmäßig Lizenzgebühren in großer Höhe und sind so direkt am Gewinn des Unternehmens beteiligt. Gelänge es, eine solche Staaten­haftung durchzusetzen, ließen sich langwierige Gerichtsprozesse und Streitig­keiten wie im Fall der „Montara“-Bohrinsel zwischen Australien und Indonesien vermeiden.
Völkerrechtlich verankert ist bislang „nur“ die Idee der Staatenhaftung im Fall einer großflächigen und grenzüberschreitenden Verschmutzung: also die Haftung für einen „schuldhaften“ Regelverstoß. Das Prinzip ist auf höchster juristischer Ebene im Völkerrecht beziehungsweise Völkergewohnheitsrecht verankert. Es wurde bereits vor rund 70 Jahren in die internationalen Regelwerke aufgenommen. Dieser Entscheidung war der Trail-Smelter-Fall in den 1920er Jahren vorausgegangen, die erste große grenzüberschreitende Umweltkatastrophe. Abgase der kanadischen Trail-Smelter-Blei- und Zinkhütte hatten zunächst die Felder kanadischer Bauern vergiftet und die Ernten vernichtet. Der kanadische Betreiber reagierte damit, hohe Schornsteine zu bauen, wodurch die giftigen Abgase weiter weg getragen wurden. Damit gelangte das Gift fortan bis ins Nachbarland USA und vernichtete die Ernten US-amerikanischer Bauern. Zwar wurden die kanadischen Bauern recht schnell entschädigt. Die Anwälte der US-Bauern und der kanadische Konzern aber wurden sich nicht über Entschädi­gungs­zahlungen einig. Deshalb verwies man den Fall an die International Joint Commission (IJC), ein binationales Rechtsgremium, das 1909 gegründet worden war, um Verträge über die Nutzung der Grenzgewässer zwischen den USA und Kanada auszuhandeln. Das Schiedsverfahren zog sich lange hin, weil die Parteien darüber stritten, inwieweit die Ernteausfälle tatsächlich auf die Gifte zurückzuführen waren. Es endete erst 1941. Der Konzern entschädigte die US-Bauern mit einer relativ geringen Summe.
4.13 > Die Schmelzhütte in Trail in der kanadischen Provinz British Columbia wurde durch einen Rechtsstreit zwischen Kanada und den USA berühmt. Es dauerte Jahre, bis US-Bauern für verdorbene Ernten und vergiftete Böden entschädigt wurden.
Abb. 4.13 > Die Schmelzhütte in Trail in der kanadischen Provinz British Columbia wurde durch einen Rechtsstreit zwischen Kanada und den USA berühmt. Es dauerte Jahre, bis US-Bauern für verdorbene Ernten und vergiftete Böden entschädigt wurden. © Columbia Basin Institute of Regional History

Weltraumrecht für irdische Probleme?

Eine „verschuldensunabhängige Staatenhaftung“ ist bis heute nicht verwirklicht worden. Hinzu kommt: Weil ein Staat Immunität genießt, kann ein Bürger oder betroffener Staat nicht einmal berechtigte Haftungsansprüche gerichtlich geltend machen, geschweige denn, sie vollstrecken. Das Völkerrecht und das Völker­gewohn­heits­recht lassen nämlich offen, wie das Recht im Schadensfall durchgesetzt werden soll. So ist unklar, welche Institution hier Recht sprechen oder die Strafe festlegen soll. Damit stellt sich die Frage, ob und wie ein Staat einen anderen eigentlich verklagen oder zur Entschädigungszahlung zwingen kann. In Ermangelung klarer Regeln einigen sich die Staaten meist auf diplomatischem Wege. Dies geschieht oft unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne dass die Geschädigten darauf Einfluss nehmen können. So wurde auch Mexiko nach dem Untergang der „Deepwater Horizon“ im Anschluss an Verhandlungen mit US-Behörden auf diplomatischem Wege für die finanziellen Verluste aufgrund der Ölverschmutzung entschädigt. Bis heute gibt es nur ein einziges Beispiel dafür, dass international tatsächlich eine „verschuldens­unabhängige Haftung“ von Staaten durchgesetzt werden konnte: im Weltraumrecht. So muss ein Staat gemäß dem Übereinkommen zur internationalen Haftung für durch Raumfahrzeuge verursachte Schäden (Convention on International Liability for Dam­age Caused by Space Objects) von 1972 haften, wenn ein Raumfahrzeug über dem Territorium eines anderen Staates abstürzt. In der Regel haftet der Staat, von dessen Territorium das Raumfahrzeug gestartet ist. Für alle anderen Fälle grenzüberschreitender Verschmutzungen oder Zerstörungen bleibt es schwierig. Ohne eine einheitliche internationale Regelung über die zivile Haftung für besonders risikoreiche Tätigkeiten im Tiefseebergbau oder in der Offshore-Ölförderung gibt es bis dato nur 2 Möglichkeiten, Recht einzuklagen oder Entschä­di­gungen zu erhalten: die Klage vor dem Gericht eines fremden Staates oder eine gütliche Einigung über eine Entschädigungszahlung zwischen Heimatstaat und Verursacherstaat. Beides aber endet bis heute meist in einem zähen Ringen.

