Politik und Wirtschaft in den Polarregionen
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WOR 6 Arktis und Antarktis – extrem, klimarelevant, gefährdet | 2019

Ein Wirtschaftsaufschwung mit Nebenwirkungen

Ein Wirtschaftsaufschwung mit Nebenwirkungen © Sergey Anisimov/Anadolu Agency/picture ­alliance

Ein Wirtschaftsaufschwung mit Nebenwirkungen

> Die Polarregionen sind seit jeher reich an Rohstoffen und natürlichen Ressourcen und faszinieren Menschen auf der ganzen Welt. Daraus jedoch ein lohnendes Geschäft zu machen, gestaltete sich in der Vergangenheit oftmals schwierig, weil Eis und Kälte den Zutritt versperrten. Im Zuge des dramatischen Klimawandels aber öffnen sich nun vor allem in der Arktis die Tore für Goldgräber, Investoren und Touristen. Während die Arktisanrainer diese Entwicklung als Chance begreifen, warnen Wissenschaftler und Umweltschützer vor den schwerwiegenden Folgen.

Das große Jagen

Die ersten einträglichen Geschäfte in den Polarregionen machten Robbenjäger und Walfänger. Seit dem 17. Jahrhundert wurden in den Gewässern der Arktis Wale in kommerziellem Stil gefangen. Auf Spitzbergen beispielsweise begann die Waljagd bereits im Jahr 1612, nur 16 Jahre nach der Entdeckung des Inselarchipels durch den niederländischen Seefahrer und Entdecker Willem Barents (1550–1597). Am Anfang stellten die Jäger vor allem Grönlandwalen und dem Atlantischen Nordkaper nach. Beide Arten besitzen eine dicke Fettschicht und schwimmen so langsam, dass die Walfänger den Tieren in Ruderbooten nachstellen und sie mit Handharpunen erlegen konnten. Im Gegensatz zu Buckel- oder Blauwalen sinken Grönlandwale und Nordkaper nach ihrem Tod nicht zum Meeresboden. Ihre Kadaver treiben stattdessen an der Wasseroberfläche, was den Fängern das Bergen ihrer ­Beute erleichterte.
Der Blubber der erlegten Tiere wurde eingekocht und in Europa als Lampenöl sowie für die Herstellung von ­Seifen verwendet. Aus den biegsamen Barten der Wale fertigte man Korsetts und Sonnenschirme. Die Aussicht auf das „flüssige Gold“, wie Waltran auch genannt wurde, lockte zum Ende des 17. Jahrhunderts 200 bis 300 Walfangschiffe aus allen seefahrenden Nationen Europas in die Gewässer östlich Grönlands. Schätzungen zufolge erlegten allein niederländische Fänger zwischen 1661 und 1823 etwa 73 000 Wale in der Arktis. Daher überrascht es kaum, dass die arktischen Walbestände bereits Ende des 18. Jahrhunderts erschöpft waren.
Zu dieser Zeit machten die ersten Berichte über große Robbenpopulationen im Südatlantik die Runde. Die Fangschiffe nahmen Kurs Richtung Süden und begannen bereits ein halbes Jahrhundert vor der Entdeckung des antarktischen Kontinents mit dem Robbenschlag auf Südgeorgien. Die Jäger stellten dabei zunächst der Antarktischen Pelzrobbe (Arctocephalus gazella) nach. Mit ihrem kostbaren Fell ließ sich in Nordamerika, Asien und Europa viel Geld verdienen. Wenig später kamen auch die See­elefanten hinzu. Sie wurden wegen ihrer dicken, tran­reichen Speckschicht getötet.
Von Südgeorgien aus entdeckten die Robbenjäger in den folgenden zehn Jahren neue Fangplätze auf den süd­atlantischen Inselgruppen überall im Bereich des Scotia­bogens bis hin zu den Südlichen Shetlandinseln an der Spitze der Antarktischen Halbinsel. Gleichzeitig stießen die Fangschiffe im südlichen Indischen Ozean bis zu den Kerguelen und McDonaldinseln vor, wo die Männer vor allem der Subantarktischen Pelzrobbe (Arctocephalus tropicalis) nachstellten. Nach 20 weiteren Jahren radikaler Bejagung waren die wichtigsten Fanggründe für südliche Pelzrobben ausgebeutet.
Dennoch kam die Jagd auf diese Tiere erst um das Jahr 1900 zum Erliegen. Von beiden Robbenarten überlebten nur ein paar Hundert bis tausend Tiere in unzugänglichen Buchten einiger Inseln. Die Jagd auf Seeelefanten war schon 30 Jahre früher abgeebbt, denn durch die Einführung des Petroleums als Lampenöl hatte die Nachfrage nach Robbenöl abgenommen.
Anders als die Pelzrobben und Seeelefanten sind die vier im Packeis des Südozeans lebenden Robbenarten (Krabbenfresserrobbe, Weddellrobbe, Rossrobbe und Seeleopard) nur selten bejagt worden und somit von einer kommerziellen Ausbeutung verschont geblieben. Das absolute Gegenteil gilt für die Großwale der Antarktis, deren Bejagung im Jahr 1904 mit dem Bau der ersten Landstation zum Abspecken der getöteten Wale auf Südgeorgien Fahrt aufnahm. Durch den Einsatz von Dampfmaschinen und die Erfindung und Perfektionierung der Harpunenkanone durch den Norweger Svend Foyn (1809–1894) in den Jahren 1864 bis 1870 wurde es nun auch möglich, die schnellen Furchenwale wie den Finnwal (Balaenoptera physalus), den Blauwal (Balaenoptera musculus), den Seiwal (Balaenoptera borealis) und den Zwergwal (Balaenoptera acutorostrata) sowie Buckelwale (Megaptera novaeangliae) zu töten und zu bergen. Zudem kam im Jahr 1925 die erste schwimmende Kocherei mit Heckaufschleppe zum Einsatz. Mit Fabrikschiffen wie diesem war es fortan nicht mehr notwendig, die erlegten Wale für die Verarbeitung an Land zu schleppen.
Derart technisch aufgerüstet, erlegten die Walfänger in knapp 80 Jahren Walfang im Südpolarmeer deutlich mehr Tiere als in 300 Jahren Walfang im Nordpolarmeer. Allein im Südsommer 1930/1931 töteten und verarbeiteten die Walfänger in der Antarktis 14 923 Blauwale, 28 009 Finnwale und 2079 Buckelwale. Der Schutzgedanke setzte sich erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs langsam durch. Im Dezember 1946 wurde das Internationale Übereinkommen zur Regelung des Walfangs unterzeichnet und im Zuge dessen auch die Internationale Walfangkommission ins Leben gerufen. Sie scheiterte jedoch an der Aufgabe, den Walfang wirkungsvoll einzudämmen. Während die Blauwalfänge aufgrund der Populations­einbrüche zurückgingen, machten die Walfänger in der Antarktis nun Jagd auf Finnwale und Seiwale sowie ab 1973 auch auf die deutlich kleineren Zwergwale.
Verboten wurde der Walfang zu kommerziellen Zwecken erst im Jahr 1982, als unter dem großen Druck der Öffentlichkeit ein entsprechendes Moratorium zum Schutz der Großwale unterzeichnet wurde. Es trat 1986 in Kraft, wird aber von Ländern wie Norwegen, Island, Japan und Südkorea unterlaufen. Außerdem ist es einigen indigenen Bevölkerungsgruppen in Grönland, auf der sibirischen Tschuktschenhalbinsel, in Alaska und dem US-Bundesstaat Washington sowie auf den Karibikinseln St. Vincent und den Grenadinen gestattet, zur eigenen Existenzsicherung und aus kulturellen Gründen eine bestimmte Anzahl von Walen zu töten.

Rohstoffnutzung in den Polarregionen

Je zugänglicher die Polarregionen für den Menschen werden, desto öfter wird auch die Frage nach ihren möglichen Rohstoffvorkommen gestellt und wie sich diese nutzen ­ließen. Weltweit steigt der Bedarf an Erdöl und -gas, Metallen und Seltenen Erden, und mit der Nachfrage der Preis und damit die Bereitschaft, mehr Geld in die Roh­stofferkundung und -exploration zu investieren, vor allem in der Arktis. Der Abbau von Rohstoffen in den schwer zugänglichen und kaum erschlossenen Gebieten ist jedoch mit vielen unkalkulierbaren Risiken und Faktoren verbunden, welche die Kosten und damit auch das Investitionsrisiko in die Höhe treiben und in der Vergangenheit bereits dazu führten, dass geplante Erschließungen nicht stattfanden oder aber die entsprechenden Pläne ad acta gelegt wurden. Im Jahr 2015 beispielsweise beendete der Mineral­ölkonzern Shell seine Explorationsarbeiten in der Tschuktschensee, weil Kosten und Nutzen in keinem Verhältnis standen und der Ruf des Unternehmens durch das Arktisprogramm litt.
Zu den unkalkulierbaren Faktoren der Rohstoffförderung in der Arktis gehören:
  • Fehlende Infrastrukturen in der Arktis und infolgedessen lange Erschließungszeiten: Von der Entdeckung eines Vorkommens bis zum Beginn der Förderung können bis zu 17 Jahre vergehen. Und selbst dann stellt die Abgelegenheit der Minen oder Förderplattformen Unternehmen später weiterhin vor Probleme. So beklagten beispielsweise chinesische Bergbauunternehmen, die in Grönland investieren, dass sie ihre Mitarbeiter nur per Hubschrauber einfliegen könnten, was die Betriebskosten enorm in die Höhe schraube.
  • Schwierige klimatische und witterungsabhängige Bedingungen: Extreme Temperaturen, starke Winde, bewegliches Meereis und die Instabilität des arktischen Permafrostbodens sind schwer vorherzusagen und erfordern den Einsatz teurer Spezialtechnik. Minen, Straßen, Schienen und Gebäude müssen gegen den tauenden Untergrund abgesichert werden; Offshore-Anlagen wie Ölbohrplattformen und Tankschiffe müssen den sich stetig ändernden Eisbedingungen standhalten.
  • Lange, zum Teil schwierige Transportwege: Die Förderstätten liegen weit entfernt von den Verbrauchern.
  • Hohe Personalkosten für Fachpersonal, welches bereit ist, in den unwirtlichen und entlegenen Gebieten zu arbeiten.
  • Verschiebungen am Weltmarkt und schwankende Rohstoffpreise: Die Rohstoffförderung in schwierigen Gebieten wie der Arktis ist nur dann rentabel, wenn es entsprechend große Märkte und einen damit einhergehend hohen Preis für die Rohstoffe gibt.
  • Geopolitische Entwicklungen: Die Rohstoffexplora­tion in der Arktis verlangt Technologien und Exper­tisen, die ein Staat allein in der Regel nicht aufbringen kann. Russland beispielsweise musste einige seiner geplanten Explorationsprojekte verschieben, nachdem es die Krim besetzt hatte und viele Staaten Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängten.
  • Umweltbeeinträchtigungen: Polare Ökosysteme reagieren extrem sensibel auf kleinste Schwankungen und regenerieren sich nach Unfällen nur sehr langsam. Viele Experten stufen daher das Umweltrisiko in der Arktis aufgrund der Eisbedeckung und der extrem niedrigen Temperaturen, in denen sich beispielsweise Ölrückstände deutlich langsamer abbauen als in wärmeren Regionen, als nicht kalkulierbar ein.
  • Druck der Öffentlichkeit: Klagen oder Kampagnen von Umweltorganisationen und der einheimischen Bevölkerung können den Genehmigungsprozess von Explorationsmaßnahmen in der Arktis verzögern oder aber sogar verhindern. Erst im April 2019 entzog das norwegische Parlament einem geplanten Öl- und Gasbohrprojekt in den Gewässern der Lofoten seine Zustimmung. Der Entscheidung vorangegangen waren weltumspannende Kampagnen von Umweltschutzorganisationen wie SeaLegacy, die vor den Folgen des Rohstoffabbaus für Umwelt, Fischerei und Tourismus gewarnt hatten.
5.10 > In der Diavik-Diaman­ten­mine im sub­ark­tischen Teil der kanadischen Nordwest-Territorien werden seit dem Jahr 2003 hoch­wertige Diamanten für die Schmuck­her­stellung abgebaut. Seit 2012 erfolgt der Abbau gänzlich unter Tage.
Abb. 5.10 © 2018 Rio Tinto

Geologische Voraussetzungen

Beim Thema Rohstoffe unterscheiden Experten zwischen mineralischen Rohstoffen und Kohlenwasserstoffvorkommen, sogenannten Energierohstoffen. Zur ersten Kategorie gehören Metalle und Minerale wie Eisenerz, Uran, Gold, Diamanten und viele andere; in die zweite Kategorie fallen Erdgas und Erdöl. Wie sich die Lagerstätten dieser Rohstoffe in einer Region verteilen, hängt in erster Linie von der plattentektonischen Entwicklung dieses Gebiets ab. Im Umkreis des Arktischen Ozeans beispielsweise ­liegen die drei großen und geologisch sehr alten Kontinentalschilde Laurentia, Baltica und Siberia. Diese bestehen überwiegend aus kristallinen Gesteinen und teilweise aus mächtigen Sedimentserien, die ein Alter von einer Mil­liarde bis 2,5 Milliarden Jahren haben. Die dort vorherrschenden geologischen Bedingungen führten vor allem zur Bildung mineralischer Rohstoffe wie Gold, Kupfer, Eisenerz, Molybdän, Blei, Zink, Platin, Nickel, Diamanten und Seltene Erden.
Erdöl- und Erdgaslagerstätten dagegen finden sich eher in jenen Teilen der Arktis, wo Flüsse und Meere einst über Millionen von Jahren Sedimente abgelagert haben, sodass kilometerdicke Sedimentschichten entstanden. Das geschah in den zurückliegenden 350 Millionen Jahren vor allem in den Schelfgebieten. Deren Sedimentschichten enthalten zum Teil sehr viel organisches Material und boten somit beste Bedingungen für die Bildung und Anreicherung von Erdöl und Erdgas.
Im Gegensatz zu den flachen, ausgedehnten Schelfmeeren der Arktis eignen sich die häufig schmalen Schelfgebiete in der Antarktis nur in Maßen für die Offshore-Erdöl- und Erdgasexploration. Das Gewicht des Eispanzers drückt den antarktischen Kontinent nach unten, sodass der Meeresboden des Festlandsockels größtenteils in einer Tiefe von mehr als 500 Metern liegt. Wäre eine Förderung erlaubt, müssten Mineralölkonzerne großen Aufwand betreiben, um dort nach Erdöl und -gas zu bohren.
5.11 > Im Jahr 2008 erschien die erste und bislang einzige Studie zu den möglichen, bislang unent­deckten Erdöl- und Erd­gas­vor­kommen in der Arktis. Die größten Lager­stät­ten werden demnach im West­sibiri­schen Becken, im Timan-Petschora-Becken sowie in Alaskas North-Slope-Becken und im Mittel­­norwe­gischen Schelf vermutet.
Abb. 5.11 © nach Winfried K. Dallmann

