Der Klimawandel stellt die Menschheit vor ein wachsendes Gerechtigkeitsproblem. Unter den Folgen globaler Erwärmung und zunehmender Extremereignisse leiden nämlich vor allem einkommensschwache und gesellschaftlich ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen. Für sie stellt der Klimawandel oftmals ein existenzielles Problem dar, denn er multipliziert ihre ohnehin schon großen wirtschaftlichen, sozialen und gesundheitlichen Sorgen und Probleme um ein Vielfaches. Die erhöhte Verwundbarkeit einkommensschwacher und gesellschaftlich ausgegrenzter Bevölkerungsgruppen für Klimagefahren speist sich aus drei Quellen:
- Die Ärmsten leben in der Regel in Gebieten, in denen sie Wetterextremen und anderen Naturgefahren im besonderen Maß ausgesetzt sind. Dazu zählen Slums entlang von Flussläufen (Hochwassergefahr), illegal erbaute Häuserzüge an Berghängen (Erdrutschgefahr nach Starkregen) oder auch Siedlungen ohne alte Baumbestände, die in extrem heißen Phasen Schatten und Kühlung spenden könnten.
- Einkommensschwachen Familien fehlen häufig das Geld und zumeist auch die infrastrukturellen Voraussetzungen, um Klima- und Wetterextremen erfolgreich trotzen zu können. Dazu gehören eine stabile Energie- und Trinkwasserversorgung, Zugang zu sanitären Einrichtungen und Schutzräumen, eine gute Gesundheitsversorgung sowie eine verlässliche Versorgung mit allen wichtigen Grundnahrungsmitteln. Zudem arbeiten einkommensschwache Bevölkerungsgruppen sehr häufig in Berufsfeldern, in denen sowohl ihr Verdienst als oft auch ihre Nahrungsmittelversorgung stark vom Klima abhängen – so zum Beispiel in der Landwirtschaft oder in der Fischerei.
- Einkommensschwache und gesellschaftlich ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen werden in politische Entscheidungsprozesse häufig nicht mit einbezogen und ihre Bedürfnisse werden wenig oder gar nicht berücksichtigt. Der Weltklimarat kommt unter anderem zu dem Schluss, dass in einkommensschwachen Gebieten die Kluft zwischen den notwendigen Maßnahmen zur Klimaanpassung auf der einen und den tatsächlich umgesetzten Maßnahmen auf der anderen Seite deutlich größer ist als in jenen Gegenden, in denen Menschen mit höherem Einkommen leben.
Weltweit leben mittlerweile 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen in Gebieten mit einer besonders hohen Anfälligkeit für die Folgen des Klimawandels. Was das heißt, zeigen unter anderem die Sterblichkeitsraten: In Regionen mit hoher Verwundbarkeit für die Folgen des Klimawandels starben im zurückliegenden Jahrzehnt zum Beispiel 15-mal mehr Menschen an den Folgen von Stürmen, Überflutungen und Dürren als in Ländern mit geringerer Klimaverwundbarkeit. Gleichzeitig sind einkommensschwache Menschen vergleichsweise häufiger extremer Hitze ausgesetzt, eben weil sie als Bauern, Landschaftsgärtner, Bauarbeiter oder Handwerker viel im Freien arbeiten.
Anpassung und Teilhabe: Die Widerstandskraft verwundbarer Gruppen stärken
Basierend auf diesen Erkenntnissen hat der Weltklimarat ein Konzept für eine klimaresiliente Entwicklung erstellt, welches vorwiegend auf die Bedürfnisse der besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen eingeht. Im Kern kombiniert dieses Konzept Strategien zur Klimaanpassung und Treibhausgasreduktion so geschickt miteinander, dass gleichzeitig auch viele andere gesellschaftliche Herausforderungen angegangen werden können – etwa der Kampf gegen Hunger und Armut und gegen die Benachteiligung von Frauen.
Eine erfolgreiche Umsetzung ist jedoch an eine Vielzahl von Bedingungen geknüpft, die im Grunde eine Transformation des menschlichen Miteinanders sowie eine Abkehr von aktuellen Wertvorstellungen, Wirtschaftssystemen und Lebenszielen erfordern. Wenn es gelingen soll, die Erde als lebenswerten Planeten für Mensch und Natur zu erhalten, muss die Menschheit ab sofort:
- mindestens 30 bis 50 Prozent der Land- und Meeresflächen schützen und nachhaltig nutzen: Das heißt, es dürfen nur so viele natürliche Rohstoffe (Fisch, Holz etc.) entnommen werden, wie auch wieder nachwachsen können;
- bei Entscheidungen alle betroffenen Bevölkerungsgruppen von Anfang an in die Debatte mit einbeziehen: Das setzt transparente, demokratisch organisierte Prozesse voraus, in denen über alle gesellschaftlichen Grenzen hinweg zusammengearbeitet und unterschiedliche Interessen, Werte und Weltansichten auf faire Weise gegeneinander abgewogen werden;
- alle Entscheidungen auf Grundlage von Expertenwissen treffen: Gehört werden müssen neben Vertretern aus Wissenschaft und Ingenieurwesen auch die der lokalen Expertise und lokalen Interessenverbände sowie Ureinwohnerinnen und Ureinwohner;
- Fragen der Gerechtigkeit und Fairness eine hohe Priorität einräumen: Nur wenn einkommensschwache oder aber ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen eine Stimme erhalten und diese Stimme auch gehört und berücksichtigt wird, kann sich an ihrer prekären Situation etwas ändern. Zu diesen bislang ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen zählen vielerorts vor allem Frauen, Jugendliche und Ureinwohner;
- ausreichend Geld für Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung sowie für eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zur Verfügung stellen;
- grenz- und staatenübergreifend zusammenarbeiten.
Eine solche Transformation wäre schon in einer Welt ohne Klimawandel eine gigantische gesellschaftliche Herausforderung. Berechnet man die vom Klimawandel verursachten Schäden und Verluste mit ein, verschärft sich die Ausgangslage, denn mit jedem Zehntelgrad zusätzlicher Erwärmung verkleinert sich unser Handlungsspielraum. Der Weltklimarat bringt klar auf den Punkt, was auf dem Spiel steht, indem er schreibt: In einer mehr als zwei Grad wärmeren Welt hat die Menschheit vermutlich keine Chance mehr, eine lebenswerte Zukunft für alle Erdenbürger zu gestalten.
Abb. 1.12 > Überall auf der Welt sind die Menschen den Folgen des Klimawandels ausgesetzt. Allerdings gibt es besonders vulnerable Gruppen, die Extremereignissen wie Hitzewellen, Dürrephasen, Stürmen, Überschwemmungen und Waldbränden weniger als andere entgegenzusetzen haben.