Ökosystem - Artenvielfalt
1
WOR 2 Die Zukunft der Fische - die Fischerei der Zukunft | 2013

Gefährdete Arten

Bedrohte Vielfalt

> Die Fischerei hat viele Fischbestände so stark dezimiert, dass sich der Fang einiger Arten kommerziell nicht mehr lohnt. Dennoch werden die meisten Spezies dank ihrer enormen Reproduktionsfähigkeit überleben. Allerdings gibt es Ausnahmen. Manche Arten könnten tatsächlich durch den Menschen ausgerottet werden. Bedenklich ist auch, dass die Fischerei offenbar die Evolution beeinflusst. Kleine Fische setzen sich durch, große dagegen werden seltener.

Sterben Fischarten aus?

Obwohl durch den industriellen Fischfang viele Bestände überfischt worden sind, sterben Fischarten in der Regel nicht aus. Die klassische Vorstellung, dass eine Art durch den Einfluss des Menschen ausgerottet wird wie der Laufvogel Dodo auf der Insel Mauritius, lässt sich auf die Fischerei nicht einfach übertragen. Das hat einen ökonomischen Grund: Lange bevor der letzte Fisch gefangen ist, wird die Fischerei unrentabel und in dem betroffenen Meeresgebiet beendet. Fachleute sprechen von kommerzieller Ausrottung. Manche Fischbestände wurden in der Vergangenheit um 50 bis 80 Prozent reduziert. Für viele terrestrische Tierarten würden solche Werte das Ende bedeuten; insbesondere für solche Arten, die nur sehr wenige Nachkommen zeugen. Sterben die wenigen Jungen durch Krankheit oder indem sie gefressen werden, kann eine solche Art tatsächlich gänzlich ausgelöscht werden. Nicht so bei den Fischen: Die Bestände erholen sich in der Regel wieder. Ein wesentlicher Grund für die Widerstandsfähigkeit der Fischbestände ist ihre hohe Reproduktionsleistung. So erzeugt ein Kabeljau pro Jahr bis zu 10 Millionen Eier. Hinzu kommt, dass sich eine Fischart meist aus mehreren Beständen zusammensetzt.
1.11 > Seit Jahren versuchen Tierschützer, den in deutschen Gewässern wieder heimisch zu machen. Ein Teil der ausgesetzten Tiere trägt eine gelbe Marke auf dem Rücken. Angler, die einen solchen Stör fangen, sind gebeten, die Zahlen der Marke den Tierschützern zu melden – und den Fisch wieder ins Wasser zu setzen.
1.11 > Seit Jahren versuchen Tierschützer, den in deutschen Gewässern wieder heimisch zu machen. Ein Teil der ausgesetzten Tiere trägt eine gelbe Marke auf dem Rücken. Angler, die einen solchen Stör fangen, sind gebeten, die Zahlen der Marke den Tierschützern zu melden – und den Fisch wieder ins Wasser zu setzen. © Jens Koehler/Imago
Außer Frage steht, dass die intensive Fischerei die Menge an Fisch, die Fischbiomasse, in vielen Meeresgebieten erheblich reduziert hat. Besonders betroffen sind die hohen trophischen Ebenen. Die großen Fische wurden und werden zuerst weggefischt. Auch hier kann jedoch vom biologischen Aussterben meist nicht die Rede sein. Um Aussagen über den Zustand einer Fischart machen zu können, müssen zunächst alle ihre Bestände abgeschätzt werden. Welche mathematischen und statistischen Modelle dafür am besten geeignet sind, wird seit einigen Jahren kontrovers diskutiert. Eine grobe Unterteilung hat die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) vorgenommen. Sie unterteilt die Fisch­bestände in überfischt, voll genutzt und gemäßigt genutzt. Nach Angaben der FAO gelten knapp 30 Prozent aller Fischbestände als überfischt. Die Arten werden in der Regel dennoch erhalten bleiben.

