Meer und Chemie
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WOR 1 Mit den Meeren leben - ein Bericht über den Zustand der Weltmeere | 2010

Sauerstoff

Sauerstoff im Ozean

> Wissenschaftler messen den Sauerstoffgehalt im Meer seit mehr als hundert Jahren routinemäßig. Mit dem Klimawandel aber ist diese Messgröße schlagartig aktuell geworden. Denn der im Meer gelöste Sauerstoff fungiert als eine Art sensibles Frühwarnsystem für Veränderungen, die der Klimawandel im Ozean verursacht. Für die kommenden Jahre steht der Masseneinsatz von Sauerstoffsensoren bevor, die dieser Messgröße eine Renaissance bescheren dürften.

Sauerstoff – Produkt und Elixier des Lebens

Während das Kohlendioxid – lebenswichtige Substanz für Pflanzen und klimaschädliches Gas zugleich – nur in geringen Mengen in der Atmosphäre vorkommt, ist Sauerstoff (O2) nicht nur ein Hauptbestandteil unserer Atmosphäre, sondern auch das häufigste chemische Element der Erde. Das Erscheinen von atmosphärischem Sauerstoff ist das Ergebnis eines biologischen Erfolgsmodells, der Photosynthese, mit deren Hilfe Pflanzen und Bakterien anorganische Stoffe wie Kohlendioxid und Wasser in Biomasse umwandeln können. Bei diesem Prozess entstand und entsteht Sauerstoff. Die produzierte Biomasse ist ihrerseits Nahrungsgrundlage sogenannter Konsumenten, der Tiere oder der Menschen. Diese können zum Leben benötigte Energie nicht wie Pflanzen aus dem Sonnenlicht schöpfen, sondern müssen sie aus der Verbrennung von Biomasse gewinnen, einem Prozess, der Sauerstoff verbraucht. Atmosphärischer Sauerstoff ist auf unserem Planeten also sowohl Produkt als auch Elixier des Lebens.
2.13 > Meerestiere reagieren auf Sauerstoffmangel unterschiedlich. Viele Schneckenarten etwa ertragen geringere O2-Konzentrationen als Fische oder Krebse. Die Grafik zeigt, bei welcher Konzentration die Hälfte der Tiere im Experiment verendet. Der mittlere Wert ist für jede Tiergruppe als roter Strich dargestellt. Die Balken zeigen die Bandbreite: Manche Krebsarten ertragen viel geringere O2-Konzentrationen als andere.
2.13 > Meerestiere reagieren auf Sauerstoffmangel unterschiedlich. Viele Schneckenarten etwa ertragen geringere O₂-Konzentrationen als Fische oder Krebse. Die Grafik zeigt, bei welcher Konzentration die Hälfte der Tiere im Experiment verendet. Der mittlere Wert ist für jede Tiergruppe als roter Strich dargestellt. Die Balken zeigen die Bandbreite: Manche Krebsarten ertragen viel geringere O₂-Konzentrationen als andere. © maribus (nach Vaquer-Sunyer und Duarte, 2008)

