Eines der ersten Insekten, die im Frühling durch die Tundra fliegen, ist die Arktische Hummel Bombus polaris. Im Gegensatz zu den meisten anderen Insekten macht ihr die kalte Frühlingsluft nicht viel aus, denn die Hummel hat Wege gefunden, sich warm zu halten, auch wenn sie als Insekt zu den wechselwarmen Organismen gehört. An sonnigen Tagen beispielsweise sitzen die Königin und ihre Arbeiterinnen zunächst für einige Zeit in der Sonne, um ihren Körper aufzuwärmen. Am schnellsten gelingt das, wenn die Tiere zum Sonnenbad in eine Blüte des Arktischen Mohns (Papaver radicatum) krabbeln. Dessen Blütenblätter sind kegelfömig angeordnet und lenken das Sonnenlicht wie kleine Spiegel in die Blütenmitte. Sollten Wolken die Sonne verdecken, schalten die Hummeln ihre körpereigene Heizung an. Das bedeutet, sie beginnen mit ihrem starken Flugmuskel zu zittern und erhöhen auf diese Weise ihre Körpertemperatur auf eine Mindestflugtemperatur von 30 Grad Celsius, selbst wenn die Umgebung deutlich kälter ist. Das dichte Haarkleid der Hummeln verhindert anschließend, dass die Tiere schnell wieder auskühlen.
Dank der Fähigkeit, ihre Körpertemperatur zu regulieren, kann die Arktische Hummel schon im Frühlingsmonat Mai auf Futtersuche gehen – also in einer Zeit, zu der die meisten anderen Insekten der Arktis noch vor Kälte erstarrt sind. Und die Hummel hat es eilig: Die Königin, welche als einziges Mitglied ihres Volkes den Winter überlebt hat, muss zunächst Pollen und Nektar sammeln, um zu Kräften zu kommen. Anschließend baut sie ein Nest in eine Erdhöhle und legt mit ihrer ersten Brut, aus der nur Arbeiterinnen schlüpfen, den Grundstein für ein neues Volk. Im Spätsommer legt sie ein zweites Mal Eier ab. Diesmal schlüpfen Drohnen (Männchen) und Hunderte Königinnen, von denen im Durchschnitt aber nur eine pro Volk den bevorstehenden Winter überstehen wird. Die alte Königin stirbt gemeinsam mit dem Rest ihres Volkes.
Bombus polaris kommt in den nördlichen Tundrengebieten Alaskas, Kanadas, Skandinaviens und Russlands vor und gilt als einer der wichtigsten Bestäuber in diesen Regionen. Außer ihr überlebt so weit nördlich des Polarkreises nur noch eine weitere Hummelart, die Bombus hyperboreus. Deren Königinnen entern gern die Nester der Arktischen Hummel und übernehmen diese. Sie legen ihre Eier darin ab und lassen die Arbeiterinnen der Bombus polaris die Kuckucksbrut pflegen.
Abb. 4.7 > Die Arktische Hummel Bombus polaris fliegt auch bei kühlen Temperaturen. Die dazu notwendige Körperwärme erzeugt das Insekt, indem es sich sonnt oder aber mit dem Flugmuskel zittert.