Traurige Ausnahmen

Allerdings gibt es Ausnahmen. Manche Thunfischarten bringen auf dem Markt so viel Geld ein, dass sich das Fischen selbst dann lohnt, wenn es davon nur noch wenige Exemplare gibt. Rund 500 Kilogramm kann ein Thunfisch wiegen. Bestimmte Thunfischarten wie etwa der Rote Thun (Thunnus thynnus), der im Atlantik lebt, können einen Kilopreis von gut 100 Dollar haben. In Japan werden sogar Hunderttausende Euro für die ersten oder die besten Thunfische der Saison gezahlt. Dort ist teurer Fisch ein Prestigeobjekt; außerdem gelten die ersten Thunfische der Saison als Glücksbringer, für die einige Kunden sehr viel Geld zahlen. Der Fang solch wertvoller Individuen lässt sich durchaus mit der Jagd nach Nashörnern an Land vergleichen. In den 1920er Jahren fand sich der Rote Thun noch regelmäßig als Beifang in den Netzen norwegischer Makrelenfischer. Heute ist die Art aus dem Kattegat und der Nordsee gänzlich verschwunden. Und im Atlantik gibt es den Roten Thun nur noch in sehr geringer Zahl.
1.12 > Um das Jahr 800 war der Europäische Stör in vielen Flüssen und fast allen Küstengebieten Europas beheimatet. Mittlerweile ist sein maritimes Verbreitungsgebiet auf den Bereich zwischen Nor- wegen und Frankreich geschrumpft. Das letzte Laichgebiet des Europäischen Störs ist die französische Gironde-Mündung
1.12 > Um das Jahr 800 war der Europäische Stör in vielen Flüssen und fast allen Küstengebieten Europas beheimatet. Mittlerweile ist sein maritimes Verbreitungsgebiet auf den Bereich zwischen Nor- wegen und Frankreich geschrumpft. Das letzte Laichgebiet des Europäischen Störs ist die französische Gironde-Mündung. © nach Holcˇik et al. (1989), Elie (1997) und Ludwig et al. (2002)
Andere Fischarten sind vom Aussterben bedroht, weil sie gleich mehrfach unter Druck stehen – etwa durch die Fischerei und die gleichzeitige Zerstörung des Lebensraums. Ein Beispiel ist der Europäische Stör (Acipenser sturio), der einst von Südspanien bis Osteuropa verbreitet war. Der Stör laicht in Flüssen und wächst im Meer zum geschlechtsreifen Tier heran. Wie der Lachs wandert der Europäische Stör zum Laichen zurück in die Flüsse. Einst bewohnte die Art die Eider, die Elbe und kleine norddeutsche Flüsse wie die Oste oder die Stör. Während der vergangenen hundert Jahre aber sind die Bestände stark zurückgegangen. Heute gibt es in Europa nur noch einen einzigen Bestand im südwestfranzösischen Gironde-Mündungsgebiet, der allerdings seit Jahren schrumpft.
1.13 > Der Dodo starb Ende des 17. Jahr- hunderts aus. Der ausschließlich auf  den Inseln Mauritius und La Réunion beheimatete, flugun- fähige Vogel bekam erst Feinde, als der Mensch dort eintraf. Eingeschleppte Ratten, Affen und Schweine rotteten die Art vollständig aus. © Image courtesy of Biodiversity Heritage Library 1.13 > Der Dodo starb Ende des 17. Jahrhunderts aus. Der ausschließlich auf den Inseln Mauritius und La Réunion beheimatete, flugunfähige Vogel bekam erst Feinde, als der Mensch dort eintraf. Eingeschleppte Ratten, Affen und Schweine rotteten die Art vollständig aus.
Der Niedergang des Störs hat mehrere Ursachen: den Ausbau der Flüsse, die Errichtung von Staustufen, die Verschmutzung des Wassers und die Fischerei. Heute sind die verbliebenen Tiere vor allem dadurch bedroht, dass sie als Beifang versehentlich ins Netz gehen. Auf der Roten Liste der Internationalen Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen (International Union for Conservation of Nature, IUCN) wird der Europäische Stör als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Seit einigen Jahren setzt man daher auch Jungtiere in Flüssen aus, um die Art in verschiedenen Gebieten Europas, etwa in Deutschland, wieder heimisch zu machen. Zudem versucht man, die Tiere zum Laichen in den alten Heimatgewässern zu bewegen, indem man Flussabschnitte renaturiert oder Fischtreppen in Staustufen einbaut. Ob sich der Europäische Stör dadurch retten lässt, ist allerdings offen. Auch manche Seepferdchenarten sind mehrfach bedroht – etwa durch die Zerstörung ihrer Lebensräume, wie zum Beispiel der Mangroven, und durch Meeresverschmutzung. Zudem gibt es eine große Nachfrage nach ihnen. Man fischt sie aus Korallenriffen, Mangroven oder Seegraswiesen ab, um sie als traditionelle Medizin auf chinesischen Märkten und als Zierfisch in der Aquaristik zu verkaufen. Zwar gibt es beispielsweise in Vietnam Zuchtprogramme, dennoch gelten gemäß der Roten Liste der IUCN 7 von 38 Seepferdchenarten weltweit als „gefährdet“, eine sogar als „stark gefährdet“. Betroffen sind vor allem jene Arten, die nur in relativ eng begrenzten Meeresgebieten vorkommen, sogenannte endemische Arten. Beispiele wie diese zeigen, dass der Mensch die Fischressourcen künftig schonender nutzen und besser schützen muss. Dennoch bleibt es dabei: Für den Großteil der Fischarten weltweit kann vom Aussterben nicht die Rede sein. Die IUCN-Liste wurde ursprünglich für Landlebewesen entwickelt. Diese sind im Allgemeinen nicht so reproduktiv wie die Fische. Insofern, sagen Kritiker, wird im IUCN-Regelwerk das Risiko des Aussterbens für viele kommerziell genutzte Fischarten überschätzt.

