Verschmutzung
4
WOR 1 Mit den Meeren leben - ein Bericht über den Zustand der Weltmeere | 2010

Organische Schadstoffe

Organische Schadstoffe in der Meeresumwelt

> Schon lange ist bekannt, dass sich bestimmte Gifte in der Natur und in Lebewesen anreichern. Gesundheitsschäden sind die Folge. Viele Substanzen wurden deshalb verboten. Doch tauchen in der Umwelt immer wieder neue giftige Stoffe auf, deren Gefahr man zunächst nicht erkannt hat. Ein aktuelles Beispiel sind die polyfluorierten Verbindungen. Bislang ist dieses Problem ungelöst.

Die Kehrseite unseres Konsums

Chemische Produkte braucht jeder – als Kunststoff für das Computergehäuse, als Bodenbelag in der Sporthalle oder Gummisohle im Joggingschuh. Die Einsatzgebiete sind vielfältig und so wird heute in der Industrie eine Fülle verschiedener Chemikalien genutzt. Nach Angaben der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­wicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) sind weltweit etwa 100 000 unterschiedliche chemische Substanzen im Umlauf. Allein in Europa werden circa 10 000 Chemikalien jeweils in einer Größenordnung von mehr als zehn Tonnen pro Jahr produziert und vermarktet. Davon sind schätzungsweise 1 bis 3 Prozent problematisch. Zu diesen umweltrelevanten Schadstoffen zählen beispielsweise die bekannten Schwermetalle Blei und Quecksilber, die aus der Verbrennung von Heizöl, aus dem Bergbau oder aus industriellen Abgasen und Abwässern stammen. Eine andere problematische Stoffklasse sind die langlebigen organischen Schadstoffe, die sogenannten POPs (persistent organic pollutants).
4.6 > Tausende von an Hundestaupe verendeten Seehunden mussten in den Jahren 1988 und 2002 an deutschen Stränden eingesammelt und entsorgt werden.
4.6 > Tausende von an Hundestaupe verendeten Seehunden mussten in den Jahren 1988 und 2002 an deutschen Stränden eingesammelt und entsorgt werden. © www.deff.de

Langlebig und giftig – POPs

Entsprechend der Stockholm-Konvention, der sogenannten POPs-Konvention aus dem Jahre 2001, werden giftige und zugleich langlebige organische Schadstoffe als POPs bezeichnet. Dazu gehören Schädlingsbekämpfungsmittel wie DDT und Lindan, Industriechemikalien – wie zum Beispiel polychlorierte Biphenyle (PCB) – oder Nebenprodukte, die bei der industriellen Fertigung oder bei Verbrennungsprozessen entstehen, beispielsweise Dioxine. Da derartige Stoffe sehr stabil und somit nur schwer abbaubar sind, können sie über große Entfernungen transportiert werden und sich in der Umwelt anreichern.
Problematisch ist, dass POPs im Fettgewebe oder in Organen von Lebewesen gespeichert werden. Dort können sie toxische Wirkungen entfalten. Sie greifen beispielsweise in den Hormonhaushalt ein, lösen Krebs aus, verändern das Erbgut oder schwächen das Immunsystem.
Bei Meeressäugern sind verschiedene Auswirkungen von POPs untersucht worden. Bei Ringel- und Kegelrobben aus der Ostsee wurden Verengungen und Tumoren in der Gebärmutter festgestellt, die zu einer Abnahme der Geburtenrate führten. Weiterhin wurden Darmgeschwüre sowie eine Abnahme der Knochendichte und damit Veränderungen am Skelettsystem beobachtet. Bei Seehunden und Schweinswalen fand man Hinweise darauf, dass POPs das Immunsystem und das Hormonsystem schwächen. Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch, ob diese Schadstoffe und die Schwächung des Immunsystems einen Einfluss auf die Ausbreitung von Epidemien haben – beispielsweise das Seehundsterben in der Nordsee in den Jahren 1988 und 2002, das vermutlich durch eine epidemieartige Verbreitung des Hundestaupe-Erregers ausgelöst wurde.
Menschen nehmen POPs vor allem über die Nahrung und das Trinkwasser, aber auch über die Atmung (insbesondere durch Staubpartikel) und über die Hautoberfläche (durch direkten Kontakt mit der Chemikalie) auf. Lebewesen, die wie der Mensch oder Meeressäuger am Ende der Nahrungskette stehen, weisen in der Regel die höchsten Konzentrationen auf.
4.7 > Das Problem der Anreicherung von Giften in der marinen Nahrungskette ist lange bekannt. Wie dieser Prozess abläuft, lässt sich am Beispiel des klassischen Umweltgifts PCB (polychlorierte Biphenyle) zeigen.
4.7 > Das Problem der Anreicherung von Giften in der marinen Nahrungskette ist lange bekannt. Wie dieser Prozess abläuft, lässt sich am Beispiel des klassischen Umweltgifts PCB (polychlorierte Biphenyle) zeigen. © maribus (nach Böhlmann, 1991)

