An den Küsten Australiens konnten Forscher und Hobbytaucher in den zurückliegenden 25 Jahren beobachten, wie marine Hitzewellen zwei der artenreichsten, produktivsten und damit für uns Menschen auch bedeutendsten Ökosysteme der Meere massiv unter Druck setzen. Die Rede ist von tropischen Korallenriffen und Kelpwäldern – den Regenwäldern der Ozeane.
Tropische Korallenriffe bedecken weniger als 0,1 Prozent des weltweiten Meeresbodens. Nichtsdestotrotz beherbergen sie mindestens ein Viertel aller bislang bekannten Arten des Meeres. Diese Vielfalt resultiert daraus, dass Korallen im Zuge ihres Wachstums mitunter riesige Kalkstrukturen bilden, in deren vielen Höhlen, Gängen und Nischen wiederum Hunderttausende andere Meereslebewesen Nahrung und Schutz finden. Zu den Nutznießern der Riffe zählt aber auch der Mensch. Weltweit profitieren mehr als 500 Millionen Menschen aus 90 Ländern von den Ökosystemleistungen der Korallenriffe. Sie fischen in den Riffen, erholen sich beim Tauchen, leben vom Rifftourismus, vertrauen darauf, dass die Korallenbauten Wellen brechen und die Küsten schützen, oder verbinden kulturelle und spirituelle Werte mit ihnen.
Weltweit aber sterben die Korallenriffe. Mindestens die Hälfte von ihnen ist bereits verloren, aus regional unterschiedlichen Gründen. Setzte ihnen der Mensch zunächst durch unsachgemäße Fischerei, Überdüngung, Wasserverschmutzung und durch das Abholzen der Mangrovenwälder (fehlende Filterwirkung) zu, so leiden Korallen mittlerweile extrem unter den Folgen des Klimawandels. Kohlendioxidreiches Wasser erschwert ihnen den Bau ihrer Skelette oder droht, ihre Kalkfundamente zu zersetzen. Aufgrund abnehmender Durchmischung des Oberflächenwassers sowie küstennaher hypoxischer Zonen fehlt ihnen vielerorts der Sauerstoff zum Atmen.
Den größten Schaden aber richten Hitzewellen an, dabei mögen es tropische Korallen im Grunde warm. Sie gedeihen in Gewässern mit einer Wassertemperatur von 23 bis 29 Grad Celsius. Einige riffbildende Arten ertragen sogar Temperaturen von bis zu 40 Grad Celsius – allerdings nur für kurze Zeit. Sind die Tiere über eine längere Phase einer Wassertemperatur ausgesetzt, die über 29 Grad Celsius liegt (im Roten Meer liegt dieser Grenzwert etwas höher), geraten sie unter Hitzestress und entledigen sich ihrer Untermieter. Dabei handelt es sich um symbiotische Algen, sogenannte Zooxanthellen, die im Gewebe der Korallenpolypen leben, mithilfe der Photosynthese Zucker produzieren und ihrem Wirt davon einen beträchtlichen Teil abgeben. Verschwinden die Algen, fehlt den Korallen ihre wichtigste Nahrungsquelle. Sie werden anfällig für Krankheiten und verlieren zudem mit den Algen ihre Farbe, weshalb diese Hitzestressreaktion auch als Korallenbleiche bezeichnet wird.
Bleicht eine Koralle aus, stirbt sie nicht unmittelbar. Kühlt sich das Wasser binnen kurzer Zeit wieder ab, kehren die Algen zurück und die Kolonie erholt sich. Dauert die Hitzewelle jedoch länger an, verhungert die Koralle. Dieses Sterben beobachten Forscher weltweit immer häufiger, denn die Anzahl und Intensität mariner Hitzewellen steigt. Das Great Barrier Reef vor Australiens Ostküste wurde im Sommer 2019/20 zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren von einer lang anhaltenden Hitzewelle getroffen. Die daraus resultierende Korallenbleiche erstreckte sich erstmals über alle drei Teilregionen des Riffsystems und betraf so viele Kolonien wie nie zuvor. Der Klimawandel sei nun auch im kühleren, südlichen Teil des Riffes angekommen, schlussfolgerten australische Korallenexperten. Und da die Hitzewellen überall auf der Welt in immer kürzeren Abständen auftreten, bleibt den Korallen mittlerweile weniger Zeit, um sich vom Hitzestress zu erholen und abgestorbene Regionen wieder zu besiedeln. Das bekannteste Korallenriff der Welt ist demzufolge nur eines von vielen tropischen Korallenriffen auf der Welt, die weiter schrumpfen werden, solange die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nicht sinkt und sich die Wassertemperaturen nicht stabilisieren.