Sauerstoffhaushalt des Weltmeeres

Genau wie an Land gibt es im Meer photosynthetisch aktive Pflanzen und Bakterien, die Primärproduzenten. Pro Jahr erzeugen sie etwa genauso viel Sauerstoff und binden dabei genauso viel Kohlenstoff wie sämtliche Landpflanzen zusammen. Das ist zunächst erstaunlich. Immerhin beträgt die lebende Biomasse im Ozean nur etwa ein Zweihundertstel der in den Landpflanzen fixierten Biomasse. Primärproduzenten im Meer leisten also, bezogen auf ihre Masse, fast das Zweihundertfache der Landpflanzen. Hierin spiegelt sich die hohe Produktivität einzelliger Algen wider, die kaum inaktive Biomasse wie zum Beispiel das Kernholz in Baumstämmen besitzen.
2.14 > Sauerstoff gelangt aus der Atmosphäre in das oberflächennahe Wasser der Ozeane, die Deckschicht. Diese ist gut durchmischt, steht daher in einem chemischen Gleichgewicht mit der Atmosphäre und ist folglich reich an O2. Sie endet abrupt an der Dichtesprungschicht, die wie eine Barriere wirkt. Das sauerstoffreiche Wasser der Deckschicht vermischt sich daher kaum mit den tieferen Wasserschichten. In die Tiefe gelangt Sauerstoff letztlich nur durch die Meeresströmungen, insbesondere durch die Bildung von Tiefenwasser und Zwischenwasser in Arktis und Antarktis. Im Innern des Ozeans verbrauchen die Meeresorganismen Sauerstoff. Es entsteht also ein sensibles Gleichgewicht.
2.14 > Sauerstoff gelangt aus der Atmosphäre in das oberflächennahe Wasser der Ozeane, die Deckschicht. Diese ist gut durchmischt, steht daher in einem chemischen Gleichgewicht mit der Atmosphäre und ist folglich reich an O₂. Sie endet abrupt an der Dichtesprungschicht, die wie eine Barriere wirkt. Das sauerstoffreiche Wasser der Deckschicht vermischt sich daher kaum mit den tieferen Wasserschichten. In die Tiefe gelangt Sauerstoff letztlich nur durch die Meeresströmungen, insbesondere durch die Bildung von Tiefenwasser und Zwischenwasser in Arktis und Antarktis. Im Innern des Ozeans verbrauchen die Meeresorganismen Sauerstoff. Es entsteht also ein sensibles Gleichgewicht. © maribus
Die photosynthetische Bildung von Sauerstoff ist auf die oberste, lichtdurchflutete Schicht des Meeres begrenzt. Diese reicht kaum tiefer als 100 Meter und ist aufgrund der stabilen Dichteschichtung des Meeres weitgehend von dem darunterliegenden riesigen Ozeaninnern ge­­trennt. Zudem entweicht der biologisch durch die Primärproduzenten erzeugte Sauerstoff in kurzer Zeit zum großen Teil in die Atmosphäre, sodass dieser kaum zur Anreicherung von Sauerstoff im Innern des Meeres beiträgt. Der Grund: Weil das oberflächennahe Wasser, das etwa 100 Meter tief reicht, durch die Zufuhr aus der Atmosphäre nahezu mit Sauerstoff gesättigt ist, kann es keinen zusätzlichen Sauerstoff aus biologischer Produktion speichern, sondern gibt diesen rasch an die Atmosphäre ab. Im Ozeaninnern wiederum gibt es keine Sauerstoffquellen. Damit wird Sauerstoff also ausschließlich über den Kontakt des Oberflächenwassers mit der Atmosphäre ins Meer eingebracht. Von dort gelangt der Sauerstoff dann durch das Absinken und Zirkulieren von Wassermassen in die Tiefe. Dies wiederum sind dynamische Prozesse, die ihrerseits stark von den klimatischen Bedingungen beeinflusst werden (Kapitel 1). Letztlich bestimmen drei Faktoren, wie hoch die Konzentration des gelösten Sauerstoffs an einem bestimmten Punkt im Ozean ist:
  1. die Startkonzentration des Sauerstoffs, die dieses Wasser bei seinem letzten Kontakt mit der Atmosphäre besaß;
  2. die Zeit, die seit dem letzten Atmosphärenkontakt vergangen ist. Das können tatsächlich Jahrzehnte oder Jahrhunderte sein;
  3. die biologische Sauerstoffzehrung, die sich aus der Atmung sämtlicher Konsumenten in dieser Zeit ergibt. Diese reichen von winzigen Bakterien über das Zooplankton bis hin zu höheren Lebewesen wie den Fischen.
Somit ist die heutige Verteilung von Sauerstoff im Ozeaninnern das Resultat von Wasserzirkulation und biologischer Produktivität, also der Sauerstoffzehrung durch die Konsumenten. Ausführliche Messungen haben ergeben, dass man in den hohen Breiten, in denen die Weltmeere besonders gut durchmischt und belüftet werden, die höchsten Sauerstoffkonzentrationen findet. In den mittleren Breiten hingegen – vor allem vor den Westküs­ten der Kontinente – gibt es ausgeprägte Sauerstoffmangelzonen. Hier trifft eine schwache Sauerstoffversorgung wegen träger Wasserzirkulation auf eine starke Sauerstoffzehrung aufgrund der starken Aktivität der Konsumenten. Das führt dazu, dass der Sauerstoff im Tiefenbereich zwischen 100 und 1000 Metern praktisch vollständig aufgebraucht ist. Eine solche Situation findet sich auch im nördlichen Indischen Ozean im Bereich des Arabischen Meeres.
Verschiedene Gruppen von Meeresorganismen reagieren auf diesen Sauerstoffmangel unterschiedlich, weil die Toleranz gegenüber sauerstoffarmen Bedingungen bei marinen Tieren sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann. So benötigen Krebstiere und Fische im Allgemeinen deutlich höhere Sauerstoffkonzentrationen als Muscheln oder Schnecken. Die größten ozeanischen Sauerstoffminimumzonen sind aufgrund der dort vorherrschenden extrem niedrigen Konzentrationen jedoch weitgehend als natürliche und keineswegs vom Menschen verursachte Todeszonen für alle höheren Lebewesen anzusehen.
2.15 > Meeresgebiete mit Sauerstoffmangel sind durchaus natürlich. Diese Zonen befinden sich vor allem in den mittleren Breiten an den Westseiten der Kontinente. Hier durchmischt sich das warme Oberflächenwasser kaum mit dem kalten Tiefenwasser, sodass nur wenig Sauerstoff in die Tiefe dringt. Zudem führen hier eine hohe Bioproduktivität und entsprechend große Mengen absinkender Biomasse zu starker Sauerstoffzehrung in der Tiefe – insbesondere zwischen 100 und 1000 Metern.
2.15 > Meeresgebiete mit Sauerstoffmangel sind durchaus natürlich. Diese Zonen befinden sich vor allem in den mittleren Breiten an den Westseiten der Kontinente. Hier durchmischt sich das warme Oberflächenwasser kaum mit dem kalten Tiefenwasser, sodass nur wenig Sauerstoff in die Tiefe dringt. Zudem führen hier eine hohe Bioproduktivität und entsprechend große Mengen absinkender Biomasse zu starker Sauerstoffzehrung in der Tiefe – insbesondere zwischen 100 und 1000 Metern. 
    © maribus (nach Keeling et al., 2010)