Energierohstoffe in der Arktis

Erdöl und -gas werden seit mehreren Jahrzehnten in der Arktis gefördert. Seit Beginn der Suche nach beiden Rohstoffen Mitte der 1930er-Jahre wurden über 450 bedeutende Erdöl- und Erdgasvorkommen nördlich des Polarkreises entdeckt – an Land ebenso wie in den Schelfgebieten. Mittlerweile finden insgesamt etwa zehn Prozent der weltweiten Erdöl- und 25 Prozent der Erdgasförderung in der Arktis statt, allerdings nahezu ausschließlich aus Lagerstätten auf dem Festland. Für die arktischen Staaten stellt die Erschließung von Öl- und Gasreserven in ihren nördlichen Territorien einen bereits entscheidenden oder aber immer wichtiger werdenden Wirtschaftszweig dar. Russisches Erdgas wird zum Beispiel auch nach Deutschland geliefert. Die Bundesrepublik erhält gut ein Drittel seines Erdgases aus Westsibirien.
Trotz dieser großen Fördermengen gilt die Arktis nach wie vor in großen Teilen als unerschlossen, vor allem offshore. Das heißt, viele mögliche Lagerstätten sind noch gar nicht entdeckt. Wie groß die bislang unentdeckten Vorkommen beider Rohstoffe in der Arktis vermutlich sind, versuchte der Geologische Dienst der Vereinigten Staaten (US Geological Survey, USGS) im Jahr 2008 in ­seiner großen CARA-Studie (Circum-Arctic Resource Appraisal, CARA) abzuschätzen. Seinen Berechnungen zufolge lagern nördlich des Polarkreises etwa 30 Prozent aller noch unentdeckten Erdgasreserven der Welt und rund 13 Prozent der unentdeckten Erdölvorkommen. Ein Großteil dieser bislang unentdeckten Felder wird in den flachen Schelfbereichen des Arktischen Ozeans vermutet – in Wassertiefen von weniger als 500 Metern.
In seiner Studie untersuchte der USGS insgesamt 25 arktische Provinzen. 90 Prozent der vermuteten Reserven aber liegen in nur zehn dieser Regionen. Das bedeutet, die möglichen Erdöl- und Erdgaslagerstätten in der Arktis konzentrieren sich in einigen wenigen Gebieten. Hinzu kommt: Die Menge des vermuteten Erdgases ist dreimal so groß wie die Menge des angenommenen Erdöls. Die größten Energierohstoffvorkommen werden im Westsibirischen Becken, dem Timan-Petschora-Becken sowie in Alaskas North-Slope-Becken und dem Mittel­norwegischen Schelf (Barentssee) vermutet. Die ölreichsten Gebiete liegen dabei vor der Nordküste Alaskas sowie in den arktischen Gewässern Kanadas und Grönlands; die größten Erdgaslagerstätten befinden sich vermutlich im Westsibirischen Becken Russlands, hier vor allem in der südlichen Karasee.
Abb. 5.12 © Sergey Anisimov/Anadolu Agency/picture ­alliance

5.12 > Mithilfe der speziell kon­stru­ierten, meer­eis­taug­lichen Öl­bohr­plattform „Prirazlomnaja“ gelang es dem russischen Mineral­öl­konzern Gazprom im Jahr 2013 erstmals, Erdöl aus ark­tischen Offshore-Lager­stätten zu fördern. Die Plattform ist bis heute im Prirazlomnoje-Förderfeld südlich der Insel Nowaja Semlja im Einsatz.
Die Prognosen des USGS machen deutlich, dass einige Arktisstaaten über besonders große Vorkommen ver­fügen. Der Studie zufolge liegen zwei Drittel der zu erwartenden Reserven im eurasischen Teil der Arktis, das restliche Drittel im nordamerikanischen Teil. Etwa 90 Prozent der Vorkommen in der eurasischen Arktis sind Erdgas; die Lagerstätten in der nordamerikanischen Arktis dagegen enthalten vermutlich mehr Erdöl. In der Rangliste der rohstoffreichsten Arktisstaaten führt demnach Russland, welches etwa die Hälfte der bislang unentdeckten Vorkommen beanspruchen kann. Den zweiten Platz belegen die USA mit Alaska und einem Fünftel der erwarteten Reserven, gefolgt von Norwegen, Dänemark/Grönland und Kanada.
Die USGS-Studie ist bis heute die einzige arktisweite Studie zu möglichen Erdöl- und Erdgasvorkommen und aufgrund ihrer Methodik mit großen Unsicherheiten versehen. Die Schätzungen der US-amerikanischen Wissenschaftler stützen sich vielerorts nur auf sehr vage geo­logische Informationen. Aus vielen Teilen der Arktis gibt es nämlich noch keine ausreichenden Daten. Die Forscher erwarten daher, dass sich die Schätzungen erheblich ändern werden, sobald neue geologische Daten vorliegen.
Zudem verweisen die Autoren darauf, dass sie in ihren statistischen Berechnungen technologische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen sowie mögliche Risiken der Exploration nicht mitberücksichtigt haben. Aus diesem Grund ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein substanzieller Teil der vermuteten Vorkommen niemals erschlossen und abgebaut wird. Auch genaues Wissen über eine Lagerstätte bedeutet in der Realität allerdings nicht, dass diese auch ausgebeutet wird. So gibt es arktisweit mehrere Vorkommen, die seit fast 40 bis 50 Jahren bekannt sind, bislang aus Rentabilitäts- oder Umweltschutzgründen jedoch nicht erschlossen wurden. Das gilt insbesondere für Lagerstätten in der nordamerikanischen Arktis, wo die Öl- und Gasförderung allein durch die Marktnachfrage bestimmt wird und damit durch den zu erzielenden Preis.
In Russland dagegen besitzt die Ressourcenförderung auch eine strategische und politische Bedeutung. Einem Strategiepapier zufolge betrachtet die russische Regierung die Rohstoffausbeutung in der Arktis als essenzielle Grundlage für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Der Export von Rohöl und daraus verarbeiteten Erzeugnissen macht über 50 Prozent der russischen Gesamtexporte aus. Die Ressourcenförderung in der Arktis dient außerdem dem Infrastrukturaufbau in den nördlichen Regionen sowie der symbolischen Aufwertung des russischen Selbstbildes als arktischer Nation.
Die Regierung fördert den Ressourcenabbau deshalb zum Beispiel durch Steuererleichterungen. Große Staatskonzerne wie Gazprom und Rosneft dominieren zudem die Industrie und fördern Erdgas und Erdöl in wesentlich mehr Gebieten, als dies zum Beispiel in Nordamerika der Fall ist. Und die Zahl der Förderanlagen steigt weiter. Im April 2019 verkündete der russische Mineralölkonzern Rosneft nach einem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, dass das Unternehmen die Erschließung mehrerer Öl- und Gasfelder in der russischen Arktis plane, wodurch unter anderem Öllagerstätten im Umfang von 1,5 Milliarden Tonnen abbaubar wären. Außerdem diene das Projekt dem Ausbau des nördlichen Seewegs entlang der russischen Arktisküste. Um diese Pläne zu realisieren, muss Rosneft nicht nur in neue Eisbrecher und eisfähige Tankschiffe investieren und eine Ölpipeline von seinen Wankor-Ölfeldern westlich des Flusses Jenissei bis zur arktischen Küste errichten. Der Konzern hat auch begonnen, Wohnungen für die erwarteten 20 000 Arbeiter zu bauen. Außerdem sucht Rosneft nach internationalen Partnern für dieses Großprojekt, die trotz aller Risiken und der unsicheren Preisentwicklung für Energierohstoffe in das Vorhaben investieren.
Das russische Ministerium für Ressourcen und Umwelt gab nahezu gleichzeitig bekannt, dass es mehr als hundert Projekte zur Öl- und Gasförderung in der Arktis sowie zum Ausbau von Infrastrukturen und Tourismus mit einer Summe von umgerechnet 164,2 Milliarden US-Dollar fördern wolle. Darunter sind auch bereits angelaufene Großprojekte wie große Öl- und Gasförderstätten auf der Halbinsel Jamal und im östlichen Sibirien.
5.13 > Am Nord­­ost­ufer der Halb­insel Jamal haben der russische Konzern Novatek und seine Partner das Flüssig­erd­gas­werk Jamal LNG errichtet. In drei Produk­tions­­linien wird hier Erdgas gefördert, verflüs­sigt und über den Hafen Sabetta nach Europa und Asien verschifft.
Abb. 5.13 © Charles Xelot/Institute
Auf der Gydanhalbinsel am Ostufer des Obbusens beispielsweise errichtet derzeit Russlands größter privater Mineralölkonzern Novatek seine zweite Anlage für die Produktion und Verschiffung von Flüssiggas (Arctic LNG 2). Der Bau des Hafenterminals und aller dazugehöriger Industrieanlagen und Gebäude kostet etwa 21 Mil­liarden US-Dollar und wird unter anderem durch Saudi-Arabien, den französischen Mineralölkonzern Total und japanische Handelsfirmen mitfinanziert. Der Industriekomplex mit einer Jahreskapazität von 19,8 Millionen Tonnen Flüssiggas soll im Jahr 2023 den Betrieb aufnehmen und Flüssiggas für Kunden in Asien und Europa liefern. Die Investorenliste steht beispielhaft für die zunehmende internationale Kooperation bei der Erkundung und Ausbeutung von Rohstoffen in der Arktis. Da die Erdöl- und Erdgasförderung im Nordpolargebiet technisch schwierig ist und enorme Kosten verursacht, sind auch erfahrene Akteure wie Rosneft, Gazprom oder Novatek darauf angewiesen, mit amerikanischen, europäischen und asiatischen Unternehmen zu kooperieren.
In den USA treibt die Trump-Regierung derweil den Verkauf von Ölbohrlizenzen im einst geschützten Küstengebiet (genannt: 1002 Area) des Arctic National Wildlife Refuge voran – etwa indem die Administration notwendige Studien zu den Folgen einer möglichen Erdölexploration in sehr kurzer Zeit durchführen lässt. Dabei wäre Vorsicht angebracht. Die Arktis ist aufgrund ihrer klimatischen und geografischen Bedingungen eine risikoreiche Region für wirtschaftliche Aktivitäten, vor allem für Großprojekte wie die Öl- und Gasförderung. Unfälle und Risiken können selbst dann nicht ausgeschlossen werden, wenn die Bergbau- und Mineralölkonzerne allen Umweltauflagen folgen und moderne Sicherheitstechnik einsetzen. Die Gefahr von Umweltbeeinträchtigungen durch Ölverschmutzungen, Müll und Lärm besteht und wiegt in der Arktis zumindest im Fall von Tankerunfällen oder Pipeline-Lecks um so schwerer, weil Kohlenwasserstoffe wie Öl aufgrund der niedrigen Temperaturen viel länger im Ökosystem verbleiben.
Experten kommen außerdem zu dem Schluss, dass Maßnahmen zur Beseitigung von Öllachen oder Ölteppichen in der Arktis sehr schwierig und langwierig, wenn nicht sogar unmöglich sind. Säuberungstechniken, die sich in anderen Regionen als nützlich erwiesen hätten, seien in arktischen Gewässern weniger effektiv oder sogar unbrauchbar, heißt es. Eis könnte die Ölabsaugsysteme verstopfen, Ölsperren könnten einfrieren. Zur Zeit der Polarnacht würde zudem die Dunkelheit jede Säuberungsaktion behindern. Überdies sind viele Regionen in der Arktis nur mit dem Flugzeug, Hubschrauber oder Schiff erreichbar. Das bedeutet, dass entlang der arktischen Küste wichtige Infrastrukturen und auch das entsprechende Personal fehlen, um im Unglücksfall eine Ölpest schnell und effektiv bekämpfen zu können.

Mineralische Rohstoffe in der Arktis

Während in der Antarktis der Abbau mineralischer Rohstoffe durch das Umweltschutzprotokoll verboten ist, bilden Bodenschätze wie Kohle, Zink, Kupfer, Gold, Diamanten, Platin, Nickel, Palladium, Eisenerz und Seltene Erden in vielen Regionen der Arktis wichtige Wirtschaftszweige oder werden – wie zum Beispiel in Grönland – als Grundlage für eine künftige wirtschaftliche Entwicklung betrachtet. Kanada beispielsweise gehört seit der Entdeckung von Diamantenvorräten in seinen Nordwest-Territorien zu den fünf größten Diamantenproduzenten der Welt. Die größte Zinkmine der Welt – Red Dog Mine genannt – befindet sich in Alaska. Sie erschließt die größten bislang bekannten Zinkvorkommen auf der Erde und steht allein für zehn Prozent der weltweiten Förderung dieses Metalls.
Die Erschließung mineralischer Rohstoffe in der Arktis hat eine lange Geschichte. Die mittlerweile zweitgrößte Eisenerzmine der Welt im schwedischen Malmberget, Provinz Lappland, eröffnete bereits im Jahr 1745. Auf Grönland wurden schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts in kleinerem Maßstab Kupfer, Blei, Zink, Silber, Gold, Marmor, Grafit, Olivin und Kryolith gewonnen. Der Goldrausch am Klondike River lockte ab dem Jahr 1896 mehr als 100 000 Goldsucher nach Alaska und überschwemmte den Weltmarkt mit Gold. Knapp zwei Jahrzehnte später begann Russland mit dem Bau seines größten Bergbau- und Hüttenkomplexes in der sibirischen Arktis (Bergbaubezirk Norilsk in der Region Krasnojarsk). Wegen der ungefilterten Hüttenemissionen gehörte die Stadt Norilsk lange Zeit zu den Städten auf der Welt mit der größten Luftverschmutzung.
Bis heute findet der Abbau mineralischer Rohstoffe in der Arktis ausschließlich an Land statt und ist aus diesem Grund weniger von den Folgen des Klimawandels und dem damit einhergehenden Rückgang des arktischen Meereises betroffen. Derzeit gibt es etwas mehr als 20 Bergwerksbetriebe, die mineralische Bodenschätze abbauen. In Russland allein sind es über ein Dutzend, denn die russische Arktis ist reich an Eisen-, Bunt-, Edelmetallen, Metallen der Seltenen Erden und Düngemittelrohstoffen sowie an Edel- und Halbedelsteinen.
5.14 > Eine der schlimmsten Öl­katas­trophen aller Zeiten: In der Nacht am 24. März 1989 lief im Prinz-William-Sund vor Alaska der Tanker „Exxon Valdez“ auf ein Riff und verlor 39 000 Tonnen Rohöl. Infolge der Ölpest starben mindestens 400 000 Vögel und Säuge­tiere; die Fischerei kam zum Erliegen. Die Küste ist bis heute mit Öl belastet.
Abb. 5.14 © mauritius-images/Science Faction/Natalie Fobes
Abb. 5.15 © Anders Anker Bjørk

