Dringlichst gesucht – Wege aus der Klimakrise
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WOR 8 Klimaretter Ozean? Wie das Meer (noch) mehr Kohlendioxid aufnehmen soll | 2024

Alarmstufe Rot für Mensch und Natur

Alarmstufe Rot für Mensch und Natur Abb. 1.4: Annie Spratt/unsplash

Alarmstufe Rot für Mensch und Natur

> Der Klimawandel ist angekommen im Alltag der Menschen. Mindestens die Hälfte der Weltbevölkerung leidet inzwischen unmittelbar unter den Folgen der globalen Erwärmung. Brunnen versiegen, Hitze wird unerträglich, Stürme und Fluten reißen Hab und Gut davon. Zugleich versagen die ohnehin schon geschundenen Ökosysteme mehr und mehr ihren Dienst. Klima und Natur – so viel ist klar – machen keine Kompromisse. Für die Menschheit geht es daher um alles, denn der selbst angestoßene Wandel entpuppt sich als lebensgefährlicher Gefahrenmultiplikator.

Unsere Zukunft steht auf dem Spiel

Die Menschheit weiß seit Jahrzehnten, dass sie das Klima der Erde durch den Ausstoß von Treibhausgasen erwärmt. Welches Ausmaß die weltweiten Klimaveränderungen jedoch bereits angenommen haben und in welcher Notlage sich das Leben auf dem Planeten Erde schon heute befindet, wurde selten mit solcher Dringlichkeit kommuniziert wie im sechsten Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC).
Im Auftrag des Weltklimarates, wie der IPCC auch im Deutschen genannt wird, bewerten mehr als 750 Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftler aus aller Welt in regelmäßigen Abständen den aktuellen Stand des Wissens zu den Veränderungen des Erdklimas. Sie analysieren Forschungsergebnisse zu den Ursachen und Folgen des Klimawandels; sie tragen zusammen, in welchem Umfang Natur und Menschheit in der Lage sind, sich an das neue Klima anzupassen; und sie beschreiben, durch welche Maßnahmen es gelingen kann, die Klimagefahren zu verringern und die globale Erwärmung zu begrenzen.
Die Kernaussagen der drei Teilbände des sechsten Weltklimaberichtes machen eines sehr deutlich: dass die Menschheit mit ihren anhaltend hohen Treibhausgasemissionen eine lebenswerte Zukunft für aktuelle und kommende Generationen aufs Spiel setzt.
1.1 > Qualm steigt aus den Schornsteinen eines chinesischen Stahlwerkes in der Inneren Mongolei. Währenddessen schmelzen Arbeiter in einem Camp davor illegal Erz ein. China emittiert im weltweiten Vergleich das meiste Kohlendioxid (rund 30 Prozent der globalen Emissionen 2022), auch deshalb, weil Kohle immer noch die Hauptenergiequelle des Landes ist.
Abb. 1.1 © Kevin Frayer/Getty Images

Eine rasante Erwärmung und ihre Folgen für das Klima der Erde

Nach Angaben des Weltklimarates lag die globale Oberflächentemperatur im Zeitraum von 2010 bis 2022 rund 1,15 Grad Celsius über dem Vergleichswert aus dem Zeitraum 1850 bis 1900. Die Erwärmung über Land fiel dabei deutlich höher aus als über dem Meer. Die Temperaturen über den Kontinenten stiegen im Mittel um 1,65 Grad Celsius, während sich die Luftmassen über dem Meer um 0,93 Grad Celsius erwärmten. Gut informierte Leserinnen und Leser mögen angesichts dieser Zahlen stutzen, weil andere Institutionen und bekannte Nachrichtenportale seit dem Jahr 2020 von einer globalen Erwärmung von 1,2 Grad Celsius sprechen. Vor diesem Hintergrund stellt sich deshalb die Frage: Arbeitet der Weltklimarat mit veralteten Daten? Mitnichten.
Globale Klimaberichte wie jene des Weltklimarates oder aber auch die regelmäßig erscheinenden Analysen der Weltorganisation für Meteorologie (World Meteorological Organization, WMO) beziehen sich auf langfristige Veränderungen der Klimaparameter. In Bezug auf die globale Oberflächentemperatur analysieren sie deshalb nicht nur die Temperaturwerte eines spezifischen Jahres, weil diese durch kurzfristige natürliche Temperaturschwankungen beeinflusst sein könnten. Stattdessen nutzen IPCC-Autorinnen und -Autoren Messdaten aus den zurückliegenden 20 Jahren als Datenbasis. Auf diese Weise sind sie in der Lage, den tatsächlichen langfristigen Trend zu detektieren.
Und die Erwärmung der Erde beschleunigt sich: In den vergangenen 50 Jahren (1970 bis 2020) ist die globale Oberflächentemperatur schneller gestiegen als in jeder anderen 50-Jahres-Periode innerhalb der zurückliegenden 2000 Jahre. Betrachtet man die vergangenen vier Jahrzehnte im Detail (1980 bis 2020), dann war jede der vier Dekaden wärmer als die jeweils vorhergehende.
Diese Entwicklung führt dazu, dass viele Komponenten des Klimasystems der Erde Veränderungen in einer Geschwindigkeit erfahren, wie sie unser Planet seit vielen Jahrhunderten oder Jahrtausenden nicht erlebt hat. Das Ausmaß dieser Veränderungen ist jedoch nicht überall gleich. Einige Regionen sind stärker betroffen als andere. Hinzu kommt: Jedes weitere Zehntelgrad Erwärmung wird dazu führen, dass sich der angestoßene Wandel verstärkt. Das heißt, das Ausmaß und die extreme Geschwindigkeit der Veränderungen sowie die damit verbundenen Risiken werden mit jedem weiteren Temperaturanstieg zunehmen, und sei er noch so klein. Dazu gehören insbesondere die Erwärmung, Versauerung und zunehmenden Sauerstoffverluste der Meere, die Zunahme extremer Hitzeereignisse über Land und in den Ozeanen, das Schmelzen der Eismassen, steigende Meeresspiegel sowie Veränderungen im Wasserkreislauf der Erde.

Eine zunehmende Erwärmung, Versauerung und Sauerstoffarmut der Meere und Ozeane

Aktueller Stand: Die Meere und Ozeane sind die größte Wärmebatterie unseres Planeten. Diese Batterie wird durch den Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung der Atmosphäre ununterbrochen aufgeladen. Meere und Ozeane haben in den zurückliegenden 60 Jahren rund 90 Prozent der durch den Treibhauseffekt in der Erdatmosphäre gefangenen Wärme aufgenommen und in ihren Tiefen gespeichert. Infolgedessen hat sich der Wärmegehalt des Meeres vervielfacht, und die Wassertemperaturen steigen schneller als zu jedem anderen Zeitpunkt seit der letzten Eiszeit. Betrachtet man nur die Meeresoberflächentemperatur, so ist diese im Zeitraum von 1850 bis 1900 bis zum Jahr 2022 um durchschnittlich 0,93 Grad Celsius gestiegen.
Forschende bezeichnen den Anstieg der Meerestemperaturen als deutlichsten Indikator des menschengemachten Klimawandels – zum einen, weil der Weltozean den größten Teil der zusätzlichen Wärme aufnimmt, zum anderen aber auch, weil seine Oberflächentemperaturen geringeren Schwankungen von Jahr zu Jahr unterworfen sind als zum Beispiel die Atmosphäre. Der Erwärmungs­trend ist somit leichter auszumachen. Im Zuge der Meereserwärmung hat die Schichtung der Wassermassen in den oberen 200 Metern der Wassersäule zugenommen. Gleichzeitig hat die zunehmende ­Verdunstung von Wasser an der Meeresoberfläche dazu geführt, dass das ohnehin schon salzigere Oberflächenwasser in Verdunstungsregionen noch salziger geworden ist. In Meeresgebieten mit vielen Niederschlägen oder aber starkem Schmelzwasserzufluss haben die Süßwassereinträge hingegen zugenommen. Das heißt, hier ist der ohnehin schon niedrige Salzgehalt des Oberflächenwassers weiter gesunken.
Abb. 1.2 © NASA Physical Oceanography Distributed Active Archive Center

 

