Gezielte Eingriffe in die Meereschemie
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WOR 8 Klimaretter Ozean? Wie das Meer (noch) mehr Kohlendioxid aufnehmen soll | 2024

Gezielte Eingriffe in die Meereschemie

Gezielte Eingriffe in die Meereschemie
> Komplexe Prozesse versetzen den Ozean in die Lage, Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen, einen Großteil des enthaltenen Kohlenstoffs chemisch zu binden und in seinen Wassermassen einzulagern. Je mehr Kohlendioxid das Meer allerdings aufnimmt, desto stärker versauert sein Wasser. Diese Entwicklung jedoch ließe sich umkehren – durch eine gezielte Steigerung des natürlichen Säurebindungsvermögens. Über die Auswirkungen solcher Maßnahmen weiß man bislang allerdings wenig.
Alkalinitätserhöhung: Verfahren in den Kinderschuhen Abb. 7.4: Aaron Takeo Ninokawa of UC Davis

Alkalinitätserhöhung: Verfahren in den Kinderschuhen

> Wie viel Kohlendioxid der Ozean aufnehmen kann, ohne dabei stark zu versauern, hängt von der Alkalinität seines Oberflächenwassers ab. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Menge säurebindender Bestandteile mineralischer Herkunft, die zuvor aus verwittertem Gestein gelöst und in das Meer eingetragen wurden. Die Frage lautet nun: Könnte ein gezielter Eintrag von Mineralien helfen, die Kohlendioxidaufnahme des Ozeans zu steigern, ohne die Chemie und das Leben im Meer aus dem Gleichgewicht zu bringen?

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Alkalinitätserhöhung – theoretisch verstanden, im Feld jedoch kaum getestet

Mineralhaltige Lösungsprodukte aus der natürlichen Verwitterung von Gesteinen versetzen den Ozean in die Lage, im Wasser gelöstes Kohlendioxid chemisch zu binden und anschließend neues Kohlendioxid aus der Atmosphäre aufzunehmen. Dieser natürliche Prozess der Klimaregulation ließe sich gezielt beschleunigen, wenn der Mensch große Mengen Kalk- und Silikatgestein abbauen und in Form von Gesteinsmehl oder alkalischer Lösungen in das Meer eintragen würde. Entsprechende Verfahren zur Alkalinitätserhöhung brächten zudem den Vorteil mit sich, dass die Versauerung der behandelten Wassermassen zurückgehen und sich die Lebensbedingungen für viele Meereslebewesen verbessern würden.
Die chemischen Prozesse einer gezielten Alkalinitätserhöhung des Ozeans sind mittlerweile ziemlich gut verstanden. Ihre technische Machbarkeit kann jedoch nur schwer eingeschätzt werden, weil das meiste Wissen aus Computersimulationen und kleinen Laborexperimenten stammt. Großflächige Feldexperimente fehlen bislang.
Im Labor testen Forschende derzeit verschiedene natürlich vorkommende und künstlich her gestellte Minerale auf ihre Eignung und Verwitterungseigenschaften. Parallel dazu laufen erste Untersuchungen zu möglichen Umweltfolgen und -risiken, zu denen man bisher erst sehr wenig weiß. Außerdem arbeiten Fachleute an elektrochemischen Verfahren zur Alkalinitätserhöhung. Diese erfordern zwar einen hohen Energieeinsatz, kämen im Gegensatz zu anderen Verfahren jedoch ohne den Einsatz von Gesteinen aus.
Das tatsächliche Kohlendioxid-Entnahmepotenzial von Verfahren zur Alkalinitätserhöhung ist ebenfalls schwer zu beziffern. Würden bislang bekannte Verfahren weltweit eingesetzt, könnten Berechnungen zufolge 100 Millionen bis mehr als eine Milliarde Tonnen Kohlendioxid der Atmosphäre zusätzlich entnommen werden. Dem gegenüber stehen allerdings neue Treibhausgasemissionen, die im Zuge des Abbaus, Transportes und der Verarbeitung der Gesteine entstehen würden. Verfahren für eine gezielte Alkalinitätserhöhung des Ozeans sind demzufolge noch immer mit großen Unsicherheiten behaftet.