5.15 > Im Zuge des Klima­wandels könnte sich für Grönland eine neue Ein­nahme­quelle auftun, berichten Forscher. Wo Eis­massen schmelzen, transportieren Schmelz­wasser­bäche und -flüsse große Mengen an Sediment Richtung Küste und lagern diese dort ab. Sand wiederum ist ein weltweit begehrter Roh­stoff, dessen Export sich lohnen könnte, wenn der Abbau umwelt­verträg­lich erfolgen kann.
Parallel dazu finden nach Angaben des Arktischen Wirtschaftsrates (Arctic Economic Council, AEC) viele Prospektionen in der Arktis statt, um genauer herauszufinden, wo und vor allem in welchen Mengen Rohstoffe vorkommen. Von Grönland beispielsweise weiß man seit Jahrzehnten, dass die Insel über sehr große Rohstofflagerstätten verfügt. Hervorzuheben sind hier unter anderem Gold, Platingruppenmetalle, Seltene Erden, Uran und Coelestin. Wirtschaftsplaner und große Teile der grönländischen Bevölkerung hoffen, dass der Abbau von Mineralien künftig große Einnahmen generieren und die Insel langfris­tig zu einem bedeutenden Lieferanten aufsteigen wird. Entsprechende Abbaulizenzen sind bereits vergeben, unter anderem an chinesische Bergbauunternehmen. Bislang aber verhinderte eine Vielzahl von Gründen einen gewinnbringenden Abbau in großem Stil, denn auf Grönland fehlen wie in weiten Teilen der restlichen Arktis noch immer wichtige Infrastrukturen wie Straßen, Schienen, Häfen und Unterkünfte für die Minenarbeiter. Die Durchschnittstemperaturen auf der vereisten Insel sind so niedrig, dass ein Abbau von Bodenschätzen nur im kurzen Sommer möglich ist. Außerdem versperrt arktisches Meereis Transportschiffen noch häufig den Weg zu Förderstätten wie dem Zitronenfjord im hohen Norden. Die Arktisstaaten haben sich im Arktischen Rat zudem darauf ge­einigt, ihre arktischen Territorien möglichst nachhaltig zu entwickeln. Das heißt, jede Nation macht Bergbau­unternehmen mittlerweile Auflagen zum Umwelt- und Arbeitsschutz sowie zum Umgang mit der lokalen Bevölkerung, was die Explorationskosten zusätzlich in die Höhe treibt. Angesichts niedriger oder zumindest schwankender Weltmarktpreise für Rohstoffe wie Blei, Zink und Seltene Erden befinden sich die meisten Bergbauvorhaben auf Grönland deshalb noch immer in der Planungs- oder Entwicklungsphase.
Gefördert wird derzeit nur in einer Mine. Das norwegische Unternehmen Greenland Ruby gewinnt seit Mai 2017 im südwestgrönländischen Aappaluttoq pinkfarbene Rubine und verkauft diese als Schmuck an Grönland-Touristen sowie auf dem skandinavischen Markt. Kurz vor dem Produktionsstart steht anscheinend auch die kanadische Firma Hudson Resources Inc. Sie will in der Region White Mountain am westgrönländischen Søndrestrøm­fjord kalziumreichen Feldspat (Anorthosit) abbauen und an Produzenten von Fiberglas verkaufen. Eine Förderung des Industrieminerals aber wird nur im kurzen Sommer möglich sein, sodass fraglich bleibt, ob sich der Betrieb der Mine langfristig rentieren wird.
In anderen Teilen der Arktis dagegen geht die Nutzung der Bodenschätze und der Ausbau der dazu notwendigen Infrastruktur zügig voran. Ende 2019 soll in der Nähe der russischen Hafenstadt Murmansk ein neuer Hafenterminal eröffnet werden, über den dann jährlich neun Millionen Tonnen Kohle verschifft werden. Den Planungen zufolge wird sich diese Menge nochmals verdoppeln, wenn bis 2023 weitere Ausbaustufen abgeschlossen sind. Die norwegische Regierung stimmte im Februar 2019 dem Bau einer Kupfermine in der arktischen Gemeinde Kvalsund zu, obwohl einheimische Fischer und Rentierhirten gegen die Pläne protestiert hatten. Der Minenbetreiber Nussir ASA schätzt die Kupfervorkommen in dem Gebiet auf 72 Millionen Tonnen. Größer ist keine andere bekannte Kupferlagerstätte in Norwegen.
Im Südwesten Alaskas kämpfen derweil Umweltschützer und Teile der indigenen Bevölkerung gegen Pläne des kanadischen Konzerns Northern Dynasty Minerals, eine große Gold- und Kupfermine in der Region Bris­tol Bay zu eröffnen. Das Gebiet mit seinen vielen Seen und Flüssen gilt als eines der wichtigsten Laichgebiete des Rotlachses (Oncorhynchus nerka). Nach Angaben des Bergbaukonzerns lagern dort aber auch die vermutlich zweitgrößten Kupfervorkommen der Welt sowie große Mengen an Gold, Silber, Molybdän, Silber, Palladium und Rhenium.

Schiffsverkehr in der Arktis

Der starke Rückgang des arktischen Meereises – vor allem nördlich der russischen Küsten sowie in den Gewässern Alaskas – eröffnet neue Schifffahrtswege, die sowohl für Akteure aus den Arktisanrainerstaaten als auch für viele Unternehmen aus Drittstaaten interessant sein könnten. Wo das Meereis weicht oder nur noch im Winter auf dem Wasser treibt, können nämlich:
  • Kutter in bislang unberührte Fischgründe vorstoßen;
  • Bohrschiffe oder Plattformen jene marinen Erdgas- und Erdöllagerstätten ausbeuten, die bislang nicht zugänglich waren;
  • Handelsunternehmen und Reedereien zum Teil erhebliche Zeit- und damit Kostenersparnisse verbuchen, weil sie ihre Waren und Güter über die kürzeren arktischen Seewege von Nordeuropa nach Nordostasien verschiffen und
  • Reiseunternehmen mit Kreuzfahrten in der Arktis neue Kundschaft generieren.
Dabei wird in der öffentlichen Diskussion jedoch oft vergessen, dass Schifffahrt in der Arktis keineswegs ein neues Phänomen ist. Im Gegenteil: Große Teile der Nordpolarregion erschloss der Mensch per Schiff. Regelmäßige Schiffsverbindungen entstanden bereits vor mehr als hundert Jahren in den eisfreien arktischen Meeresgebieten wie der West- und Nordküste Skandinaviens sowie überall dort, wo Regierungen oder Unternehmen in arktische Standorte investierten und Menschen versorgt werden mussten – etwa auf Spitzbergen, wo um das Jahr 1900 der Kohleabbau begann und der Schiffstransport die einzige Möglichkeit war, Maschinen und Fahrzeuge auf die arktische Inselgruppe zu bringen sowie die Kohle von dort abzutransportieren.
In großen Teilen der Arktis sind Schifffahrtsverbindungen bis heute die Lebensader für die lokale Bevölkerung. Die Menschen haben ihre Siedlungen nah an der Küste errichtet, weil der Seeweg die einzige Möglichkeit ist, lebensnotwendige Waren zu erhalten. Straßen oder Schienen gibt es in vielen Regionen nicht.

Zusatzinfo Die Bodenschätze unter dem Eis der Antarktis

Regional statt international

Die arktischen Gewässer werden heutzutage vor allem für die Fischerei, den Rohstofftransport, die Versorgung der arktischen Siedlungen und Bergbaustätten, für die Passagierschifffahrt, den Tourismus sowie für die Polar- und Meeresforschung genutzt. Ein Großteil dieser Fahrten findet nach wie vor im Sommer oder im Herbst statt, wenn große Gebiete eisfrei und die Risiken möglichst gering sind. Viele Schiffe meiden auch die vom Eis bedeckten Regionen. Sie verkehren vor allem in der Peripherie des Arktischen Ozean, beispielsweise entlang der norwegischen Küste, in der größtenteils eisfreien Barentssee, rund um Island und die Färöerinseln, südwestlich von Grönland und im Beringmeer.
Die meisten arktischen Schifffahrtslinien werden von einheimischen oder staatseigenen Schifffahrtsunternehmen bedient. Entlang der norwegischen Küste beispielsweise transportieren sieben Küstenschiffe der Hurtigruten-Reederei Fracht und Gäste zu 34 Anlaufhäfen zwischen Bergen im Südwesten und Kirkenes im Nord­osten. Auf Grönland liegt der schiffsbasierte Waren- und Treibstofftransport in den Händen der regierungseigenen Reederei Royal Arctic Line. Ihre Schiffe verkehren zwischen Grönlands 13 größten Häfen und versorgen auch kleinere Siedlungen. In Russland halten Eisbrecher im Auftrag der Regierung seit dem Jahr 1979 die Küstengewässer zwischen der Halbinsel Kola und der Mündung des Jenissei das ganze Jahr hindurch befahrbar, um regelmäßige Schiffstransporte in der Region zu ermöglichen.
Der Schiffsverkehr in der Arktis ist somit eher regional denn international ausgerichtet. Dennoch interessiert sich die breite Öffentlichkeit beim Thema Schifffahrt in der Arktis vor allem für transarktische Fahrten. Diese führen in der Regel über zwei Hauptrouten. Eine dritte Route, die quer über den Arktischen Ozean führt und dabei quasi den geografischen Nordpol streift, spielt angesichts der noch vorherrschenden Eis- und Wetterverhältnisse in der zentralen Arktis noch keine wirkliche Rolle, sondern wird nur theoretisch diskutiert.

Die Nordwestpassage

Die Nordwestpassage ist eine Ansammlung von sieben größeren Routen zwischen dem Atlantischen und dem Pazifischen Ozean. Diese verlaufen von der Beringstraße und den Küsten Alaskas kommend durch die Inselwelt des kanadisch-arktischen Archipels und führen im Anschluss durch die Baffinbucht und die Labradorsee in den Nord­atlantik. Die erste nachgewiesene Durchquerung der Nordwestpassage gelang Anfang des 20. Jahrhunderts dem Norweger Roald Amundsen. 80 Jahre später durchquerte mit der schwedischen „Lindblad Explorer“ das erste Passagierschiff die Passage; im Jahr 2008 folgte das erste Containerschiff, 2017 das erste Kreuzfahrtschiff.
Transarktische Fahrten durch die Nordwestpassage blieben bisher jedoch die Ausnahme, zum einen weil die rund 36 000 Inseln im hohen Norden Nordamerikas die Navigierbarkeit beeinträchtigen, zum anderen weil das Meereis im kanadisch-arktischen Archipel in der Regel dicker ist und aufgrund der lokalen Gegebenheiten weniger stark zurückgeht als beispielsweise im Beringmeer und in der Tschuktschensee. Wenn sich Schiffe auf diese Reise begaben, dann waren es in der Regel Eisbrecher der Küstenwache oder aber Privatyachten. Letztere gehen ein ziemlich hohes Risiko ein, weil die Eisverhältnisse in der kanadischen Arktis nur schwer vorherzusagen sind. Experten gehen deshalb davon aus, dass die Schifffahrt im kanadisch-arktischen Archipel auch in den kommenden Jahrzehnten risikoreich bleiben wird. Dennoch bieten gleich mehrere Kreuzfahrtanbieter für den Sommer 2020 Reisen durch die Nordwestpassage an, darunter Hurtig­ruten aus Norwegen sowie Hapag-Lloyd aus Deutschland.
Zugenommen hat dagegen zumindest im kanadischen Teil der Passage der Verkehr von Fischerbooten und Frachtschiffen. Letztere bringen Güter in den kanadischen Norden oder aber werden in den arktischen Häfen mit Rohstoffen beladen. So verschiffte das Unternehmen Baffinland Iron Mine im Jahr 2018 allein fünf Millionen Tonnen Eisenerz von einem neuen Hafen an der Nordküste der Baffininsel – eine Rekordmenge für die kanadische Arktis. Langfristig will der Konzern seine jährliche Fördermenge auf zwölf Millionen Tonnen Eisenerz erhöhen. Der Rückgang des Meereises könnte ihm dabei helfen. Schon jetzt hat sich die Saison, in der die Gewässer rund um die Baffininsel beschiffbar sind, von vier auf fünf Monate verlängert.

Zusatzinfo Schiffsbewegungen in der Arktis

Die Nordostpassage

Die Nordostpassage besteht aus verschiedenen Routen, die von Nordwesteuropa aus entlang der nördlichen Küsten Skandinaviens und Russlands in das Beringmeer und anschließend in den Pazifik führen. Ein Teil dieser Passage – von der Karastraße bis zur Beringstraße – wird auch als Nördlicher Seeweg bezeichnet. Er verläuft durch die Ausschließliche Wirtschaftszone Russlands und wird vom russischen Transportministerium verwaltet. Bis vor rund 30 Jahren war dieser Seeweg für Schiffe aus Ländern außerhalb des ehemaligen sowjetischen Einflussgebiets unzugänglich. Die Sowjetunion nutzte ihn für militärische Zwecke und baute ihn zu einer wichtigen Versorgungs­ader seiner arktischen Bergbau- und Erdölindustrie aus.
Seit dem 1. Juli 1991 steht der Nördliche Seeweg allen Staaten offen. Schiffe müssen ihre Durchfahrt jedoch anmelden und bestimmte Auflagen erfüllen, was unter anderem von den USA kritisiert wird. Sie fordert, dass die Routen der Nordostpassage und der Nordwestpassage als internationale Meerengen betrachtet werden und deshalb das Recht aller Staaten auf Transitdurchfahrt gilt. Damit wäre den jeweiligen Küstenstaaten das Recht auf strenge Regeln und Auflagen entzogen. Hintergrund dieser Forderung ist, dass von allen drei möglichen Seewegen durch die Arktis derzeit vor allem die Nordostpassage als aussichtsreiche Schifffahrtsroute gilt. Eis- und Windverhältnisse deuten nämlich darauf hin, dass vor der Nordküste Russlands als Erstes eine dauerhaft befahrbare Rinne entstehen wird.
5.18 > Eine Schiffs­reise von Rotter­dam nach Yokohama ist zwar über den Nördlichen Seeweg deutlich kürzer als über die Südroute. Aufgrund der hohen Kosten und der schwer vorher­sag­baren Eis­bedingungen in der Arktis aber setzen Reeder­eien noch immer auf die längere Route durch den Sues­kanal.
Abb. 5.18 © nach Tengelmann et al.

