Auf einen Organismus in seinem Lebensraum wirken verschiedene Umwelteinflüsse, an die er in der Regel auch bei Schwankungen recht gut angepasst ist. Diese Anpassung der Lebewesen an die abiotischen Bedingungen ihres Verbreitungsgebiets, also die chemischen und physikalischen Gegebenheiten, hat über Tausende oder gar Millionen von Jahren, über evolutive Zeiträume stattgefunden. Stress entsteht, wenn diese Umweltvariablen vorübergehend oder dauerhaft deutlich außerhalb des Bereichs liegen, an den ein biologisches System (eine Zelle oder Art) angepasst ist. Derartige Stresssituationen können auf verschiedene Weise erzeugt werden:
- durch vorübergehende Schwankungen der abiotischen Bedin-gungen (zum Beispiel Jahreszeiten, Wetteranomalien);
- wenn im Wasser frei schwimmende Organismen, wie zum Beispiel planktische Larven, aus dem Zentrum des Lebensraums verdriften und sich an den Rändern des Verbreitungsgebiets ansiedeln, wo für sie keine optimalen Umweltbedingungen herrschen;
- wenn sich Klimazonen schneller verschieben, als sich die Arten evolutiv daran anpassen können.
Nicht immer sind Organismen Veränderungen schutzlos ausgeliefert. Sie können sich durchaus an neue Bedingungen anpassen und auf Stress reagieren. Eine Anpassung ist auf dreierlei Weise möglich. Am schnellsten, innerhalb von Tagen oder Wochen, wirkt die phänotypische Plastizität: Individuen stellen sich durch Veränderungen der Wuchsform, des Stoffwechsels oder der Ernährungsweise auf die neuen Gegebenheiten in ihrem Lebensraum ein. Das ist natürlich nur bis zu einem gewissen Grad möglich. Relativ schnelle Anpassungen über wenige Generationen sind auch über selektive Prozesse möglich: Sind in einer Population Genotypen, also Individuen mit bestimmten, nicht direkt sichtbaren, aber im Erbgut verankerten Eigenschaften, vorhanden, die mit den neuen Umweltbedingungen besser als andere Artgenossen zurechtkommen, so werden sich diese recht schnell durchsetzen. Die Leistungs- und Überlebensfähigkeit der Population ist somit gewährleistet. Evolutive Prozesse im klassischen Sinn, das zufällige Auftauchen einer Mutation, welche das Überleben in der sich verändernden Umwelt ermöglicht, werden bei vielen Arten mit langen Generationsdauern meist zu langsam sein, um mit den künftigen durch den Klimawandel verursachten Veränderungen in ihren Lebensräumen Schritt halten zu können.
5.1 > Verschiedene Umweltvariablen wirken sich unterschiedlich auf Organismen aus. So gedeihen viele Lebewesen am besten bei moderaten Temperaturen – dem sogenannten Zwischenoptimum (links). Wird es kälter oder wärmer, verschlechtert sich die Situation. Die Leistungsfähigkeit der Lebewesen nimmt ab. Anders verhält es sich im Fall des Extremoptimums: In einem sauberen Lebensraum funktioniert der Organismus optimal. Breiten sich Gifte im Lebensraum aus, nimmt die Leistung ab. In beiden Fällen erfährt das Tier oder die Pflanze Stress, der zum Tod führen kann. Hält der Stress länger an, kann die Art im betroffenen Gebiet sogar ganz aussterben.
© maribus (nach M. Wahl)