Der Wettstreit um die genetische Vielfalt der Meere
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WOR 7 Lebensgarant Ozean – nachhaltig nutzen, wirksam schützen | 2021

Wirkstoffe aus dem Meer

Wirkstoffe aus dem Meer - Abb. 7.3 Christian & Noe Sardet/Plankton chronicles

Wirkstoffe aus dem Meer

> Die Erwartungen sind riesig: Seit den ersten Erfolgen der marinen Natur- und Wirkstoffforschung hoffen Forschende darauf, im Erbgut der Meeresbewohner Lösungen für die drängendsten Probleme der Menschheit zu finden – angefangen von Arzneimitteln gegen bislang tödliche Krankheiten über Kosmetik für ewig junge Haut bis hin zu Rezepturen für umweltfreundliche Kleber und Anstriche. Die Entschlüsselung der Erbinformationen aber ist nach wie vor aufwendig, selbst wenn moderne Hochdurchsatzverfahren den Prozess enorm beschleunigt haben.

Eine beispiellose Vielfalt

Das Leben im Meer ist einzigartig und übertrifft die Artenvielfalt an Land um ein Vielfaches. Diese Diversität ist zum einen darauf zurückzuführen, dass sich das Leben auf der Erde vor 3,7 Milliarden Jahren zunächst im Meer entwickelte und erst im Anschluss das Land eroberte. Rückblickend betrachtet, blieb den Lebensgemeinschaften des Meeres etwa dreimal mehr Zeit, die vielen Nischen des Ozeans zu erobern und sich an die entsprechenden Umweltbedingungen anzupassen als den Pflanzen und Tieren an Land. Zum anderen waren Meereslebewesen von Anfang an gezwungen, sich an besonders extreme Lebensräume anzupassen. Tiefseebewohner beispielsweise müssen mit enormem Wasserdruck, gleichbleibend tiefen Temperaturen, wenig Nahrung und anhaltender Dunkelheit zurechtkommen. Leben sie dann auch noch an einer der vielen Hydrothermalquellen, kommen extreme chemische Belastungen hinzu – so zum Beispiel ein Kohlendioxidgehalt, der die Konzentration in unserer Atemluft um das 1000-Fache übertreffen kann.
Derart herausgefordert, hat das Leben im Meer im Lauf der Evolution eine breite Palette genialer Formen, Funktionen und Strategien entwickelt und die Informa­tionen zur Ausbildung dieser Eigenschaften im Erbgut der Meeresbewohner verschlüsselt. Schätzungsweise 2,2 Millionen verschiedene Tier-, Pflanzen- und Pilzarten leben heutzutage im Meer, etwa 230 000 von ihnen sind wissenschaftlich beschrieben. Die Zahl der Bakterien-, Archaeen- und Virenarten ist unbekannt. Man weiß aber, dass sie gemessen an ihrem Gewicht den Hauptteil des Lebens im Ozean ausmachen. Ein Tropfen Meerwasser kann bis zu 350 000 verschiedene Bakterienarten und andere Mikroorganismen enthalten.
Die genetische Vielfalt der marinen Tiere, Pflanzen und verschiedenen Mikroorganismen bildet den Grundstein des Lebens im Ozean. Sie beeinflusst zum Beispiel, wie viel Biomasse marine Lebensgemeinschaften produzieren, in welchem Ausmaß sie sich fortpflanzen und wie widerstandsfähig sie gegenüber Stressfaktoren sind. Arten mit großer genetischer Vielfalt sind fitter, passen sich schneller an Umweltveränderungen an und erholen sich schneller nach umweltbedingten Einbrüchen der Population. Auf ­diese Weise bestimmt der Genpool des Ozeans also mit, wie viel Nahrung und andere Dienstleistungen das Meer dem Menschen langfristig zur Verfügung stellen kann.

Quorum Sensing
Als Quorum Sensing wird ein bakterieller Kommunikationsprozess von Zelle zu Zelle bezeichnet, der von der Zelldichte abhängig ist und nur dann wirksam wird, wenn die Konzentration bestimmter Signalmoleküle, die von den Bakterien abgegeben werden, einen Schwellenwert im Medium überschreitet.­

Für Wissenschaftler stellt das Genom des Meeres – also die Gesamtheit aller Gene seiner Lebewesen sowie die vielen Informationen, die sie speichern – eine gigantische Bibliothek dar. In dieser suchen sie zum einen nach Informationen zur Entwicklung der marinen Lebewesen und ihrer Fähigkeiten, sich an ihren jeweiligen Lebensraum sowie dessen Veränderungen anzupassen. Im Genom verschlüsselt sind aber auch die Baupläne für die sogenannten Sekundärmetaboliten, die von besonderem Interesse für Chemiker und Molekularbiologen sind. Sekundärmetaboliten werden im Gegensatz zu Primärmetaboliten (zum Beispiel Nukleotide, Aminosäuren), welche dem Aufbau von lebenswichtigen Biomolekülen dienen (zum Beispiel DNA, Proteine), nicht als überlebenswichtig für den produzierenden Organismus angesehen. Sie können aber wichtige ökologische Funktionen haben.
Sekundärmetaboliten werden von marinen Tieren, Pflanzen, Pilzen, Bakterien, Archaeen und Viren für diverse Zwecke produziert. Sie dienen zum Beispiel als chemische Waffe für den Beutefang (marine Kegelschnecke der Gattung Conus), helfen aber auch bei der Kom­munikation zwischen Organismen mittels chemischer Signale (Quorum Sensing bei Bakterien) oder schützen vor extremen Temperaturen, UV-Strahlung, Krankheitser­regern, Bewuchs, aufdringlichen Nachbarn und Fressfeinden. Sekundärmetaboliten verbessern demzufolge spürbar die Leistungs- und Anpassungsfähigkeit und somit die Überlebenschancen mariner Organismen und entwickeln in der Regel – und das ist das Besondere an ihnen – schon in sehr kleinen Mengen eine enorme Wirksamkeit.
Meeresforschende der Fachrichtung Marine Naturstoffchemie und – damit eng verknüpft – der Marinen Biotechnologie widmen sich seit gut zwei Jahrzehnten der Erforschung mariner Sekundärmetaboliten und deren Nutzung durch den Menschen als marine Natur- oder Wirkstoffe. Die in diesem Forschungszweig arbeitenden Wissenschaftler untersuchen marine Organismen auf bioaktive – das heißt wirksame – Moleküle und Inhaltsstoffe, extrahieren diese, beschreiben ihre chemische Struktur, erkunden ihre Funktion und suchen nach möglichen kommerziellen Verwendungszwecken – angefangen von der Futter- und Lebensmittelindustrie über die Kosmetikherstellung bis hin zur Arzneimittelproduktion.
7.1 > Noch weiß die Wissenschaft zu wenig über die sogenannten Bakteriophagen: Viren, die auf Bakterien als Wirtszellen spezialisiert sind. Allein in einem Liter Meerwasser lassen sich zehn Milliarden von ihnen finden.
Abb. 7.1 Science Photo Library/Russell Kightley
Neben der molekularen Forschung untersuchen Biotechnologen, inwiefern sich Fischabfälle, Meeresalgen und Mikroorganismen als Naturprodukte für industrielle Zwecke nutzen ließen. Deutsche Wissenschaftler etwa testen derzeit, ob sich aus Großalgen essbare Lebensmittelverpackungen herstellen lassen. Diese könnten Plastikverpackungen und Einweggeschirr ersetzen und zudem mit bioaktiven Inhaltsstoffen angereichert werden, die das Lebensmittel haltbarer machen. Aus Fischresten wiederum lässt sich Collagen gewinnen, das vielfältig eingesetzt werden kann – als Nahrungsergänzungsmittel, als Mittel zur Wundheilung, als Zusatz in der Kosmetikproduktion sowie als Mittel gegen die Bildung von Biofilmen auf Oberflächen. Selbst in der Tinte von Oktopussen und Sepien vermuten Wissenschaftler wertvolle Wirkstoffe.
Die mögliche Anwendungspalette mariner Wirkstoffe ist so groß, dass Fachleute im Meer nach Lösungen für einige der größten Probleme der Menschheit suchen. Dazu gehören unter anderem:
  • die Bekämpfung bislang unheilbarer Krankheiten durch die Entwicklung neuer pharmazeutischer Wirkstoffe auf Basis mariner Wirkstoffe;
  • eine verbesserte Gesundheitsvorsorge, indem durch den Zusatz mariner Wirkstoffe Lebensmittel gehaltvoller, vitaminreicher oder verträglicher gemacht werden können;
  • die Entwicklung biologisch abbaubarer Ersatzstoffe für Plastik und andere erdölbasierte Materialien;
  • die Entwicklung umweltfreundlicher Antifouling-Anstriche, Klebstoffe und Biofilter nach dem Vorbild mariner Mikroorganismen;
  • die Entwicklung neuer Methoden zur umweltschonenden Reinigung des Meeres nach Chemie- oder Ölunfällen auf Basis mariner Naturstoffe;
  • die Entwicklung alternativer Energiequellen aus Naturstoffen, so zum Beispiel die Herstellung von Biotreibstoffen aus Algen.