Sauerstoff – Renaissance einer hydrographischen Messgröße

Die Sauerstoffverteilung im Meer hängt sowohl von biologischen Prozessen wie der Atmung der Organismen als auch von physikalischen Prozessen wie etwa Strömungen ab. Veränderungen dieser Prozesse müssten somit auch zu Veränderungen der Sauerstoffverteilung führen. In der Tat kann der gelöste Sauerstoff künftig als eine Art sensibles Frühwarnsystem für den globalen (Klima-)Wandel im Ozean fungieren. Wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, erspürt dieses Frühjahrwarnsystem sowohl die erwartete Abnahme des durch globale Strömungs- und Durchmischungsprozesse angetriebenen Sauerstofftransports aus der Atmosphäre ins Meer als auch mögliche Veränderungen in den marinen Lebensgemeinschaften. Diese Erkenntnis hat in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Renaissance des Sauerstoffs in der weltweiten Meeresforschung geführt. In der Ozeanographie ist gelös­ter Sauerstoff schon seit mehr als hundert Jahren eine wichtige Messgröße. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte man eine Bestimmungsmethode für gelösten Sauerstoff, die bis heute in nur leicht modifizierter Weise als präzise Methode angewendet wird. Dadurch konnte sich bereits früh ein grundlegendes Verständnis der Sauerstoffverteilung im Weltmeer entwickeln – etwa in den 1920er Jahren durch die berühmte Deutsche Atlantische Expedition der „Meteor“, des ersten deutschen Forschungs­schiffs mit diesem Namen.
Aktuelle Forschungsergebnisse der letzten Jahre haben für nahezu alle Ozeanbecken Trends abnehmender Sauerstoffkonzentrationen aufgezeigt. Diese Trends sind zwar teilweise recht schwach und bisher überwiegend auf Wassermassen in den oberen 2000 Metern des Ozeans be­­schränkt, sodass sich aus den Einzelstudien noch kein völlig konsistentes Bild zeichnen lässt. Dennoch deutet sich in den meisten Studien eine Entwicklung abnehmender Sauerstoffkonzentrationen an. Dieser Trend geht einher mit einer bereits nachgewiesenen Ausbreitung und Intensivierung der natürlichen Sauerstoffminimumzonen, jenen Zonen, die für höhere Organismen lebensfeindlich sind. Fällt der Sauerstoff unter bestimmte (niedrige) Schwellenwerte, werden höhere Organismen verdrängt. Sessile – festsitzende und somit unbewegliche – Organismen sterben. Außerdem führt der Sauerstoffmangel zu gravierenden Veränderungen in den biogeochemischen Reaktionen und Stoffkreisläufen der Ozeane – etwa der Pflanzennährstoffe Nitrat und Phosphat.
Das betrifft geochemische Vorgänge im Sediment, aber vor allem auch bakterielle Stoffwechselvorgänge, die unter veränderten Sauerstoffbedingungen komplett umschlagen können. Welche Konsequenzen die Veränderungen letztlich haben, kann man heute kaum abschätzen. In manchen Fällen lässt sich noch nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob die Folgen den Klimawandel weiter anheizen oder ihn eventuell sogar abschwächen. Als wahrscheinlich aber gilt, dass sich die daraus resultierenden spürbaren Effekte erst über längere Zeiträume von Jahrhunderten oder Jahrtausenden einstellen werden.
Doch bereits heute führt der Klimawandel zu veränderten Sauerstoffgehalten im Meer, die sich negativ auswirken. So trat in den vergangenen Jahren vor der Küste des US-Staates Oregon erstmals eine extreme Sauerstoffmangelsituation auf, die zum Massensterben von Krebsen und Fischen führte. Diese neue Todeszone vor Oregon stammt aus dem offenen Ozean und ist vermutlich auf Veränderungen im Klima zurückzuführen. So haben vor der Westküste der USA offenbar die vorherrschenden Winde ihre Richtung und Intensität und damit wahrscheinlich auch die Meeresströmungen verändert. Forscher nehmen an, dass dadurch jetzt verstärkt sauerstoffarmes Wasser aus der Tiefe an die Oberfläche strömt. Die Todeszone vor Oregon unterscheidet sich damit von den mehr als 400 weltweit bekannten küstennahen Todeszonen, die überwiegend auf Eutrophierung zurückzuführen sind, also den übermäßigen Eintrag von Pflanzennährstoffen. Dieses Problem tritt vor allem in den Küstengewässern vor dicht besiedelten Regionen mit intensiver Landwirtschaft auf. (Kapitel 4)