Abb. 2.32 > Die steigenden Wassertemperaturen verdrängen Warmwasserkorallen und Kelpwälder schon heute aus ihren angestammten Lebensräumen. Das Great Barrier Reef in Australien beispielsweise hat in den zurückliegenden 20 Jahren etwa die Hälfte seiner Korallen verloren. Erwärmt sich das Meer weiter, steigt der Temperaturdruck auf beide Gemeinschaften in einem solchen Maß, dass sie kaum noch Überlebenschancen haben.
Wie Korallenriffe bilden auch Kelpwälder dreidimensionale Strukturen im Meer, in denen zahllose andere Arten Schutz und ein Zuhause finden. Allerdings mögen die dichten Unterwasserwälder aus braunen Großalgen eher kühleres Wasser und wachsen daher vornehmlich in den gemäßigten und subpolaren Meeresgebieten. Sie besiedeln etwa ein Viertel aller Küsten der Welt und erfüllen dort elementare Funktionen. Kelpwälder entziehen dem Meer im Zuge ihres Wachstums große Mengen Kohlenstoff. Sie bremsen hohe Wellen aus, dienen als Laichgebiet für zahllose Fischarten und spielen eine wichtige Rolle beim Nährstoffrecycling im Meer. Ihr Wohlergehen hängt von vielen Faktoren ab: Dazu gehören das Sonnenlicht, das Nährstoffaufkommen und die Anzahl algenfressender Organismen (vor allem Seegurken und Fische). Ihr Verbreitungsgebiet allerdings wird hauptsächlich durch die Wassertemperatur bestimmt, weshalb die Kelpwälder der Welt seit Jahrzehnten enorme Veränderungen erfahren – in der nördlichen Hemisphäre ebenso wie in der südlichen.
An der Küste Japans zum Beispiel ziehen sich die Braunalgen seit den 1980er-Jahren allmählich Richtung Norden zurück; Ursache ist der wärmer werdende Strom Kuroshio. Beträgt seine Wassertemperatur 18 bis 20 Grad Celsius, sind algenfressende Fische wie der Papageifisch Calotomus japonicus besonders aktiv und fressen mehr Kelp, als von den Algen nachwachsen kann. Vor der Westküste Australiens wiederum genügte im Sommer 2010/11 eine marine Hitzewelle, um Kelpwälder auf einer Fläche von fast 1000 Quadratkilometern, 43 Prozent ihrer ursprünglichen Fläche, zu vernichten. Die nördliche Grenze ihres Verbreitungsgebietes verlagerte sich infolgedessen um 100 Kilometer Richtung Süden. In der gleichen Zeit wurden die einstigen Lebensräume der Großalgen von tropischen und subtropischen Meereslebewesen besiedelt; unter ihnen viele Weidegänger, die eine Erholung der Kelpwälder bis heute verhindern, indem sie so gut wie jeden Sprössling der Großalgen vertilgen.
Dieser vollständige Regimewechsel hat schwerwiegende Folgen für das Küstenökosystem und alle, die von ihm profitieren. Westaustraliens Fischerei- und Tourismusbranche beispielsweise setzen auf die Existenz der Kelpwälder. Wandern diese immer weiter Richtung Süden ab, sind nicht nur ökonomische Schäden in Milliardenhöhe zu erwarten. Viele der endemischen, das heißt nur im Kelpwald vorkommenden Arten werden außerdem lokal aussterben. Wo Kelpwälder verschwinden, sinken demzufolge die Artenvielfalt, die Menge des von Wasserpflanzen gebundenen Kohlenstoffs sowie die tierische und pflanzliche Biomasse insgesamt – eine Entwicklung, die sich nicht aufhalten lassen wird, solange die Meerestemperaturen steigen.