Zusatzinfo Grundlagen der Genetik: So werden Erbinformationen verschlüsselt Zusatzinfo öffnen

Ihre Anfänge nahm die marine Biotechnologie in den 1930er-Jahren. Damals begann man, Carrageen und Polysaccharide (Vielfachzucker) aus Großalgen zu gewinnen und bei der Herstellung von Lebensmitteln und Kosmetikprodukten zu verwenden. Vier Jahrzehnte später, in den 1970er-Jahren, begannen Wissenschaftler intensiv nach Wirkstoffen in zumeist sesshaften Meereslebewesen wie Schwämmen und Nesseltieren, aber auch in Schnecken, Moostierchen und Manteltierchen zu suchen und diese zu extrahieren.
Mit der Forschung von damals aber ist die moderne Biotechnologie von heute kaum noch zu vergleichen: Neue Tiefseeforschungstechnik, moderne DNA-Sequenzierungs-, Replikations- und chemische Analyseverfahren sowie Fortschritte in der Bioinformatik haben den Forschungszweig revolutioniert und den Wissensfortschritt vervielfacht. Die marine Biotechnologie stellt heutzutage einen Hauptpfeiler der sogenannten Blauen Bioökonomie dar; das heißt, ganze Wirtschaftsbranchen haben sie als Grundlage. Experten sprechen von einer goldenen Ära und schätzen, dass im Jahr 2025 weltweit pharmazeutische und chemische Produkte im Wert von 6,5 Milliarden US-Dollar gehandelt werden, deren Ursprung auf die genetische Vielfalt der Meere zurückzuführen ist.

Abb. 7.3 Christian & Noe Sardet/Plankton chronicles

7.3 > Quallen, Salpen, Krebstierchen, Würmer, Algen und Tausende andere Planktonarten haben Forschende auf der Tara Oceans Expedition (2009 bis 2013) an mehr als 210 verschiedenen Stationen aus dem Meer gefischt. Ihr Erbgut wird nun mit modernen Hochdurchsatzverfahren analysiert.

Neue Technologien revolutionieren die Forschung

Die Gesamtheit der Gene eines Lebewesens zu entziffern, gelang erstmals im Jahr 1995. Damals wurde die vollständige Genomsequenz des Bakteriums Haemophilus influenzae veröffentlicht. Nur sechs Jahre später entschlüsselten Forschende die Genomsequenz des Menschen nahe­zu vollständig. Diese bestand aus circa drei Milliarden Buchstaben (Nukleotiden) und weckte bei vielen Experten die Hoffnung, endlich den Schlüssel zum Verständnis des komplexen menschlichen Organismus in der Hand zu halten.
Schon wenig später wurde jedoch deutlich, dass die Entzifferung der Genomsequenz eines Lebewesens nur der erste große Schritt ist. Die Ausprägung der Gene hängt nämlich von zahlreichen Umweltfaktoren sowie dem komplexen Wechselspiel der Gene untereinander und mit der Umwelt ab. Zur Aufklärung dieser vielen Zusammenhänge nutzen Fachleute heutzutage bioanalytische Hochdurchsatzverfahren, die sogenannten Omics-Technologien. Diese weitestgehend automatisierten Verfahren erlauben die parallele, umfassende Untersuchung von Biomolekülen einer biologischen Probe in relativ kurzer Zeit und sind nach den jeweiligen Biomolekülen benannt (Genomik, Transkriptomik, Proteomik, Metabolomik). Das heißt, mit ihrer Hilfe sequenzieren Wissenschaftler nicht nur die vollständige genetische Information eines Lebewesens (Genom), sondern können auch die Gesamtheit aller zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zelle vorliegenden RNA-Moleküle (Transkriptom), Proteine (Proteom) oder Metaboliten (Metabolom) entschlüsseln.
Diese genetischen Baupläne werden in digitaler Form in Gendatenbanken gespeichert und können mithilfe von Computeralgorithmen analysiert und hinsichtlich ihrer Funktionen untersucht werden. Meeresforscher identi­fizieren mithilfe der Hochdurchsatz-Gen(om)-Sequenzierungsverfahren nicht nur eine Vielzahl mikroskopisch kleiner Arten, die man bislang in Wasserproben stets übersehen hat. Sie erhalten auch tiefe Einblicke in die molekularen Grundlagen vieler Lebensprozesse und verstehen mehr und mehr, was alles geschehen muss, damit ein Organismus auf die für ihn typische Art und Weise leben und funktionieren kann. Dieses Wissen versetzt sie dann in die Lage, bestimmte Prozesse oder Baupläne zu kopieren oder aber Gensequenzen umzuschreiben, sodass zum Beispiel ausgewählte Bakterienarten in die Lage versetzt werden, eine Vielzahl von medizinisch wirksamen Substanzen zu produzieren, welche anschließend für die Herstellung von Medikamenten verwendet werden.