Auch andere Meerestiere sind betroffen

Die Fischerei verändert nicht allein das Artgefüge der Fische, die angelandet werden, sondern sie wirkt sich auch auf die Bestände von Tieren aus, die als Beifang gefischt werden. Für das Jahr 2000 haben US-Forscher errechnet, dass weltweit mindestens 200 000 Unechte Karettschildkröten und 50 000 Lederschildkröten versehentlich beim Thunfisch- und Schwertfischfang mitgefischt wurden. Die Schildkröten verfangen sich an den Haken von sogenannten Langleinen. Diese sind meist mehrere Kilometer lang und mit Tausenden Ködern bestückt. Schnappen die Schildkröten danach, bleiben sie an den Haken hängen. Manche können sich aus eigener Kraft befreien, andere werden von den Fischern lebend zurück ins Meer geworfen. Tausende Tiere aber sterben qualvoll. Inzwischen gibt es Versuche, die Haken so zu formen, dass die Schildkröten nicht mehr daran hängen bleiben können. Die Langleinen können auch den Albatrossen zum Verhängnis werden, denn sie sinken nach dem Ausbringen nicht sofort in die Tiefe, sondern schwimmen erst für einige Zeit an der Oberfläche. So locken sie die Vögel an. Umweltorganisationen schätzen, dass weltweit jährlich Hunderttausende Seevögel durch die Langleinen­fischerei unbeabsichtigt getötet werden. Daher testet man mittlerweile neue Methoden, die Langleinen über Rohre auszulegen, die bis in 10 Meter Wassertiefe reichen, sodass die Albatrosse die Köder nicht mehr sehen oder erreichen können.
1.14 > Dieser 268 Kilogramm schwere Rote Thun erzielte bei einer Fischauktion in Tokio im Januar 2012 einen Preis von
566 000 Euro. Ersteigert wurde er von Kiyoshi Kimura (links), Präsident einer Sushi-Gastronomiekette. Anfang 2013 erwarb Kimura sogar einen Thun für gut 1,3 Millionen Euro. Das entspricht einem Kilogrammpreis von über 6000 Euro.
1.14 > Dieser 268 Kilogramm schwere Rote Thun erzielte bei einer Fischauktion in Tokio im Januar 2012 einen Preis von 566 000 Euro. Ersteigert wurde er von Kiyoshi Kimura (links), Präsident einer Sushi-Gastronomiekette. Anfang 2013 erwarb Kimura sogar einen Thun für gut 1,3 Millionen Euro. Das entspricht einem Kilogrammpreis von über 6000 Euro. © Shizuo Kambayashi/AP Photo/ddp images
Durch Beifang bedroht ist auch der Schweinswal in der Ostsee. In der östlichen Ostsee gibt es nach Schätzungen nur noch 500 bis 600 Exemplare. Der Schweinswal wurde hier jahrzehntelang gejagt. Außerdem setzten ihm strenge Eiswinter zu. Heute bringt jedes versehentlich gefangene Tier den Bestand der Ausrottung näher. Beinahe tragisch ist, dass sich der östliche Ostseeschweinswal selten mit seinen Verwandten in der Nordsee und westlichen Ostsee paart. Denn der Nordseebestand ist noch vergleichsweise groß. Forscher schätzen ihn auf 250 000 Tiere. Da sich die östlichen Tiere nicht mit ihren westlichen Verwandten paaren, ist zu befürchten, dass die Art in der östlichen Ostsee ausstirbt. Für diese Region bedeutet das einen Verlust an Artenvielfalt.