Ein neues Sorgenkind – polyfluorierte Verbindungen

Neben den oben erwähnten klassischen POPs wurden Ende der 1990er Jahre in der Umwelt weitere toxische und langlebige Verbindungen unnatürlichen Ursprungs entdeckt, die man aufgrund unzureichender technischer Analysemethoden zuvor nicht hatte nachweisen können. Dazu gehören die polyfluorierten Verbindungen (poly­fluori­­­nated compounds, PFCs). Polyfluorierte Verbindun­gen werden seit mehr als 50 Jahren in vielen Bereichen des täglichen Lebens genutzt. Sie werden vor allem als Fluorpolymere in der Textilindustrie, beispielsweise in der Herstellung atmungsaktiver Membranen für Outdoor-Jacken, verwendet und in der Papierindustrie zur Produktion von schmutz-, fett- und wasserabweisenden Papieren (beispielsweise Fast-Food-Verpackungen) genutzt. Auch bei der Imprägnierung von Möbeln, Teppichen und Bekleidung sowie als Antihaftbeschichtung von Kochgeschirr (beispielsweise Teflonpfannen) kommen sie zum Einsatz.
Man nimmt an, dass im vergangenen Jahrzehnt insgesamt sechs Hersteller weltweit jährlich rund 4500 Tonnen PFCs erzeugten, eine – verglichen mit anderen Chemikalien – eher geringe Menge. Dennoch ist die Sub­stanzgruppe wegen ihrer umweltrelevanten Eigenschaften von Bedeutung, denn manche der PFCs reichern sich besonders stark in Organismen an.
Derzeit kennt man mehr als 350 verschiedene polyfluorierte Verbindungen. Der bekannteste Vertreter dieser Substanzgruppe ist PFOS (Perfluoroctansulfonat). Aus Tierversuchen mit PFOS schließen Forscher, dass beim Menschen mit ernsten Gesundheitsschäden zu rechnen ist, wenn er wiederholt PFOS aufnimmt. Betroffen könnte unter anderem die Leber sein. Darüber hinaus ist PFOS möglicherweise krebserregend. Vermutet wird auch, dass es bei den Nachkommen zu Entwicklungsschäden führt. PFOS wurde deshalb kürzlich als erste polyfluorierte Verbindung als POP im Sinne des Stockholmer Übereinkommens eingestuft und damit in die Liste der besonders gefährlichen Chemikalien aufgenommen, die weltweit verboten werden sollen.

Vorkommen polyfluorierter Verbindungen

Polyfluorierte Verbindungen werden zwar schon seit etwa einem halben Jahrhundert industriell hergestellt. In der Umwelt lassen sie sich aber erst seit wenigen Jahren dank neuer chemisch-analytischer Methoden nachweisen. In der Natur kommen derartige polyfluorierte Verbindungen nach derzeitigem Kenntnisstand normalerweise nicht vor. Inzwischen aber lassen sie sich in Wasser, Boden, Luft und Lebewesen auf der ganzen Welt nachweisen – auch im Menschen. Zahlreiche Lebensmittel, menschliches Blut und Muttermilch sind bereits erheblich mit PFCs belastet. Vor allem die Verbreitung von PFOS ist gut untersucht. Die Substanz findet man in vergleichsweise hohen Konzentrationen weltweit in Fischen, Robben oder Seevögeln und vor allem in arktischen Eisbären als Endgliedern der Nahrungskette. Kanadischen und dänischen Berichten zufolge wurde in Leberproben von Eisbären aus Kanada, Alaska und Grönland in den vergangenen Jahrzehnten ein starker Anstieg der PFOS-Konzentration ermittelt.
Im Vergleich zu anderen umweltrelevanten POPs, wie etwa den polychlorierten Biphenylen, weisen PFCs beachtlich hohe Werte auf. So lag die mittlere PFC-Konzentration laut schwedischen Untersuchungen an menschlichem Blut aus den Jahren 1994 bis 2000 20- bis 50-fach höher als die der polychlorierten Biphenyle und circa 300- bis 450-fach höher als die von Hexachlorbenzol, zwei klassischen organischen Schadstoffen, deren Gefährlichkeit seit Jahrzehnten bekannt ist.
4.8 > In den vergangenen Jahren haben die PFOS-Konzentrationen in den Lebern ostgrönländischer Eisbären deutlich zugenommen. Die Messwerte wurden aus tiefgefrorenen Leberproben gewonnen.
4.8 > In den vergangenen Jahren haben die PFOS-Konzentrationen in den Lebern ostgrönländischer Eisbären deutlich zugenommen. Die Messwerte wurden aus tiefgefrorenen Leberproben gewonnen. © maribus (nach Dietz et al., 2008)