Zusatzinfo So funktioniert die Genschere CRISPR/Cas9 Zusatzinfo öffnen

Soll die Erbinformation eines Lebewesens gezielt verändert werden, nutzen Wissenschaftler dafür die sogenannte Genschere CRISPR/Cas9. Mit ihr können sie das Erbgut von Zellen nach Wunsch bearbeiten. Das heißt, sie können Gene gezielt ausschalten, sie verändern oder sogar ersetzen. Methoden wie diese nennt man in der Fachsprache Genome Editing. CRISPR/Cas9 funktioniert bei tatsächlich allen Zellen und allen Organismen, beim Menschen ebenso wie bei Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen. Gemeinsam eingesetzt, bieten Omics-Technologien und Genschere Wissenschaftlern demzufolge nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, die genetischen Ressourcen des Meeres zu nutzen oder durch gezielte Modifikationen der Erbsubstanz nutzbar zu machen.
Diese neuen technischen Möglichkeiten wecken Begehrlichkeiten. Je besser der Genpool des Meeres verstanden wird, desto häufiger melden Biotechnologie-unternehmen Patente auf potenziell nützliche genetische Informationen an und sichern sich auf diese Weise das exklusive Nutzungsrecht für eine bestimmte Zeit. Als Wissenschaftler im Oktober 2017 recherchierten, wie viele Patente sich mittlerweile um Meeresorganismen und deren Erbsubstanz drehen, zählten sie 862 betroffene Arten und rund 13 000 genetische Sequenzen, deren Nutzung patentrechtlich geschützt war. Die Palette der gelis­teten Arten reichte dabei von Meeresgiganten wie dem Pottwal (Physeter macrocephalus) und dem Riesenmanta (Manta birostris) über Fische und Muscheln bis hin zu Winzlingen wie Archaeen und Plankton. 91 der gelisteten Arten stammten aus der Tiefsee, insbesondere aus Lebensgemeinschaften an Hydrothermalquellen.
7.5 und 7.6 > Im Oktober 2017 recherchierten Wissenschaftler, wie viele Patente bis zum damaligen Zeitpunkt auf Erbinformationen von Meeresorganismen angemeldet waren. Sie zählten rund 13 000 genetische Sequenzen von insgesamt 862 Meeresarten, deren Nutzung patentrechtlich geschützt war.
Abb. 7.5 nach Blasiak et al., 2018

 

Abb. 7.6 nach Blasiak et al., 2018
Die in der Studie erfassten Patente waren von insgesamt 221 Unternehmen angemeldet worden. Fast die Hälfte der Patente entfiel jedoch auf einen einzigen Großkonzern, den deutschen Chemiegiganten BASF, obwohl BASF selbst keine Meeresforschung betreibt. Der Großkonzern und seine Tochterunternehmen durchsuchen stattdessen die öffentlichen Gendatenbanken nach vielversprechenden Sequenzen und überprüfen deren kommerzielles Potenzial. Die Analyse zeigte außerdem: Die Mehrheit der Patentansprüche wurde von Institutionen aus nur 30 Ländern und der Europäischen Union erhoben. Die restlichen 165 Staaten der Welt tauchten in der Statis­tik quasi nicht auf.
Die große Vielfalt der Meeresbewohner führt dazu, dass wirklich jede Art genetische Informationen besitzt, die sich auf die eine oder andere Art möglicherweise kommerziell nutzen ließen. Biotechnologen und Chemiker suchen derzeit vor allem nach bioaktiven Molekülen, die sich als pharmazeutische Wirkstoffe, als Nahrungsergänzungsmittel, als Düngemittel oder Energieträger, als Rohstoff für die Kosmetikherstellung sowie für verschiedene andere industrielle Anwendungen verwenden lassen.

Medizin aus dem Meer

Die Erfolgsgeschichte der Medizin aus dem Meer begann im Jahr 1945. Damals tauchte ein junger Chemiker namens Werner Bergmann vor der Küste Floridas und entdeckte einen unscheinbaren, bis dato unbekannten braunen Schwamm im Flachwasser. Ein Kollege Bergmanns beschrieb den karibischen Schwamm wissenschaftlich und gab ihm den lateinischen Namen Cryptotethya crypta, heute auch bekannt als Tectitethya crypta. Werner Bergmann selbst extrahierte aus dem Schwamm zwei bis dahin unbekannte organische Stoffe – Spongothymidin und Spongouridin.
Der Chemiker vermutete damals schon, dass diese Stoffe eines Tages in der Medizinforschung nützlich sein könnten. Wie richtig er damit lag, wurde insbesondere im Jahr 1987 deutlich, als die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel (U.S. Food and Drug Administration, FDA) das erste Medikament gegen die Immunschwächeerkrankung HIV zuließ. Das Medikament hieß Azidothymidin (AZT) und war in seinem Aufbau jenen beiden Stoffen nachempfunden, die Werner Bergmann mehr als 40 Jahre zuvor aus dem Schwammgewebe extrahiert hatte. Bereits zwei Jahre nach seiner Zulassung war AZT zum teuersten Medikament der Welt aufgestiegen. Patienten zahlten damals bis zu 8000 US-Dollar pro Jahr, was der Herstellerfirma einen Jahresgewinn von mehr als 100 Millionen US-Dollar einbrachte.
7.7 > Alle Meeresorganismen besitzen genetische Informationen, die sich möglicherweise nutzen lassen. Diese Tabelle zeigt einige der am intensivsten beforschten Organismengruppen, mögliche Anwendungsbereiche ihrer Wirkstoffe oder Extrakte sowie die größten Herausforderungen auf dem Weg zu einer industriellen Nutzung.
Tab. 7.7 nach Rotter et al., 2021
Nach dem Vorbild Bergmanns haben Forschende bis heute rund 34 000 verschiedene Sekundärmetaboliten in Meereslebewesen entdeckt, von denen viele für die Pharmaforschung von besonderem Interesse sind. Sie töten zum Beispiel Bakterien oder Viren, bekämpfen Krebs­tumore und Pilzerkrankungen, stärken das Immunsystem, hemmen Entzündungen und Diabetes, senken die Gefahr einer Herzerkrankung oder aber schützen einen Organismus vor UV-Strahlung. Chemiker und Pharmakologen, die mit Wirkstoffen aus dem Meer arbeiten, entwickeln mittlerweile 2,5-mal so viele neue Medikamente wie im Industriedurchschnitt.
Häufig stellen sie dabei synthetische Kopien der natürlichen Wirkstoffe her. Auf diese Weise kann nicht nur eine gleichbleibende Qualität des Wirkstoffs garantiert, sondern die Substanz auch in ausreichend großer Menge produziert werden. Beides sind Grundvoraussetzungen für eine industrielle Anwendung, welche die Originalsubstanzen in der Regel nur selten erfüllen. Die Sekundärmetaboliten kommen meist nur in so geringen Mengen in den jeweiligen Meeresorganismen vor, dass zum Beispiel mehrere Tonnen einer auserwählten Schwamm-, Schnecken- oder Algenart gefangen oder geerntet werden müssten, um wenige Gramm Wirkstoff zu gewinnen. Und selbst dann wäre nicht garantiert, dass die eingesammelten Exemplare den gesuchten Wirkstoff auch wirklich enthalten. Dessen Produktion hängt nämlich häufig von der Jahreszeit und dem Zusammenspiel der diversen Umweltbedingungen vor Ort ab. Nur ein paar Meter weiter oder ein paar Wochen später im Jahr können diese Bedingungen schon ganz anders aussehen und die Zielorganismen auch gut ohne den speziellen Wirkstoff auskommen.
Abb. 7.8 Timothy Fadek/Redux/laif

