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Schelfeis und Ozean – eine Beziehung von Geben und Nehmen

Schelfeise kommen per Definition großflächig mit dem Meer in Berührung. Die Wassermassen des Südpolarmeers üben dabei einen entscheidenden Einfluss auf die Stabilität und Massenbilanz der ­Eisplatten aus. Ein Beispiel: Auf dem Konti­nen­tal­schelf des südlichen Weddell­meers, dessen Meeresboden sich landeinwärts neigt, fließt salzreiches, etwa minus 1,9 Grad Celsius kaltes Schelfwasser knapp über Grund bis zu tausend Kilometer weit unter das Filchner-Ronne-Schelfeis. Je weiter die Wassermassen dabei unter die Eisplatte gelangen, desto gefährlicher werden sie für das Eis. Denn mit jedem Meter, den das Wasser Richtung Küste zurücklegt, sinkt es tiefer hinab. Das heißt: Der Wasserdruck unter dem Schelfeis steigt, sodass der Gefrierpunkt des Wassers von minus 1,9 Grad Celsius auf minus 2,5 Grad Celsius sinkt. Diese Verän­derung hat zur Folge, dass das kalte Schelfwasser tief unter der Eisplatte nicht gefriert, sondern seine Restwärme an das Eis abgibt und noch weiter abkühlt. Aus diesem Wärmeverlust resultieren zwei Dinge: Zum einen entstehen unter dem Schelfeis die kältesten Wassermassen der Welt – das sogenannte Eisschelfwasser. Seine Temperatur beträgt am Anfang minus 2,5 Grad Celsius. Zum anderen schmilzt durch die Wärme des einströmenden Wassers das Schelfeis von unten (basales Schmelzen). Wo Eis schmilzt, wird wiederum Süßwasser freigesetzt, welches das superkalte Eisschelfwasser nun verdünnt. Seine Dichte nimmt ab. Es beginnt, an der Unterseite des Schelfeises entlang aufzusteigen. Das heißt, es wandert zurück zur Schelfeis­kante.
Auf dem Weg dorthin steigt der Gefrierpunkt des Eis­schelf­wassers durch den abnehmenden Druck kontinuierlich an. Infolge­dessen bilden sich im superkalten Eisschelf­wasser salzfreie Eiskristalle, die aufsteigen, sich an der Schelf­eis­unter­seite anlagern und dort festfrieren. Forscher bezeichnen dieses neue Eis als marines Schelfeis. Die restlichen Wasser­massen wandern weiter. Messungen an der Schelf­eis­kante haben ergeben, dass das Eisschelfwasser mit einer Temperatur von weniger als minus 2,2 Grad Celsius unter dem Schelfeis hervor­strömt und anschließend Teil des Antark­tischen Tiefen­wassers wird. Schelfeise und Ozean verbindet demzufolge eine starke Wechselwirkung. Während der Ozean die Dicke des Schelfeises reguliert, kühlt das Schelfeis die wandernden Wassermassen der Schelfmeere und treibt die thermohaline Zirkulation mit an.

Abb. 2.35 © nach Martin Künsting/Alfred-Wegener-Institut

Abb. 2.35 > Wenn im Weddellmeer Meereis gebildet wird, entsteht kaltes, salzreiches Schelfwasser, welches unter das Filchner-Ronne-Schelfeis gelangt und sich dort noch weiter abkühlt. Anschließend fließt es als superkaltes Eisschelfwasser den Konti­nen­talhang hinab.