Genotyp Als Genotyp bezeichnet man die Gesamtheit der genetischen Informationen eines Lebewesens, die im Zellkern einer jeden Körperzelle gespeichert ist. Bei Individuen einer Art sind die meisten Gene gleich. Deren Kombination jedoch ist bei jedem Lebewesen einzigartig.

Phänotyp Der Phänotyp ist das Erscheinungsbild eines Individuums: die sichtbare Ausprägung des individuellen Genotyps. Phänotypische Merkmale sind Augenfarbe, psychologische Eigenschaften oder Krankheiten, die genetisch bedingt sind.

Die Fischerei beeinflusst die Evolution

Der intensive Fischfang verändert die biologische Vielfalt aber noch in anderer Hinsicht. Fachleute sprechen von fischereiinduzierter Evolution. Wenn die Fischerei vor allem große und alte Individuen wegfängt, setzen sich im Laufe der Zeit kleine Fische durch, die bereits in jungem Alter Nachkommen zeugen. Damit stellt die Fischerei den natürlichen Zustand auf den Kopf. In natürlichen Lebensräumen, die nicht von der Fischerei beeinflusst werden, setzen sich jene Fische durch, die groß sind und erst in hohem Alter geschlechtsreif werden. Ihre Eier haben eine geringere Sterblichkeit. Die Eier und auch die Larven können in der ersten Zeit eher Hungerphasen überstehen, weil sie mit mehr Reservestoffen, mehr Dotter, ausgestattet sind als die Eier und Larven von jung reproduzierenden Eltern. Davon profitiert letztendlich der gesamte Bestand, denn so wird regelmäßig viel Nachwuchs hervorgebracht, der den Bestand erhält.

Unter Fischereidruck hingegen pflanzen sich vor allem jene Tiere fort, die schon bei geringerer Größe geschlechtsreif sind, aber weniger Eier produzieren. Zudem haben ihre Eier eine höhere Sterblichkeit. Anhand von Modellrechnungen und Analysen realer Fangdaten konnten Forscher am Beispiel des Nordost-Arktischen Kabeljaus zeigen, dass es im Laufe der Zeit in diesem Fischbestand tatsächlich zu genetischen Veränderungen gekommen ist. Es setzen sich Fische mit folgender genotypischer Ausprägung durch: Die Fische werden schon jung und bei geringer Körpergröße geschlechtsreif. Das gilt sowohl für Männchen als auch für Weibchen. Die Forscher haben ihr Modell zu diesem Zweck mit Fangdaten versehen, die bis in das Jahr 1930 zurückreichen und die allmählichen Veränderungen bezüglich Alter, Größe und Reproduktionsleistung dokumentieren. Grundlage der Untersuchung waren besonders detaillierte Datensätze über den Fischfang in norwegischen Gewässern. Ursprünglich wurde der Nordost-Arktische Kabeljau im Alter von 9 bis 10 Jahren geschlechtsreif.
1.15 > Durch die jahrzehnte­lange Fischerei haben sich in der Nordsee nach und nach Schollen durchgesetzt, die schon bei geringer Körpergröße geschlechtsreif werden. In mathematischen Modellen, die mit verschiedenen Wahrschein­lichkeiten (p) arbeiten, lässt sich dieser Zusammenhang anschaulich verdeutlichen. Dargestellt ist die Körperlänge (L) von 4-jährigen Schollen, die mit 90-prozentiger Wahrschein­lichkeit (p90) in der kommenden Saison geschlechtsreif werden. Wie diese Grafik illustriert, hat diese Körperlänge (Lp90) im Laufe der letzten Jahre deutlich abgenommen.
1.15 > Durch die jahrzehntelange Fischerei haben sich in der Nordsee nach und nach Schollen durchgesetzt, die schon bei geringer Körpergröße geschlechtsreif werden. In mathematischen Modellen, die mit verschiedenen Wahrscheinlichkeiten (p) arbeiten, lässt sich dieser Zusammenhang anschaulich verdeutlichen. Dargestellt ist die Körperlänge (L) von 4-jährigen Schollen, die mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit (p90) in der kommenden Saison geschlechtsreif werden. Wie diese Grafik illustriert, hat diese Körperlänge (Lp90) im Laufe der letzten Jahre deutlich abgenommen. © nach Dieckmann et al. (2009)