1.2 > Dunkelrot markiert sind jene Meeresregionen des Nordpazifiks, in denen die Wassertemperatur im Mai 2015 bis zu drei Grad Celsius wärmer war als normal. Die ursächliche Meereshitzewelle hielt mehr als 250 Tage an, kostete Abertausenden Fischen, Seevögeln und Meeressäugern das Leben und ist bis heute unter der Bezeichnung „The Blob“ bekannt.
Beide Entwicklungen, die zunehmende Schichtung der Wassermassen und die Veränderungen des Salzgehaltes, führen seit den 1950er-Jahren zu einer abnehmenden dichtebedingten Durchmischung des Oberflächenwassers mit darunterliegenden Wassermassen und befeuern so die zunehmenden Sauerstoffverluste des Meeres. Die Sauerstoffarmut zeigt sich insbesondere in sogenannten Sauerstoffminimumzonen, die sich im Westpazifik, im Indischen Ozean sowie vor der Westküste des südlichen Afrikas unterhalb der sogenannten Deckschicht bilden, das heißt in Wassertiefen von mehr als 100 bis 200 Metern. In diesen Zonen enthält das Wasser weniger als 70 Mikromol Sauerstoff pro Kilogramm Wasser, sodass sauerstoffhungrige Meeresbewohner wie Haie und Thunfische dort keine Überlebenschance haben. Die Meere und Ozeane nehmen jedoch nicht nur Wärme auf, sondern auch rund ein Viertel der vom Menschen freigesetzten Kohlendioxidmenge. Anders als Sauerstoff aber löst sich Kohlendioxid nicht einfach nur im Wasser, sondern durchläuft dort eine chemische Kettenreaktion. Als Ergebnis dieser Reaktion steigt der Säuregehalt des Wassers. Das heißt, das Meer versauert, wodurch sich die Lebensbedingungen für viele Meeresorganismen grundlegend verschlechtern. Expertinnen und Experten sprechen in diesem Fall von einem sinkenden pH-Wert – das Maß für den Säuregehalt des Meeres. Nach Angaben des Weltklimarates ist der pH-Wert des Oberflächenwassers in den zurückliegenden 40 Jahren in nahezu allen Meeresgebieten gesunken – und zwar in einem solchen Maß, dass die Versauerung heutzutage so hoch ist wie zu keinem anderen Zeitpunkt in den zurückliegenden 26 000 Jahren. Auch das Tempo, mit dem die Meere derzeit versauern, ist rekordverdächtig. Erschwerend kommt hinzu, dass die Versauerung nicht mehr nur allein das Oberflächenwasser betrifft, sondern seit etwa 30 Jahren auch im Ozeaninnern immer häufiger nachgewiesen werden kann.
Blick in die Zukunft: Die Erwärmung der Meere und Ozeane wird sich fortsetzen, selbst wenn es der Menschheit gelingen sollte, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Diese Tatsache erklärt sich durch die Trägheit des Systems Meer. Das heißt, wichtige Prozesse laufen so langsam ab, dass die Auswirkungen einmal angestoßener Veränderungen über Jahrhunderte, wenn nicht sogar über Jahrtausende zu spüren sind und eine Umkehr ebenso viel Zeit braucht. Dennoch hat die Menschheit es in der Hand: Wie stark sich die Ozeane ab dem Jahr 2050 erwärmen werden, hängt einzig und allein davon ab, ob wir den Klimawandel bremsen können. Die künftige Temperatur des Wassers entscheidet auch darüber, wie viel Sauerstoff die Ozeane noch enthalten werden. Je wärmer das Meer, desto weniger Sauerstoff kann sich darin lösen.

Die Zunahme extrem warmer Temperaturen in allen Teilen der Welt

Aktueller Stand: Meteorologinnen und Meteorologen verzeichnen seit den 1950er-Jahren eine Zunahme der Häufigkeit und Intensität extrem warmer Tage sowie eine Zunahme der Intensität und Dauer von Hitzewellen über Land. Neu ist, dass diese Wetterextreme mittlerweile Rekordtemperaturen erreichen, die ohne den menschengemachten Klimawandel unmöglich gewesen wären. Ein Beispiel stellt die extreme Hitzewelle dar, die Ende Juni 2021 den Nordwesten der USA und Kanada heimsuchte. Örtlich stiegen die Temperaturen damals auf bis zu 49,6 Grad Celsius und übertrafen alte Hitzerekorde an einigen Wetterstationen um bis zu 4,6 Grad Celsius. Forschung dazu belegt nun: Ohne den menschengemachten Klimawandel wäre diese Hitzewelle etwa zwei Grad Celsius niedriger ausgefallen. In einer Welt mit einer globalen Erwärmung von zwei Grad Celsius dagegen hätten die Temperaturhöchstwerte dieser Hitzewelle die 50-Grad-Marke überschritten. Zugleich steigt mit der globalen Erwärmung die Gefahr einer solchen Hitzewelle im Westen Nordamerikas. Lag die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens im Juni 2021 noch bei einem Ereignis alle 1000 Jahre, würde sich das Extremereignis in einer Welt mit einer globalen Erwärmung von zwei Grad Celsius bereits alle fünf bis zehn Jahre wiederholen.
Die Häufigkeit, Intensität und Dauer mariner Hitzewellen nehmen ebenfalls zu. Meereshitzewellen treten mittlerweile doppelt so häufig auf wie noch in den 1980er-Jahren und richten große Schäden in den Lebensgemeinschaften des Meeres an. Und auch hier können Forschende mittlerweile den Einfluss des Menschen klar identifizieren. Ohne Klimawandel hätte es höchstwahrscheinlich auch jene Meereshitzewelle nicht gegeben, die in den Jahren 2013 bis 2015 das Leben im Nordostpazifik auf den Kopf stellte und unter dem Namen „The Blob“ in die Geschichtsschreibung einging. Damals verhungerten unter anderem eine Million Trottellummen (Uria aalge), weil die außergewöhnlich warmen Wassertemperaturen dazu geführt hatten, dass ihre Beutetiere in viel kleinerer Zahl vorkamen als unter normalen Bedingungen. Die Sterberate der Trottellummen stieg deshalb um das 1000-Fache.
Blick in die Zukunft: Die Intensität und Dauer der Hitzewellen an Land werden weiter zunehmen, selbst wenn es der Menschheit gelingen sollte, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Meereshitzewellen werden ebenfalls häufiger auftreten. Erwärmt sich die Welt um durchschnittlich 1,8 Grad Celsius bis zum Jahr 2100, wird sich die Zahl der Meereshitzewellen in den kommenden 60 bis 80 Jahren verdoppeln bis verneunfachen. Steigt die globale Mitteltemperatur sogar um etwa 4,4 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, werden Meereshitzewellen in den letzten zwei Jahrzehnten dieses Jahrhunderts drei- bis 15-mal so häufig auftreten wie im Zeitraum 1995 bis 2014, wobei die größten Veränderungen für die tropischen Gewässer und den Arktischen Ozean vorausgesagt werden.
1.3 > Von Hitze geschwächte Menschen in den klimatisierten Räumen eines Messezentrums in Portland, US-Bundesstaat Oregon. Die Veranstaltungsräume wurden während einer extremen Hitzewelle im Frühsommer 2021 geöffnet, damit die Menschen sich abkühlen und ausruhen können.
Abb. 1.3 Kathryn Elsesser/AFP via Getty Images

Ein weltweiter Rückzug der Berggletscher

Aktueller Stand: So wenig Gletschereis wie heute gab es auf der Erde in den zurückliegenden 2000 Jahren nicht. Weltweit schrumpfen die Berggletscher seit den 1990er-Jahren in zunehmendem Tempo, weil sich die Luft auch in den Höhenlagen erwärmt. Der Temperaturanstieg hat zur Folge, dass weniger Schnee auf der Gletscheroberfläche den Sommer übersteht und in den Folgejahren in Eis umgewandelt werden kann. Gleichzeitig schmelzen die Berggletscher zunehmend an ihrer Oberfläche. Ihr Schmelzwasser hat in den zurückliegenden 120 Jahren im Mittel rund 6,72 Zentimeter zum Anstieg des globalen Meeresspiegels beigetragen.
Blick in die Zukunft: Für die kommenden Jahrzehnte ist mit einer weiteren Abnahme der Schneebedeckung und Gletschereismassen in den Gebirgen der Erde zu rechnen. Außerdem wird der dauergefrorene Boden (Permafrost) in vielen Hochgebirgsregionen auftauen. Da es zeitgleich mehr Starkregen anstelle von anhaltendem Schneefall geben wird, prognostizieren die Forschenden für viele Bergregionen eine zunehmende Gefahr von Überflutungen und Erdrutschen. Hinzu kommt: Mit dem Gletschereis schwinden wiederum wichtige Wasserreserven für Millionen Menschen entlang der Flüsse, welche durch das Schmelzwasser der Berggletscher gespeist werden.