Russlands Pläne

Russland selbst unternimmt große Anstrengungen, um den Nördlichen Seeweg zu einer der wichtigsten Schifffahrtsrouten der Welt auszubauen. Das Land will entsprechend seiner proklamierten Transport- und Verkehrsstrategie den Bau neuer atomgetriebener Eisbrecher in Auftrag geben, die Häfen entlang seiner arktischen Küste modernisieren, Infrastrukturen für Such- und Rettungsmaßnahmen errichten und ein System zur Überwachung des Schiffsverkehrs installieren.
Die Investitionen knüpfen sich an die Hoffnung, dass Frachtschiffe aus Nord- und Nordwesteuropa auf ihrem Weg nach Japan oder China bis zu 40 Prozent ihrer Wegstrecke einsparen würden, wenn sie über die Nordostpassage fahren anstatt über die klassische Südroute via Sueskanal und Indischem Ozean. Auf diese Weise könnten die Schiffe auch unsichere südliche Meeresgebiete wie das Horn von Afrika oder aber die Straße von Malakka (Malaysia, Indonesien) meiden. In beiden Regionen stellen Terrorismus oder Piraterie eine ernsthafte Gefahr für den internationalen Schiffsverkehr dar.
Bislang aber ist der Nördliche Seeweg nur im Sommer relativ sicher für Schiffe zu befahren, und selbst dann müssen Frachtschiffe häufig von Eisbrechern begleitet werden – ein Umstand, der die Kosten der Durchfahrt deutlich erhöht und das Entwicklungspotenzial der arktischen Schifffahrt gegenwärtig sehr einschränkt. Wie alle kommerziellen Unternehmungen muss sich diese nämlich zuerst und vor allem wirtschaftlich lohnen. Ob dies der Fall ist, hängt unter anderem ab von den möglichen Distanzeinsparungen, von der Frage, für welche Fracht die arktischen Routen geeignet sind, vom Zeitmanagement sowie dem Verlauf und der Entwicklung der anderen Haupthandelsrouten.
5.19 > Der 300 Meter lange Flüs­sig­gas­tanker „Christophe de Margerie“ ist eines von 15 Tank­schiffen mit Double-Acting-Funktion, welche die Betreiber des Flüssig­erd­gas­werks Jamal LNG haben bauen lassen. Er kann sich im Rück­wärts­gang durch bis zu 2,1 Meter dickes Eis brechen und das ganze Jahr hindurch ohne die Unter­stützung von Eis­brechern operieren.
Abb. 5.19 © mauritius-images/Alamy/ITAR-TASS
Experten warnen davor, das Potenzial der arktischen Schifffahrt zu überschätzen und die Risiken zu unterschätzen. Transarktische Fahrten wie jene des Eisklasse-Frachtschiffes „Venta Mærsk“ im August 2018 hätten vor allem Showcharakter und lohnen sich wirtschaftlich nicht. Die Zahl der Transitfahrten über den Nördlichen Seeweg ist auch dementsprechend niedrig. Nach einem Boom in den Jahren 2010 bis 2013 ebbte der Durchfahrtsverkehr ab 2014 wieder ab und bleibt seitdem unter den Erwartungen.
Das mangelnde Interesse der Schifffahrtsindustrie hat vor allem wirtschaftliche Gründe. In wissenschaftlichen Umfragen gaben Reedereien und Handelsunternehmen an, dass die arktische Schifffahrt ein großes unternehmerisches Risiko darstelle. Zu den genannten Risikofaktoren gehören:
  • hohe Kosten für den Bau von Schiffen mit hohen Eisklassen, für polartaugliche Ausrüstung an Bord, für Schiffsversicherungen (20 bis 100 Prozent über den Standardpreisen) und geschultes Personal: Erschwerend kommt hinzu, dass die eisgängigen Tanker und Frachtschiffe in anderen Gewässern nicht rentabel sind, weil sie aufgrund ihrer dickeren Hülle ein zu geringes Fassungsvermögen besitzen;
  • hohe Ausgaben für Spezialtreibstoff: Schiffe in der Arktis benötigen einen kältetauglichen Treibstoff. Der Verbrauch steigt zudem enorm an, wenn das Schiff durch Meereis fährt;
  • hohe Kosten für die Begleitung durch russische Eis­brecher sowie für die Services der Verwaltung des Nördlichen Seewegs: Zudem dürfen die Schiffe nicht breiter als 30 Meter (Fahrrinne der Eisbrecher) sein. Auf der Südroute über den Sueskanal sind bis zu 60 Meter Schiffsbreite möglich;
  • die geringe Anzahl der zur Verfügung stehenden Eisbrecher: Sie erschwert die langfristige Planung von Schifffahrten auf dem Nördlichen Seeweg;
  • die Gefahr zeitlicher Verzögerungen und entsprechender Strafzahlungen aufgrund der unberechenbaren Eisbedingungen: Deshalb ist die Nordostpas­sage vor allem für die Containerschifffahrt, die ihre Waren auf den Tag genau liefern muss, noch keine Alternative zur klassischen Südroute;
  • die hohe Wahrscheinlichkeit von Meereis und extremen Witterungsbedingungen und die damit verbundenen Risiken;
  • die Abgelegenheit der Schiffsroute und die bislang immer noch fehlende Infrastruktur für Such- und Rettungsmaßnahmen;
  • die Beschränkung des Tiefgangs auf maximal zwölf Meter: Aufgrund der geringen Wassertiefe dürfen Schiffe oft nicht voll beladen werden, was die Gewinnspanne für die Unternehmen und die Reedereien schmälert;
  • schwankende Weltmarktpreise für Roh- und Treibstoffe: Sinken die Preise, wird der teure Arktistransit für Unternehmen im Vergleich zur bewährten Süd­route weniger attraktiv;
  • der Ausbau des Panama- und Sueskanals, wodurch die Südrouten aus Sicht der Reedereien wieder wirtschaftlich attraktiver werden: Der Panamakanal ist seit dem Ende der zehnjährigen Ausbauarbeiten (Verbreiterung und Vertiefung) im Jahr 2016 für 96 Prozent der Welthandelsflotte befahrbar. Der Sueskanal wurde ebenfalls ausgebaut. Ihn können seit August 2015 doppelt so viele Schiffe befahren wie früher.

Neue Schiffstypen, genaue Verkehrsanalysen

Um die Schifffahrt in der Arktis dennoch gewinnbringend zu gestalten, setzen einige Schifffahrtsunternehmen auf neue Technologien. Dazu gehören eisverstärkte Frachtschiffe und sogenannte Double-Acting-Schiffe. Letztere stellen eine Mischung aus Eisbrecher und herkömmlichem Frachtschiff dar. Diese Schiffe sind mit einem konventionellen Bug für die Navigation auf offener See sowie einem Heck mit Eisbrecherfunktion ausgestattet. In eisfreien Gewässern fährt das Schiff vorwärts. Sobald jedoch Meereis in Sichtweite kommt, dreht das Schiff um und bahnt sich rückwärts seinen Weg – das eisbrechende Heck voran.
Solche neuen Schiffstypen werden vor allem für den Rohstofftransport entlang der russischen Küste eingesetzt. Ihre Reisen aber fließen meist nicht in die Transitstatistik mit ein. Bei der Analyse des arktischen Schiffsverkehrs unterscheiden Experten nämlich zwischen vier Verkehrskategorien:
  • destinationsbezogene Verkehre: In diese Kategorie fallen zum Beispiel Öltanker, die Öl oder Flüssiggas aus Nordnorwegen oder Nordwestrussland in einen Hafen außerhalb der Arktis liefern;
  • intraarktische Verkehre: Gemeint sind Schiffsbewegungen, die zwei oder mehr Staaten in der Arktis miteinander verbinden;
  • transarktische Verkehre: Dazu gehören Schiffstransporte, die durch die Arktis führen und beispielsweise Waren aus einer Hafenstadt am Pazifik in einen Hafen am Atlantik oder in der Nordsee liefern;
  • Schiffsverkehr in den Küstengewässern eines Arktis­anrainerstaats: Diese Schiffsbewegungen werden auch als regionaler Verkehr bezeichnet und umfassen zum Beispiel in Russland regelmäßige Rohstofftransporte zwischen dem Hafen von Dudinka im Norden des Westsibirischen Tieflands und der nördlich des Polarkreises gelegenen Hafenstadt Murmansk auf der Halbinsel Kola.
5.20 > Auf seinem Weg von Südkorea nach Frank­reich durchfuhr im Februar 2018 der Flüssig­gas­tanker „Eduard Toll“ als erstes kommer­zielles Schiff den Nördlichen Seeweg im Winter, ohne dabei die Hilfe von Eis­brechern in Anspruch zu nehmen. Im Hafen von Sabetta legte er kurz an, um neues Flüssiggas zu laden.
Abb. 5.20 © Teekay Corporation
Während sich der Transitverkehr auf einem niedrigen Niveau eingependelt hat, nimmt der regionale und destinationsbezogene Schiffsverkehr auf dem Nördlichen Seeweg stetig zu. Im Jahr 2018 hatten Fracht- und Tankschiffe in nur elf Monaten 15 Millionen Tonnen Fracht über diesen Seeweg transportiert – unter anderem auch nach Eu­ropa, Asien und Südamerika. Diese Zahl entsprach nahezu einer Verdopplung der Frachtmenge des Vorjahres. Im Vergleich zu 2014 hatte sich die Frachtmenge sogar verfünffacht. Die Zuwächse sind vor allem auf den steigenden Export von Flüssiggas, Erdöl und Kohle aus der russischen Arktis zurückzuführen. Gasproduzent Novatek beispielsweise verschiffte 2018 mehr als sieben Millionen Tonnen Flüssiggas über seinen neuen Hafen Sabetta. Dieser gehört zum Großprojekt Jamal auf der Halbinsel Jamal und wurde 2017 in Betrieb genommen.
Prognosen zufolge wird das Frachtvolumen in der russischen Arktis noch weiter ansteigen – angetrieben vor allem durch die verstärkte Kohleförderung im Taibass­becken an der Nordspitze der Taimyrhalbinsel. Kohle­produzent VostokCoal hat angekündigt, dort ab dem Jahr 2025 jährlich bis zu 30 Millionen Tonnen Anthrazit-Steinkohle abzubauen. Sie ist besonders kohlenstoffhaltig, wird vor allem für die Metallherstellung benötigt und nur in wenigen Ländern abgebaut. Für das Jahr 2019 strebt das Unternehmen eine Jahresfördermenge von zehn Millionen Tonnen an, und jede Tonne wird über zwei neu erbaute Häfen in der Nähe der Hafenstadt Dikson verschifft. Ab dem Jahr 2025 könnte demzufolge jede zweite Schiffsbewegung auf dem Nördlichen Seeweg ein Kohlefrachter aus Dikson sein.
Wie viele andere Rohstoffkonzerne auch wird VostokCoal eisverstärkte Frachter für den Kohletransport einsetzen. Das russische Transportministerium überlegt allerdings, die bislang sehr strengen Auflagen und Sicherheitsanforderungen für den Schiffsverkehr auf dem Nördlichen Seeweg zu lockern. Bislang durften nur Schiffe der Eisklasse Arc7 und höher im Winter den Nördlichen Seeweg befahren. Da es aber vor allem dem Gasproduzenten Novatek nicht gelungen ist, seine Flotte mit den teuren Eisklasse-Schiffen auszustatten, hatte das Ministerium im November 2018 angekündigt, die Eisklasse-Vorschriften abzuschwächen. Demnach sollten künftig auch Schiffe der Eisklassen Arc4 und Arc5 die Küstengewässer im Winter befahren dürfen, allerdings nur in Begleitung eines Eisbrechers.
Kritiker werfen dem Ministerium vor, mit dieser Entscheidung wirtschaftliche Interessen über die Schiffs­sicherheit und den Umweltschutz zu stellen und unnötige Risiken einzugehen. Weniger Meereis bedeute nicht weniger Gefahren. Im Gegenteil: Dünneres Eis wird stärker vom Wind verdriftet und bewegt sich schneller. Dadurch erschwere sich die Eisvorhersage. In flachen Schelfmeeren wie der gerade mal 52 Meter tiefen Ostsibirischen See sei zudem die Gefahr groß, dass Schiffe auf Grund liefen, wenn schlechte Eis- und Wetterverhältnisse die Navigation erschwerten.

Die Folgen des Schiffsverkehrs für die Umwelt

Wie die Ressourcenförderung bringt auch die arktische Schifffahrt eine Reihe bekannter und möglicher Gefahren für die empfindliche arktische Umwelt mit sich. Sollte es zu einem Tankerunfall kommen oder ein Schiff auf andere Weise Öl oder Treibstoff verlieren, wäre davon auszugehen, dass die Auswirkungen einer solchen Verschmutzung in der kalten Arktis viel länger anhalten als in wärmeren Gebieten. Säuberungsmaßnahmen wären sehr aufwendig und langwierig – und nach Ansicht einiger Experten garantiert unzureichend, weil es noch keine adäquaten technischen Lösungen gibt. Bleibende Schäden an Umwelt, Pflanzen und Tieren wären daher unvermeidbar.
Anders als in der Antarktis dürfen Schiffe in der Arktis bislang auch mit schwefelhaltigem Schweröl fahren. Dieser Treibstoff ist ein hochgiftiges, sehr zähflüssiges Abfallprodukt aus der Ölindustrie, das im Jahr 2015 in der Arktis 57 Prozent des genutzten Schiffstreibstoffs ausmachte. Tritt es durch eine Havarie, ein Leck oder aber durch eine gezielte Einleitung aus und kommt mit Wasser in Kontakt, verteilt es sich an der Meeresoberfläche, emulgiert und nimmt ein Vielfaches seines ursprünglichen Volumens an. Die mousseartige Masse lagert sich dann entweder auf dem Meereis ab und gefriert – oder aber es wird an die Küsten geschwemmt oder sinkt zum Meeresboden. Aufgrund seiner Konsistenz kann emulgiertes Schweröl große Regionen verseuchen. Der Arktische Rat ist deshalb zu dem Urteil gekommen, dass dieser Treibstoff das größte von Schiffen ausgehende Risiko für die arktische Meeresumwelt darstellt.
5.21 > Nach Angaben des Inter­natio­nalen Ausschusses für sauberen Transport (Inter­national Council on Clean Trans­port­ation) nutzten im Jahr 2015 rund 57 Prozent aller in der Arktis verkehr­enden Schiffe Schweröl als Treibstoff. Rund zwei Drittel der von Schiffen verur­sachten Ruß­emis­sionen können auf diesen „dreckigen“ Treibstoff zurück­geführt werden.
Abb. 5.21 © nach International Council on Clean Transportation
Bei der Verbrennung von Schweröl in den Schiffsmotoren entstehen neben großen Mengen Kohlendioxid auch Luftschadstoffe wie Schwefeloxide, Stickoxide, Feinstaub sowie braune und schwarze Rußpartikel. Lagern sich diese dunklen Partikel auf Schnee oder Meereis ab, sinkt deren Rückstrahlfähigkeit. Beide Materialien absorbieren fortan mehr Sonnenstrahlung und schmelzen schneller. Umweltverbände und die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (International Maritime Organization, IMO) setzen sich deshalb für ein Schwerölverbot in der Arktis ein. Die Verhandlungen sind gerade in vollem Gange. Die IMO hat sich zum Ziel gesetzt, das Verbot im Jahr 2021 zu beschließen und bis 2023 arktisweit zu implementieren.
Mit dem Schiffsverkehr steigt auch die Gefahr, dass arktisfremde Tier- und Pflanzenarten an Bord der Schiffe in das Nordpolargebiet einwandern. Zum Beispiel, weil sie sich am Schiffsrumpf festgesetzt haben oder im Ballastwasser der Schiffe schwimmen. Je mehr Schiffe in arktischen Gewässern fahren, desto höher ist auch die Gefahr, dass sie mit Walen oder Robben kollidieren, die Wanderbewegungen der Meeressäuger stören oder aber die Tiere mit ihrem Motorenlärm belästigen.
Schallwellen wandern in kaltem Wasser weiter als in wärmerem. Das heißt, Motorengeräusche oder der Lärm der Explorationsarbeiten sind in der Arktis auf größere Entfernungen zu hören. Zudem schrumpft mit dem Anteil von dickem, mehrjährigem Meereis ein bislang wirkungsvoller Schalldämpfer, der früher weite Teile des Arktischen Ozeans in einen Ort der Stille verwandelt hat. Forscher berichteten bereits im Jahr 1993 von Beobachtungen aus den Gewässern der Nordwestpassage, wonach Belugawale die Geräusche eines eisbrechenden Schiffes über eine Distanz von 85 Kilometern wahrnahmen. Als sich dieses Schiff den Walen auf eine Entfernung von 35 bis 50 Kilometer näherte, brachen die Tiere in Panik aus, sandten Alarmrufe aus und flüchteten als Herde geschlossen aus dem Gebiet. Narwale dagegen verstummten angesichts des Schiffslärms und verließen einzeln die Region.
US-amerikanische Biologen kommen in einer Studie aus dem Jahr 2018 zu dem Schluss, dass vor allem Narwale, Walrosse, Grönlandwale und Belugas durch den zunehmenden Schiffsverkehr gefährdet sind. Die Gefahr für Ringelrobben und Eisbären ist etwas geringer, weil diese Tiere den Sommer zum Großteil an Land verbringen, wo die Auswirkungen des Schiffsverkehrs weniger störend sind. In anderen Studien untersuchen Wissenschaftler derzeit die Auswirkungen des Kreuzfahrttourismus auf die Tiere der Polarregionen. Schiffsreisen in die Arktis und Antarktis sind seit Jahren ein Wachstumsmarkt.