7.8 > Das blaue Blut des Atlantischen Pfeilschwanzkrebses (Limulus polyphemus) wird seit den 1970er Jahren als Reinheitstest für neue Impfstoffe benutzt.
Es enthält Abwehrzellen, die besonders empfindlich auf giftige Bakterien reagieren. Sind neue Impfstoffe mit diesen kontaminiert, attackieren die Zellen die Bakterien und bilden Klumpen. Gut für die Tiere: Mittlerweile gibt es eine synthetische Alternative zu ihrem Blut.
Aus demselben Grund ist es auch eine große Herausforderung, Meeresorganismen für eine gezielte massenhafte Wirkstoffproduktion zu kultivieren. Versuche, Schwämme für die Wirkstoffproduktion in Aquakultur zu halten, sind schon mehrfach fehlgeschlagen. Und selbst in modernen Laboren lassen sich die komplexen natürlichen Lebensbedingungen des Meeres nur unzureichend simulieren. Zwar gibt es Fortschritte – unter anderem bei der Kultivierung von Mikroalgen, deren Sekundärmetaboliten bei der Entwicklung von Antibiotika und Krebsmitteln eventuell nützlich sein könnten. Dennoch gelten immer noch mehr als 85 Prozent aller Mikroorganismen als nicht kultivierbar.
Mittlerweile haben Wissenschaftler auch eine Erklärung dafür, warum gerade Schwämme, Nesseltiere und andere am Meeresboden lebende Weichtiere eine so besonders hohe Vielfalt mariner Wirkstoffe besitzen. Einmal fest am Boden verankert, können diese meist sehr lang­lebigen Tiere kaum mehr fliehen – weder vor aufdringlichen Nachbarn, die sie überwuchern wollen, noch vor Fressfeinden, lästigen Pilzen oder Algen. Die festsitzenden Tiere benötigen deshalb wirkungsvolle Abwehrstoffe. Bei deren Produktion werden sie tatkräftig unterstützt – von hoch spezialisierten Mikroorganismen, mit denen sie in enger Symbiose leben. Aus diesem Grund überrascht es heutzutage auch keinen Forschenden mehr, wenn sich herausstellt, dass Sekundärmetaboliten, die in Gewebeproben eines Schwammes oder eines anderen Weichtieres gefunden wurden, eigentlich einen bakteriellen Ursprung haben.
In manchen Fällen nehmen Meereslebewesen die Sekundärmetaboliten aber auch mit der Nahrung auf. Der Antitumorwirkstoff Kahalalide F beispielsweise wird, wie man heute weiß, von der Alge Bryopsis spp. hergestellt – allerdings in ausgesprochen geringer Konzentration. Gefunden aber haben Wissenschaftler diesen Wirkstoff einst in der Meeresschnecke Elysia rufescens. Sie frisst Bryopsis-Algen und reichert den Wirkstoff in ihrem Körper an. Dessen Konzentration im Schneckengewebe ist mitunter um bis zu 5000-mal höher als in den Algen.
Seit der Markteinführung des antiviralen Medikamentes AZT im Jahr 1987 hat die US-amerikanische Behörde für Lebens- und Arzneimittel insgesamt 13 Medikamente mit Wirkstoffen aus dem Meer zugelassen; weltweit gibt es 17 zugelassene Arzneimittel (Stand: März 2021). Die AZT-Vorbilder Spongothymidin und Spongouridin beispielsweise führten zur Entwicklung der beiden Wirkstoffe Vidarabin and Cytarabin, die bei der Behandlung von Blutkrebs und viralen Infektionen eingesetzt werden. Aus dem Mangroven-Manteltier Ecteinascidia turbinata extrahierten Forschende den natürlichen Wirkstoff Ecteinascidin 743, auch bekannt als Trabectedin. Ein Nachbau dieses Wirkstoffes ist im Medikament Yondelis enthalten, welches zur Behandlung von Krebstumoren eingesetzt wird.
7.9 > Die Ostseebraunalge Fucus vesiculosus enthält 44 wirkungstechnisch interessante Komponenten. Deren Menge oder Konzentration aber schwankt im Lauf der Jahreszeiten. Manche Wirkstoffe produziert die Alge vor allem im Winter, andere dagegen fast nur im Sommer.
Abb. 7.9 Science Photo Library/Nick Veasey
Derzeit befinden sich 23 weitere Medikamente aus marinen Wirkstoffen in der klinischen Testphase. Für 313 Wirkstoffe aus dem Meer laufen vorklinische Untersuchungen, so etwa auch für acht Anti-Malaria-Wirkstoffe aus dem Meer. Fast zwei Drittel aller neuen marinen Naturstoffe werden mittlerweile aus Mikroorganismen gewonnen, was ihre zunehmende Bedeutung für die Biotechnologieforschung unterstreicht. Experten sprechen angesichts dieser Statistiken von einer Erfolgsgeschichte der marinen Biotechnologieforschung. Normalerweise müssen Forschende rund 15 000 verschiedene Sekundärmetaboliten extrahieren, aufreinigen, identifizieren und hinsichtlich ihrer biologischen Aktivität untersuchen, um darunter den einen Wirkstoff zu finden, welcher am Ende als Medikament zugelassen wird. Die Erfolgsquote der Meeresforscher liegt bei 17 Zulassungen aus 34 000 Sekundärmetaboliten. Nichtsdestotrotz ist die Entwicklung von Arzneimitteln aus Naturstoffen ein sehr teurer und langwieriger Prozess. Bis ein Medikament zugelassen wird, vergehen in der Regel 15 bis 20 Jahre.
Das kommerzielle Interesse an genetischem Material aus dem Meer wächst dennoch stetig. Die industrielle Forschung an Naturstoffen wird allerdings vor allem von mittleren und kleineren Pharmafirmen vorangetrieben. Trotz des immensen Potenzials vor allem mariner, aber auch terrestrischer Naturstoffe haben die meisten Großkonzerne ihre Naturstoff-Forschungsabteilungen in den 2000er-Jahren zugunsten sogenannter „blockbuster drugs“ geschlossen. Diese versprachen schnelle und hohe Ge-winne durch große Marktanteile. Großkonzerne verfolgen heute oft die Strategie, die Fortschritte der forschenden Unternehmen genau zu verfolgen und diese meist kleineren Firmen aufzukaufen, sobald sie erste vielversprechende Ergebnisse vorweisen können. Würden die Großkonzerne direkt in die Grundlagenforschung inves­tieren, wäre die Ausbeute der Pharmakologen und Chemiker mit Sicherheit noch ein ganzes Stück größer.