Heute erreicht der Kabeljau im Nordost­atlantik bereits mit 6 bis 7 Jahren die Geschlechtsreife. Interessant ist, dass diese fischereiinduzierte Evolution innerhalb weniger Jahrzehnte stattgefunden hat. Einen Grund sehen die Experten darin, dass Fischerei einen deutlich höheren Druck ausübt als natürliche Selektionsfaktoren wie beispielsweise Räuber oder extreme Umweltbedingungen, etwa starke Wärme oder Kälte. Wie die Modellrechnungen weiter zeigen, dauert es Jahrhunderte, bis sich der Effekt der fischereiinduzierten Evolution wieder umkehrt – selbst wenn man die Fischerei stoppen würde. Möglicherweise sind die Effekte in der Praxis sogar unumkehrbar. In den vergangenen 10 Jahren wurde fischereiinduzierte Evolution für eine ganze Reihe von Arten nachgewiesen, zum Beispiel auch für die Nordseescholle. Die Fischerei bewirkt damit das Gegenteil von dem, was Tierzüchter für gewöhnlich beabsichtigen: Ein Tierzüchter wählt in der Regel die größten und produktivsten Tiere aus, um mit ihnen weiterzuzüchten. Durch die Fischerei hingegen werden gerade die alten und großen Tiere mit der höchsten Reproduktionsleistung getötet.
1.16 > Seepferdchen gelten in Asien als Potenzmittel. Sie werden jedes Jahr zu Millionen gefangen, getrocknet, zu Pulver zermahlen und als wertvolle Zutat für Pulver, Pillen und Tinkturen verwendet.
1.16 > Seepferdchen gelten in Asien als Potenzmittel. Sie werden jedes Jahr zu Millionen gefangen, getrocknet, zu Pulver zermahlen und als wertvolle Zutat für Pulver, Pillen und Tinkturen verwendet. © Enrique Castro-Mendivil/Reuters

Genetische Verarmung bei Fischen?

