Der Abbau von mineralischen Rohstoffen im Ozean ist nicht neu. So fördern viele Staaten schon seit Jahrzehnten Sand und Kies aus dem Meer. Dieses Lockergestein wird für die Betonherstellung, als Füllsand auf Baustellen und in Häfen sowie im Küstenschutz für Strandvorspülungen benötigt. Wie viel Sand und Kies weltweit aus dem Meer entnommen werden, lässt sich nur schwer schätzen, weil die Daten nicht zentral erfasst sind. Als größter Markt für Sand und Kies aus dem Meer gilt Europa. Vor allem Sand ist gefragt. Nach Schätzung des Internationalen Rats für Meeresforschung (International Council for the Exploration of the Sea, ICES), der für den Meereslebensraum Nordatlantik zuständig ist, wurden in Europa im Jahr 2012 93,5 Millionen Kubikmeter Sand aus dem Meer entnommen, was in etwa dem Rauminhalt von 37 Cheops-Pyramiden entspricht. Den größten Anteil hatten die Niederlande mit rund 63 Millionen Kubikmetern. Allein 37 Millionen Kubikmeter wurden für Vorspü- lungen an der Nordseeküste und insbesondere auf den niederländischen Inseln benötigt. Damit werden in jedem Jahr Sandmassen ausgeglichen, die durch die Herbst- und Winterstürme an der Nordsee fortgespült werden. Ein Teil der jährlich verbrauchten Sandmenge wird für die Erweiterung des Seehafens Rotterdam genutzt. Der niederländische Verbrauch ist erstaunlich hoch, wenn man bedenkt, dass in den USA in jedem Jahr nur rund 57 Millionen Kubikmeter Sand aus dem Meer gewonnen werden. Hier wird dieser Sand fast ausschließlich für Küsten- und Strandvorspülungen verwendet.
Der zweitgrößte europäische Verbraucher von Sand aus dem Meer ist Großbritannien, das im Jahr 2011 fast 12 Millionen Kubikmeter Sand verbrauchte. Hinzu kommen knapp 7 Millionen Kubikmeter Kies. Sowohl Sand als auch Kies werden in Großbritannien zu 80 Prozent für die Betonherstellung genutzt, insbesondere in der Hauptstadt London und in Südengland. Andere Staaten bauen Sand und Kies nicht in diesem Maße regelmäßig ab. Allerdings werden in einzelnen Fällen große Mengen für Bauvorhaben benötigt. Beispiele sind der Ausbau des Flughafens in Hongkong oder des Seehafens in Singapur. Auch für den Bau künstlicher Inseln wie etwa The Palm vor Dubai wird Sand aus dem Meer benötigt, obwohl viel Wüstensand vorhanden ist. Das liegt daran, dass Sandkörner aus dem Meer rund gewaschen sind und sich damit besser für die Betonherstellung eignen als die eckigen Körner des Wüstensands. Meeressand und Meereskies kommen also vor allem dann zum Einsatz, wenn es an Land keine geeigneten Vorkommen gibt. Das ist auch in Südengland und in den Niederlanden der Fall. Allerdings ist der Abbau von Sand und Kies im Meer in der Regel teurer als der an Land, weshalb weltweit betrachtet meist terrestrische Lagerstätten bevorzugt werden. Sand und Kies werden mit Spezialschiffen gewonnen, die das Material mit einem großen Rohr vom Meeresboden saugen. Dieses Verfahren wird als Saugbaggern bezeichnet. Die Röhren haben eine Länge von bis zu 85 Metern und einen Durchmesser von bis zu 1 Meter. Die Baggergebiete sind in der Regel 3 Kilometer lang und einige Hundert Meter breit. Sand wird dabei mit 2 verschiedenen Verfahren abgebaut: erstens dem statischen Saugbaggern, bei dem das Schiff vor Anker liegt und den Sand an einer einzigen Stelle absaugt. Dabei entstehen Kuhlen von bis zu 10 Meter Tiefe. Beim zweiten Verfahren zieht das Schiff ein Rohr mit einem Schleppkopf hinter sich her und fährt in langsamer Fahrt eine Route durch das Baggergebiet ab. Dabei wird vom Meeresboden eine Sandschicht mit einer Dicke von 25 bis 50 Zentimetern abgesaugt. Seit Langem wird diskutiert, inwieweit der großräumige Sand- und Kiesabbau die Lebensgemeinschaften im Meer stört oder vernichtet. Die Fischereiindustrie in der Nordsee beispielsweise fürchtete, dass der Fischfang durch das Saugbaggern beeinträchtigt wird. Kritisiert wurde unter anderem, dass:
Seit Anfang dieses Jahrtausends hat man daher eine Reihe biologischer Studien durchgeführt, mit denen insbesondere die Auswirkungen auf die Meeresumwelt eingeschätzt wurden. Diese Forschungen zeigten, dass das Saugbaggern die Meeresgebiete tatsächlich beeinträchtigt, die Auswirkungen aber relativ kleinräumig sind. Eine englische Untersuchung etwa belegte, dass Gebiete, die 25 Jahre lang für den Sandabbau genutzt wurden, etwa 6 Jahre brauchen, um vollständig wiederbesiedelt zu werden. Wird in einem Areal nur kurzfristig oder gar einmalig gebaggert, stellen sich die ursprünglichen Verhältnisse nach 1 bis 2 Jahren wieder ein. Eine niederländische Studie kommt sogar zu dem Schluss, dass sich 2 Jahre nach dem Abbaggern für eine Aufspülung und Hafenerweiterung vor Rotterdam die Fischbiomasse im Baggergebiet sogar deutlich erhöhte. Woran das liegt, ist unklar.