Die Atlantische Expedition Mit der Deutschen Atlantischen Expedition (1925 bis 1927) und dem Forschungsschiff „Meteor“ wurde erstmals ein ganzer Ozean systematisch sowohl in der Atmosphäre als auch in der Wassersäule beprobt. Unter Einsatz des damals hochmodernen Echolotverfahrens wurden auf 13 Ozeanüber-querungen Tiefenprofile über das gesamte Meeresbecken erfasst.

Sauerstoff – Herausforderung an die Meeresforschung

Die Tatsache, dass Modellrechnungen der Auswirkungen des Klimawandels ebenfalls fast durchweg eine Sauerstoffabnahme im Ozean prognostizieren, die gut mit den bisher vorliegenden Beobachtungen abnehmender Sauerstoffkonzentration übereinstimmt, verleiht der Thematik zu­­sätzliches Gewicht. Auch wenn hier sicherlich das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, deutet sich bereits jetzt an, dass der schleichende Sauerstoffverlust des Weltozeans ein Thema von hoher Relevanz ist, das möglicherweise auch sozioökonomische Konsequenzen hat und dem sich die Meeresforschung stellen muss.
Eine intensivierte Forschung wird robustere Aussagen über das Ausmaß der Sauerstoffabnahme liefern können. Zudem wird sie wesentlich dazu beitragen, die Auswirkun­gen des globalen Klimawandels auf den Ozean besser zu verstehen. Die Meeresforschung hat sich in den letzten Jahren verstärkt dieser Thematik angenommen und bereits entsprechende Forschungsprogramme und -projekte auf den Weg gebracht. Allerdings ist es schwierig, die räumlich und zeitlich sehr variablen Ozeane in Gänze zu erfassen. Um zuverlässige Aussagen machen zu können, werden die klassischen Instrumente der Meeresforschung wie Schiffe und Wasserprobenahme deshalb nicht ausreichen. Die Forscher sind auf neue Beobachtungskonzepte angewiesen. Ein besonders erfolgversprechender Ansatz sind die sogenannten Tiefendrifter: Das sind tauchfähige Messroboter, die völlig autonom für drei bis vier Jahre im Meer treiben und dabei typischerweise alle zehn Tage die oberen 2000 Meter der Wassersäule vermessen. Die Daten werden nach dem Auftauchen via Satellit an Datenzentren übertragen. Gegenwärtig sind etwa 3200 dieser Messroboter für das internationale Forschungsprogramm ARGO – benannt nach einem Schiff aus der griechischen Mythologie – unterwegs. Gemeinsam bilden sie ein weltumspannendes autonomes Observatorium, das von fast 30 Nationen betrieben wird. Bisher wird dieses Observatorium nur in sehr geringem Umfang für O2-Messungen genutzt. Inzwischen gibt es aber eine Sensortechnologie zur O2-Messung, die auf den Tiefendriftern eingesetzt werden könnte. So ließen sich Daten zur Veränderlichkeit der ozeanischen Sauerstoffverteilung gewinnen. Textende