Ein deutlicher Rückgang des arktischen Meereises

Aktueller Stand: Die Arktis hat sich in den zurückliegenden Jahren mehr als doppelt so schnell erwärmt wie die gesamte Welt im Durchschnitt. Infolgedessen ist das Sommerminimum des arktischen Meereises – so nennt man die geringste Ausdehnung des Eises zum Ende der warmen Jahreszeit – mittlerweile rund 40 Prozent kleiner als noch zu Beginn der Satellitenmessungen im Jahr 1979. Außerdem ist das verbleibende Eis deutlich dünner als früher, treibt deshalb schneller über den Arktischen Ozean und wird auch nur noch selten mehr als zwei Jahre alt, bevor es schmilzt.
Blick in die Zukunft: Die Sommerschmelze des arktischen Meereises wird sich beschleunigen, gleichzeitig wird im Winter weniger Eis gefrieren. Beide Entwicklungen werden dazu führen, dass der Arktische Ozean bis zum Jahr 2050 mindestens einmal eisfrei sein wird zum Ende des Sommers – abgesehen von kleinen Resteisflächen in geschützten Buchten oder Fjorden, deren Gesamtfläche jedoch weniger als eine Million Quadratkilometer betragen wird.

Zunehmende Masseverluste der Eisschilde in Grönland und der Antarktis

Aktueller Stand: Der Eispanzer Grönlands hat im Zeitraum 1992 bis 2020 schätzungsweise 4890 Milliarden Tonnen Eis eingebüßt und mit deren Schmelzwasser 1,35 Zentimeter zum globalen Meeresspiegelanstieg beigetragen. Der Antarktische Eisschild hat im selben Zeitraum 2670 Milliarden Tonnen Eis verloren, wobei er die größten Verluste in seinem westlichen Teil, dem Westantarktischen Eisschild, verzeichnete. Sowohl dort als auch an der Antarktischen Halbinsel hat das Fließtempo der Gletscher in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten deutlich zugenommen. Das heißt, die Gletscher transportieren heutzutage deutlich mehr Eis von Land ins Meer als noch im Jahr 2000.
Blick in die Zukunft: Beide großen Eisschilde der Welt werden mit zunehmender Erwärmung mehr Eis verlieren und verstärkt zum Anstieg des globalen Meeresspiegels beitragen. Sollte sich die Welt um mehr als zwei Grad Celsius erwärmen, wird der Eispanzer der Westantarktis sehr wahrscheinlich zerfallen, und seine Eismassen werden in das Meer abrutschen. Wann und in welchem Tempo und Umfang ein solcher Zerfall erfolgen könnte, lässt sich bislang allerdings nur mit einer sehr geringen Gewissheit vorhersagen.

Ein beschleunigter Anstieg der Meeresspiegel

Aktueller Stand: Der mittlere globale Meeresspiegel ist im Zeitraum 1901 bis 2018 um 20 Zentimeter gestiegen, wobei seine Anstiegsrate seit den 1960er-Jahren kontinuierlich wächst. Das heißt, der Meeresspiegel steigt immer schneller. Im Zeitraum von 2006 bis 2018 betrug der globale Anstieg bereits 3,7 Millimeter pro Jahr. Betrachtet man den Zeitraum von 2013 bis 2022 waren es nach Angaben der WMO bereits 4,62 Millimeter. So schnell sind die Wasserstände in den zurückliegenden 3000 Jahren nicht angestiegen. Lokal und regional aber können die Pegel auch noch deutlich stärker steigen – etwa, weil sich das Land entlang der Küstenlinie gleichzeitig absenkt oder Wind und Meeresströmungen das Wasser vor der Küste auftürmen.
Blick in die Zukunft: Die Entwicklung des globalen Meeresspiegels wird durch zwei Faktoren bestimmt – zum einen durch die Temperatur des Meerwassers (je wärmer das Wasser, desto stärker dehnt es sich aus und nimmt demzufolge mehr Raum ein); zum anderen durch Veränderungen der an Land gespeicherten Wassermenge (Eismassen, Grundwasser, Flüsse, Seen). Gelangt mehr Wasser vom Land in den Weltozean, steigen die Wasserpegel. An jedem lokalen Küstenabschnitt stellt sich zudem die Frage, ob das Küstengebiet selbst irgendwelchen Höhenveränderungen unterworfen ist – etwa, weil viel Grundwasser abgepumpt wird und der Untergrund deshalb absinkt (Subsidenz) oder geologische Prozesse zu einer Anhebung oder Absenkung der Landfläche führen. Veränderungen des lokalen Meeresspiegels können auch deshalb deutlich stärker oder aber schwächer ausfallen als der globale Trend.
Der Weltklimarat prognostiziert einen weiteren Anstieg des globalen Meeresspiegels, selbst wenn es der Menschheit gelingen sollte, ihre Treibhausgasemissionen innerhalb kurzer Zeit auf null zu reduzieren. Die Spanne der möglichen Anstiegsszenarien reicht von zusätzlichen 18 bis 23 Zentimetern bis zum Jahr 2050. Für das Ende des Jahrhunderts wird ein Anstieg von 38 bis 77 Zentimetern erwartet.

Abb. 1.4: Annie Spratt/unsplash

 

1.4 > Ein Eisberg, abgebrochen vom Grönländischen Eisschild. Seit dem Jahr 1996 verliert der Eispanzer Grönlands mehr Eis durch Oberflächenschmelze und das Kalben von Eisbergen, als sich durch die Verdichtung neuen Schnees bilden kann.

Veränderungen im Wasserkreislauf

Aktueller Stand: Die globale Erwärmung hat zur Folge, dass weltweit mehr Wasser verdunstet, über dem Meer ebenso wie über dem Land. Dadurch steigt zum einen die Wasserdampfmenge in der Atmosphäre und damit die Wahrscheinlichkeit, dass sich Regentropfen bilden. Zum anderen verliert das Erdreich im Zuge der Verdunstung wichtige Bodenfeuchtigkeit, die eigentlich für das Wachstum von Pflanzen benötigt wird. Beide physikalischen Prozesse verändern das Wetter und Klima nachhaltig: Schon seit den 1950er-Jahren lässt sich eine Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Starkregenereignissen beobachten – zumindest in jenen Regionen der Welt, in denen es eine kontinuierliche Wetteraufzeichnung gibt. Gleichzeitig steigt im Zuge des Klimawandels in einigen Regionen die Dürregefahr, weil Niederschläge vor allem in den trockensten Monaten des Jahres ausbleiben oder aber zu anderen Jahreszeiten fallen – und dann in so großen Mengen, dass das Wasser oberflächlich abläuft und nicht im Boden versickern kann. Ein großes Problem stellt zudem die Abnahme der Schneedecke dar. Weil es seit den 1950er-Jahren im Winter seltener schneit, bildet sich vielerorts keine Schneedecke mehr. Deren Schmelzwasser aber versorgte im Frühjahr Mensch und Natur und fehlt mittlerweile flächendeckend, vor allem in Bergregionen sowie in der Tundra.
Blick in die Zukunft: Die Häufigkeit und Intensität von Starkregenereignissen werden vielerorts weiter zunehmen, wodurch das Hochwasser- und Überflutungsrisiko steigt. Zunehmen werden zudem die Dürregefahr und die Zahl der Regionen, die künftig häufiger und länger anhaltend von Dürre betroffen sein werden. Die Schneedecke wird vor allem auf der Nordhalbkugel weiter schrumpfen, mit der Folge, dass Flüsse und Bäche temperaturbedingt zu einem früheren Zeitpunkt Schmelzwasser führen werden und diese Wassermengen auch geringer ausfallen können.