Abb. 2.8 > Vor der niederländischen Insel Ameland fördert ein Saugbagger Sand vom Grund der Nordsee, mit dem der Inselstrand verbreitert werden soll. © Photo courtesy British Marine Aggregate Producers Association
Erwiesen ist andererseits auch, dass durch den Abbau die Zusammensetzung des Sediments verändert wird. Werden Kies oder grobkörniger Sand abgebaut, füllen sich die Flächen häufig mit feinerem Sand, der durch die Strömung herantreibt. In feinkörnigen Arealen wiederum leben andere Meeresbewohner als in grobkörnigen. Diese Veränderungen können Jahre anhalten. Allerdings wird in verhältnismäßig kleinen Gebieten von wenigen Quadratkilometern gebaggert. Von einer großen Veränderung des Lebensraums kann also nicht die Rede sein. Der Konflikt zwischen der Fischerei und der Sand- und Kiesindustrie wurde in Großbritannien dadurch entschärft, dass die Lizenzen für die Meeresgebiete heute nach dem Meeres- und Küstennutzungsgesetz (Marine and Coastal Access Act) vergeben werden, das 2010 in Kraft trat. Das Gesetz koordiniert und regelt erstmals die Raumplanung in den Gewässern Großbritanniens und die gemeinsame Nutzung durch Fischerei, den Tourismus, Windenergieunternehmen oder eben die Sand- und Kiesbranche. Bei der Vergabe der Gebiete soll unter anderem sichergestellt werden, dass diese weit genug von den Laichgebieten der Fische entfernt sind. Damit soll vermieden werden, dass der durch das Baggern aufgewirbelte Sand die Eier von Heringen und anderen Arten bedeckt und erstickt.
Abb.2.9 > Beim sogenannten Regenbogenverfahren wird das Sand-Wasser-Gemisch vom Schiff aus auf den Strand gepumpt. © Photo courtesy of the Eastern Solent Coastal Partnership, www.escp.org.uk
In manchen Ländern wird der Abbau von Sand und Kies sehr kritisch gesehen. In Südafrika etwa wird Dünensand an der Küste für die Bau-industrie gewonnen. Kritiker fürchten, dass die Küsten dadurch weniger gut geschützt sind, weil Dünen ein natürliches Bollwerk gegen die Meeresbrandung sind. In Indien protestieren Fischer gegen den Sandabbau an Stränden. Sie fürchten, dass durch die aufgewirbelten Schwebstoffe die Fische beeinträchtigt werden und die Fangmenge schrumpft. In Marokko wird Sand seit mehr als 10 Jahren illegal an den Stränden abgebaut, um ihn für die Betonherstellung in andere Länder zu verkaufen. Dadurch sind Strände an einigen Stellen bereits in Mondlandschaften verwandelt worden. Die Tourismusindustrie fürchtet Imageverluste und finanzielle Einbußen. Neben Sand und Kies könnte künftig noch eine andere mineralische Ressource in großem Stil aus dem Meer gewonnen werden: Phosphat. Phosphat wird insbesondere als Pflanzendünger in der Landwirtschaft benötigt. Es wird in enormen Ausmaß in Landlagerstätten beispielsweise in Westafrika oder Tunesien abgebaut und von dort in viele Staaten exportiert. Für weit entfernte Länder ist der Import und der lange Transport per Schiff relativ teuer, sodass diese Staaten auf Ressourcen im Meer vor der eigenen Küste zurückgreifen möchten. In Neuseeland soll Phosphat künftig auf dem Meeresrücken Chatham Rise vor der Ostküste abgebaut werden. Naturschützer laufen dagegen Sturm, weil sie fürchten, dass wichtige Lebensräume am Meeresboden zerstört werden. Die Befürworter argumentieren, dass die Abbaufläche im Vergleich zu dem Gebiet, das durch die Schleppnetzfischerei beeinträchtigt wird, verschwindend klein sei. Auch in Namibia und Südafrika hat eine Debatte um die Ernte von Phosphat im Meer begonnen. In Namibia machen sich Fischer Sorgen, dass durch den Meeresbergbau westlich von Walvis Bay Fanggründe des Seehechts zerstört werden. In Südafrika wiederum kritisieren Umweltschützer, dass die geplanten Abbaugebiete vor der Küste mit besonders schutzwürdigen, artenreichen und empfindlichen Ökosystemen in Berührung kommen, Vulnerable Marine Ecosystems (VME) genannt. Sie fordern, dass zunächst ausführliche Umweltverträglichkeitsstudien durchgeführt werden, ehe der Abbau beginnt.