Transportwege der polyfluorierten Verbindungen

Funde von PFCs und insbesondere PFOS in marinen Säugetieren, wie Robben oder Eisbären der Arktis, sowie im Blut der arktischen Bewohner, der Inuit, werfen die Frage auf, wie diese Stoffe ins Meer und sogar bis in die Arktis gelangen können. Zum einen gibt es zahlreiche diffuse Quellen – so lösen sich PFCs beim Gebrauch von den oben erwähnten Alltagsgegenständen ab, von Teppichböden, Outdoor-Bekleidung, Pfannen oder Fast-Food-Papier. Darüber hinaus aber werden größere Mengen PFCs in Deutschland über kommunale und industrielle Kläranlagen, die diese Verbindungen nicht gezielt zurückhalten können, in die Flüsse eingetragen. Von hier aus gelangen die polyfluorierten Verbindungen in die Nordsee. Anschließend können sie mit den Hauptströmungen der Nordsee und des Atlantischen Ozeans bis in die Arktis transportiert werden, wo sie von Kleinstlebewesen im Wasser aufgenommen und über die Nahrungskette in höheren Organismen und schließlich in den Organen von Eisbären oder Menschen angereichert werden.
PFCs werden aber auch durch Luftmassenbewegungen in der Atmosphäre über weite Strecken transportiert. Zwar sind Verbindungen wie PFOS nicht flüchtig. Doch es entweichen flüchtige Vorläuferverbindungen aus den technischen Herstellungsprozessen in die Luft. In der Atmosphäre können diese chemischen Vorläufer dann durch physikalische und chemische Prozesse zu stabilen Endprodukten wie PFOS umgesetzt werden. Diese werden mit den Niederschlägen aus der Luft gewaschen und in gelöster Form oder an Staubpartikel gebunden ins Meerwasser eingetragen oder auf dem Festland oder dem Eis abgelagert. So können PFCs große Distanzen überwinden und weit entfernt vom Ort ihrer Herstellung oder Verwendung in der Umwelt nachgewiesen werden.
4.9 > PFCs können entweder in Gewässern oder in der Luft über große Entfernungen transportiert werden. So gelangen sie beispielsweise auf direktem Weg über Abwasser in die Flüsse und schließlich ins Meer. Sie können aber auch indirekt über die Atmosphäre transportiert werden. So entweichen beispielsweise flüchtige PFOS-Vorläufer in die Luft, werden hier zu PFOS umgewandelt und kommen in Niederschlägen oder im Staub an anderer Stelle wieder zurück auf die Erdoberfläche.
4.9 > PFCs können entweder in Gewässern oder in der Luft über große Entfernungen transportiert werden. So gelangen sie beispielsweise auf direktem Weg über Abwasser in die Flüsse und schließlich ins Meer. Sie können aber auch indirekt über die Atmosphäre transportiert werden. So entweichen beispielsweise flüchtige PFOS-Vorläufer in die Luft, werden hier zu PFOS umgewandelt und kommen in Niederschlägen oder im Staub an anderer Stelle wieder zurück auf die Erdoberfläche. © maribus

Schutz vor neuen Schadstoffen

Noch vor wenigen Dekaden kannte man PFCs gar nicht. Heute sind sie über den ganzen Globus verbreitet. Sie finden sich im Wasser, in der Luft, in den Lebewesen und auch in uns Menschen. Es ist abzusehen, dass sie Generationen überdauern werden. Diese Stoffgruppe zeigt beispielhaft, dass man offensichtlich nie sämtliche Auswirkungen neuer chemischer Produkte auf die Umwelt sowie deren Spätfolgen vorhersehen kann. So wird es auch in der Zukunft in der marinen Umwelt immer wieder Stoffe geben, die man anfänglich für unschädlich hält, deren unerwünschte Einflüsse aber erst nach einiger Zeit erkennbar werden. Immerhin gibt es mittlerweile zahlreiche Bemühungen, die weitere globale Verteilung von Schadstoffen einzugrenzen. So versucht man die Gefährlichkeit von Chemikalien heute durch Risikobewertungen zu ermitteln, bevor man diese in den Verkehr bringt. Zudem gibt es Selbstverzichtserklärungen der Produzenten oder gesetzliche Regelungen. Ein Anfang ist also gemacht. Textende