Die Grenzen des Seerechts
10.7 > Medienwirksam platzierten russische Forscher am 1. August 2007 ihre Nationalflagge am Grund des arktischen Ozeans.
Landnahme unter Wasser
Die Experten sind sich weitestgehend darin einig, dass der Klimawandel zum verstärkten Schmelzen des arktischen Eispanzers führt. Aus ökonomischer Sicht ist das durchaus interessant. Zum einen, weil sich dem internationalen Handel in den Sommermonaten alternative und kürzere Schifffahrtswege wie die Nordwest- und Nordostpassage eröffnen könnten. Zum anderen, weil die Menschheit damit Zugang zu den im arktischen Meeresboden vermuteten Öl- und Gasreserven bekommt. Inzwischen streiten sich die Arktisanrainer um die Bodenschätze. Die Öffentlichkeit bekam davon erstmals einen Eindruck, als Russland am 1. August 2007 mithilfe bemannter Mini-U-Boote eine russische Flagge auf dem Meeresboden unter dem Nordpol hisste und das betreffende Gebiet damit symbolisch als russisches Gebiet proklamierte.
Die anderen arktischen Staaten, zu denen neben Russland Dänemark (Grönland), Kanada, Norwegen und die USA zählen, haben zwischenzeitlich ebenfalls Expeditionen gestartet, die belegen sollen, dass die betreffenden Gebiete Bestandteile der unterseeischen Verlängerungen ihrer Territorien sind. Seither wird in den Medien über den möglichen Ausbruch eines „eiskalten Krieges“ im hohen Norden spekuliert.
Geschacher um Grenzen
Noch ist unklar, inwieweit die arktischen Gebiete zum Festlandsockel der benachbarten Küstenstaaten gehören. Sollte dies der Fall sein, könnten die dort vermuteten Ressourcen gemäß SRÜ exklusiv von dem arktischen Staat ausgebeutet werden, auf dessen Festlandsockel sie sich befinden. Sie fielen damit nicht unter die Regelungen zum gemeinsamen Erbe der Menschheit, die von der Internationalen Meeresbodenbehörde verwaltet werden. Derzeit versuchen die arktischen Staaten zu belegen, dass sich ihr Festlandsockel geologisch über mehr als 200 Seemeilen hinaus in den arktischen Ozean erstreckt. Auch in diesem Fall verliefe die maximale Außengrenze – wie oben beschrieben – entweder bei 350 Seemeilen oder 100 Seemeilen seewärts der 2500-Meter-Wassertiefenlinie. Die – zulässige – Kombination beider Methoden böte in der Arktis insbesondere Russland die Chance auf die größtmögliche Ausdehnung des Festlandsockels. Nur zwei vergleichsweise kleine Flächen könnten von gar keinem Anrainerstaat beansprucht werden: Der einen fehlt als sogenanntem ozeanischen Bergrücken (oceanic ridge) eine „natürliche“ Verbindung mit den Festlandrändern (Gakkelrücken), die zweite scheidet wegen des Verlaufs der 2500-Meter-Wassertiefenlinie aus.
- 10.8 > Ausdehnung der Festlandsockel in der Arktis. Der Gakkerücken ist als rote Fläche rechts dargestellt. Die linke rote Fläche kann aufgrund der 2500-Meter-Wassertiefenlinie von keinem Anrainerstaat beansprucht werden. Der Lomonossowrücken liegt links des Gakkelrückens zwischen den beiden 2500-Meter-Wassertiefenlinien.
-
Ozeanische Rücken Wo unterseeische Kontinentalplatten auseinanderdriften, entstehen ozeanische Bergrücken. An diesen Bruchstellen steigt Magma aus dem Erdinnern auf, das im Laufe der Zeit zu mehrere Tausend Meter hohen Rücken emporwächst. Diese liegen weitab der Schelfgebiete und Kontinentalabhänge meist in der Mitte der Ozeane.
- Der Fall Arktis ist vor allem auch deshalb kompliziert, weil hier eine Ausnahmeregelung zum Tragen kommt. Das SRÜ unterscheidet zwischen „ozeanischen Bergrücken“, die nicht unmittelbar mit dem Festlandrand verbunden sind sowie „unterseeischen Bergrücken“ und „unterseeischen Erhebungen“: Verläuft ein Festlandsockel über Teilen eines unterseeischen Bergrückens (submarine ridge), ist nur die 350-Seemeilen-Regel, nicht aber die bei unterseeischen Bergrücken naturgemäß vorteilhaftere 2500-Meter-Wassertiefenlinie anwendbar. Handelt es sich aber nur um eine unterseeische Erhebung (submarine elevation), gilt die Einschränkung auf 350 Seemeilen wiederum nicht. Der Grund: Anders als unterseeische Erhebungen bestehen unterseeische Bergrücken in der Regel aus vulkanischem Gestein und damit aus einem anderen Material als der Festlandsockel – obwohl beide miteinander verbunden sind. Beide sind somit unterschiedlichen Ursprungs. Unterseeische Erhebungen hingegen gleichen in ihrer Zusammensetzung der des Festlandrands. Erhebung und Festlandsockel sind damit geologisch identisch. Ob es sich bei den Strukturen am arktischen Meeresboden um unterseeische Bergrücken oder Erhebungen handelt, muss deshalb zunächst durch geologische Analysen des Gesteins geklärt werden. Was die Arktis angeht, liegt genau hier das Problem. Dort verlaufen gleich mehrere unterseeische Bergzüge. Mit Ausnahme des Gakkelrückens sind sie nach überwiegender Meinung alle in irgendeiner Form mit den Kontinentalrändern verbunden. Sie könnten also grundsätzlich zum Festlandsockel eines oder mehrerer Anrainerstaaten gehören. Welche Regelung des SRÜ letztlich zum Tragen kommt, hängt also maßgeblich von ihrer geologischen Beschaffenheit ab. Russland etwa vertritt die Ansicht, dass es sich beim Lomonossowrücken um eine unterseeische Erhebung im Sinne des SRÜ handelt, mit der Folge, dass die 2500-Meter-Wassertiefenlinie-Regelung greifen würde. Die bisherigen Untersuchungen deuten aber eher darauf hin, dass die geologische Zusammensetzung des Rückens nicht der des russischen Festlandsockels entspricht.