Verwendung in der Kosmetikproduktion

Aufgrund ihrer vielfältigen positiven Eigenschaften werden marine Naturstoffe gern und häufig in der Kosmetikherstellung eingesetzt. Oft stammen diese dabei von Bakterien, Mikroalgen und Pilzen aus dem Meer. Im Handel befinden sich aber auch Produkte mit Wirkstoffen aus Großalgen, Fischen und Korallen. Besonders interessiert sind die Hersteller an Substanzen wie:
  • Aminosäuren, die marine Organismen nahe der Meeresoberfläche vor hoher UV-Strahlung schützen. Die Kosmetikindustrie bewirbt sie häufig als Anti-Aging-Wirkstoffe;
  • sogenannte Exopolysaccharide; dabei handelt es sich um Vielfachzucker, die von verschiedenen Mikroorganismen ausgeschieden werden. Als Kosmetik angewendet, erhöhen sie den Feuchtigkeitsgehalt der Haut;
  • Carotinoide (fettlösliche Pigmente) und Polyphenole (sekundäre Pflanzenstoffe), die antioxidativ oder entzündungshemmend wirken, den Alterungsprozess der Haut bremsen und sie widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse machen;
  • Enzyme und Peptide, welche die Collagenlager in der Haut schützen und auf diese Weise ebenfalls die Hautalterung verlangsamen.
Breite Verwendung in der Kosmetikindustrie finden zum Beispiel die Alginate (Salze der Alginsäure) sowie das Polysaccharid Fucoidan aus Braunalgen, Chitin aus dem Körperpanzer von Garnelen, Pulver aus Austernschalen, Carrageen aus Rotalgen sowie Collagen und Gelatine, extrahiert aus Quallen und Fischen. Die Hersteller nutzen aber auch Extrakte aus Mikroalgen, Pilzen, Weichkorallen und Tiefseemikroorganismen, um Produkte zu kreieren, welche die Faltenbildung verhindern, der Haut Feuchtigkeit spenden und ihren Alterungsprozess verlangsamen sollen. Trotz der hohen Produktvielfalt gehen Wissenschaftler davon aus, dass die Kosmetikindustrie längst noch nicht alle Wirkstoffe des Meeres kennt und nutzt. Es gebe noch jede Menge Spielraum für neue Entdeckungen, heißt es aus der Wissenschaft.

Marine Naturstoffe als Nahrungs- und Futterzusatz

Ihre Funktionsvielfalt macht Naturstoffe aus dem Meer zu einem beliebten Zusatz in der Lebensmittel- und Futtermittelproduktion. Chemische Komponenten, gewonnen aus Fischabfällen, Mikro- und Großalgen, marinen Bakterien und Pilzen, werden in der Industrie als natürliche Konservierungsstoffe, Pigmente, Stabilisatoren, Verdickungs- und Bindemittel, als Nahrungsergänzungsmittel sowie als Präbiotika eingesetzt. Nahrungsmitteln mit bioaktiven Zusätzen wird eine breite Palette gesundheits­fördernder Wirkungen nachgesagt. Außerdem nutzen Lebensmittel- und Getränkehersteller kalt-aktive Enzyme aus Meeresorganismen bei der Produktion hitzeempfindlicher Produkte. Diese Enzyme verhindern zum Beispiel temperaturbedingte Veränderungen eines Produktes hinsichtlich seines Geruches, seines Geschmacks, seines Aussehens und seiner Haptik. Sogenannte Frostschutzproteine wiederum werden eingesetzt, um die Qualität tief­gefrorener Lebensmittel zu verbessern. Sie unterbinden die Bildung von Eiskristallen und werden unter anderem von im Meereis lebenden Algen produziert, die auf diese Weise sicherstellen, dass sie den langen polaren Winter unbeschadet überstehen.
Hersteller von Fischfutter suchen derzeit dringend nach Alternativen für Fischmehl und Fischöl und könnten bei Mikroalgen fündig werden. Ausgewählte Arten produzieren nicht nur die essenziellen Fettsäuren, die zwar lebenswichtig sind, aber nicht vom Menschen selbst hergestellt werden können, sondern auch Aminosäuren, die für Gesundheit und gutes Wachstum der Zuchtfische benötigt werden. Außerdem sind Mikroalgen die Hauptfutterquelle für Salzwasserkrebse (Artemia), Rädertierchen (Rotifera) und Ruderfußkrebse (Copepoda), die wiederum als Lebendfutter für die Fischlarven benötigt werden. Forschende arbeiten daran, die Mikroalgen zu optimieren. Sie sollen so viele essenzielle Fett- und Aminosäuren herstellen, dass sowohl das Zooplankton als auch im nächsten Schritt die Fischlarven bestmöglich wachsen können.

