Angesichts des zunehmenden Schiffsverkehrs in den Polarregionen hat die Internationale Seeschifffahrts-Organisation (IMO) neue Sicherheitsvorschriften verabschiedet. Sie sollen die Unfallgefahr bannen und Umwelt und Menschen in der Arktis und Antarktis vor den negativen Folgen des Schiffsverkehrs schützen. Die Regeln des sogenannten Polar Code (International Code for Ships Operating in Polar Waters) gelten seit dem 1. Januar 2017 für alle Schiffe, die im Arktischen Ozean oder dem Südpolarmeer operieren.
Das Regelwerk setzt verpflichtende Standards für (1) die Konstruktion eines Schiffes, (2) seine Sicherheitsausstattung, (3) seinen Einsatzbereich, (4) die Qualifikation der Besatzung, (5) mögliche Such- und Rettungseinsätze sowie für Umweltschutzvorkehrungen – und gilt zusätzlich zum Internationalen Übereinkommen von 1974 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (International Convention for the Safety of Life at Sea, 1974, SOLAS), welches bislang die Sicherheitsstands in der weltweiten Meeresschifffahrt regelte.
Gemäß Polar Code müssen alle in der Arktis und Antarktis tätigen Schiffe zum Beispiel mit technischen Anlagen ausgestattet sein, die ihnen jederzeit Zugriff auf aktuelle Wetter- und Eisdaten gestatten. Vorgeschrieben sind außerdem zusätzliche Kommunikationskanäle, auf die zurückgegriffen werden kann, wenn die Satellitenverbindung abreißen sollte; beheizbare Fenster für gute Sicht auf der Schiffsbrücke; Decksequipment, mit dem die Mannschaft Schnee und Eis entfernen kann (Hammer, Besen und so weiter), sowie Rettungsboote, die rundum geschlossen sind. Alle in der Arktis und Antarktis tätigen Schiffe müssen zudem einen warmen Überlebensanzug für jeden der Passagiere bereithalten und Feuerlöschinstrumente so lagern, dass ihnen die Kälte nichts anhaben kann und sie jederzeit einsatzbereit sind.
Beim Thema Umweltschutz verschärft der Polar Code die für alle Schiffe gültigen Regeln des internationalen Meeresschutzübereinkommens MARPOL (International Convention for the Prevention of Marine Pollution from Ships). So ist das Einleiten von Öl oder ölhaltigen Flüssigkeiten in den Polarregionen strengstens verboten. Alle Öltanker müssen mit einer Doppelhülle ausgestattet sein, um eine Ölleckage im Fall eines Unfalls zu verhindern. Darüber hinaus regeln strengere Vorschriften den Umgang mit Essensabfällen, Tierresten und sonstigem Müll. In den Polarregionen dürfen Essensabfälle nur unter bestimmten Bedingungen ins Meer entsorgt werden. Sämtlicher restlicher Müll muss gesammelt und verbrannt oder aber beim nächsten Hafenanlauf an Land entsorgt werden.
Die Schiffsbesatzungen müssen den Vorschriften zufolge ein spezielles Polartraining durchlaufen. Kapitäne, Steuerleute und Decksoffiziere brauchen zum Beispiel Schulungen zur Schiffsführung und zum Verhalten in Meeresgebieten mit Eis, bevor sie in den Polarregionen eingesetzt werden dürfen. Außerdem muss die Schiffsführung immer ein Handbuch parat haben, in dem genau beschrieben ist, wie das jeweilige Schiff in polaren Gewässern eingesetzt werden muss und darf. Darin vermerkt ist unter anderem auch die Polarklasse des Schiffes. Hierbei unterscheidet der Code zwischen drei Kategorien: Ein Klasse-A-Zertifikat erhalten Schiffe, deren Konstruktion den Einsatz in Gebieten erlaubt, deren Eisdecke aus mitteldickem einjährigem Meereis besteht, aber auch Einschlüsse von mehrjährigem Eis enthält (Polar-Eisklasse 1 bis 5). Schiffe der B-Klasse können eigenständig dünnes einjähriges Eis brechen, ohne dabei Gefahr zu laufen, Schaden zu nehmen (Polar-Eisklasse 6 und 7). Und Schiffe der Klasse C können in polaren Gewässern operieren, in denen keines oder nur sehr wenig Eis vorkommt (Schiffe mit Baltischer Eisklasse oder ganz ohne Eisverstärkung).
Die Initiatoren des Polar Code feierten das Inkrafttreten der neuen Sicherheitsauflagen als großen Erfolg. Schließlich hatte man das neue Regelwerk nahezu 20 Jahre lang erarbeitet und verhandelt. Umweltschützern aber gehen die Auflagen nicht weit genug. Zwar empfiehlt der Polar Code, weniger giftige Treibstoffe als Schweröl in der Arktis einzusetzen, er verbietet dessen Einsatz aber noch nicht. Eine entsprechende Regelung wird derzeit verhandelt. Rechtlich nicht bindend sind außerdem Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Ballastwasser und am Schiffsrumpf anhaftender Organismen. Auf diese Weise soll eigentlich verhindert werden, dass die Schiffe fremde Arten in die Arktis einschleppen.
Unberücksichtigt bleiben im neuen Regelwerk Themen wie Unterwasserlärm, Abgasemissionen und der Umgang mit sogenanntem Grauwasser. Gemeint sind Abwässer aus Duschen und Bädern an Bord eines Schiffes. Dieses Wasser enthält in der Regel jede Menge Chemikalien (Shampoo, Seife), Bakterien, Mikroplastikpartikel (Zahnpasta, Peeling) und andere Verschmutzungen. Kreuzfahrtschiffe beispielweise leiten einen großen Teil ihres Brauchwassers in das Meer ein. Nach Schätzungen der US-amerikanischen Umweltbehörde produziert ein normaler Schiffspassagier pro Reisetag zwischen 135 und 450 Liter Grauwasser. Dieses darf zumindest in den meisten Gebietes des Arktischen Ozeans direkt eingeleitet werden.
Umweltschützer kritisieren außerdem, dass das Regelwerk des Polar Code nicht für Fischkutter, Privatyachten mit weniger als zwölf Passagieren und kleinere Frachtschiffe mit einer Größe von weniger als 500 Bruttoregistertonnen gilt. Deren mögliches Schadenspotenzial für die Umwelt mag zwar nicht so groß sein, als wenn ein großer Öltanker havarieren würde. Dennoch: Fischkutter machen einen Großteil der in arktischen Gewässern verkehrenden Schiffe aus – und die Zahl der Privatyachten steigt zumindest im Bereich der Nordwestpassage stetig.
Abb. 5.26 > Obwohl der Polar Code noch nicht für Fischkutter gilt, bleibt zu hoffen, dass seine Auflagen zum Umgang mit Abfällen und Müll an Bord von Schiffen dazu beitragen werden, die Polarmeere vor einer zunehmenden Verschmutzung zu bewahren.