Zusatzinfo Der Klimawandel in Zahlen: Die sieben Klima-Indikatoren der WMO Zusatzinfo öffnen

Mehr Taifune und Hurrikane

Aktueller Stand: In den zurückliegenden vier Jahrzehnten hat der Anteil tropischer Wirbelstürme der Kategorie drei bis fünf auf der Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala (Windgeschwindigkeiten von mehr als 178 Stundenkilometern) zugenommen, und es kommt häufiger vor, dass sich ein eher schwacher Sturm innerhalb kurzer Zeit zu einem echten Hurrikan entwickelt. Über dem Westatlantik ziehen tropische Wirbelstürme mittlerweile langsamer vom offenen Meer Richtung Land. Das heißt, die Wirbelstürme verweilen länger an ein und demselben Ort und richten in der Regel auch größere Schäden an. Über dem Nordpazifik haben die außertropischen Wirbelstürme ihre Zugbahnen nordwärts verlagert und treffen nun anderswo auf Land als noch vor 40 Jahren.
Blick in die Zukunft: Forschende gehen davon aus, dass sich die Zahl der Wirbelstürme insgesamt kaum verändern wird. Allerdings wird in den tropischen Regionen der Anteil besonders starker und damit zerstörerischer Stürme weiter zunehmen.
1.5 > Viele Komponenten des Klimasystems reagieren schnell auf die globale Erwärmung – und je höher diese ausfällt, desto größer sind die Veränderungen. Andere Klimafolgen hingegen nehmen erst langsam Fahrt auf. Einmal in Gang gesetzt, lassen sie sich dann aber auch nicht mehr kurzfristig stoppen. Das prominenteste Beispiel: der Anstieg des Meeresspiegels.
Abb. 1.5 nach IPCC, 2021, Climate Change 2021: The Physical Science Basis. doi:10.1017/9781009157896, Infographic TS.1

Wenn Extreme aufeinandertreffen

Im Zuge des Klimawandels wird die Welt nicht nur wärmer, Mensch und Natur sind auch immer häufiger Klima- und Wetterextremen ausgesetzt. Dazu gehören Hitzewellen, Starkregen, schwere Stürme, Dürren, Überflutungen und Sturmfluten, die aufgrund der steigenden Meerespegel weite Küstengebiete überspülen. Immer häufiger kommt es dabei vor, dass zwei oder drei Wetterextreme gleichzeitig auftreten. In den zurückliegenden 100 Jahren wurden zum Beispiel mehr und mehr Hitzewellen beobachtet, die in Regionen auftraten, in denen zur gleichen Zeit bereits Dürre herrschte.
Überlagern sich solche Extreme, verstärken sich ihre Klimafolgen für Mensch und Natur. Das heißt, Dürre und Hitze richten gemeinsam viel größere Schäden an, als jedes Extremereignis für sich allein verursacht hätte. Das gilt nicht nur für die Kombination aus Hitze und Dürre, sondern auch für den Fall, dass Küstenregionen von schweren Stürmen heimgesucht werden, die sowohl eine Sturmflut (Meereshochwasser) als auch Starkregen (Überflutung an Land, Flusshochwasser) mit sich bringen. Gemeinsam führen Sturm, Sturmflut und Starkregen zu viel weiträumigeren Überflutungen als jedes Wetterextrem für sich allein genommen.
Die Gefahr, dass Extremereignisse gleichzeitig auftreten und sich gegenseitig in ihren Auswirkungen verstärken, steigt im Zuge des Klimawandels. Besonders gefährdet sind dabei flache Küstenregionen, die regelmäßig von Wirbelstürmen heimgesucht werden.
1.6 > Der Klimawandel ruft nicht in allen Erdteilen die gleichen Veränderungen hervor. Stattdessen gibt es regionale Unterschiede, die mit zunehmender globaler Erwärmung immer deutlicher zum Vorschein treten. In den hohen Breiten, den Tropen und den Monsungebieten wird es beispielsweise mehr regnen, während die Subtropen weniger Niederschläge bekommen werden.
Abb. 1.6 nach IPCC, 2021, Climate Change 2021: The Physical Science Basis. doi:10.1017/9781009157896, FAQ 4.3 Figure 1

Die Folgen: Weitreichende Schäden für Mensch und Natur

Die physikalischen Klimaparameter bestimmen den großen Rahmen, innerhalb dessen Leben auf der Erde existieren kann. Verändern sich diese Parameter, wandeln sich nicht nur die Existenzbedingungen für Mensch und Natur, sondern auch für die vom Menschen erbaute Umwelt. Schließlich halten auch Gebäude, Straßen, Stromnetze, Brücken und andere wichtige Infrastrukturen nur ganz bestimmten Umweltbedingungen stand. Die globale Erwärmung von 1,15 Grad Celsius hat bereits zu weitreichenden Schäden und Verlusten für Mensch und Natur geführt und jedes weitere Zehntelgrad Erwärmung wird das Schadensrisiko weiter erhöhen.
Die Aussagen des Weltklimarates zu den beobachte-ten und künftigen Auswirkungen des Klimawandels auf die verschiedenen Formen des Lebens auf der Erde lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Eine Neuorganisation natürlicher Lebensgemeinschaften

Der Klimawandel führt zu drastischen und stetig zunehmenden Veränderungen in der Natur. Diese beeinflussen die Artenzusammensetzung der natürlichen Lebensgemeinschaften an Land, in Seen und Flüssen sowie im Meer und schwächen deren Funktions- und Widerstandsfähigkeit. Problematisch sind dabei sowohl langsam voranschreitende Veränderungen (Meeresspiegel, Ozeanversauerung) als auch die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen.
Steigende Temperaturen sowie Wetterextreme wie Dürren, Hitzewellen, Stürme, Starkregen und Überflutungen schaffen in allen Regionen der Welt klimatische Bedingungen, wie Tier- und Pflanzenarten sie seit Jahrtausenden noch nicht erlebt haben. Oft übersteigen die gemessenen Rekordtemperaturen schon heute die Belas­tungsgrenzen der Lebewesen. Hinzu kommt, dass die Wetterextreme mittlerweile so häufig auftreten, dass die Ökosysteme weniger oder gar keine Zeit mehr haben, sich von einem Hitzeschock zu erholen, bevor bereits der nächste folgt.
Tropische Korallenriffe beispielsweise benötigen mindestens zehn Jahre, um eine hitzebedingte Korallenbleiche zu überwinden. Betrachtet man jedoch das australische Great Barrier Reef, so hat dieses seit dem Jahr 2000 insgesamt sechs große Korallenbleichen erlebt, allein vier davon in den Jahren 2016 bis 2022. Bemerkenswert ist dabei, dass die Korallenbleiche im australischen Sommer 2021/22 die erste Bleiche unter La-Niña-Bedingungen war. Unter diesen Umständen sind die Wassertemperaturen vor der Ostküste Australiens eigentlich kühler als normal. Dennoch zeigten 91 Prozent der Korallen im Great Barrier Reef Anzeichen großen Hitzestresses.
1.7 > Die zunehmende Häufigkeit und Intensität der Extremereignisse stellen eine echte Gefahr für Tiere und Pflanzen dar. Je öfter eine einzelne Art oder ein ganzes Ökosystem von einem Extremereignis betroffen ist und je weniger Zeit die Lebewesen haben, sich von diesem Schock zu erholen, desto höher ist das Risiko, dass sie lokal aussterben.
Abb. 1.7 nach IPCC, 2022, Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability, doi:10.1017/9781009325844, Figure Cross-Chapter Box EXTREMES.1
Weltweit sind seit dem Jahr 2009 rund 14 Prozent der Korallenriffe abgestorben. Das entspricht einer Rifffläche von 11.700 Quadratkilometern. Meereshitzewellen waren dabei die Hauptursache. Massensterben dokumentiert die Wissenschaft allerdings auch bei Bäumen, beispielsweise in borealen Wäldern und Mischwäldern im westlichen Nordamerika. Dürre- und hitzegeplagt gehen sie an Krankheiten oder Schädlingen zugrunde, fallen Waldbränden zum Opfer oder aber vertrocknen.
Neue Studien zu den Auswirkungen des Klimawandels sowie ein besseres Verständnis der natürlichen Prozesse lassen den Weltklimarat außerdem zu dem Schluss kommen, dass der Umfang und die Größenordnung der Klimafolgen für die Natur viel größer sind, als man in der Vergangenheit angenommen hat. Die meisten klimabedingten Veränderungen, die wir heute bereits sehen, treten schneller auf, als es noch vor 20 Jahren vorhergesagt worden ist. Sie richten weitaus mehr Schaden an und betreffen viel größere Gebiete.
Im Zuge des Klimawandels verschiebt sich zum Beispiel der biologische Kalender vieler Lebensgemeinschaften, sodass ehemals fein aufeinander abgestimmte Ereignisse oder Abläufe nicht mehr zueinanderpassen. Im Meer beispielsweise blühen Algen jetzt früher, als Fischlarven aus dem Ei schlüpfen, denen sie eigentlich als Nahrung dienen. Ist der Fischnachwuchs dann endlich so weit entwickelt, dass er auf Futtersuche gehen kann, ist die Algenblüte längst abgeklungen. An Land wachen Winterschläfer verfrüht aus ihrer Winterruhe auf und suchen dann vergeblich nach Essbarem. Bäume und Blumen blühen, bevor Insekten sie bestäuben können, und Vogelküken reißen zu einem Zeitpunkt hungrig ihre Schnäbel auf, an dem die Elternpaare kaum noch ausreichend Insekten finden.
1.8 > Eine Korallenkolonie vor der Korallenbleiche (rechts) und danach (links). Wird das Wasser zu warm, stoßen die Korallen ihre Algen, die sie mit Nahrung versorgen, ab und verlieren deshalb ihre Farbe. Dauert dieser Zustand länger an, verhungert die Koralle.
Abb. 1.8 The Ocean Agency/XL Catlin Seaview Survey/Coral Reef Image Bank
Um der zunehmenden Wärme zu entkommen, ver-lassen Tiere und Pflanzen auf der ganzen Welt ihre angestammten Lebensräume oder aber sterben lokal aus. Rund die Hälfte der Abertausend untersuchten Arten zeigen entsprechende Reaktionen. Meeresbewohner wandern polwärts oder in größere Tiefe ab, in der Hoffnung, dort die gewohnten Umgebungstemperaturen zu finden. Dabei verlagern sie ihre Lebensräume mittlerweile mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 59 Kilometern pro Jahrzehnt. Die Meereserwärmung ist jedoch nicht der einzige Stressfaktor, der auf Tiere und Pflanzen einwirkt. Die Lebensbedingungen verschlechtern sich auch durch die zunehmende Versauerung und Sauerstoffarmut der Meere. Gemeinsam haben alle drei Faktoren in den zurückliegenden 50 Jahren zu einer Neuorganisation des Lebens im Meer geführt, auch und insbesondere an der Meeresoberfläche.
Lebewesen an Land ziehen ebenfalls Richtung Pol oder aber in höhere Lagen. Organismen, die nur langsam oder gar nicht Reißaus nehmen können, laufen Gefahr, zumindest lokal auszusterben. Das gilt für die Lebensgemeinschaften auf den Kontinenten ebenso wie für jene im Meer. Besonders geringe Überlebenschancen haben Organismen, die entweder in geografisch eng begrenzten Lebensräumen wie Tümpeln und Seen leben und somit keine Chance zur Abwanderung haben, oder diejenigen, die an die kalten Lebensbedingungen der Polar- und Hochgebirgsregionen angepasst sind. Diese Kälte-Spezialisten werden künftig kaum noch geeignete Rückzugsräume auf der Erde finden.

