Abb. 5.9 > Die chinesische Forschungsstation Kunlun wurde rund 1200 Kilometer landeinwärts in der Ostantarktis errichtet – in einer Höhe von 4087 Metern. Bewohnt wird sie nur im antarktischen Sommer. Forschende ziehen dann Eisbohrkerne und führen atmosphärische und geophysikalische Messungen durch.
Im Januar 2018 erschien ein Strategiepapier, auf welches die führenden Staaten in Angelegenheiten der Arktis und Antarktis lange gewartet hatten: Die Volksrepublik China veröffentlichte erstmals eine offizielle Arktisstrategie, in der die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt ihre Ziele und Interessen in der Nordpolarregion formulierte. Als Nichtanrainerstaat besitzt China keinerlei rechtliche Ansprüche in der Arktis, sondern ist auf bilaterale Kooperationen mit arktischen Küstenstaaten angewiesen. An den Sitzungen des Arktischen Rates nimmt das Land erst seit dem Jahr 2011 als Beobachterstaat teil.
Dennoch hat sich die Rolle Chinas sowohl in der Arktis als auch in der Antarktis in den zurückliegenden zehn Jahren grundlegend geändert. Die Volksrepublik sieht sich als aufstrebende Großmacht mit wirtschaftlichen und strategischen Interessen, die weit über den asiatisch-pazifischen Raum hinausgehen. China möchte diese Interessen durchsetzen und weltpolitisch mitgestalten. Die Polarregionen spielen dabei eine Schlüsselrolle.
In der Arktis ist China in erster Linie an neu entstehenden Schifffahrtsrouten und an den reichen Rohstoffvorkommen interessiert. Mit Russland verhandelt China über den Ausbau einer polaren Seidenstraße, welche China über verschiedene Transport- und Kommunikationswege, vor allem aber über Schifffahrtswege, Zugang zur Arktis verschaffen würde. Im Mittelpunkt stehen dabei die Routen der Nordostpassage durch russische Gewässer. Schiffe, die über diesen nördlichen Seeweg vom Hafen Rotterdam in den Niederlanden nach Dalian in China fahren, benötigen für die Strecke zehn Tage weniger als über die bislang übliche Südroute durch den Sueskanal. Außerdem können über die Nordostpassage Erdöl- und Erdgaslieferungen innerhalb von zehn bis 14 Tagen aus nahezu jedem arktischen Hafen nach China verschifft werden.
Die dringend benötigten Rohstofflieferungen kommen bislang vor allem aus Russland, mit dessen Mineralölkonzernen China langfristige Lieferverträge über Hunderte Milliarden US-Dollar abgeschlossen hat. Der chinesische Ölkonzern CNPC und Chinas Seidenstraßen-Fond halten zudem Anteile an Russlands Flüssiggasprojekt Jamal LNG im Nordosten der sibirischen Halbinsel Jamal. Dort wird Erdgas gefördert und anschließend verflüssigt, sodass es leichter per Schiff abtransportiert werden kann. Chinas Regierung festigt aber auch ihre Beziehungen zu anderen Arktisanrainern. Mit Island einigte sie sich im Jahr 2014 auf ein Freihandelsabkommen, mit Norwegen wird noch verhandelt. Mit Finnland sprechen die Asiaten über die Verlegung eines submarinen Telekommunikationskabels, und auf Grönland interessieren sie sich für die Vorkommen wertvoller Metalle und Seltener Erden.
Im April 2019 unterzeichneten China und Russland zudem einen Forschungskooperationsvertrag, der den Bau eines gemeinsamen Forschungszentrums in der Arktis beinhaltet. Es wäre die dritte chinesische Forschungsbasis in der Arktis. Seit dem Jahr 2004 betreibt das Land eine Station im Wissenschaftsdorf Ny-Ålesund auf Spitzbergen. Im Oktober 2018 eröffnete es mit Island ein gemeinsam betriebenes arktisches Observatorium im nördlichen Teil der Insel. Außerdem entsendet China seinen Forschungseisbrecher „Xue Long“ (übersetzt: Schneedrache) seit 2003 regelmäßig zu wissenschaftlichen Expeditionen in die Arktis. Ein zweites Polarforschungsschiff mit dem Namen „Xue Long 2“ wurde im September 2018 vom Stapel gelassen und soll noch in 2019 seinen Dienst aufnehmen. China beteiligt sich somit aktiv am Ausbau der Forschungsinfrastrukturen in der Arktis. Es betont in seinem Strategiepapier aber auch, dass es technische Innovationen für den Rohstoffabbau, für die Nutzung erneuerbarer Energien sowie für das Umweltmonitoring in der Arktis vorantreiben will. Das Land hat zudem seine Mitarbeit in den Arbeitsgruppen des Arktischen Rates intensiviert. Unabhängige Experten bezeichnen diese politischen und wirtschaftlichen Ambitionen als legitim. Solange sich China an alle internationalen Normen und Regeln halte, sollten seine Investitionen in der Arktis als Chance und nicht als Bedrohung wahrgenommen werden.
In der Antarktis hat China in den vergangenen Jahren mehr Geld für den Ausbau seiner Forschungsinfrastrukturen investiert als jede andere Nation. Das Land, welches 1983 den Antarktisvertrag unterzeichnete und seit 1985 den Status eines Konsultativstaats besitzt, verfügt mittlerweile über vier Forschungsbasen: eine auf der Antarktischen Halbinsel gelegen, drei weitere in der Ostantarktis. Eine fünfte Station wird derzeit auf Inexpressible Island im Rossmeer errichtet. Sie soll im Jahr 2022 eröffnet und ab dann permanent im Sommer wie im Winter betrieben werden.
Im Mai 2017 richtete China erstmals ein ATCM-Treffen aus. Zeitgleich stellte es sein erstes Strategiepapier zur Forschung in der Antarktis vor. Dabei betonte die Regierung die Bedeutung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit und ihren Respekt vor den Gesetzen und Normen der Antarktis. Dennoch möchte das Land als starke Antarktisnation wahrgenommen werden. Und für den Fall, dass das Antarktisvertragssystem eines Tages hinfällig werden würde, wäre China vor Ort – mit mindestens fünf Außenposten und klar artikulierten Ansprüchen.
Interesse zeigt China unter anderem an den lebenden Meeresschätzen der Antarktis. Dem Abkommen zu deren Erhaltung (CAMLR) trat das Land im Jahr 2006 bei. Auf der jährlichen Sitzung der Komission CCAMLR ergreifen Chinas Vertreter mittlerweile deutlich das Wort. Zusammen mit Russland sehen sie die Einrichtung von Meeresschutzgebieten als eine Gefahr für die zukünftige Nutzung von Krill, Antarktischem Seehecht und anderen lebenden Ressourcen des Südozeans. Um diese ökonomischen Interessen zu wahren, hat China nach der Annahme des Meeresschutzgebiets Rossmeer alle weiteren Schutzgebietsvorschläge unter CCAMLR blockiert.