Abb. 5.22 © bumihills/shutterstock

5.22 > Ant­ark­tisches Natur­erleb­nis: Ein Expe­diti­ons­­kreuz­fahrt­schiff ankert vor einer Esel­spinguin­kolonie.

Tourismus in den Polarregionen

Urlaubsreisen in die Polarregionen haben aus drei Gründen an Attraktivität gewonnen. Erstens erleichtern die steigenden Temperaturen und der damit verbundene Rückgang des Meereises vor allem in der Arktis den Zugang in viele Regionen. Zweitens glauben viele Naturliebhaber und Abenteuertouristen angesichts dieser dramatischen Veränderungen, sie müssten sich beeilen, wenn sie die Eislandschaften der Arktis und Antarktis noch mit eigenen Augen sehen wollen. Experten bezeichnen dieses Phänomen als „Tourismus der letzten Chance“. Die Antarktis als letzte Wildnis unseres Planeten reizt zudem all jene, die bereits alle anderen Regionen der Erde bereist haben und nun auch den vermeintlich unzugänglichsten Kontinent am Südpol besuchen wollen.
Daher verwundert es nicht, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten der Tourismus in beiden Polargebieten stark angestiegen ist. Die Zahl der Kreuzschifffahrten im kanadisch-arktischen Archipel stieg im Zeitraum von 2005 bis 2017 von 121 auf 416. Und für die Antarktis, welche Urlauber in erster Linie an Bord kleinerer Kreuzfahrtschiffe (bis maximal 500 Passagiere) erreichen, erwarten Experten für den Sommer 2019/2020 erstmals mehr als 78 000 Touristen, die Besatzungen der insgesamt 63 gemeldeten Kreuzfahrtschiffe nicht mitgezählt. Im Sommer zuvor waren es nach Angaben des Internationalen Verbands der Reiseveranstalter mit dem Zielgebiet Antarktis (IAATO) rund 56 168 Besucher, in der Saison 2000/2001 nur 12 248.
Lediglich zwei kurze Einbrüche erlebte die Antarktis-Reisebranche: einmal während der Weltwirtschaftskrise, das andere Mal, nachdem die Internationale Seeschifffahrts-Organisation im August 2011 den Transport und Gebrauch von Schweröl südlich von 60 Grad Süd verboten hatte. Seitdem aber kalkulieren die Reiseveranstalter ihren Treibstoffverbrauch so genau, dass alles Schweröl aufgebraucht ist, bevor die Schiffe die Gewässer der Antarktis erreichen – und die Besucherzahlen steigen wieder.
In Grönland und Spitzbergen, den beliebtesten Kreuzfahrtregionen der Arktis, haben sich die Passagierzahlen nach kontinuierlichen Zuwächsen bis 2007/2008 mittlerweile auf Jahresmittelwerte um die 24 000 (Grönland) beziehungsweise 40 000 (Spitzbergen) eingependelt.
Wichtig ist zu wissen, dass es deutliche Unterschiede zwischen dem Polartourismus in der Arktis und jenem in der Antarktis gibt. Im Nordpolargebiet sind die Entwicklung des Reisesektors und damit verbundene Themen wie Infrastrukturmaßnahmen oder Einreise- und Zugangsbestimmungen für arktische Regionen eine Angelegenheit der einzelnen Anrainerstaaten. Am häufigsten besucht werden jene Regionen, die für Urlauber leicht zu erreichen sind. Dazu gehören Island, Alaska und auch das nördliche Skandinavien. Das gut erschlossene arktische Territorium Norwegens beispielsweise ist bereits seit Jahrzehnten als Urlaubsdestination beliebt, und auf der Inselgruppe Spitzbergen landeten schon um das Jahr 1890 die ersten Boots­touristen an. Mittlerweile arbeiten die meisten Einwohner des Archipels in der Tourismusbranche. Das Territorium Nunavut im Nordosten Kanadas dagegen verfügt nicht einmal über ein ausgebautes Straßennetz. Die Reisesaison in diesem Teil der Arktis beschränkt sich einzig und allein auf den kurzen Sommer, in dem Touristen die Region hauptsächlich via Kreuzfahrtschiff oder Yacht erkunden.

Abb. 5.23 © IAATO. Overview of Antarctic Tourism: 2018–19 Season and Preliminary Estimates for 2019–20 Season

5.23 > Der Kreuz­fahrt­touris­mus in die Antarktis ist ein boomendes Geschäfts­feld. Seit dem Sommer 1992/­1993 hat sich nach Angaben der IAATO die Zahl der Schiffs­reisenden nahezu verzwölf­facht.
Wegen der von Land zu Land unterschiedlichen Erhebungsmethoden und einer unklaren Abgrenzung zwischen den arktischen und subarktischen Regionen, exis­tieren auch keine verlässlichen Statistiken über Anzahl und Art des Tourismus für die Gesamtarktis. Interessenverbände der polaren Reisebranche wie die Vereinigung der in der Arktis tätigen Schifffahrtsreiseunternehmen (Association of Arctic Expedition Cruise Operators, AECO) sammeln zwar Informationen zur Marktentwicklung und zur Zahl ihrer Mitglieder. Dennoch hat die AECO vor allem die Top-Reiseregionen wie Spitzbergen und Nor­wegen im Blick und nicht die gesamte Arktis.
Was den Verkehr von Kreuzfahrtschiffen in arktischen Gewässern betrifft, dürfte jedoch bald mehr Klarheit herrschen. Der Arktische Rat hat über seine Arbeitsgruppe zum Schutz der arktischen marinen Umwelt (Protection of the Arctic Marine Environment, PAME) im Februar 2019 eine neue Datenbank zum Schiffsverkehr in der Arktis ins Leben gerufen. Sie dokumentiert alle Schiffsbewegungen, einschließlich der Daten zum Kurs, zur Fahrtgeschwindigkeit, zum Treibstoffverbrauch und zu den entstandenen Emissionen, und soll auf diese Weise bisherige Wissens­lücken zum Schiffsaufkommen im Nordpolargebiet schließen. Vertreter der Arktisstaaten sowie Wissenschaftler können so arktisweit die Entwicklungen des Schiffsverkehrs beobachten und entsprechende Sicherheits- und Managementempfehlungen ableiten. Für alle Nichtarktis­anrainer ist die Datenbank jedoch passwortgeschützt und der Zugang kostet Geld.
Die Antarktis dagegen ist internationales Gebiet. Dorthin kann jeder reisen, solange ein Antarktisvertragsstaat dem Reiseveranstalter oder Kreuzfahrtschiffbetreiber die Genehmigung für die Reise erteilt hat. Die Touristenzahlen werden von der 1991 gegründeten IAATO – also von der Tourismusindustrie selbst erhoben. Kritiker bemängeln, dass die IAATO in ihren Statistiken häufig die in der Branche beschäftigten Personen wie Schiffsbesatzungen, das Personal in Camps oder aber Piloten nicht mit aufführe und dadurch der Eindruck einer viel geringeren Besucherzahl vermittle. Außerdem fehlen in der IAATO-Statistik alle Kreuzfahrtschiffe, Privatexpeditionen und Yachten, deren Veranstalter oder Eigner nicht in der Ver­einigung organisiert sind. Für Privatexpeditionen in die Antarktis, einschließlich der in den letzten Jahren vermehrt auftretenden Formen des Extremtourismus, gibt es bislang auch keine gemeinsame Meldestelle, die alle Daten sammelt.
Stattdessen betreibt die IAATO, der derzeit 116 und damit nahezu alle Reiseveranstalter angehören, ein Buchungssystem, welches das Schiffsaufkommen derart regelt, dass sich die einzelnen Kreuzfahrtschiffe möglichst wenig begegnen. Diese Maßnahme hat zum einen das Ziel, den Passagieren weiterhin eine abgelegene Wildnis zu präsentieren. Zum anderen ist sie den strengen Regeln des Antarktisvertrags geschuldet, welche vorschreiben, dass sich zu jedem Zeitpunkt maximal 100 Touristen an Land befinden dürfen. Durch die Absprachen unter den Reiseveranstaltern kommt es an den touristischen Hauptattraktionen entlang der Antarktischen Halbinsel allerdings auch nicht zu Wartezeiten. Damit das trotz des steigenden Schiffsverkehrs so bleibt, überarbeitet die IAATO derzeit das Buchungssystem. Die bislang genutzte Version hat ihre Kapazitätsgrenzen erreicht.
Anders als in manchen Teilen der Arktis, wo Touristen im Sommer wie im Winter ihren Urlaub verbringen können, ist Tourismus in der Antarktis bisher ein ausschließliches Saisongeschäft. Die Expeditionskreuzfahrtschiffe mit bis zu 500, in der Regel aber weniger als 200 Passagieren an Bord, verkehren im Südsommer in der Zeit von Ende Oktober bis Anfang März und laufen vor allem die eisfreien Gebiete entlang der Antarktischen Halbinsel an. Regionen wie das Rossmeer und die Ostantarktis werden aufgrund der harschen Eis- und Wetterverhältnisse nur vereinzelt besucht.

Ausbau der touristischen Infrastrukturen

Das große touristische Interesse an Gletschern, Eisbären und Polarlichtern weckt bei den Arktisanrainerstaaten die Hoffnung, ihre Polarregionen nachhaltig entwickeln zu können. Sie fördern deshalb ein weiteres Wachstum der Branche, indem sie zum Beispiel die touristische Infrastruktur ausbauen. Auf Grönland beispielsweise sind drei neue Flughäfen geplant, die Reisenden den Zutritt zu der vereisten Insel erleichtern sollen. Sie werden in Nuuk, Ilulissat und Qaqortoq gebaut und voraussichtlich im Jahr 2023 den Betrieb aufnehmen. Angetrieben wird die Entwicklung des Polartourismus allerdings auch durch bes­sere Ausrüstung und Technologien sowie durch ein besseres geografisches Wissen über arktische Regionen auf Basis detaillierterer Schiffskarten.
Die Zuwächse im Antarktistourismus sind darauf zurückzuführen, dass die Reiseveranstalter ihre Polarschiffflotte ausbauen. Allein im Sommer 2019/2020 werden neun neugebaute eisgängige Kreuzfahrtschiffe den Pendelverkehr zwischen der Südspitze Argentiniens und der Antarktischen Halbinsel aufnehmen. Die Zahl der Reisenden steigt dadurch um 33 Prozent. Bis zum Jahr 2023 sollen weitere rund 40 Kreuzfahrtschiffe fertiggestellt werden; darunter auch eine Luxusyacht, auf welcher Passagiere für einen Preis von 51 000 bis 146 000 Euro pro Person von Argentinien zunächst in die Antarktis und dann über Südamerika und Europa in die Arktis reisen können.

Mehr Flug- und Individualtourismus

Bis vor 20 Jahren unterschied sich die Reisebranche in der Arktis aufgrund ihrer geografischen, infrastrukturellen und rechtlichen Gegebenheiten deutlich vom Tourismus in der Antarktis. Während im Südpolargebiet Naturbeob­achtungen, Wanderungen oder Schlauchbootfahrten oft die einzig möglichen Aktivitäten vor Ort waren, konnten Arktisbesucher seit Langem zwischen folgenden Reise­kategorien wählen:
  • Massentourismus für Reisende, welche die bekanntesten Attraktionen sehen und möglichst komfortabel untergebracht sein wollen;
  • Sportfischerei und Jagdtourismus für Hobbyangler und -jäger, die ihrem Freizeitvergnügen in einem nahezu unberührten Gebiet nachgehen wollen;
  • Ökotourismus für Naturliebhaber, die eine einzigartige Tierwelt beobachten und die Schönheit der arktischen Natur erleben wollen;
  • Abenteuertourismus für Urlauber, die eine sportliche oder körperliche Herausforderungen suchen;
  • Kulturtourismus für Reisende, die entweder den persönlichen Austausch mit der indigenen Bevölkerung suchen, mehr über historische Ereignisse oder Kulturstätten erfahren oder aber selbst historische Plätze in der Arktis erkunden wollen.
Indigene Bevölkerungsgruppen gibt es in der Antarktis nicht, und damit auch keinen entsprechenden Kulturtourismus. Die Zeit, in der Reiseveranstalter ihren Antarktiskunden jedoch nur Naturbeobachtungen anboten, sind längst vorbei. Zum Erlebnispaket Antarktis gehören mittlerweile auch Hubschrauberflüge, U-Boot-Tauchfahrten, Tauchen, Schnorcheln, Schwimmen, Stand-up-Paddling, Camping, Kajaktouren, Bergsteigen, Skitouren und Snowboarden. Auch Individual- und Extremtourismus, zum Beispiel Laufwettbewerbe und Marathons, werden angeboten. Eine zunehmende Zahl von Urlaubern bucht zudem Reisen in das Innere des antarktischen Kontinents – in der Saison 2015/2016 waren es bereits 409 Personen, 2018/2019 genau 679; die Vorhersage für 2019/2020 geht von 733 Personen aus.
Sechs in der IAATO organisierte Reiseveranstalter und Logistikunternehmen bieten solche Inlandstouren mittlerweile als Pauschalreisen an. Je nach Angebot und Preis (zum Teil über 90 000 US-Dollar pro Person) sind Besuche am Südpol, an einer Pinguinkolonie, Ausflüge mit Motorfahrzeugen oder extreme Berg- und Skitouren mit enthalten. Der dafür betriebene personelle und logistische Aufwand ist jedoch immens. Landepisten müssen angelegt und gepflegt, Camps aufgebaut und betreut werden. Eine solche Landebahn mit dazugehörigem Camp gibt es seit zwei Sommern nördlich der deutschen Antarktisforschungsstation Neumayer III. In der Hauptreisezeit landet dort jetzt zehn- bis zwölfmal ein Polarflugzeug vom Typ Basler BT-67 mit Touristen an Bord, die die lokale Kaiserpinguinkolonie besuchen wollen. Bei seinem ersten Besuch war das Flugzeug noch direkt neben den Pinguinen auf dem Meereis gelandet und hatte Teile der Kolonie sowie die dort stattfindenden Forschungsarbeiten erheblich gestört.
Experten gehen davon aus, dass diese Form des Fly-in- und Individualtourismus in den Polarregionen weiter zunehmen wird, denn Touristen hätten zwar weniger Zeit zum Reisen, dafür seien sie jedoch bereit, mehr Geld für ihren Urlaub auszugeben. Die argentinische Fluglinie LADE beispielsweise hat angekündigt, noch im Jahr 2019 einen Linienflugverkehr zwischen Ushuaia an der Südspitze Argentiniens zur landeseigenen Forschungs­station Marambio auf der Seymourinsel im Weddellmeer einzurichten. Dort sollen dann zehn Prozent der vor­handenen Unterkünfte für Touristen zur Verfügung gestellt werden.
Es zeichnet sich zudem ab, dass die Kreuzfahrt- und Kurzzeitreisen in die Polarregionen zunehmen werden. Die große Nachfrage hat zur Folge, dass es mehr und größere Schiffe geben wird und an Land neue Infrastrukturen geschaffen werden müssen. Manche Reiseveranstalter führen ihren Passagierwechsel mittlerweile in den Polar­regionen durch – beispielsweise auf Spitzbergen –, um sich die lange An- und Abreise der Schiffe zu sparen. Das bedeutet allerdings, dass die Schiffe vor Ort ihre Treibstoff-, Wasser- und Lebensmittelvorräte auffüllen müssen. Voraussetzung dafür wiederum ist, dass in den Häfen entsprechende Depots und Lagerhallen errichtet werden.