Massenaussterben
Von einem Massenaussterben spricht die Wissenschaft, wenn in einem Zeitraum von zumeist weniger als zwei Millionen Jahren mehr als 75 Prozent der Tier- und Pflanzen­arten aussterben und ihre Rollen im Ökosystem nicht zeitnah wieder durch neue oder andere Arten ersetzt werden. In den zurückliegenden 540 Millionen Jahren war dies bereits fünfmal nachweislich der Fall, wobei sich die einzelnen Ereignisse über Zeitspannen von bis zu mehreren Millionen Jahren erstreckten.

Erschwerend zu all dem kommt hinzu, dass die Folgen des Klimawandels für Natur und Artenvielfalt einhergehen mit anderen vom Menschen verursachten Stressfaktoren. Dazu gehören in erster Linie die weiträumige Zerstörung natürlicher Lebensräume durch das Abholzen von Wäldern, das Trockenlegen von Feuchtgebieten, die Verbauung der Küsten, das Überfischen der Meere und der Abbau von Rohstoffen. Eine wichtige Rolle spielen aber auch die Umweltverschmutzung, die unkontrollierte Flächenversiegelung sowie die Ausbreitung eingeschleppter Arten. Wo immer sich diese Stressfaktoren überlagern, verstärken sie sich gegenseitig in ihren Auswirkungen und schwächen die Widerstandskraft der natürlichen Ökosysteme. Der Klimawandel stellt somit für viele Lebensgemeinschaften einen Gefahrenmultiplikator dar. Mit zunehmender Erwärmung wird dieser für viele von ihnen sogar zu einer tödlichen Bedrohung. Denn eines steht fest: Mit jedem Zehntelgrad Erwärmung steigen die Auswirkungen und Klimarisiken für die Ökosysteme an Land und im Meer.
Die Weltmeere beispielsweise steuern infolge des Zusammenwirkens von Klimawandel und der Übernutzung des Meeres durch den Menschen auf ein Massen- aussterben zu. Es wäre das sechste der jüngeren Erd-geschichte. Neue Forschung belegt: Sollten die Temperaturen in Atmosphäre und Meer weiter ansteigen, werden die Artenverluste infolge von Hitzestress und Sauerstoffmangel im Meer innerhalb der kommenden 75 Jahre genauso groß sein wie die Verluste durch Über-fischung, Verschmutzung und Lebensraumzerstörung.
In der Summe würden bei einem globalen Temperaturanstieg von bis zu 4,9 Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts so viele marine Arten aussterben, dass die Definitionsbedingungen eines Massenaussterbens erfüllt sind.
Besonders hoch wäre die Aussterberate dabei in den Polarregionen, weil sich die kälteadaptierten Organismen in Anbetracht der Geschwindigkeit der Veränderungen kaum anpassen können. Den höchsten Vielfaltsrückgang aber würden die heute noch artenreichen Tropen verzeichnen. Deren Bewohner leben schon heute an ihrer oberen Temperaturgrenze. Die Forschung aber zeigt auch: Gelingt es, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, sinkt die Gefahr eines Massenaussterbens deutlich.

Gefahrenmultiplikator Klimawandel

Die Umwälzungen in der Natur haben weitreichende Auswirkungen auf uns Menschen. Stück für Stück versagen uns die Ökosysteme ihre elementar wichtigen Dienste (Ökosystemleistungen). Getreide, Obstbäume und andere Nutzpflanzen werden nicht mehr umfassend bestäubt; Rinder, Schafe und Ziegen finden nicht mehr ausreichend zu fressen; Küstenfischer holen vor allem in den warmen, tropischen Regionen immer öfter leere Netze ein, weil die Fischschwärme in kühlere Regionen abwandern. Außerdem werden Wasser und Luft in geringerem Umfang gereinigt, die Küsten weniger wirksam vor Erosion geschützt, beliebte Urlaubsorte verlieren mit den Wäldern, schneebedeckten Berghängen oder Korallenriffen ihre Hauptattraktionen. Parallel dazu leidet die psychische Gesundheit vieler Menschen, die im Wald spazieren gehen oder aber an das Meer fahren, um sich zu erholen. Kurz gesagt: Je umfassender sich die Ökosysteme verändern, desto mehr seiner Lebensgrundlagen verliert der Mensch.