- 10.9 > Die Fläche des arktischen Meereises nimmt seit vielen Jahren ab. Damit wird das Eis im Sommer künftig den Zugang zu unerschlossenen Erdgas- und Erdölvorkommen freigeben. Zudem ergeben sich mit der Nordost- und der Nordwestpassage neue Schifffahrtswege, die kürzer als die Strecke durch Panama- und Suezkanal sind.
- Welches Land am Ende den Zuschlag bekommt, hängt davon ab, wie die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels CLCS die von den Küstenstaaten vorgelegten Daten beurteilt. Dabei drängt die Zeit: Für Staaten wie Russland, die dem SRÜ vor dem 13. Mai 1999 beigetreten sind, ist die Frist, der Festlandsockelkommission Angaben über ihren über 200 Seemeilen hinausgehenden Festlandsockel zu machen, am 13. Mai 2009 abgelaufen. Bis alle Empfehlungen der CLCS vorliegen, werden vermutlich noch Jahre vergehen. Staaten, die dem Übereinkommen nach 1999 beigetreten sind oder noch beitreten wollen, müssen ihre Unterlagen innerhalb von zehn Jahren nach Beitritt vorlegen. So läuft die Frist für Kanada im Jahr 2013 ab, für Dänemark 2014. Nachdem im Jahr 2004 neue Erdöl- und Erdgasvorkommen am arktischen Meeresboden entdeckt worden sind, bleibt abzuwarten, ob sich die Vertragsparteien des SRÜ entschließen, die vom Übereinkommen vorgesehene Frist zu verlängern. Für die Abgrenzung des Festlandsockels zwischen Staaten mit gegenüberliegenden oder aneinander angrenzenden Küsten ist die Kommission zur Begrenzung des Festlandsockels freilich ohnehin nicht zuständig. In solchen Fällen verpflichtet das SRÜ die beteiligten Staaten lediglich zum Abschluss von Abgrenzungsübereinkünften. Im-merhin haben sich die fünf arktischen Staaten in der Ilulissat-Erklärung vom 28. Mai 2008 dazu bekannt, das Internationale Seerecht einzuhalten und friedlich über sich potenziell überlagernde Ansprüche zu verhandeln.
Carbon Credits Mit Carbon Credits bezeichnet man sogenannte Emissionsrechte. Diese erlauben Industriebetrieben wie etwa Kraft- oder Zementwerken, eine bestimmte Menge CO2 auszustoßen. Reduziert ein Unternehmen durch technische Maßnahmen seinen CO2-Ausstoß, nimmt es weniger dieser Rechte in Anspruch und kann diese an andere Unternehmen veräußern, die wegen eines hohen Ausstoßes mehr Zertifikate benötigen. Damit werden Maßnahmen zur CO2-Einsparung, die oftmals Zusatzkosten verursachen, wirtschaftlich interessant.
Das Seerecht und der Kampf gegen den Klimawandel
Eine der drängendsten klimapolitischen Fragen ist, wie sich der Ausstoß des Klimagases CO2 verringern lässt. Tatsächlich berührt dieses Thema auch das Seerecht. So setzt man derzeit große Hoffnung auf die Speicherung von atmosphärischem CO2 im Ozean und in seinem Untergrund (Kapitel 2). Wie komplex diese Aspekte aus Sicht des Seerechts sind, zeigt ein aktuelles Beispiel: die Düngung des Meeres mit Eisenspänen, also Pflanzennährstoffen. Die Idee besteht darin, die Primärproduktion anzuregen und durch das zu Boden sinkende Phytoplankton der Atmosphäre längerfristig CO2 zu entziehen. Nicht nur mit Blick auf das 2009 durchgeführte deutsch-indische Meeresforschungsexperiment „Lohafex“ stellt sich die Frage, ob sich solche sogenannten Geo-Engineering-Aktivitäten mit dem geltenden Seerecht in Einklang bringen lassen. Das SRÜ geht zwar ausführlich auf den Meeresumweltschutz ein. Aussagen über die Zulässigkeit von Geo-Engineering-Maßnahmen im Allgemeinen oder Eisendüngung im Speziellen werden dort jedoch nicht getroffen. Allerdings ist es grundsätzlich verboten, Abfall und andere Stoffe ins Meer zu kippen. Diese Verpflichtung wird durch zwei weitere völkerrechtliche Verträge konkretisiert, zum einen das Übereinkommen über die Verhütung der Meeresverschmutzung durch das Einbringen von Abfällen und anderen Stoffen von 1972 (London Convention, LC), zum anderen das von 1996 (London Protocol, LP), das die Bestimmungen der London Convention verschärft und konkretisiert. Entsprechend haben sich im Oktober 2008 die Vertragsstaaten dafür ausgesprochen, dass legitime wissenschaftliche Forschung nicht den Zielen der Londoner Übereinkommen widersprechen soll. Damit bleibt die kommerzielle Eisendüngung von Meeresgebieten untersagt. Diskutiert wurde, ob Industrieunternehmen den Ozean düngen und das Algenwachstum ankurbeln könnten, um sich diese Maßnahme als Carbon Credit anrechnen zu lassen. Inzwischen aber steht fest, eine solche kommerzielle Eisendüngung ist unzulässig.