Jedes Jahr im Juni veröffentlichen Wissenschaftler der US-amerikanischen Meeresbehörde NOAA eine Vorhersage zur Größe der sogenannten Todeszone (englisch: dead zone), die sich im Laufe des Sommers im nördlichen Teil des Golfs von Mexiko bildet. Als Todeszone werden umgangssprachlich Meeresgebiete in Küstennähe bezeichnet, deren Wasser hypoxisch ist. Das heißt, es besitzt nur noch so wenig Sauerstoff, dass Fische und andere wasseratmende Meereslebewesen Atemnot bekommen und gezwungen sind, ihren Stoffwechsel enorm herunterzufahren oder aber – falls das nicht reicht – abzuwandern, sonst sterben sie. Wann genau das der Fall ist, unterscheidet sich von Art zu Art. Wissenschaftler verwenden lediglich Richtwerte und geben diese auch noch in unterschiedlichen Einheiten an – je nachdem, ob es sich um Küstengewässer oder aber um Zonen im offenen Ozean handelt. Wassermassen gelten in der Regel als hypoxisch, wenn sie pro Kilogramm Wasser weniger als 70 Mikromol Sauerstoff enthalten. Sinkt die Konzentration sogar unter 20 Mikromol, spricht man von sogenannten Minimumzonen mit extrem geringem Sauerstoffgehalt.
Hypoxische Zonen entstehen in der Regel dort, wo Flüsse übermäßig viele Mineralien und Nährstoffe in die Küstengewässer eintragen und auf diese Weise das Wachstum ein- und mehrzelliger Algen (Phytoplankton) antreiben. Oft kommt es dabei auch zu schädlichen Algenblüten. Sterben Algen ab, sinken die Überreste in tiefere Wasserschichten. Dort werden sie von Mikroben zersetzt, die dabei mehr Sauerstoff veratmen, als durch Frischwasser, Strömungen oder aber Wind und Wellen (Durchmischung mit Oberflächenwasser) hinzugefügt werden kann. Gleichzeitig geben die Mikroben aber jede Menge Kohlendioxid ab, wodurch der pH-Wert des Tiefenwasser sinkt. Das heißt, die Lebensbedingungen für Meeresorganismen in dieser Zone verschlechtern sich noch weiter.
Ein an Land verursachtes Problem
Den übermäßigen Nährstoffeintrag hat in erster Linie der Mensch zu verantworten. Seit dem Jahr 1950 hat sich die Weltbevölkerung nahezu verdreifacht. Dementsprechend gestiegen ist auch der Druck auf Landwirte, ausreichend Nahrungsmittel zu produzieren. Weltweit setzen Bauern heutzutage zehnmal mehr Dünger (vor allem Stickstoff und Phosphor) ein als noch vor 50 Jahren. Ein beträchtlicher Teil davon wird vom Regen davongewaschen und landet im Meer. Hinzu kommen oftmals ungeklärte Abwässer aus Städten und Gemeinden. Als Folge dieser Wasserverschmutzung ist die Nährstoffbelastung der Küstengewässer in den zurückliegenden Jahrzehnten so stark angestiegen, dass sich die Zahl der hypoxischen Zonen im Zeitraum von 1960 bis 2007 in etwa verdoppelt hat. Weltweit gibt es mittlerweile mehr als 500. Man findet sie nahezu überall: im Golf von Mexiko ebenso wie in der Ostsee, im Ostchinesischen Meer, entlang der britischen Küste sowie in Australien. Allein in den USA gibt es inzwischen 300 Gebiete, deren Sauerstoffkonzentration unter den für Fische kritischen Richtwert von 70 Mikromol pro Kilogramm Wasser fällt.