Wasser: Entweder viel zu viel oder viel zu wenig

Die Auswirkungen des Klimawandels treffen uns Menschen und die von uns gebaute Umwelt aber auch unmittelbar: Mit der zunehmenden Häufigkeit von Starkregenereignissen steigt zum Beispiel das Hochwasserrisiko entlang von Flüssen in einigen Regionen der Welt. Das Schadenspotenzial solcher Naturkatastrophen ist Berechnungen zufolge in einer vier Grad Celsius wärmeren Welt vier- bis fünfmal höher, als wenn es gelingen würde, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Doch selbst in einer 1,5 Grad Celsius wärmeren Welt werden mehr Menschen ihr Leben und ihr Hab und Gut an Hochwasser verlieren, als es aktuell noch der Fall ist. In Kolumbien, Brasilien und Argentinien beispielsweise würde die Zahl der von Flusshochwassern betroffenen Menschen um 100 bis 200 Prozent zunehmen; in Ecuador betrüge dieser Anstieg 300 Prozent, in Peru sogar 400 Prozent.
Die steigenden Frühlings- und Wintertemperaturen wiederum führen zu einer verfrühten Schneeschmelze in den Gebirgen und somit zu Veränderungen der gewohnten Wasserstände in Gebirgsbächen und -flüssen. Für uns Menschen bedeutet diese Entwicklung, dass die Flüsse unter Umständen zu jenen Zeiten viel Wasser führen, wenn es kaum gebraucht wird, später im Jahr aber die Flusspegel zu niedrig sind, als dass die benötigte Menge entnommen werden kann.
Schon heute leidet mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung pro Jahr mindestens einen Monat lang unter akuter Wasserknappheit, die zumindest in Teilen vom Klimawandel verursacht wird – etwa durch extreme Trockenheit oder aber durch Überflutungen, Stürme und Starkregenereignisse, deren Folgen ebenfalls die Trinkwasserversorgung vielerorts gefährden. Besonders betroffen sind Dörfer, Städte und Gemeinden, deren Bewohner auf das Schmelzwasser der schrumpfenden Berggletscher angewiesen sind, sowie Menschen, die in Gebieten wohnen, in denen es keine zentrale Wasserversorgung gibt. Treten hier Flüsse über ihre Ufer oder versiegt eine natürliche Quelle aufgrund von Dürre, stehen oftmals Abertausende ohne Trinkwasser da.
Neben der Landwirtschaft, dem größten Wasserverbraucher der Welt, trifft die Wasserknappheit auch den Energiesektor: Seit den 1980er-Jahren hat die weltweit durch Wasserkraft erzeugte Strommenge aufgrund sinkender Wasserpegel und Durchflussmengen um vier bis fünf Prozent abgenommen. Stellenweise droht Wasserkraftwerken wegen Wassermangels sogar die Abschaltung. Wie ernst die Lage werden kann, zeigte bis zum Winter 2022/23 die Situation am Lake Powell, dem zweitgrößten Stausee der USA. Er liegt direkt auf der Grenze der beiden US-Bundesstaaten Utah und Arizona, wird durch den Colorado River gespeist und versorgt gemeinsam mit dem weiter flussabwärts liegenden Stausee Lake Mead rund 40 Millionen Menschen mit Trinkwasser. Gleichzeitig entnehmen Farmen entlang des gesamten Flusslaufes Wasser, um ihre Felder und Plantagen zu bewässern. Nach 22 Jahren Dürre im Westen der USA und einer stets zu hohen Wasserentnahme aus dem Colorado River war der Stausee Ende März 2022 nur noch zu 24 Prozent gefüllt. Sein Wasserpegel fiel allein im Zeitraum von 2019 bis 2022 um mehr als 30 Meter und damit fast unter einen kritischen Grenzwert, ab dem das Wasserkraftwerk am Staudamm des Sees keine Elektrizität mehr erzeugen kann. Die zuständige Bundesbehörde entschied deshalb, im weiteren Jahresverlauf weniger Wasser aus dem See abzulassen als gewöhnlich und weiter flussaufwärts die Stautore eines weiteren Reservoirs zu öffnen. Dadurch sollen zusätzliche Wassermassen in den Stausee geleitet werden. Die Dürre im Westen der USA zog sich über 22 Jahre und gilt mittlerweile als trockenste Periode der zurückliegenden 800 Jahre.

Ernährung: Harte Zeiten für Ackerbau, Tierhaltung und Aquakultur

Wo es viel zu viel oder mittlerweile nicht mehr zur richtigen Jahreszeit regnet, wird es schwieriger, Ackerbau zu betreiben und Nutztiere zu halten. Nach Angaben des Weltklimarates erleben Land- und Forstwirte, Fischer und Aquakulturfarmer weltweit schon heute so weitreichende negative Auswirkungen des Klimawandels, dass sie nicht mehr ausreichend Grundnahrungsmittel und Holz produzieren können, um die Bedürfnisse aller Menschen zu decken.
Die zunehmende Hitze und Trockenheit lassen Getreide und Tierfutter auf den Feldern verdorren, Krankheiten breiten sich aus. Im Meer fällt es Fischerfamilien aufgrund der zunehmenden Ozeanversauerung, steigender Wassertemperaturen und vieler Algenblüten (durch Überdüngung) immer schwerer, Muscheln und andere Meeresfrüchte großzuziehen. Gleichzeitig wird es im Zuge der Erwärmung immer aufwendiger und damit teurer, verderbliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse sicher zu transportieren, zu lagern, zu verkaufen und auch zu Hause noch für ein paar Tage aufzubewahren. Der Klimawandel trifft somit nicht nur die Erzeuger, sondern die gesamte Handelskette bis hin zum Endkunden – und gefährdet auf diese Weise die Ernährungssicherheit auf der ganzen Welt.
Besonders groß fallen die Verluste aus, wenn Regio­nen von Extremereignissen wie Dürren, Überflutungen und Hitzewellen getroffen werden. Die Häufigkeit solcher plötzlichen Ernte- oder Produktionsausfälle an Land und im Meer hat seit den 1950er-Jahren stetig zugenommen und führt vielerorts zu Dominoeffekten. Wenn Ernten ausfallen, verlieren Bauernfamilien ihre Nahrungs- und Einkommensgrundlage. Gleichzeitig sind weniger Grund-nahrungsmittel verfügbar, weshalb die Preise steigen und sich vor allem einkommensschwache Familien wichtige Nahrungsmittel nicht mehr leisten können. Die Folgen sind Hunger und Mangelernährung, unter denen vor allem Kinder gesundheitlich leiden. Entsprechende Entwicklungen lassen sich unter anderem in Asien, Zentral- und Mittelamerika, in den Regionen südlich der Sahara, in der Arktis sowie in den kleinen Inselstaaten beobachten – und abermals treffen die Auswirkungen des Klimawandels die Kleinbauern und Kleinstfischer besonders hart.
Mit zunehmender Erwärmung wird sich die Situation zuspitzen – unter anderem, weil bei größerer Wärme mehr Wasser über die Blätter und aus dem Boden verduns­tet. Das heißt, der Wasserbedarf der Landwirtschaft wird weiter zunehmen. Da gleichzeitig in vielen Regionen deutlich weniger Wasser in der Wachstumsperiode zur Ver­fügung stehen wird, vervielfachen sich die Risiken entsprechend. Drei Beispiele:
  • Sollte sich die Welt bis zum Jahr 2100 um zwei Grad Celsius erwärmen, steigt die Wahrscheinlichkeit extremer Dürren in großen Teilen des nördlichen Südamerikas, im Mittelmeerraum, im Westen Chinas sowie in den hohen Breiten Europas und Nordamerikas um 150 bis 200 Prozent.
  • Waren im Zeitraum von 1981 bis 2005 etwa 40 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen (rund 3,8 Millionen Quadratkilometer) von Wasserknappheit betroffen, werden es einer neuen Studie zufolge bis zum Jahr 2050 mehr als 80 Prozent sein – selbst dann, wenn sich die Erde bis 2050 nur um 1,6 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmen sollte.
  • Im selben Zeitraum werden allein die Folgen des Klimawandels dazu führen, dass voraussichtlich acht bis 80 Millionen Menschen in Südasien, Zentralamerika und südlich der Sahara nicht mehr ausreichend zu essen haben und Hunger leiden werden. Ihre genaue Zahl hängt vom Erwärmungsniveau und damit vom Ausmaß des künftigen Klimawandels ab.

