Offshore-Windräder sind nicht die einzige Technologie, um grünen Strom auf oder im Meer zu erzeugen. In dieselbe Kategorie fallen eine Reihe weiterer emissionsfreier Energietechnologien, die sich in ganz unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden, langfristig aber durchaus das Potenzial haben, lokal, regional oder sogar weltweit zum Einsatz zu kommen. Die Europäische Kommission berücksichtigt in ihrer Offshore-Energiestrategie die folgenden Technologien für Meeresenergie:
Strömungs- und Gezeitenkraftwerke
Strömungs- und Gezeitenkraftwerke gehören zu den technisch am weitesten entwickelten Technologien zur Stromproduktion im Meer. Sie nutzen die Fließbewegung von Wassermassen infolge der Gezeiten oder anderer natürlicher Meeresströmungen, um Elektrizität zu erzeugen.
Für Gezeitenkraftwerke in der sogenannten Staudamm-Bauweise wurden einst Meeresbuchten durch einen Deich abgetrennt. In diesem Deich wiederum installierte man große Röhren mit Turbinen, durch die das auf- oder ablaufende Wasser hindurchströmen konnte. Wann immer dies geschah, drehten sich die Turbinen und erzeugten Strom. Dieses Prinzip funktioniert in beide Richtungen, erfordert allerdings einen besonders hohen Tidenhub, den es nur an wenigen Küsten der Welt gibt. Da das Eindeichen von Buchten und Ästuarien zudem mit hohen Kosten und weitreichenden Umweltauswirkungen verbunden ist, wurden weltweit nur einige wenige Staudamm-Gezeitenkraftwerke errichtet – darunter ein 240-Megawatt-Kraftwerk in Frankreich sowie eine 254-Megawatt-Anlage in Südkorea.
Der Bau weiterer Kraftwerke dieses Typs ist unwahrscheinlich. Fachleute setzen mittlerweile auf sogenannte Meeresströmungskraftwerke, bei denen große Rotorturbinen an einem Mast oder an einem Kabel befestigt in der Strömung postiert werden. Moderne Strömungsturbinen sehen aus wie der Rotor eines Windrades und erzeugen inzwischen bis zu 1,5 Megawatt. Das bislang größte Strömungskraftwerk der Welt ist das MeyGen-Projekt im Norden Schottlands. Dessen erste vier Unterwasserrotoren nahmen im April 2018 offiziell ihren Betrieb auf und erzeugen nun verlässlich und berechenbar Strom für 2600 Haushalte. Weitere Strömungskraftwerke befinden sich im Bau, sodass die weltweit installierte Gesamtleistung im Jahr 2025 die Ein-Gigawatt-Marke übertreffen wird. Theoretisch nutzbar wäre jedoch ein Vielfaches mehr: Experten gehen davon aus, dass sich mit Strömungs- und Gezeitenkraftwerken bis zu 1200 Terawatt Strom erzeugen ließen. Noch aber sind die Kosten für diese Art der Stromerzeugung zu hoch.
Wellenkraftwerke
Mit Wellenkraftwerken ließen sich theoretisch bis zu 29 500 Terawattstunden Strom pro Jahr erzeugen – vor allem in den windreichen gemäßigten Breiten beider Hemisphären (30. bis 60. Breitengrad). Technische Ansätze gibt es bislang einige, doch keiner konnte wirklich überzeugen. Versuchsanlagen bestehen in der Regel aus einem an der Meeresoberfläche treibenden Schwimmkörper, der am Meeresboden verankert ist und Energie erzeugt, indem er sich mit den Wellen auf und ab bewegt. Weltweit installiert sind derzeit Pilotanlagen mit einer Leistung von 2,5 Megawatt. Aufgrund von Fortschritten in der technischen Entwicklung gehen Fachleute jedoch davon aus, dass die in Wellenkraftwerken erzeugte Strommenge schon bald auf 100 Megawatt und mehr steigen wird. Die Europäische Union will ihren in Wellen-, Strömungs- und Gezeitenkraftwerken erzeugten Stromanteil bis zum Jahr 2050 auf 40 Gigawatt erhöhen.
Schwimmende Photovoltaik
Die Idee, Photovoltaikmodule auf dem Wasser zu installieren, ist nicht neu und wird vor allem in Asien bereits auf Stau- oder Baggerseen praktiziert. Die bewährte Technologie wird nun schrittweise auf das Meer übertragen. Ein niederländisches Konsortium installierte im Februar 2018 eine Pilotanlage mit 8,5 Kilowatt Leistung auf der Nordsee und plant, diese schrittweise bis auf 100 Megawatt auszubauen. Südkorea ist da schon einen Schritt weiter. Das Land errichtet derzeit eine schwimmende Offshore-Photovoltaikgroßanlage mit einer Gesamtleistung von 2,1 Gigawatt an der Südwestküste der koreanischen Halbinsel. Der erste Teil dieser umgerechnet 3,96 Milliarden US-Dollar teuren Anlage soll Presseberichten zufolge 2022 an das Netz gehen, der zweite Teil drei Jahre später. Indien, Thailand, Vietnam, Singapur und die Seychellen treiben ebenfalls Pilotprojekte voran. Die Europäische Kommission bescheinigt der Technologie ein vielversprechendes Potenzial für Küsten und küstennahe Gebiete, verweist aber auch darauf, dass sich existierende Anwendungen auf dem Meer überwiegend in der Forschungs- oder Demonstrationsphase befinden.
Biokraftstoffe aus Algen
Im frühen Entwicklungsstadium befinden sich auch technische Lösungsansätze, mit denen Biodiesel, Biogas und Bioethanol aus Großalgen hergestellt werden können. Das Potenzial dieser Ansätze aber sei vielversprechend, urteilt die Europäische Kommission und rechnet mit einer Marktreife einzelner Technologien bis zum Jahr 2030.
5.32 > Eine der schnellsten Meeresströmungen Schottlands treibt die Unterwasserrotoren des MeyGen-Strömungskraftwerkes an. In einer ersten Phase hat die Betreiberfirma vier Turbinen am Meeresboden installiert, die seit August 2018 rund 2600 Haushalte mit Strom versorgen. Weitere Turbinen sollen folgen.