Große und alte Fische investieren im Verhältnis zu ihrer Körpergröße relativ mehr Energie in die Produktion von Eiern als kleine und junge Tiere, die deutlich weniger Körpermasse und Volumen haben. Alte Fische sind damit eine Art Reproduktionsversicherung. Solange genug alte Fische da sind, wird genug Nachwuchs produziert. In Beständen aber, die aus wenigen und vor allem jungen Altersgruppen bestehen, steigt die Gefahr von Nachwuchsausfällen, wenn sich die Reproduktionsbedingungen zwischenzeitlich verschlechtern, etwa durch Nahrungsmangel. Bestände, in denen Altfische dominieren, puffern solche Schwankungen besser ab, weil die Alten in der darauffolgenden Saison wieder verlässlich Nachwuchs zeugen. Größere Widerstandsfähigkeit zeigen auch Bestände mit verschiedenen Jahrgängen, da die Laichzeit der Fische mit dem jeweiligen Alter variiert. In einem gemischten Bestand gibt es damit zu jeder Phase ausreichend Tiere, die laichen. Perioden mit ungünstigen Umweltbedingungen lassen sich so abmildern.
1.17 > Ein Fischbestand vor der Befischung, nach der Befischung und nach der Fortpflanzung. Die Veränderungen der Körper­größe ergeben sich aus der fischereiinduzierten Evolution.
1.17 >  Ein Fischbestand vor der Befischung, nach der Befischung und nach der Fortpflanzung. Die Veränderungen der Körpergröße ergeben sich aus der fischereiinduzierten Evolution. © nach Dieckmann
Des Öfteren wird davor gewarnt, dass die Fischerei darüber hinaus bei den befischten Arten zu einer genetischen Verarmung, einer „genetischen Erosion“, führen könnte. Das Phänomen ist auch von Tieren an Land bekannt. Durch die Zerstörung von Lebensräumen wie dem Regenwald wird das Verbreitungsgebiet einer Art stark verkleinert. Viele Individuen sterben, bevor sie sich paaren können. Jedes Lebewesen trägt neben dem artspezifischen Erbgut zu einem kleinen Teil individuelle genetische Merkmale in sich. Stirbt das Tier, ohne dass es Nachkommen gezeugt hat, gehen diese individuellen Merkmale verloren. Die Population verarmt genetisch. Eine extreme Form der genetischen Erosion ist der sogenannte genetische Flaschenhals. In solchen Fällen wird eine Art bis auf wenige Individuen reduziert. Das kann zum Beispiel bei einer Naturkatastrophe wie etwa einem Vulkanausbruch oder einer Überflutung geschehen. Auch die intensive Bejagung von geografisch eng begrenzten Populationen wie etwa der des Sibirischen Tigers kann zu einem genetischen Flaschenhals führen. Im Extremfall kommt es zu Inzuchteffekten. Die Tiere zeugen Nachkommen, die genetische Defekte haben oder anfällig für Krankheiten sind. Einige Wissenschaftler befürchten, dass die genetische Erosion nicht nur bei Landtieren, sondern durch die Überfischung auch bei manchen Fischarten am Ende zu solchen genetischen Flaschenhälsen führt. Diese Annahme ist bislang aber hypothetisch und vermutlich falsch. Für die meisten kommerziell ausgebeuteten Fischbestände lassen sich weder genetische Erosionen noch genetische Flaschenhälse statistisch nachweisen. Fachleute gehen davon aus, dass selbst kommerziell ausgerottete Fischbestände noch über Tausende fortpflanzungsfähige Individuen verfügen. Die genetische Variabilität bleibt damit so groß, dass Erosionseffekte wahrscheinlich ausgeschlossen sind.
1.18 > Die Eier des Silberlachses, 10 Wochen nach dem Ablaichen. Die Gestalt der Larven ist schon zu erkennen. Bis zum Schlüpfen ernähren sich diese vom gelben Dotter. Die weitere Entwicklung von der Larve zum Fisch findet im freien Wasser statt.
1.18 > Die Eier des Silberlachses, 10 Wochen nach dem Ablaichen. Die Gestalt der Larven ist schon zu erkennen. Bis zum Schlüpfen ernähren sich diese vom gelben Dotter. Die weitere Entwicklung von der Larve zum Fisch findet im freien Wasser statt. © 2012 Michael Durham

Die fischereiinduzierte Evolution verlangsamen

Experten empfehlen, in Zukunft verstärkt ökogenetische Aspekte im Fischereimanagement zu berücksichtigen. Dass das Fischereimanagement eine Fischart nicht losgelöst von ihrem Lebensraum betrachten darf, darüber ist man sich inzwischen einig. Darüber hinaus aber sind ökogenetische Modelle nötig, mit denen sich einschätzen lässt, welche Änderungen die Fischerei bewirkt, wie stark die genetischen Veränderungen einen Bestand beeinflussen, aber auch wie sich diese letztlich auf den künftigen Fischereiertrag auswirken. Es besteht die Hoffnung, dass sich die fischereiinduzierte Evolution durch eine verantwortungsvolle Fischerei positiv steuern oder wenigstens verlangsamen lässt. Gänzlich stoppen kann man sie vermutlich nicht. Weiter fordern Experten den Einsatz komplexerer Evolutionsmodelle. Bislang werden bei der Berechnung der Bestandsentwicklung häufig nur die Altersklassen eines Fischbestands im Detail berücksichtigt. Die Größe der Fische geht in die Kalkulation lediglich als Mittelwert pro Altersklasse ein. Dieser Mittelwert wurde aus jahrelangen Längenmessungen errechnet. Demnach wird einer Altersklasse eines Fischbestands stets nur eine fixe mittlere Größe zugeordnet. Tatsächlich aber verändert sich die mittlere Größe einer Alterklasse von Jahr zu Jahr, vor allem in Abhängigkeit vom Nahrungs­angebot. Jungtiere wachsen in nahrungsarmen Jahren langsamer. Diese Variabilität muss künftig stärker berücksichtigt werden. Und natürlich gibt es in einer Alters­klasse stets größere und kleinere Individuen. Auch diese Schwankungsbreite muss berücksichtigt werden. Ein Mittelwert reicht für Evolutionsmodelle nicht aus. Fachleute fordern daher eine künftig intensivere Zusammenarbeit zwischen Fischereibehörden, die über detaillierte Daten verfügen, und Mathematikern sowie Statistikern, die entsprechende leistungsfähige Rechenmodelle entwickeln können. Textende