Gesundheit: Die Grenze des menschlich Erträglichen

Die Folgen des Klimawandels beeinträchtigen sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit von Menschen in allen Regionen der Welt. Über starke psychische Belastungen klagen vor allem Menschen, die extremen Wetterereignissen ausgesetzt oder aber währenddessen als Rettungskräfte im Einsatz waren. Ferner diejenigen, die infolge des Klimawandels ihren Lebensunterhalt verlieren oder sogar ihr Zuhause, ihre Heimat oder aber kulturelle Werte aufgeben müssen. Die physische Gesundheit wird vor allem durch Hitzeextreme beeinträchtigt. Steigende Lufttemperaturen sowie heißere und länger andauernde Hitzewellen haben weltweit zu mehr Erkrankungen und einer erhöhten Sterblichkeit geführt, auch in den mittleren Breiten. Leidtragende sind vor allem Alte und Kranke sowie im Freien arbeitende Menschen. Letztere verdienen überdies vielerorts kein Geld, wenn extreme Hitze die Arbeit auf Feldern oder Baustellen unmöglich macht.
Besonders gefährlich wird extreme Wärme, wenn sie zusammen mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit auftritt. Ist die Luft nämlich so feucht, dass Wasser und demzufolge auch Schweiß nicht mehr richtig verdunsten können, versagt die körpereigene Kühlung des Menschen. Unser Körper heizt sich dann mehr und mehr auf, bis irgendwann der Kreislauf kollabiert. Im Extremfall droht dann sogar der Hitzetod. Die Hitzetoleranz-Grenze des Menschen kann mithilfe der sogenannten Kühlgrenztemperatur bestimmt werden. Sie berücksichtigt sowohl die Umgebungstemperatur als auch die Luftfeuchtigkeit. Bislang ging man davon aus, dass ein gesunder Mensch eine Kühlgrenztemperatur von 35 Grad Celsius nicht viel länger als sechs Stunden überleben kann. Diese Grenze ergibt sich aus der Kombination von Temperatur und Luftfeuchte und entspricht 35 Grad Celsius bei 100 Prozent Luftfeuchte oder 46 Grad Celsius bei 50 Prozent Luftfeuchtigkeit.
Als Forschende der US-amerikanischen Pennsylvania State University diese Annahme nun erstmals in Belastungsexperimenten überprüften, stellte sich heraus, dass die theoretisch gezogene Grenze viel zu hoch angesetzt war. In Klimakammern mit hoher Luftfeuchtigkeit reichte schon eine Raumtemperatur von 30 bis 31 Grad Celsius aus, um die Körper-Kerntemperatur junger, gesunder Testpersonen gefährlich ansteigen zu lassen. Entgegen aller Erwartungen führte auch ein leichtes Absinken der Luftfeuchtigkeit nicht zu einer steigenden Hitzetoleranz der Probanden. Stattdessen lag die kritische Kühlgrenztemperatur unter diesen Bedingungen sogar bei 25 bis 28 Grad Celsius und damit fast zehn Grad niedriger als bis dato in der Wissenschaft angenommen. Als Grund führte das Forscherteam an, die Probanden hätten trotz geringerer Luftfeuchtigkeit ihre Schweißproduktion ab einem bestimmten Temperaturwert nicht weiter erhöht.
Angesichts des fortschreitenden Klimawandels sind diese Forschungsergebnisse besorgniserregend. Sie zeigen, dass die Hitzegefahr für Menschen bislang unterschätzt wurde und es mit zunehmender globaler Erwärmung immer mehr Regionen geben wird, in denen der Hitzestress zeitweise so groß sein wird, dass man ihn ohne zusätzliche Kühlung nicht überleben wird.
1.9 > Trifft extreme Hitze auf hohe Luftfeuchtigkeit, können Menschen schnell überhitzen – ein lebensgefährlicher Zustand. Diese Grafik des Weltklimarates zeigt, in welchen Regionen der Erde Menschen künftig an wie vielen Tagen im Jahr unter „Hyperthermie“, so der Fachausdruck, leiden werden. Die Kernaussage: Je schneller der Klimawandel gebremst wird, desto weniger Menschen werden dieser Lebensgefahr ausgesetzt sein.
Abb. 1.9 nach IPCC, 2022, Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability, doi:10.1017/9781009325844, Figure 6.3
Besonders schwierig dürfte die Situation langfristig für all jene Menschen werden, die in den Millionenstädten der Tropen und Subtropen leben. Zum einen sind dort die Lufttemperatur und die Luftfeuchtigkeit nahezu das ganze Jahr hindurch hoch; zum anderen kommt der sogenannte Wärmeinseleffekt zum Tragen. Er besagt, dass sich am Tag die Luft in städtischen Ballungsräumen stärker erwärmt als in deren unbebauter Umgebung. Nachts kühlt sie zudem weniger schnell ab. Daraus folgt, dass es in den Millionenstädten der Tropen und Subtropen nur eines vergleichsweise kleinen Temperatursprungs bedarf, um die innerstädtische Lufttemperatur so weit in die Höhe zu treiben, dass sie die Hitzetoleranz-Grenze vieler Menschen überschreitet.
Hinweise darauf, dass Stadtbewohner in der Regel viel höheren Temperaturen ausgesetzt sind, als sie für eine Region angegeben sind, existieren mittlerweile viele. Als zum Beispiel Indien und Pakistan im Mai 2022 von einer schweren Hitzewelle mit Tageshöchsttemperaturen von bis zu 51 Grad Celsius getroffen wurden, war es in Indiens Hauptstadt Neu-Delhi und in benachbarten Städten auch mitten in der Nacht noch 35 bis 39 Grad Celsius heiß, während sich die Luft über den umliegenden Feldern und Wäldern auf erträgliche 15 Grad Celsius abgekühlt hatte. Anschließende Analysen eines internationalen Forscherteams ergaben: Der menschengemachte Klimawandel hatte die Wahrscheinlichkeit einer solchen Rekord-Hitzewelle verdreißigfacht.
Der Klimawandel ermöglicht aber auch eine Ausbreitung vieler Infektionskrankheiten. Dürren zum Beispiel erhöhen das Risiko, dass Brunnen versiegen, extreme Niederschläge dagegen, dass sie geflutet oder verschmutzt werden. Pumpen die Menschen ihr Trinkwasser in beiden Fällen aus verunreinigten Quellen, steigt die Gefahr, an bakteriellen Infektionskrankheiten wie Cholera zu erkranken. Die zunehmende Wärme ermöglicht es Aedes-Stechmücken, ihr Verbreitungsgebiet von den Tropen aus Richtung Norden und Süden auszuweiten. Die Insekten übertragen unter anderem Dengue- und Gelbfieberviren. Das Risiko, an Denguefieber zu erkranken, steigt bereits weltweit. Infolge von Waldbränden, die mittlerweile häufiger auftreten und größere Flächen betreffen, nimmt in den betroffenen Regionen die Gefahr von Atemwegserkrankungen zu.
1.10 > Aedes-Stechmücken werden auch Gelbfieber- oder Denguemücken genannt, denn sie übertragen beide Krankheiten. Im Zuge des Klimawandels wächst ihr Verbreitungsgebiet. Ursprünglich nur in den Tropen und Subtropen beheimatet, kommen die Insekten jetzt auch weiter nördlich und südlich vor.
Abb. 1.10 Wellcome Collection no. 41477i

Meeresspiegel: Land unter!

Infolge der steigenden Meeresspiegel werden sich die Klimarisiken für Mensch, Natur und gebaute Strukturen in den Küstenregionen der Welt bis zum Jahr 2100 mindestens verzehnfachen, vor allem weil extrem hohe Fluten häufiger auftreten werden. Besonders gefährlich werden die steigenden Pegel den Abermillionen Menschen, die in niedrig gelegenen Küstenregionen sowie auf kleinen Inseln leben. Steigende Meeresfluten zerstören die artenreichen Ökosysteme im Gezeitenbereich, versalzen Grundwasserreservoire und überspülen große Landflächen – Küstenwälder und Ackerland ebenso wie die küstennahen Stadtteile vieler Küstenmetropolen. Deren unkontrolliertes Wachstum trägt dazu bei, dass die stetig steigenden Meeresspiegel über die Zeit betrachtet immer mehr Menschen gefährden. In Afrika beispielsweise werden bereits im Jahr 2030 zwischen 108 und 116 Millionen Menschen in Regionen mit hohem Überflutungsrisiko leben. Im Jahr 2000 waren es nur 54 Millionen.
Global betrachtet liegt die Zahl der Betroffenen um ein Vielfaches höher: Nach Angaben des Weltklimarates werden im Jahr 2050 weltweit mehr als eine Milliarde Menschen in Küstenstädten und küstennahen Ballungszentren mit einem hohen Überflutungsrisiko leben. Ihnen drohen nicht nur wiederkehrende Sturmfluten, sondern auch die dauerhafte Überflutung ihrer Dörfer und ihrer Stadtteile.
Abb. 1.11 “A Borrowed Planet – Inherited from our ancestors. On loan from our children“ by Alisa Singer. © 2022 All rights reserved. Source: IPCC

 

1.11 > Bunte Collage auf der Titelseite des sechsten Weltklimaberichts zu Klimafolgen, Anpassung und Verwundbarkeit. Erschienen ist er im Februar 2022. Seine wichtigste Botschaft: Die Menschheit weiß, was zu tun ist, um die Folgen des Klimawandels zu mindern. Was fehlt, ist entschlossenes Handeln weltweit.