Viele von ihnen liegen in flachen Küstengebieten (weniger als 100 Meter Wassertiefe) und weisen verhältnismäßig schwache Strömungen auf, weshalb die Wassermassen relativ lange an Ort und Stelle verweilen. Unter solchen Bedingungen wachsen im Sommer nicht nur Algen sehr gut; es bildet sich auch eine sehr warme und stabile Deckschicht heraus, welche die Sauerstoffversorgung des Tiefenwassers erschwert. Durchbrochen wird diese stabile Schichtung nur, wenn Stürme die Küstengewässer aufwühlen und kräftig durchmischen. Im Golf von Mexiko etwa verhinderte Hurrikan Barry im Sommer 2019 die Ausbildung einer rekordverdächtig großen Todeszone. Fachleute wissen mittlerweile aber auch, dass die durchlüftende Wirkung eines Sturmes nicht lange anhält. Meist bilden sich schon innerhalb von einer Woche wieder jene Bedingungen heraus, unter denen die Küstengewässer Sauerstoff verlieren. Und je wärmer Luft und Meer sind, desto früher im Jahr stellen sich diese Bedingungen ein und desto länger bleibt die hypoxische Zone erhalten. Der Klimawandel begünstigt also die Entstehung solcher Zonen.
Abb. 2.18 > Die Verfügbarkeit von Sauerstoff entscheidet darüber, welche Lebensformen und -vielfalt in einem Gewässer möglich sind. Küstenforscher berechnen die Sauerstoffkonzentration in Milligramm pro Liter Wasser und wissen mittlerweile, ab welchen Schwellenwerten höheres Leben nach und nach verschwindet.
Kleiner Anteil, große Wirkung
Vergleicht man die temperatur- und zirkulationsbedingten Sauerstoffverluste des offenen Ozeans mit den Verlusten der Küstengewässer, so fallen Letztere rechnerisch kaum ins Gewicht. Ihr Anteil ist sogar so klein, dass globale Klima-Ozean-Modelle ihn bei der Berechnung des globalen Sauerstoffbudgets der Meere nahezu vernachlässigen. Die Folgen der küstennahen Todeszonen für die marinen Ökosysteme und den Menschen aber wiegen umso schwerer. Bewegliche Organismen wie Fischschwärme wandern ab oder verändern ihr Verhalten; sesshafte Bodenbewohner wachsen langsamer oder aber sterben. Das gesamte Nahrungsnetz fällt zumindest bis zum Ende des Sommers in großen Teilen in sich zusammen. Marines Leben, wie man es kennt, ist unter diesen Umständen kaum noch möglich. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen auch langfristige Veränderungen: In den betroffenen Küstenregionen sinken die Artenvielfalt und die Gesamtbiomasse; zudem verändert sich die Artenzusammensetzung. Alle drei Entwicklungen schaden vor allem der Fischerei.
Um dem Sauerstoffverlust in den Küstengebieten Einhalt zu gebieten, bedarf es vieler Maßnahmen. An erster Stelle steht die Reduktion der Nährstoffeinträge. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die Landwirtschaft und Tierhaltung entlang der Flussläufe umgestellt werden. Feuchtgebiete und Mangrovenwälder, die organische Partikel herausfiltern, bevor sie das Meer erreichen, müssen restauriert werden. Abwässer dürfen nur noch gründlich gereinigt eingeleitet werden. Dass sich solche koordinierten Maßnahmenpakete auszahlen, zeigt sich unter anderem in den Küstengebieten Nordwesteuropas. Nach Angaben der OSPAR-Kommission gibt es dort inzwischen weniger sauerstoffarme Zonen als noch in den Jahren 2001 bis 2005.
Sauerstoffgehalt
Der Sauerstoffgehalt des Meeres wird von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen in unterschiedlichen Maßeinheiten angegeben. Ozeanografen und Chemiker berechnen die Sauerstoffmenge in Mikromol pro Kilogramm Wasser; Biologen und Küstenforscher dagegen geben sie in Milligramm pro Liter Wasser an. Für Umrechnungen zwischen beiden Einheiten gilt: 1 Milligramm Sauerstoff pro Liter Wasser entspricht in etwa 30 Mikromol Sauerstoff pro Kilogramm Wasser.