Umweltrisiken des zunehmenden Tourismus

Für die Menschen in der Arktis schafft diese Entwicklung Arbeitsplätze. Nach Expertenmeinung gehen mit dem boomenden Reisegeschäft aber auch erhebliche soziale und Umweltrisiken einher. Dazu zählen:
  • ein erhöhtes Müllaufkommen;
  • Luft-, Land- und Wasserverschmutzungen durch den zunehmenden Flug- und Schiffsverkehr;
  • ein steigendes Unfallrisiko, insbesondere für Kreuzfahrtschiffe;
  • Beeinträchtigungen der lokalen Tierwelt;
  • mögliche Konflikte zwischen Tourismus und traditionellen Jagd- und Fischereiaktivitäten.
Angesichts dieser Problemlage hatte der Arktische Rat seiner Arbeitsgruppe PAME den Auftrag erteilt, Handlungsempfehlungen für einen nachhaltigen marinen Arktis­tourismus zu erarbeiten. Diese sind im Jahr 2015 erschienen und definieren nachhaltigen Tourismus als Tourismus, der negative Auswirkungen minimiert und soziokulturelle, umweltbezogene und wirtschaftliche ­Vorteile für Einwohner der Arktis maximiert.
Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Reiseveranstalter, Gemeinden, Regierungsbehörden, Wissenschaft und andere Stakeholder eng zusammenarbeiten, heißt es in dem Dokument. Vom Arktischen Rat fordert die Arbeitsgruppe unter anderem, ein standardisiertes Verfahren zu entwickeln, nach dem orts- oder gebietsspezifische Richtlinien für das Verhalten in den Küstengewässern und -regionen erstellt werden. Die Themenpalette sollte dabei von lokalen Sicherheitsbestimmungen und Umweltauf­lagen bis hin zu Informationen über ökologische, kulturelle und historische Besonderheiten der jeweiligen ­Region ­reichen, sodass Schiffs- beziehungsweise Bootspassagiere umfassend aufgeklärt werden. Benötigt werde außerdem, so die Arbeitsgruppe PAME, eine aussagekräftige, öffentlich zugängliche und regelmäßig aktualisierte Datenbank zum Tourismus in der Arktis.
Zudem sollten alle Schiffsbesatzungen ein auto­matisches Schiffsidentifikationssystem mitführen. Es überträgt die Positionskoordinaten, den Kurs und die Geschwindigkeit des Schiffes per Satellit an die Schifffahrtszentren und erleichtert so die Kontrolle des Verkehrs und mögliche Such- und Rettungsmaßnahmen. Für Fracht- und Passagierschiffe ab einer bestimmten Größe ist das System bereits vorgeschrieben; kleinere Boote mit weniger als zwölf Passagieren an Bord sind bislang von dieser Vorschrift ausgenommen.
Die Arktisanrainerstaaten ruft die Arbeitsgruppe dazu auf, ihre behördlichen Verfahren zur Regelung des touristischen Schiffsverkehrs zu vereinheitlichen, öffentlich für ein nachhaltiges Verhalten zu werben, Meeresinforma­tionen zu teilen sowie die Kommunikation und den Austausch zwischen den Schiffsbetreibern und den Küsten­gemeinden zu fördern. Voraussetzung für Letzteres sei jedoch, dass es in den Gemeinden feste Ansprechpartner für die Schiffsführung gäbe, so die Arbeitsgruppe.
Die Umweltauswirkungen touristischer Aktivitäten in der Antarktis realistisch zu bewerten, fällt Experten aufgrund der fehlenden belastbaren Zahlen schwer. Die meis­ten Touristen, etwa 95 Prozent, besuchen die Region der Antarktischen Halbinsel. Weil sie Besuchern landschaftliche Superlative bietet, lassen Kreuzfahrtschiffe ihre Gäste in kleinen Booten an Land bringen. Doch obwohl es circa 200 Anlandestellen in der Region gibt, finden knapp 68 Prozent aller Anlandungen an lediglich 15 Stellen statt. Im Extremfall besuchen so Tausende Touristen in einer Saison denselben Ort oder dieselbe Pinguinkolonie.
Werden solche Urlaubergruppen von qualifiziertem Personal geführt, sodass keiner der Teilnehmer den Wanderpfad verlässt oder den festgelegten Mindestabstand zu den Tieren unterläuft, halten sich die Auswirkungen des Landgangs auf die Umwelt meist im Rahmen. Werden die bestehenden Umweltauflagen jedoch missachtet, sind die Folgen schwerwiegend. An beliebten Anlandestellen wie etwa der Halbmondinsel (Half Moon Island) im Norden der Antarktischen Halbinsel kommt es zum Beispiel mittlerweile vor, dass große Kreuzfahrtschiffe, die nicht anlanden dürfen, weil sie mehr als 500 Passagiere an Bord haben, so nah wie möglich an die dortige Zügelpinguinkolonie heranfahren und mit laufenden Maschinen für etwa eine Stunde an Ort und Stelle verweilen, damit die Urlauber die Tiere bestaunen können. Ähnliche Berichte gibt es von bekannten Robbenkolonien entlang der Antarktischen Halbinsel.
Das Ausmaß einer solchen Störung (Lärm, Abgase, Blockade) wird umso deutlicher, wenn man bedenkt, dass die Hauptreisezeit in der Antarktis genau in jene Jahreszeit fällt, in der Robben und Pinguine an Land kommen, um zu brüten, ihre Jungen zu säugen oder aber ihr Fell oder Gefieder zu wechseln. Fliegende Vögel, soviel ist bereits bekannt, meiden Gebiete mit Schiffsverkehr. ­Leider haben sich die Mitgliedsstaaten des Antarktis­vertragssystems bislang nicht auf ein einheitliches Beobachtungsprogramm zu den Auswirkungen touristischer Aktivitäten einigen können. Ein entsprechender Schutz- und Vor­sorgeplan für die Antarktische Halbinsel wird derzeit gemeinsam von der IAATO und dem Wissenschaft­lichen Ausschuss für Antarktisforschung (Scientific Committee on Antarctic Research, SCAR) erarbeitet. Bis dahin aber werden bekannte Effekte nur von der Tourismusindustrie selbst oder der US-amerikanischen Nicht­regierungsorganisation Oceanites veröffentlicht. Letztere pflegt jedoch enge Kontakte zur IAATO.
Eine große Gefahr für die polare Umwelt in beiden Hemisphären geht von Schiffsunfällen aus. Sowohl im Nordpolargebiet, hier vor allem im östlichen Teil des Nördlichen Seewegs und in der kanadischen Arktis, als auch im Südpolargebiet fehlen die entsprechenden Infrastrukturen für effektive Such-, Seenotrettungs- und Säuberungsmaßnahmen. Die russische und kanadische Arktis wird zudem nur rudimentär von Satelliten abgedeckt, was im Notfall die Kommunikation in hohem Maß erschwert. Eine wirkungsvolle Unfallfolgenbekämpfung ist somit nahezu ausgeschlossen.
Welche Auswirkungen ein Schiffsunfall in der Antarktis haben kann, hat die Havarie der „Bahía Paraíso“ im Jahr 1989 gezeigt. Das 131 Meter lange Schiff lief vor der Antarktischen Halbinsel auf Grund und verlor 645 000 Liter Diesel, die das Meer auf einer Fläche von 30 Quadratkilometern verschmutzten. Tote gab es keine zu beklagen, aber die Meeresumwelt wurde stark geschädigt. Vögel wie Skuas und Blauaugenkormorane verloren aufgrund der Ölverschmutzung ihre gesamte Jahresbrut. Die Bestandszahlen der Adéliepinguine in der Region brachen ebenfalls ein.
5.24 > In der Arktis teilen sich die acht Anrainer­staaten die Zustän­dig­keit für Luft- und See­notret­tungs­einsätze. Jedes Land verant­wortet einen bestim­mten Sektor, wird im Ernstfall jedoch von den anderen Ländern unterstützt. So regelt es das gemeinsame Abkommen über die Zusam­men­arbeit im Such- und Rettungs­dienst, welches im Jahr 2011 unter­zeichnet wurde.
Abb. 5.24 © nach COMNAP

Zusatzinfo Ein Regel­werk für mehr Sicherheit in polaren Gewäs­sern

Hilfe für den Notfall

Um die Sicherheit der Schifffahrt im atlantischen Teil der Arktis zu erhöhen, haben sich im September 2018 Seenot­rettungszentren, Forschungsinstitutionen und Behörden aus 13 Ländern zu einem neuen Sicherheits- und Notfall-Netzwerk (Arctic and North Atlantic Security and Emergency Preparedness Network, ARCSAR) zusammengeschlossen. Gemeinsam wollen sie Lücken im derzeitigen Rettungsnetz identifizieren und Maßnahmen entwickeln, mit denen sich die arktischen Such- und Rettungsdienste auf die zunehmende Zahl der Schiffe und Passagiere einstellen können. Da Luft- und Seenotrettung in der Arktis oft auch Aufgabe der Küstenwache ist, trainieren entsprechende Grenzschutzeinheiten der acht Arktisstaaten gemeinsam unter dem Schirm des Arctic Coast Guard Forum den Ernstfall und suchen bei ihren Beratungen ebenfalls nach Wegen der besseren Zusammenarbeit.
Wie dringend der Ausbau der Rettungskapazitäten ist, zeigte die Havarie des Kreuzfahrtschiffs „Viking Sky“ vor der Westküste Norwegens im März 2019. Das Schiff mit 1373 Menschen an Bord war während eines Sturmes mit Motorschaden in Seenot geraten und trieb bei schwierigen Wetterverhältnissen manövrierunfähig auf die Westküste Norwegens zu. Den Rettungskräften gelang es innerhalb von 19 Stunden, mit sechs Hubschraubern rund 470 Menschen an Land zu holen. Die restlichen Passagiere mussten an Bord ausharren, bis die Besatzung den Schaden beheben konnte.
Glücklicherweise ereignete sich dieser Vorfall dicht vor der norwegischen Küste, in einer Region, in der die Hubschrauber schnell zur Verfügung standen und aus­reichend Rettungskräfte innerhalb kurzer Zeit zusammengeholt werden konnten. Weiter nördlich – etwa an der Ostküste Spitzbergens – wäre ein solcher Rettungseinsatz kaum möglich gewesen; allein schon, weil auf der Inselgruppe nur zwei Rettungshubschrauber stationiert sind. Medienberichten zufolge aber werden im Sommer 2020 allein rund um Spitzbergen mehr als 26 kleinere, sogenannte Expeditionskreuzfahrtschiffe und mehrere große Kreuzfahrtschiffe mit bis zu tausend Passagieren im Einsatz sein. Einige von ihnen werden dabei auch Regionen befahren, aus denen es noch keine detaillierten bathymetrischen Karten gibt. Die Unfallgefahr ist somit hoch.
5.25 > Die Luft- und See­not­rettung in der Antarktis wird durch fünf Havarie­zentren in Australien, Neusee­land, Chile, Argen­tinien und Süd­afrika koordiniert. Hilfe vor Ort aber leisten im Ernstfall Schiffe, die dafür von anderen Aufgaben abgezogen werden.
Abb. 5.25 © nach Hangaslammi et al.
In der Antarktis ist internationale Zusammenarbeit in der Luft- und Seenotrettung (Search and Rescue, SAR) noch dringender erforderlich als überall sonst auf der Welt. Rettungseinsätze in der entlegensten Region sind nämlich nicht nur besonders aufwendig und damit teuer. Weil Rettungseinheiten vor Ort fehlen, können in der Regel auch nur jene Schiffe Hilfe leisten, die eigentlich andere Aufgaben verfolgen (Stationsversorgung, Fischerei, Kreuzfahrt oder Forschung), diese dann aber für den Rettungseinsatz unterbrechen.
Verantwortlich für die Koordination der Luft- und Seenotrettung in den fünf SAR-Zonen des Südpolarmeers sind die fünf am südlichsten gelegenen Staaten: Austra­lien, Neuseeland, Chile, Argentinien und Südafrika. Sie betreiben Havariezentren, die mögliche Rettungseinsätze koordinieren sowie regelmäßig Wetterberichte und andere wichtige Navigationshinweise für ihre jeweilige SAR-­Region veröffentlichen. Die Zentren befinden sich in ­Canberra (Australien), Wellington (Neuseeland), Punta Arenas (Chile), Ushuaia (Argentinien) und Kapstadt (Südafrika). Chile und Argentinien haben außerdem im Jahr 1998 eine gemeinsame Küstenpatrouille (Patrulla Antár­tica Naval Combinada, PANC) eingerichtet. Küstenschutzschiffe beider Länder fahren von November bis März in der Drakestraße sowie in den stark befahrenen Gewässern entlang der Antarktischen Halbinsel Streife und eilen bei Notrufen zu Hilfe. Ihre Mannschaften sind für Such- und Rettungseinsätze ausgebildet und sollen im Ernstfall auch Umweltschutzmaßnahmen durchführen. Einheiten der PANC halfen unter anderem bei den Lösch- und Rettungsarbeiten, als im Februar 2012 auf King George Island die brasilianische Forschungsstation Estação Antártica Comandante Ferraz abbrannte.
Um die Arbeit der Havariezentren zu erleichtern, ­teilen der Rat der Leiter der nationalen Antarktisprogramme (Council of Managers of National Antarctic Programs, COMNAP) und die IAATO aktuelle Schiffsdaten mit den Zentren. Die Antarktisvertragsstaaten haben zudem im Jahr 2012 eine Arbeitsgruppe für SAR-Belange ins Leben gerufen und die Durchführung regelmäßiger internationaler SAR-Workshops beschlossen. An diesen Arbeitstreffen nehmen teil: Vertreter der Rettungszentren, Gesandte der nationalen Forschungsprogramme, Sprecher der IAATO, der CCAMLR und der IMO sowie kommerzielle Anbieter und Dienstleister. Gemeinsam beraten sie, wie sich die Sicherheit im Luft- und Schiffsverkehr verbessern ließe und welche Lehren aus zurückliegenden Einsätzen gezogen werden müssten.