Zusatzinfo Das Klima-Gerechtigkeitsproblem: Die größte Last tragen die Armen Zusatzinfo öffnen

Abb. 1.11 “A Borrowed Planet – Inherited from our ancestors. On loan from our children“ by Alisa Singer. © 2022 All rights reserved. Source: IPCC

 

Klimaanpassung: Die Welt ist unvorbereitet

Um die Folgen und Risiken des Klimawandels zu reduzieren, müssen sich Mensch und Natur an die neuen Umweltbedingungen anpassen. Für uns Menschen bedeutet das in erster Linie, Maßnahmen zu ergreifen, die unser Leben sowie unser Hab und Gut vor hohen Temperaturen, Wetterextremen und steigenden Meeresspiegeln schützen. Gelingen kann das, indem wir aus gefährdeten Regionen wegziehen oder aber unser Leben vor Ort verändern – beispielsweise indem wir Siedlungen und Städte begrünen, um den Wärmeinseleffekt zu minimieren, oder indem wir mit Wasser so sparsam haushalten, dass unsere Reserven auch für Dürrezeiten reichen.
Die Liste der Lösungsvorschläge ist lang. Dennoch kommt der Weltklimarat zu dem Schluss, dass weltweit bisher weitaus weniger Schutzvorkehrungen geplant und umgesetzt wurden, als notwendig sind, um alle Menschen wirkungsvoll und nachhaltig zu schützen. Dabei ist das Bewusstsein für die zunehmenden Gefahren durchaus gestiegen. Mehr als 170 Staaten und viele Städte haben mittlerweile Pläne zur Klimaanpassung aufgestellt. Unternehmen und Akteure der Zivilgesellschaft setzen sich ebenfalls für mehr Anpassung ein. Vielerorts werden auch Pilotprojekte durchgeführt. Diese aber zielen oft nur darauf ab, das lokale Sturm-, Flut-, Hitze- oder Dürrerisiko zu minimieren, und führen daher nur zu kleinen Veränderungen mit regional und zeitlich begrenzter Wirksamkeit.
Um den drohenden Klimagefahren langfristig trotzen zu können, bedarf es ganzheitlicher Konzepte und grundlegender Anpassungen in unserer Lebensweise, wie wir arbeiten, wie wir unsere Nahrung erzeugen und die Natur behandeln und wie wir unsere Städte und Siedlungen planen und bauen. Derzeit, so das Fazit des Weltklimarates, sei die Menschheit vollkommen unvorbereitet auf all das, was uns im Zuge des Klimawandels noch bevorsteht – vor allem, wenn sich die Welt um mehr als 1,5 Grad Celsius erwärmt. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sprechen in diesem Zusammenhang von einer Anpassungslücke. Diese ist vor allem in jenen Regionen besonders groß, in denen die Menschen arm und in besonderem Maß den Klimagefahren ausgesetzt sind. Hinzu kommt: Vergleicht man die derzeit in Planung befindlichen Anpassungsmaßnahmen mit den wissenschaftlich vorhergesagten Klimafolgen, so ist heute schon absehbar, dass diese Anpassungslücke stetig wachsen wird.
Abb. 1.13 Elliot Ross/www.elliotstudio.com

 

1.13 > Ein eindrücklicher Vergleich: In der US-amerikanischen Metropole Los Angeles gibt es nur in jenen Stadtvierteln ausreichend Schatten spendende Straßenbäume, in denen die Anwohnenden genügend Geld haben, sich um den Erhalt der Bäume zu kümmern (oben). In ärmeren Vierteln hingegen fehlen die Bäume, weil auch die Stadtverwaltung nicht in Straßenbäume investiert. Die Menschen dort finden bei Hitze deshalb keinen kühlenden Baumschatten vor ihrer Haustür.
Abb. 1.13 Elliot Ross/www.elliotstudio.com

 

Die Grenzen der Anpassung

Neu ist auch die Klarheit, mit welcher der Weltklimarat mittlerweile die Grenzen der menschlichen Anpassung an den Klimawandel beschreibt. Dabei unterscheidet er zwischen harten und weichen Grenzen. Harte Grenzen lassen sich durch keinerlei Maßnahmen mehr überwinden. Wenn beispielsweise eine Atollinsel im Zuge des Meeresspiegelanstieges von Wellen überspült wird und alle Trinkwasserreserven vollständig versalzen sind, gibt es für die Inselbewohner langfristig keine andere Option mehr, als ihre Heimat zu verlassen. Gleiches gilt für Pflanzen und Tiere, die bereits an ihrer oberen Temperaturgrenze leben. Erwärmt sich ihr Lebensraum weiter, müssen sie zwangsläufig abwandern.
Weiche Grenzen hingegen lassen sich überwinden. Dazu bedarf es jedoch eines politischen Willens, ausreichend Geldes sowie wissenschaftlichen und lokalen Know-hows. Wenn alle vier Faktoren gegeben sind, können zum Beispiel Bauern in von Dürren geplagten Regionen neue, trockenresistente Arten anbauen und moderne Bewässerungssysteme installieren, sodass ihr Wasserverbrauch Seen, Flüsse oder aber Grundwasserspeicher schont.
Allerdings lässt sich heute schon konstatieren, dass viele Tier- und Pflanzenarten ihre harten Anpassungsgrenzen bereits erreicht haben oder kurz davor stehen. Sollten sie lokal aussterben, bedeutet das für die Abermillionen Bauern-, Fischer- und Hirtenfamilien, die von ihnen abhängen, das Ende ihres bisherigen Einkommenserwerbs. Der zunehmende Schnee- und Gletscherrückgang wird ab einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius dazu führen, dass Menschen, deren Wasserversorgung vom Schmelzwasser abhängt, nicht mehr ausreichend Trinkwasser haben werden. Und ab einer Erwärmung von zwei Grad Celsius wird es in vielen Getreideanbaugebieten der Welt deutlich schwieriger, erfolgreich Ackerbau zu betreiben.
Diese wenigen Beispiele für Anpassungsgrenzen zeigen: Je schneller die Menschheit den Klimawandel eindämmt, umso mehr Möglichkeiten verbleiben ihr, sich an die neuen Lebensbedingungen anzupassen, und desto wirksamer werden diese Optionen sein. Maßnahmen, die in einer 1,5 Grad wärmeren Welt noch funktionieren, können in einer zwei Grad wärmeren Welt bereits völlig wirkungslos sein. Daher muss die Effektivität aller Anpassungsaktivitäten auch stetig überwacht und die Wirksamkeit der verschiedenen Maßnahmen regelmäßig kontrolliert werden.

Klima, Mensch und Natur gewinnen nur zusammen

Der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates betont zudem das neue Grundverständnis, welches die Wissenschaft mittlerweile für die engen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Natur, Menschheit und Klima entwickelt hat. Schwächt der Mensch beispielsweise die Artenvielfalt, indem er die natürlichen Lebensräume rabiat zerstört und ihre Ressourcen rigoros ausbeutet, beraubt er sich damit seines wichtigsten Partners im Kampf gegen den Klimawandel. Gleichzeitig forciert die Menschheit durch ihren anhaltend hohen Ausstoß von Treibhausgasen den klimabedingten Niedergang der natürlichen Ökosysteme. Aus dieser Konfliktspirale auszubrechen und bisherige Fehlentwicklungen umzukehren, muss fortan Ziel allen menschlichen Handelns sein. Das bedeutet unter anderem, Mensch, Natur und Klima im Einklang mitein-ander zu denken – tagtäglich und bei jeder einzelnen Entscheidung, ganz egal, ob nun auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. Nur so kann es gelingen, Lösungen zu finden, die langfristig allen drei Systemen zugutekommen und heutigen ebenso wie kommenden Generationen eine lebenswerte Zukunft auf dem Planeten Erde garantieren. Textende