Einsatzmöglichkeiten in der Landwirtschaft

Für eine Anwendung in der Landwirtschaft kommen in erster Linie Meeresalgen infrage. Forschende untersuchen derzeit ihre Eignung als Dünge- und Futtermittel sowie als Rohstoff für die Biogasproduktion, welches wiederum als Treibstoff (Bioethanol) oder aber zur Stromproduktion eingesetzt werden kann. Kleinbauern in vielen Küstenregionen nutzen seit jeher angespülte Großalgen als natürlichen Bodenoptimierer. Regelmäßig ausgebracht, verbessern die Algen die Bodenstruktur sowie den Humus- und damit Nährstoffgehalt des Erdreiches. Dennoch sehen Wissenschaftler Verbesserungsbedarf. Sie haben unter anderem die Hoffnung, dass durch eine kontrollierte Kompostierung der Algen ihre spätere Nährstoffabgabe an den Boden und die darin wachsenden Nutzpflanzen beschleunigt werden könnten. Wenn dies gelänge, könnten kom­postierte Großalgen konventionelle Düngemittel ersetzen. Infrage kämen für eine solche Verwendung eventuell die riesigen Mengen der Braunalgengattung Sargassum, die das Meer inzwischen in der Karibik regelmäßig an die Küsten der Inseln und Anrainerstaaten spült. Wenn die Algenteppiche im Brandungsbereich verrotten, schaden sie nicht nur der Tourismusindustrie; die freigesetzten Nährstoffe überdüngen auch die empfindlichen Küsten­ökosysteme und setzen den Korallenriffen mächtig zu. Großalgen werden aber auch teilweise als Nahrung von Nutztieren akzeptiert. Einen besonderen Fall stellen in dieser Hinsicht sicher die Schafe auf der Orkneyinsel North Ronaldsay dar, deren Hauptnahrungsquelle Algen sind.
7.10 > Auf der schottischen Orkney-insel North Ronaldsay ernährt sich eine Schafrasse nahezu ausschließlich von Seegras und Tang, die das Meer an die Felsküste spült – oder die bei Ebbe für die Tiere erreichbar sind.
Abb. 7.10 mauritius images/Paul Glendell/Alamy
Großes Potenzial steckt aber auch in Mikroalgen und Cyanobakterien. Sie produzieren sogenannte Biostimulatoren, die das Wachstum, die Entwicklung und die Widerstandsfähigkeit von Nutzpflanzen wie Getreide fördern. Zu diesen Biostimulatoren gehören Vielfachzucker, Mineralien, Vitamine, Öle, Fette, Säuren, Pigmente und Hormone. Extrakte aus Mikroalgen werden daher zunehmend als Biodünger in der Landwirtschaft eingesetzt.
Aus dem Panzer der Eismeergarnele (Pandalus borealis) wiederum wird Chitin extrahiert und daraus Chitosan hergestellt. Chitosan bindet Fette und Schwebstoffe und wird deshalb nicht nur in Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmitteln verwendet, sondern auch bei der Wasseraufbereitung in Kläranlagen sowie in der Getränkeindustrie vielfältig und großtechnisch eingesetzt. In der Landwirtschaft kann Chitosan als Ummantelung für Düngemittel, Pestizide, Insektizide und Herbizide dienen und aufgrund seiner Eigenschaften sicherstellen, dass die Nährstoffe oder Giftstoffe kontrolliert an den Boden ab­gegeben werden. Mit Chitosan werden allerdings auch Samen und Blätter ummantelt, um sie vor einem Befall durch Mikroorganismen zu schützen.
7.11 > Arbeiter harken Sargassumalgen zusammen, die neuerdings in riesigen Teppichen an die Strände der Karibiknationen gespült werden und dort verrotten. Allein in Mexiko beseitigten Armee und Freiwillige im Sommer 2019 mehr als 57 000 Tonnen der stinkenden Algenberge.
Abb. 7.11 Alejandro Cegarra

Hilfsmittel bei Umweltverschmutzungen

Die genetische Vielfalt der Meeresorganismen bietet uns Menschen eine Vielzahl an Werkzeugen für die Entgiftung oder aber Beseitigung umweltbelastender Verunreinigung – auch Bioremediation genannt. Von Schwämmen produzierte Metaboliten werden als Antifouling-Mittel im Kampf gegen den Algenbewuchs auf Schiffsrümpfen und anderen Oberflächen eingesetzt. Verschiedene Bakterienstämme hingegen haben die Eigenschaft, Kohlenwasserstoffe, Aromaten und Kohlenhydrate besonders schnell abzubauen, und eignen sich somit für die Reinigung von ölverschmutztem Erdreich oder Meeresregionen. Wissenschaftler wissen auch, dass bestimmte Mikroorganismen des Meeres Enzyme herstellen, die Plastik und andere erdölbasierte Kunststoffe zersetzen können. Wie und in welchem Ausmaß die Zersetzung im Meer jedoch vonstatten geht und wie sich diese Prozesse im Kampf gegen den Müll im Meer nutzen lassen, wird noch untersucht.
Mit Enzymen aus marinen Pilzen werden mit Kupfer und Zink belastete Böden gereinigt. Die gleichen Stoffe kommen auch zum Einsatz, wenn Textilien oder Papier entfärbt werden müssen. Von Mikro- und Großalgen weiß man, dass sie Nährstoffe, Schwermetalle und sogar pharmazeutische Wirkstoffe aus dem Meerwasser filtern. Da Großalgen und Seegräser vergleichsweise günstig zu züchten sind, wird überlegt, diese großflächig als Biofilter in der Abwasserreinigung einzusetzen. Mikroalgen dagegen werden heutzutage schon bei der Bekämpfung von Schwermetallverunreinigungen verwendet. Die Reinigung läuft dabei in zwei Schritten ab. Zuerst adsorbieren die Algen die Schwermetalle – das heißt, die giftigen Stoffe sammeln sich auf der Zellwand der winzigen Organismen an. Anschließend nehmen die Algen die Schwermetalle in ihre Zelle auf und neutralisieren deren giftige Wirkung mithilfe metallbindender Peptide (organische Verbindungen).

Vom Meer inspirierte Materialien

Naturinspirierte Materialien aus dem Meer bringen eine Reihe begehrter Eigenschaften mit sich: Sie tolerieren Salz bis zu einem gewissen Maß, halten hohem (Wasser-)Druck stand und ertragen Hitze sowie Kälte. Je nach Herkunftsort können sie auch bislang unentdeckte physikalische, chemische und biochemische Eigenschaften besitzen. Fachleute glauben, dass sich Naturstoffe aus dem Meer hervorragend für die Entwicklung von Materialien nutzen ließen, die zum Beispiel in der Medizin zum Einsatz kommen. Beispiele wären Materialien, aus denen künstliche Herzklappen, Knochenimplantate oder aber künstliche Gelenke hergestellt werden könnten.
Bis es so weit ist, müssen aber noch einige Hürden genommen werden. Benötigt werden zum Beispiel Verfahren, mit denen die jeweiligen Zielsubstanzen qualitativ hochwertig isoliert und aufbereitet werden können. Außerdem muss sichergestellt werden, dass jederzeit ausreichende Mengen der benötigten Substanzen zur Verfügung stehen und sich die Eigenschaften dieser Ausgangsstoffe im Lauf der Jahreszeiten nicht verändern.
Als wirtschaftlich interessante Quellen neuer Biomaterialien gelten unter anderem Algen, Quallen, Schwämme, Manteltiere, Muscheln und Krebstiere. Sie enthalten Vielfachzucker, Enzyme, Lipide (wasserunlösliche Naturstoffe), Pigmente, Mineralien, keramische Materialien (Bioceramics) und Gifte (Toxine), die in der Medizin Anwendung finden könnten. Bioaktive keramische Materialien beispielsweise werden aus Korallen, Kalkschalen und Seeigeln gewonnen und als Ausgangsstoffe für die Herstellung von Hydroxylapatit benutzt, dem Hauptbestandteil der anorganischen Substanz in Knochen und Zähnen.
Vorbildcharakter für Designer und Entwickler besitzen auch Glasschwämme. Diese bilden ein Skelett aus Nadeln, auch Spicula (Einzahl Spiculum) genannt, die aus hochreinem Siliziumoxid bestehen, welches sie mithilfe enzymatischer Prozesse aus dem gelösten Silizium des umgebenden Meerwassers bilden. Fachleute versuchen diese Prozesse nachzuahmen, um das gewonnene Material für medizinische oder optische Anwendungen zu benutzen. Siliziumhaltige Materialien werden aber auch in Hightechprodukten aus dem Bereich der Mikroelektronik und der Optoelektronik verwendet.
Auf Groß- und Mikroalgen setzen Forschende bei der Suche nach Alternativen für Plastik und andere Kunststoffe auf Erdölbasis. Gereinigt, behandelt, getrocknet und in Form gepresst, können Großalgen unter anderem als Einweggeschirr fungieren. Aus verschiedenen Inhaltsstoffen der Algen lassen sich aber auch Folien und andere Verpackungsmaterialien herstellen. Kohlenhydratreiche Groß- und Mikroalgen könnten außerdem als Ausgangsbasis für die Herstellung sogenannter Polylactide dienen. Aus diesen synthetischen Stoffen werden bislang die meisten biologisch abbaubaren Kunststoffe hergestellt. Da Poly­lactide jedoch nur sehr langsam zersetzt werden, suchen Wissenschaftler weiterhin nach besseren Optionen.