Fischerei in der Arktis

Die Barentssee ist eine jener arktischen Regionen, in welcher der Fischfang für einen Großteil des Schiffsverkehrs verantwortlich ist. Nach Angaben des Arktischen Rates befahren bis zu 1600 Fischkutter die Region pro Jahr. Sowohl in Norwegen als auch in Russland ist die Hochseefischerei ein Hauptwirtschaftszweig, und ein beträchtlicher Teil der Fänge wird exportiert. Genaue Zahlen über die Fangmengen in arktischen Gewässern zu ermitteln, ist jedoch schwierig, weil es keine klar definierte Grenze des Arktischen Ozeans gibt. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) beispielsweise teilt die Meere der Welt in 19 Fischereiregionen ein, von denen fünf Gebiete arktische Gewässer enthalten. Dazu gehören:
  • das Gebiet Nr. 18 – zentraler Arktischer Ozean ohne die arktischen Gewässer zwischen 40 Grad West und 68° 30' Ost;
  • das Gebiet Nr. 21 – Nordwestatlantik, einschließlich der Davisstraße und der Baffinbucht;
  • das Gebiet Nr. 27 – Nordostatlantik, einschließlich des Europäischen Nordmeers, der Barentssee und der Gewässer des zentralen Arktischen Ozeans zwischen dem 40. Längengrad West und der Nordspitze der Insel Nowaja Semlja (68° 30' Ost);
  • das Gebiet Nr. 67 – Nordostpazifik, einschließlich des östlichen Beringmeers sowie
  • das Gebiet Nr. 61 – Nordwestpazifik, einschließlich des westlichen Beringmeers.
5.27 > Fischerei in kalten, arktischen Gewäs­sern war und ist körper­liche Schwerst­arbeit. Im Vergleich zu früher kommt heute jedoch auf vielen Kuttern moderne Fang­technik zum Einsatz, die einen Großteil der Helfer überflüssig macht.
Abb. 5.27 © Harry Gruyaert/Magnum Photos/Agentur Focus

Zusatzinfo Fischerei­verbot im zentralen Nord­polar­meer

Der Nordwestpazifik ist eine der produktivsten Meeres-regionen weltweit und mit einem Fangvolumen von mehr als 22 Millionen Tonnen Fisch und Meeresfrüchten das bedeutendste Fischereigebiet der Erde. Im Nordostpazifik fangen die Fischer nur etwa ein Siebentel so viel Fisch (2016: 3,1 Millionen Tonnen). Mit Umsätzen von rund 1,7 Milliarden US-Dollar aber stellt die Fischereiflotte Alaskas dennoch einen wichtigen Wirtschaftszweig in der nordamerikanischen Arktis dar. Gefangen werden im Nordpazifik vor allem Pazifischer Pollack (Gadus chalcogrammus), Pazifischer Kabeljau (Gadus macrocephalus), Pazifischer Heilbutt (Hippoglossus stenolepis), Krabben und pazifische Lachsarten wie den Rotlachs (Oncorhynchus nerka).
In den nordatlantischen Fischereiregionen 21 und 27 wurden im Jahr 2016 insgesamt 10,1 Millionen Tonnen Fisch gefangen, wobei sich die Fischzüge in arktischen Gewässern vor allem auf die eisfreien Küstengewässer konzentrierten. Das heißt, die Fischzüge fanden meist innerhalb der Ausschließlichen Wirtschaftszonen statt. Die wichtigsten Fischgründe in der atlantischen Arktis liegen in der Barentssee, im Europäischen Nordmeer sowie rund um Grönland und Island. Gefischt wird in diesen Gebieten nach Atlantischem Kabeljau (Gadus morhua), Schellfisch (Melanogrammus aeglefinus), Atlantischem Hering (Clupea harengus) und nach arktischen Arten wie Lodde (Mallotus villosus), Grönländischer oder Schwarzer Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides), Eismeergarnele (Pandalus borealis) und Polardorsch (Boreogadus saida).
In den subarktischen Regionen der Barentssee und dem Europäischen Nordmeer werden sogar bis zu 20 Arten befischt, darunter auch Leuchtgarnelen und Ruderfußkrebse. Einen herausragenden wirtschaftlichen Stellenwert besitzt die Fischerei vor allem für Island, Grönland und die Färöerinseln. Bei den letzten beiden machen Einnahmen aus dem Verkauf von Fischerei­erzeugnissen 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und nahezu 90 Prozent aller Exporteinnahmen aus.
Reguliert wird die Fischerei in der Arktis durch eine Reihe von Konventionen und Vorschriften. Dazu gehören:
  • nationale Gesetze und Auflagen, die für die Fischerei innerhalb der jeweiligen Ausschließlichen Wirtschaftszone gelten;
  • Fischereivorschriften der Europäischen Union (im Nordatlantik),
  • bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen zwischen zwei oder mehreren Staaten, die sich Fischbestände teilen. Die wichtigsten Fischbestände der Barentssee beispielsweise werden seit dem Jahr 1976 von einer norwegisch-russischen Fischereikommis­sion überwacht und Fanggrößen und -quoten gemeinsam festgelegt;
  • Vorgaben der Regionalen Organisationen für das Fischereimanagement (Regional Fisheries Management Organisations, RFMOs). Im Nordatlantik beispielsweise kontrolliert die Fischereikommission für den Nordostatlantik (North East Atlantic Fisheries Commission, NEAFC) die Fischerei in der Hohen See und gibt auf Anfrage der Vertragspartner (Dänemark, EU, Island, Norwegen, Russland) auch Empfehlungen für das Management der Bestände in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen. Relevant für Teile des Arktischen Ozeans sind außerdem die Nordwestatlantische Fischereiorganisation (Northwest Atlantic Fisheries Organization, NAFO) sowie die Internationale Kommission für den Schutz des atlantischen Thunfischs (International Commission for the Conservation of Atlantic Tuna, ICCAT).
  • internationale Übereinkommen wie das UN Fish Stocks Agreement, welches im Jahr 2001 in Kraft trat und das UN-Seerechtsübereinkommen ergänzt. Es zielt darauf ab, kommerziell wertvolle Fischbe-stände, die sich entweder über große Gebiete erstrecken oder aber weite Wanderungen vornehmen, gemeinschaftlich zu erhalten und nachhaltig zu befischen.
Fangquoten, Fangzeiten und Fanglizenzen werden in allen Teilen der Arktis auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen ausgegeben. Diese kommen unter anderem vom Internationalen Rat für Meeresforschung (International Council for the Exploration of the Sea, ICES), genauer gesagt von dessen Arbeitsgruppe zur Fischerei in der Arktis. Sie beurteilt jedes Jahr aufs Neue den Zustand der aus Fischereisicht wichtigen Bestände in der Barentssee und der Norwegensee und berät zuständige Managementgremien wie die norwegisch-russische Fischereikommission.
Sowohl nationale als auch überregionale Fischereibehörden verfolgen in arktischen Gewässern das Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip. Das heißt, es dürfen zu bestimmten Zeiten jeweils nur so viele Tiere eines Bestandes entnommen werden, dass sich die Population von selbst erhalten kann, ihre Produktivität nicht abnimmt und auch keine negativen Auswirkungen auf das Ökosys­tem zu befürchten sind. Zudem werden die Bestände streng überwacht, sodass nach Einschätzung von Experten die meisten Fischbestände in den arktischen Gewässern gesund sind.
Ausgenommen davon sind zum Beispiel die westgrönländischen Kabeljaue. Sie waren zwischen 1950 und 1980 so stark befischt worden, dass die Population in den 1980er-Jahren zusammengebrach. Seitdem haben sich die Bestände nicht erholt. Sinkende Fangzahlen beobachten seit mehr als zehn Jahren auch die kanadischen und westgrönländischen Eismeerkrabbenfischer. Hier liegt der Verdacht jedoch nahe, dass die Rückgänge auf die klima­bedingte Abwanderung der Eismeerkrabben Richtung Norden zurückzuführen sind.
Im Zuge des Klimawandels verschieben sich die Lebensräume vieler Speisefische polwärts. In der Barentssee sind einige arktische Fischbestände bereits derart außer Reichweite der Küstenfischer gerückt, dass diese jetzt anderen Arten nachstellen oder aber sich zu Hochsee-Fischereiunternehmen zusammenschließen. In der Region Barentssee beobachteten Wissenschaftler bereits vor zehn Jahren, dass weniger Fischer auf das Meer hinausfuhren als früher, diese aber größere Schiffe und modernere Fangtechnik einsetzten.
Gleichzeitig hat sich im Zeitraum von 2004 bis 2012 die Artenzusammensetzung der Fische in der Barentssee geändert. Früher landeten vor allem arktische Fischarten wie Dickkopfgroppen (Triclops nybelini), Grönländischer oder Schwarzer Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides) und Scheibenbäuche (Liparis spp.) in den Netzen. Heutzutage sind es in erster Linie nordatlantische Fischarten, die etwas wärmere Bedingungen mögen, darunter der Atlantische Kabeljau, Schellfisch und Doggerscharben (Hippoglossoides platessoides). Außerdem haben sich eingeschleppte Arten wie die Kamtschatkakrabbe (Paralithodes camtschaticus) und die Schneekrabbe (Chionoecetes opilio) in der Barentssee ausgebreitet und mittlerweile so stark vermehrt, dass sich die Krabbenfischerei lohnt.
Den Fischern auf Grönland, auf Neufundland und Labrador füllt die klimabedingte Artenwanderung die Netze ebenfalls mit kostbaren Speisefischen aus dem Atlantik. Vor der Ostküste Grönlands fangen Makrelen-Fischer mittlerweile auch Blauflossenthunfisch (Thunnus thynnus). Deutlich gestiegen ist zudem die Menge des gefangenen Kabeljaus. Landeten Grönlands Hochseefischer im Jahr 2013 noch 10 700 Tonnen Kabeljau an, waren es 2017 bereits 17 800 Tonnen. Diese Entwicklung bestätigt wissenschaftliche Prognosen aus dem Jahr 2014, wonach die Einnahmen atlantischer Arktisanrainer durch Fischerei im Zeitraum von 2000 bis 2050 um 39 Prozent zunehmen werden.
Die Aussicht auf eine künftig gewinnbringende Kabeljau- und Heilbutt-Fischerei hat Regierungsbehörden und Vertreter der indigenen Bevölkerung im Nunavut-Territorium Kanadas dazu veranlasst, sieben Millionen kanadische Dollar in Fischereiforschungsvorhaben vor der Ostküste der Baffininsel zu investieren. Bislang fischte die indigene Bevölkerung der Baffininsel nur für den Eigenverbrauch. Eine kommerzielle Fischereiflotte aber könnte Arbeitsplätze schaffen, die in der Region so dringend benötigt werden. Fischkutter aus Neufundland und Labrador machen vor der Küste Nunavuts mittlerweile so gute Fänge, dass ihre Umsätze im Zeitraum von 2006 bis 2014 von 38 auf 86 Millionen kanadische Dollar gestiegen sind.
Während das südliche Beringmeer die wichtigsten Fischgründe der Welt beheimatet, wird im nördlichen Beringmeer in einem deutlich kleineren Ausmaß kommerziell gefischt. Für die US-amerikanischen Gebiete in der Tschuktschen- und Beaufortsee hat die zuständige Fischereiaufsicht (North Pacific Fishery Management Council) im Jahr 2009 sogar ein Verbot kommerzieller Fischerei ausgesprochen, um die empfindlichen marinen Lebens-gemeinschaften vor möglichen negativen Folgen zu schützen. Aus dem hohen Norden Kanadas sind ebenfalls keine kommerziellen Fischereiaktivitäten bekannt. In beiden Regionen fischen die Menschen nur für den Eigenverbrauch, wobei Fisch eine der wichtigsten Nahrungsquellen für die indigene Bevölkerung Alaskas und der nördlichen Territorien Kanadas darstellt. Gefangen werden an der kanadischen Nordküste in erster Linie Seesaibling (Salvelinus alpinus), Atlantischer Lachs (Salmo salar) und Große Maräne (Coregonus nasus). Die Summe der angelandeten Fänge beläuft sich seit Mitte der 1990er-Jahre auf etwa 800 bis 900 Tonnen pro Jahr.
Meeresbiologen arbeiten derzeit mit Hochdruck an neuen Fischereibeobachtungs- und Managementkonzepten, mit denen es gelingen soll, Artenwanderungen und klimabedingte Populationseinbrüche zu dokumentieren und bei der Festlegung der Fangquoten zu berücksichtigen – auch über die Grenzen der einzelnen Fischereiregionen hinweg. Im Zuge des Klimawandels wird es nämlich zunehmend schwerer, die Fischbestände der arktischen und subarktischen Gewässer nachhaltig zu bewirtschaften.

Abb. 5.28 © mauritius-images/Michel Therin/imageBroker

5.28 > Die wirtschaft­liche Entwick­lung der arktischen Regionen verändert auch das Leben ihrer Urein­wohner. Schnee­mobile, Autos und Flug­reisen gehören mittler­weile genauso zu ihrem Alltag wie die tradi­tio­nelle Jagd auf Robben und Schnee­gänse, wie dieser Wand­teppich im Museum von Iqaluit, Kanada, zeigt.

