Die wohl bekannteste durch Öl hervorgerufene Schädigung von Lebewesen ist die Verschmutzung des Gefieders von Wasservögeln. Die Verunreinigung führt dazu, dass dessen lebenswichtige Funktionen, Wasserabweisung und Wärmeisolierung, nicht mehr gewährleistet sind. Wenn größere Teile des Gefieders verschmutzt sind, kühlt der Vogel aus und stirbt. Ähnlich kann sich die Verölung des Fells von Meeressäugern auswirken. Verklebtes Fell isoliert nicht gegen kalte Luft und kaltes Wasser. Die Tiere werden geschwächt und können ebenfalls sterben.
Bei Pflanzen führt eine Verölung der Triebe dazu, dass der Gastransport von den Blättern zu den Wurzeln unterbrochen wird, sodass die Pflanze eingeht. Wasserfiltrierer wie Muscheln, aber auch Organismen wie Schnecken und Würmer, die ihre Nahrung vom Boden aufsammeln, nehmen Öl häufig mit der Nahrung auf. Die giftigen Kohlenwasserstoffe können sogar in den Nahrungsketten weitertransportiert werden, etwa durch Tiere, die ölverschmutzte Muscheln fressen. Vögel und Säugetiere verschlucken häufig Öl, wenn sie versuchen, ihr verunreinigtes Gefieder oder Fell zu reinigen. Weichhäutige Tiere wie zum Beispiel Fische und viele Wirbellose nehmen Erdölkohlenwasserstoffe hingegen hauptsächlich über die Haut und insbesondere die stark durchspülten Kiemen auf.
Die Erdölkohlenwasserstoffe können auf verschiedene Organismen ganz unterschiedlich wirken. Bei vielen Tieren werden vor allem das Wachstum und der Stoffwechsel beeinträchtigt. Studien zeigten, dass Hummer und Wattwürmer mit verminderter Nahrungsaufnahme reagierten. Miesmuscheln und Fische wiederum wuchsen unter dem Einfluss von Ölverschmutzungen schlechter. Immer wieder beobachtet man Verhaltensänderungen als Reaktion auf Verölungen. Robben zeigten ein ausgesprochen lethargisches Verhalten, was auf Nervenschädigungen durch das Einatmen flüchtiger Erdölkohlenwasserstoffe unmittelbar nach einem Ölunfall zurückgeführt wurde.
Auch die Fortpflanzung zahlreicher Meeresorganismen wird in Mitleidenschaft gezogen. So kann eine Vergiftung durch Öl zu genetischen Schäden führen: Bei Lachsen erhöhte sich nach einem Ölunfall die Sterblichkeit der Eier. Bei Heringen wiederum waren zahlreiche frisch geschlüpfte Nachkommen missgebildet. Auch für Mangrovenbäume konnte man nachweisen, dass sich mit der Konzentration bestimmter Kohlenwasserstoffe im Sediment die Zahl genetischer Mutationen erhöht. Häufig schädigen die toxischen Ölinhaltsstoffe auch die Reproduktionsorgane der Meeresorganismen. So erhöhte sich die Zahl steriler Muscheln im Jahr nach einem Ölunfall deutlich. Für Korallen konnte gezeigt werden, dass in chronisch ölverschmutzten Gebieten die Zahl der Nachkommen abnimmt.
Hinzu kommt bei vielen Meerestieren ein Orientierungsverlust, denn viele Organismen finden sich in ihrer Umwelt zurecht, indem sie feinste Konzentrationen bestimmter Substanzen wahrnehmen. Auf diese Weise sind sie in der Lage, Beute, Feinde oder Sexualpartner zu lokalisieren. Bei diesen natürlichen Substanzen handelt es sich um
biogene Kohlenwasserstoffe, deren molekularer Aufbau manchen Kohlenwasserstoffen aus Rohöl ähnelt. Gelangen durch einen Ölunfall große Mengen der fremden Kohlenwasserstoffe ins Wasser, sind die natürlichen Stoffe kaum mehr wahrnehmbar. Das erschwert die Suche nach einem Sexualpartner oder nach Nahrung erheblich.
4.17 > In der Bucht von San Francisco versucht sich ein Vogel vom Öl zu befreien, das das Containerschiff „Cosco Busan“ 2007 nach einer Kollision mit einem Brückpfeiler verloren hat. Unfälle wie dieser tragen mit zur chronischen Ölverschmutzung der Meere bei.
Abb. 4.17: © Frederic Larson/San Francisco Chronicle/Corbis