Wer darf vom Genpool des Meeres profitieren?

Die vielfältigen potenziellen Anwendungsbereiche für marine Naturstoffe sowie die Tatsache, dass ein Großteil der genetischen Vielfalt des Meeres noch gar nicht entschlüsselt ist, wirft viele Fragen auf. Wer beispielsweise darf vom Genpool des Meeres profitieren: Nur jene Staaten, die auch die teure Forschung finanzieren, oder gehört der Ozean nicht allen Menschen? Wie ließe sich der Zugang zu den wertvollen genetischen Ressourcen des Meeres international regeln – und wie kann sichergestellt werden, dass trotz einer intensiveren Nutzung des Meeres durch den Menschen der Schutz der biologischen Vielfalt im Mittelpunkt allen Handelns steht?
Die Suche nach Antworten auf diese Fragen beginnt beim Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS). Es setzt den rechtlichen Rahmen für alle menschlichen Aktivitäten auf und in den Ozeanen und Meeren. Darin eingeschlossen sind auch Themen wie Forschung, Ressourcennutzung, der Schutz der Meeresumwelt und der marinen Artenvielfalt, auch wenn UNCLOS die Artenvielfalt nicht ausdrücklich erwähnt. Entscheidend ist: UNCLOS definiert, welche Meereszonen als nationale Hoheitsgewässer gelten, und somit von den Küstenstaaten verwaltet werden, und welche Meeresteile jenseits nationaler Hoheitsgewalt liegen, die sogenannten Areas Beyond National Jurisdiction (ABNJ).
Abb. 7.12 Henrik Spohler

7.12 > Das Nadelskelett von Glasschwämmen wie der Art Pheronema giganteum besteht aus hochreinem Siliziumoxid, welches sie mithilfe enzymatischer Prozesse aus dem im Meerwasser gelösten Silizium bilden. Fachleute versuchen, diese Prozesse nachzuahmen, um das gewonnene Material für medizinische oder optische Anwendungen zu benutzen.
Die Wassersäule in den Meeresregionen jenseits natio­naler Hoheitsgewalt wird nach UNCLOS als die Hohe See (high seas) bezeichnet, während der dazugehörige Meeresboden als das Gebiet (the area) benannt wird. Die Unterscheidung in nationale und internationale Gewässer oder Gebiete ist beim Thema mariner genetischer Ressourcen essenziell, denn für terrestrische und marine Bereiche unter nationaler Hoheitsgewalt gibt es bereits einen völkerrechtlich bindenden Vertrag – das Protokoll von Nagoya über den Zugang zu genetischen Ressourcen und die ausgewogene und gerechte Aufteilung der sich aus ihrer Nutzung ergebenden Vorteile, kurz das Nagoya-Protokoll. Es wurde auf der zehnten Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, CBD) im Oktober 2010 von der Staatengemeinschaft angenommen, ist am 12. Oktober 2014 in Kraft getreten und wurde bislang von 130 Nationen ratifiziert (Stand: April 2021).
Das Nagoya-Protokoll wurde einst mit der Intention verhandelt, Regelungen zu treffen, die sicherstellen, dass Profite aus dem Zugang und der Nutzung genetischer Ressourcen und diesbezüglichem traditionellem Wissen mit den jeweiligen Herkunftsländern fair geteilt werden. Es geht daher grundsätzlich davon aus, dass jeder Staat ­souverän über den Zugang zu den aus seinem Hoheits­gebiet stammenden genetischen Ressourcen bestimmen kann. Dennoch will das Abkommen sicherstellen, dass der Zugang zu solchen Ressourcen zu fairen und trans­parenten Bedingungen möglich ist. Deshalb gibt es bestimmte Mindeststandards vor, die Staaten bei der Aus­gestaltung ihrer nationalen Regelungen berücksichtigen müssen.
Außerdem ist das Abkommen von der Idee geprägt, dass den Herkunftsländern das Recht zusteht, in fairer Weise an den Vorteilen beteiligt zu werden, die sich aus der Nutzung ihrer genetischen Ressourcen ergeben.
Auch hier legt das Protokoll völkerrechtliche Leitlinien fest. Gleichzeitig verpflichtet das Abkommen alle Vertragsparteien, dafür Sorge zu tragen, dass der Zugang zu genetischen Ressourcen und ihre Entnahme im Einklang mit eventuellen Genehmigungserfordernissen des Herkunftslandes erfolgt sind. Die Bedingungen, zu denen ein Vorteilsausgleich stattzufinden hat, müssen schon vor der Materialentnahme mit dem Herkunftsland ausgehandelt werden.

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In der Praxis jedoch bedeutet diese Rechtslage jede Menge Verwaltungsaufwand: Wenn Wissenschaftler eines Landes marine genetische Ressourcen aus den natio­nalen Gewässern eines anderen Staates entnehmen wollen, muss dies vorab beantragt und genehmigt werden, und zwar zusätzlich und separat zu den ebenfalls erforderlichen diplomatischen Forschungsgenehmigungen. Außerdem muss bereits Monate oder sogar Jahre im Vorfeld der Forschungsarbeiten mit dem jeweiligen Bereitstellerland geregelt werden, wie ein späterer Vorteilsausgleich aussehen würde. Denkbar sind dabei nicht nur Geldzahlungen, sondern auch das Teilen von Forschungsergebnissen sowie das Einbinden lokaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in das Forschungsprojekt oder die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern. Eine im Grunde gute Idee, weil sie die internationale Wissenschaftskooperation fördert und Küstenstaaten in artenreichen Meeresregionen motiviert, ihre Küstengewässer aktiv zu schützen.
Der Nutzen und die Effektivität des Nagoya-Protokolls werden derzeit allerdings noch häufig durch die unterschiedliche Umsetzung der Regelungen in jedem Mitgliedstaat beeinträchtigt. In manchen Ländern sind die Antrags- und Genehmigungsverfahren zum Nagoya-Protokoll so aufwendig und langwierig, dass Wissenschaftler auf entsprechende Forschungsvorhaben verzichten oder aber, wenn möglich, sie in Meeresregionen anderer Länder oder in internationale Meeresgebiete verlegen. Andere wiederum konzentrieren sich auf die Erforschung heimischer Gewässer.