Fischerei in der Antarktis

Die Nutzung mariner Lebewesen im Südpolarmeer wie Krill und Fisch fällt in den Zuständigkeitsbereich der Kommission zur Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CCAMLR). Das von ihr verwaltete Meeresgebiet wird von der Polarfront begrenzt, der Trennungslinie zwischen kalten antarktischen und etwas wärmeren subantarktischen Wassermassen, und geht stellenweise über den südlichen Polarkreis hinaus. Es erstreckt sich über eine Gesamtfläche von 35,7 Millionen Quadratkilometern und entspricht damit rund zehn Prozent des Weltozeans.
Das oberste Ziel der CAMLR-Konvention ist der Erhalt aller marinen Arten und Ökosysteme des Südozeans. Allerdings ist in dem Übereinkommen definiert, dass dieser Erhalt auch die Nutzung dieser Ressourcen beinhaltet. Die Fischerei im Südozean ist streng reguliert, wobei der Naturschutzgedanke stets vor die Fischereiinteressen gestellt werden sollte. Zu den Grundpfeilern der CAMLR-Konvention gehört, dass die Kommission Fangquoten auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse festgelegt und dabei dem Vorsorgeprinzip verpflichtet ist. Alle CCAMLR-Mitgliedsstaaten müssen im Sinn der Konvention agieren und verhindern, dass die empfindlichen marinen Arten und die Ökosysteme im Südpolarmeer durch Fischereimaßnahmen geschädigt werden.
Innerhalb der CCAMLR-Region gibt es keinen Fischereihafen und auch keine einheimische Bevölkerung, die zur Selbstversorgung Fischfang betreibt. Alles, was Fischer in den antarktischen Gewässern fangen, wird außerhalb der CCAMLR-Region angelandet. Der Fischfang in der Antarktis beschränkt sich gegenwärtig auf wenige Arten. Dazu zählen Antarktischer Krill (Euphausia superba), Bändereisfisch (Champsocephalus gunnari), Schwarzer Seehecht (Dissostichus eleginoides) und der Antarktische Seehecht (Dissostichus mawsoni), manchmal auch Riesen-Antarktisdorsch genannt. Seit einem Jahr befischt Russland testweise auch antarktische Stein- und Königskrabben (Neolithodes yaldwini und Paralomis birsteini).
Antarktischer Krill wird derzeit nahezu ausschließlich im atlantischen Sektor des Südozeans gefangen, genauer gesagt in den Gewässern westlich der Antarktischen Halbinsel, rund um die Südlichen Orkneyinseln und rund um Südgeorgien. Die jährliche Fangmenge beläuft sich auf 200 000 bis 300 000 Tonnen, wobei allein rund 60 Prozent des Fanges von norwegischen Trawlern eingeholt werden, 20 Prozent von chinesischen Fischern und zehn Prozent von Schiffen aus Südkorea. In 2017 beteiligten sich elf Fangschiffe an dem Krillfang; in 2018 waren es neun Schiffe, die aber zusammen eine größere Menge Krill fischten als im Vorjahr. Die norwegische ­Firma Aker BioMarine hat in diesem Jahr ein neues, ­speziell für den Krillfang gebautes Schiff in Dienst gestellt. Die „Antarctic Endurance“ ist 130 Meter lang, hat über 140 Millionen US-Dollar gekostet und verfügt über die modernste technische Ausstattung, was den umweltfreundlichen Betrieb des Schiffes als auch dessen Krillfang-Effizienz steigert.
Die Gesamtmenge des gefangenen Krills steigt seit mehr als 20 Jahren. In 2018 wurden 312 989 Tonnen Krill gefangen – eine Menge, die immer noch weit unter den von CCAMLR festgesetzten Quoten liegt. Diese umfassen 620 000 Tonnen für die Krillfanggebiete im atlantischen Sektor und 892 000 Tonnen für den ostantarktischen Sektor. Letzterer wird derzeit aber kaum für den Krillfang genutzt. CCAMLR bemüht sich schon seit mehreren Jahren, diese Fangquoten auf Basis neuer wissenschaftlicher Untersuchungen zu revidieren. Im Zuge dessen sollen auch die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf die antarktischen Krillbestände berücksichtigt werden.
Wie Krill werden auch Bändereisfische mit Netzen gefangen. Ihnen stellen die Fischer in den Schelfgebieten Südgeorgiens und der Insel Heard nach. Sie landen pro Jahr 400 bis 500 Tonnen dieser Fischart an. Die Kutter kommen dabei vornehmlich aus Großbritannien (57 Prozent) und aus Australien (25 Prozent).
Der Schwarze Seehecht dagegen wird mit Langleinen in einer Tiefe von 1200 bis 1800 Metern befischt. Jede dieser Leinen ist zwischen drei und zehn Kilometer lang und mit Tausenden beköderten Haken besetzt. Französische, britische und australische Schiffe legen diese rund um Südgeorgien aus sowie in mehreren Gebieten des indischen Sektors. Die Gesamtausbeute beläuft sich dabei auf 11 000 bis 12 000 Tonnen pro Jahr. Nur ein Viertel so groß sind die Fänge des Antarktischen Seehechts, dem koreanische, neuseeländische, britische, russische, spanische und ukrainische Fischer ebenfalls mit Langleinen nachstellen. Die Fanggebiete liegen im atlantischen und indischen Sektor des Südozeans sowie im Rossmeer.
Beide Arten des Seehechts werden bis zwei Meter lang und 60 bis 80 Kilogramm schwer. Die Tiere wachsen nur sehr langsam, erreichen ihre Geschlechts­reife erst im Alter von etwa acht bis zehn Jahren und leben im Idealfall 45 bis 50 Jahre lang. Aufgrund dieser Eigenschaften laufen beide Fischarten schnell Gefahr, überfischt zu ­werden. Mit einer Temperatur-Toleranzgrenze von gerade einmal zwei Grad Celsius ist vor allem der Antarktische Seehecht zusätzlich durch die klimabedingte Erwärmung des Südozeans gefährdet.
5.29 > Antark­tischer Krill wird vor allem im atlan­tischen Sektor des Süd­polar­meers gefangen. Die Fang­mengen steigen seit einigen Jahren wieder konti­nuier­lich an, auch weil die aus Krill gewon­nenen Omega-3-Fett­säuren als Nahrungs­er­gänz­ungs­mittel genutzt werden.
Abb. 5.29 © nach CCAMLR
5.30 > Schwarzer Seehecht (Dissostichus eleginoides) wird mit Lang­leinen in einer Tiefe von 1200 bis 1800 Metern gefangen. Die Fischerei wird durch CCAMLR streng regle­men­tiert und über­wacht. Im Jahr 2018 durften nicht mehr als 2600 Tonnen dieses Fisches gefangen werden.
Abb. 5.30 © nach CCAMLR
5.31 > Der Antarktische See­hecht (Dissostichus mawsoni) ist ein enger Verwandter des Schwarzen Seehechts und wird in einigen Regionen explo­rat­orisch befischt. Das heißt, die Fangquoten werden in jedem Jahr durch CCAMLRs wissen­schaft­liches Komitee und die Arbeits­gruppe zu Fisch­beständen überprüft.
Abb. 5.31 © nach CCAMLR
Als einziges Land fischt Russland derzeit im pazifischen Sektor der Antarktis nach Stein- und Königskrabben. Das zwar nur in kleinem Rahmen und als Pilotstudie, doch der ökologische Schaden ist groß. Die Tiere werden nämlich wie Hummer mit Reusenkörben gefangen. Jede dieser Reusen hat einen 1,5 Meter großen Durchmesser. Jeweils 120 dieser Reusen werden an einer mit Gewichten beschwerten Leine befestigt. Um die ausgelegten Leine wieder einholen zu können, werden an ihrem Ende Bojen befestigt, die an der Wasseroberfläche treiben. Sollte nun der sehr wahrscheinliche Fall eintreten, dass Eisberge oder Eisschollen diese Markierungsbojen mitreißen, wird die gesamte Leine mit Gewichten und Körben über viele Kilometer über den Meeresboden geschleift und zerstört die dort ansässigen empfindlichen Lebensgemeinschaften. Aus diesem Grund versuchen Deutschland und andere CCAMLR-Mitgliedsstaaten derzeit, die CCAMLR-Kommission von einem Verbot dieser Fischerei zu überzeugen.
Wo in welchem Ausmaß gefischt werden darf, entscheidet die CCAMLR-Kommission bei ihren jährlichen Treffen in Hobart, Tasmanien. Alle Vereinbarungen müssen einstimmig getroffen werden, was jeden Mitgliedsstaat in die Lage versetzt, Maßnahmen wie zum Beispiel die Einrichtung von Meeresschutzgebieten zu verhindern, wenn diese nicht in seinem Interesse sind. Gleichzeitig hat die Kommission in den zurückliegenden Jahrzehnten die Kontrolle der Fischerei in der Antarktis massiv ver­stärkt, um die Einhaltung der beschlossenen Fangquoten und Auflagen zu überwachen sowie die Zahl illegaler Fischzüge zu reduzieren.
Zu den Auflagen gehören beispielsweise eine saiso­nale Begrenzung der Langleinenfischerei auf den Winter (nur in einigen Fanggebieten) und spezielle Maßnahmen zur Reduzierung des Beifangs von Seevögeln wie Albatrosse und Sturmvögel. Diese folgen häufig den Lang­leinenschiffen, verschlucken beim Auslegen der Leinen die beköderten Haken und ertrinken anschließend. Gerade in den Anfängen der Langleinenfischerei in der Antarktis in den 1980er- und 1990er-Jahren waren so viele ­Seevögel an den Langleinen verendet, dass manche Populationen um bis zu 40 Prozent einbrachen. Viele Albatrossarten gelten seitdem als vom Aussterben bedroht. Die von CCAMLR beschlossenen Schutzmaßnahmen aber zeigen Wirkung. Durch den Einsatz von Gewichten, welche die Langleinen schneller in große Tiefen sinken lassen, durch das Anbringen von Leinen mit Flatterbändern, welche die Seevögel von der Fangleine fernhalten, sowie durch das Gebot, die Leinen nur bei Dunkelheit ins Wasser zu lassen, konnte der Beifang schlagartig reduziert werden. Fielen am Anfang der 1990er-Jahre noch über 6000 Seevögel pro Jahr der Langleinenfischerei im CCAMLR-Gebiet zum Opfer, sind es heutzutage weniger als zehn Tiere pro Jahr. Dabei ist in den zurückliegenden Jahren die Anzahl der im Südozean ausgelegten Lang­leinen und Haken gestiegen.
In den 1990er-Jahren nahm auch die Zahl illegaler Fischzüge auf den Schwarzen und den Antarktischen Seehecht zu. Bei dieser illegalen Fischerei werden zumeist enorm schädliche Tiefseestellnetze verwendet, deren ­Einsatz im gesamten CCAMLR-Gebiet verboten ist. Der Fang von Schwarzem und Antarktischem Seehecht ist finanziell äußerst lukrativ. Je nach Angebot und Nachfrage können Preise zwischen zehn und 20 US-Dollar pro Kilogramm erzielt werden, manchmal auch weit mehr. Der Fisch wird unter dem Handelsnamen Chilean Sea Bass überwiegend in Nord- und Südamerika, aber auch in einzelnen Ländern in Asien und Europa vermarktet.
Die CCAMLR-Kommission hat ein strenges Berichts- und Kontrollsystem eingeführt, um illegale Fischerei zu verhindern – mit Erfolg. Wurden im Jahr 1996 noch schätzungsweise 30 000 Tonnen Seehecht illegal angelandet, waren es 2014 weniger als 1500 Tonnen. Mittlerweile gibt es nur noch vereinzelte Hinweise auf illegale Fänge. Forscher berichten aber, dass im Zuge der Überfischung in den 1990er-Jahren dennoch einige Seehechtbestände zusammengebrochen seien und sich bis heute nicht erholt hätten. Als Beispiele nennen sie die Bestände rund um Prinz-Eduard-Inseln, auf dem Kerguelenplateau sowie an der Banzarebank im indischen Sektor des Südpolarmeers (58° 50' Süd und 77° Ost).

Neue Spannungen in der Arktis?

Die wirtschaftliche Expansion in der Arktis eröffnet zum einen Chancen auf neue internationale Kooperationen, sie bietet nach Ansicht einiger Beobachter aber auch Anlass für Sicherheitsbedenken – etwa weil einige Arktisstaaten ihre Militärpräsenz in der Arktis ausbauen, nachdem die Skepsis der NATO-Mitgliedsstaaten gegenüber Russland nach der Annektierung der Krim gestiegen ist, oder aber weil der neu entfachte Handelsstreit zwischen den USA und China Verhandlungen zu arktischen Themen erschwert. Die weltpolitische Lage, so die Beobachter, nehme unmittelbar Einfluss auf die Kooperation der Arktisstaaten beziehungsweise beeinträchtige diese.
Andere Wissenschaftler betonen, dass es für einen solchen sogenannten Spill-over-Effekt keine empirischen Belege gebe. Heutzutage seien immer noch deutlich weniger Soldaten in der Arktis stationiert als zu Zeiten des Kalten Krieges. Außerdem erfolge die Entsendung militärischer Verbände in den hohen Norden in den meisten Fällen nicht, weil sich die Küstenstaaten unmittelbar in ihrer nationalen Sicherheit bedroht fühlten. Es gehe den Staaten vielmehr darum, jene Grenze, die einst ausreichend durch das Eis geschützt war, nun flächendeckend zu überwachen, gerade weil die Zahl der Schiffe und Akteure in der Arktis zugenommen habe. Außerdem erfüllten die Soldaten Aufgaben in der Luft- und Seenotrettung. Für Russland sei die Stationierung von Militär zudem ein Mittel der Infrastrukturförderung in den ent­legenen arktischen Gebieten.
5.32 > Die Arktis­an­rai­ner­staaten führen regel­mäßig gemein­same Übungen zur Luft- und See­not­rettung durch, sodass im Ernst­fall die grenz­­über­greifende Zusam­men­arbeit funk­tioniert und Menschen­leben und Umwelt best­möglich geschützt werden können.
Abb. 5.32 © Thomas Nilsen
Die russische Regierung hat in den zurückliegenden Jahren viel Geld in den Aus- und Neubau seiner Militärbasen entlang der russischen Arktisküste investiert. So entstand zum Beispiel auf Franz-Josef-Land ein neuer Armeestützpunkt. Nach Aussage der russischen Regierung wird das Militär in der Arktis gebraucht, um den Schiffsverkehr auf dem Nördlichen Seeweg und andere wirtschaftliche Aktivitäten zu schützen. Die US-Regierung unter Präsident Donald Trump wiederum sieht US-amerikanische Sicherheitsinteressen bedroht sowohl durch die Präsenz des russischen Militärs in der Arktis als auch durch die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit Russlands und ­Chinas. Die US-Streitkräfte haben angekündigt, künftig öfter mit ihren Militärschiffen in arktischen Gewässern patrouillieren zu wollen. Außerdem planen die USA für das Jahr 2020 die Modernisierung eines Militärflugplatzes auf Island, von dem das US-Militär im Jahr 2006 abgezogen war und den es jetzt nur noch gelegentlich für Aufklärungsflüge nutzt.
Trotz dieser Entwicklung sehen deutsche Beobachter die politische Zusammenarbeit in der Arktis nicht gefährdet. Die arktische Kooperation sei gut institutionalisiert, basiere auf von allen Parteien anerkannten internationalen Regeln und habe sich bisher als äußerst funktional und effektiv erwiesen. Mit Forderungen nach neuen Institu­tionen für arktische Sicherheitspolitik, wie sie unter anderem am Runden Tisch der Münchner Sicherheitskonferenz geäußert wurden, räume man dem Thema zu viel Aufmerksamkeit ein. Am Ende würden auf diese Weise bisherige Kooperationsformate vom Thema Sicherheit überschattet und womöglich Unsicherheitsfaktoren befördert, die man doch eigentlich verhindern wollte. Angesichts der dramatischen Veränderungen in der Arktis seien internationale Kooperation und Zusammenarbeit im Nordpolargebiet heutzutage wichtiger als jemals zuvor, so die Beobachter.
Ein Beispiel, wie grenz- und bündnisüberschreitende Zusammenarbeit in der Arktis aussehen kann, präsentierten Russland und Norwegen im Mai 2019. Küstenschutz-, Such- und Rettungseinheiten beider Nachbarstaaten trainierten gemeinsam einen Tag lang den Ernstfall in der Barentssee. Sie suchten gemeinsam nach vermissten Personen auf See und übten Maßnahmen zur Bekämpfung einer Ölverschmutzung. Textende