Vermeidung ist die beste Strategie

Eine klare Haftungsregelung und daraus resultierende Entschädigungszahlungen sind wichtig, damit Schäden beglichen werden können. Noch wichtiger ist es allerdings, Umweltverschmutzungen gänzlich zu vermeiden. Dafür sind hohe technische Sicherheitsstandards erforderlich. Diesbezüglich kann die Reglementierung des Öltankerverkehrs als ein gutes Beispiel dienen. Der Einsatz vorgeschriebener dop­pel­ter Bordwände verhindert, dass Tanker bei einem Unfall sofort leckschlagen wie in den 1960er und 1970er Jahren. So konnten in mehreren Fällen große Unglücke und Verschmutzungen vermieden werden. Auch politisch setzte man Maßstäbe, indem bestimmte Gebiete durch Abkommen ganz für den Tankerverkehr gesperrt wurden. Dass gerade in dieser Branche so hohe Standards gesetzt wurden, hat mehrere Gründe. Zum einen sind Tankerunfälle sehr medienwirksam. Der öffentliche Druck auf die politischen Entscheider nahm damit von Ölunfall zu Ölunfall deutlich zu. Zudem ist bei einem Ölunfall das Ursache-Wirkungs-Prinzip sehr einfach. Setzt ein Kapitän ein Schiff auf Grund, ist meist schnell geklärt, wie es dazu kommen konnte. Bei der Explosion einer Bohrinsel hingegen, auf der viele Menschen parallel an verschiedenen Stellen arbeiten, ist die Ursachenforschung schwieriger. Denn bei dem Betrieb einer solchen Plattform gibt es viele sicher­heits­kritische Tätigkeiten, die analysiert und verbessert werden können. Genau das ist wiederum ein Argument für eine Haftungsregelung wie bei Tanker­un­fällen. Mit einer entsprechenden Haftungskonvention würden auch die Betreiber der Anlagen beziehungsweise die Erdölproduzenten verpflichtet, Abgaben in einen Fonds einzuzahlen. Daraus würden Geschädigte wie beim IOPC zügig und noch vor der komplexen Klärung der Ursache oder Schuldfrage entschädigt. Die Schaffung einer entsprechenden Konvention mitsamt Fonds wäre zudem ein wesentlicher Schritt zu einer neuen Sicherheitskultur im Offshore-Geschäft, wie sie im Tankerverkehr längst üblich ist.

Den Verbrauch reduzieren

Umweltschäden durch industrielle Tätigkeit wird es wohl bedauerlicherweise immer geben. Es kommt allerdings darauf an, diese Schäden so klein wie möglich zu halten. Solange die Menschheit Rohstoffe verbraucht, werden bei deren Abbau auch Lebens­räume beeinträchtigt. Die entscheidende Frage ist, wie es gelingen kann, den Verbrauch zu reduzieren. Ein Weg ist es, Recycling-Technologien zu entwickeln und entsprechende Wertstoff­ketten aufzubauen. Selbst in etablierten Wiederverwertungsindustrien besteht heute noch Optimierungsbedarf, etwa beim Aluminium, von dem gegenwärtig nur gut ein Drittel recycelt wird. Weltweit arbeiten derzeit eine Reihe von Unternehmen intensiv an neuen Verfahren zur Rückgewinnung von Sondermetallen wie etwa Seltenerdmetallen aus Computern und Smartphones. Gerade diese technischen Geräte bieten große Recycling­po­ten­ziale, da es von ihnen große Mengen gibt und sie reich an Sonder­metallen sind und kurze Lebenszyklen haben. Damit würden die Metalle der Rohstoffwirtschaft schnell wieder zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus gibt es heute viele umweltfreundliche und sparsame Technologien. Solar- und Windenergieanlagen oder sparsame Autoantriebe sind längst entwickelt. Auch durch Verzicht ließe sich etwas erreichen. Rohstoffe, die der Mensch nicht verbraucht, müssen nicht abgebaut werden. Vor allem die westlichen Industrienationen konsumieren schon seit Langem sehr viel. Die Wandlung der Industrienationen in Konsumgesellschaften begann nach dem Zweiten Weltkrieg. Philosophen und Gesellschaftswissenschaftler sprechen vom 1950er-Syndrom – der Zeit des stark steigenden Lebensstandards zwischen 1949 und 1966, in der der Energieverbrauch erheblich zunahm. Energie und Rohstoffe erschienen damals unerschöpflich und waren billig. Dazu trug die Entdeckung der großen Ölfelder im Nahen Osten und die Entwicklung der Atomenergie bei. Öl, so schien es, würde Jahrhunderte reichen. Auch Leben­smit­tel verbilligten sich durch intensive Landwirtschaft und Massentierhaltung, was letztlich nur mit einem hohen Einsatz an Maschinen und wiederum Energie möglich war. Diese Ära, sagen Forscher, war eine historische Ausnahmeerscheinung und keineswegs der Normalzustand. Das spüren wir heute angesichts der Verknap­pung von Rohstoffen bei gleichzeitig rapide wachsender Weltbevölkerung. Es gibt nicht die eine, allumfassende Lösung, um den Rohstoffverbrauch zu bremsen. Es braucht viele Maßnahmen auf politischer, gesellschaftlicher und rechtlicher Ebene. Aber es gilt auch die alte Weisheit, dass jeder seinen Teil dazu beitragen muss. Textende