Ein neues Abkommen soll Klarheit schaffen

Diese Erfahrungen der Wissenschaft mit den Regelungen des Nagoya-Protokolles spielen eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zum Umgang mit genetischen Ressourcen aus internationalen Meeresgebieten. Zur Erinnerung: Die Hohe See umfasst mehr als zwei Drittel des Weltozeans und mehr als 40 Prozent der Erdoberfläche. Sie gilt als größter Lebensraum der Erde und somit auch als größtes Reservoir der Artenvielfalt. Laut UNCLOS-Artikel 256 und 257 besitzt jeder Staat der Welt das Recht, in interna­tio­nalen Gewässern zu forschen – in der Wassersäule (Hohe See) ebenso wie am Meeresboden (dem Gebiet).
Theoretisch könnten also Staaten oder Konzerne jederzeit Meeresforschung in diesen internationalen Meeresbereichen betreiben, aus dem gewonnenen Probenmaterial Wirkstoffe extrahieren, diese vervielfachen und daraus Medikamente oder andere gewinnbringende Produkte entwickeln, ohne wiederum andere Länder an ihren Profiten zu beteiligen.
Um solche Vorgehensweisen zu verhindern, beschloss die Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 2017, ein neues Zusatzabkommen unter UNCLOS auszuarbeiten, welches neben allgemeingültigen Regeln zum Schutz der biologischen Vielfalt in den Meeresbereichen jenseits nationaler Hoheitsgewalt auch die Nutzung genetischer Ressourcen dort völkerrechtlich verbindlich regeln soll. Sein offizieller englischer Name lautet: International legally binding instrument under the United Nations Convention on the Law of the Sea on the conservation and sustainable use of marine biological diversity of areas beyond national jurisdiction (BBNJ).
Für die Verhandlungen wurde nach mehreren Jahren Vorbereitung eine zwischenstaatliche Regierungskonferenz mit Vertretern aller UN-Mitgliedsländer einberufen. Diese Konferenz ist bisher dreimal zusammengekommen. Ein viertes Treffen, das wegen der Coronapandemie von 2020 auf 2021 verschoben worden ist, hat bislang nicht stattgefunden. Obwohl es einen ersten Vertragsentwurf gibt, halten sich die Verhandlungsfortschritte bislang in Grenzen. Gestritten wird unter anderem über die Frage, ob die Wassersäule wie der Meeresboden in internationalen Gewässern zum gemeinsamen Erbe der Menschheit gehört und damit alle Staaten der Welt von möglichen Einnahmen profitieren sollten. Dieses Argument vertreten vor allem Entwicklungsländer, die sich eine eigene teure Meeres- und Tiefseeforschung nicht leisten können. Viele Industrienationen wiederum argumentieren, da die Wassersäule der Hohen See nicht zum Meeresboden gehöre, könne auch das Beteiligungsgebot, wie es die Internationale Meeresbodenbehörde für Gewinne aus dem Tiefseebergbau einfordert, in der Wassersäule nicht zur Anwendung kommen.
Die Europäische Union (EU) vertritt bislang den Standpunkt, dass die Meeresbereiche jenseits nationaler Hoheitsgewalt (ABNJ) zu den globalen Gemeinschaftsgütern (englisch: Global Commons) gehören – also zu jenen öffentlichen Ressourcen, die von allen Nationen der Welt genutzt werden können. Trotzdem sollte bei der kommerziellen Nutzung genetischer Ressourcen aus ABNJ auch über Ausgleichsleistungen für unbeteiligte Staaten nachgedacht werden. Als solche kämen für die EU zum Beispiel wissenschaftliche Kooperationen, Ausbildungsprogramme für Meeresforschende aus Entwicklungsländern oder aber die Förderung des Aufbaus einer meereswissenschaftlichen Infrastruktur in diesen Ländern infrage. Gewinnbeteiligungen in Form von Ausgleichszahlungen lehnt die EU jedoch ab.
Neben all diesen ganz grundsätzlichen Fragen erschweren eine Reihe von Detailfragen die Verhandlungen: Wie zum Beispiel soll sichergestellt werden, dass alle Nationen jederzeit wissen, wer genetisches Material wo in interna­tionalen Gewässern entnimmt und was damit geschieht? Diskutiert werden bisher der Aufbau einer Informations- und Kooperationsplattform (Clearing-House-Mechanismus), auf der zum Beispiel geplante Forschungsarbeiten gemeldet werden müssen und potenzielle Kooperationspartner zusammenfinden. Außerdem steht die Einrichtung offizieller politischer und wissenschaftlicher Gremien und eines Sekretariates im Raum, welche die Einhaltung aller im späteren Abkommen getroffenen Regelungen überwachen und koordinieren sollen.
Ungeklärt ist bisher jedoch, welche Befugnisse diese Gremien im Einzelnen haben sollen und wo ein Sekretariat angesiedelt werden könnte. Als wahrscheinlich gilt, dass unter dem neuen Abkommen eine eigene Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties, COP) eingerichtet wird. In dieser würden sich Vertreter aller Unterzeichnerstaaten regelmäßig treffen, um die Umsetzung des Abkommens zu evaluieren und eventuell notwendige Neuerungen zu beschließen oder weitere Details zu regeln.
Offen ist bisher auch, wie bei Probennahmen nach­gewiesen werden kann, dass das eingesammelte biologische Material tatsächlich aus internationalen Gewässern stammt. Bei fest am Boden sitzenden Organismen mag diese Frage noch vergleichsweise leicht zu beantworten sein. Hier würden vermutlich die Koordinaten des Entnahmeortes genügen. Im Fall von Plankton oder aber wandernden Fischschwärmen wird die Herkunftsbestimmung schwieriger. Gilt in diesen Fällen ebenfalls der Ort der Probenentnahme – oder aber ist entscheidend, wo ein Meereslebewesen das Licht der Welt erblickt hat, wenn dies überhaupt bekannt ist? Für Letzteres votieren vor allem jene Staaten, deren Küstengewässer besonders artenreich sind und deren Mangrovenwälder, Riffe und Seegraswiesen als Kindergarten für viele Arten des Meeres fungieren. Eine finale Antwort auf diese Frage aber steht ebenso noch aus wie Antworten auf Fragen zum internationalen Patentschutz und dessen Gültigkeit bei Patenten auf genetische Sequenzen aus dem Meer.
Wichtig zu wissen ist an dieser Stelle noch, dass der Zugang und die Nutzung mariner genetischer Ressourcen und mögliche faire Ausgleichsmechanismen nur eines von insgesamt vier Oberthemen ist, die das neue Abkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt in internationalen Gewässern regeln soll. Im Verhandlungspaket enthalten sind außerdem Regularien:
  • zu gebietsbezogenen Managementmaßnahmen (Area-based Management Tools, ABMT); darunter fallen auch Meeresschutzgebiete;
  • zu Umweltverträglichkeitsprüfungen (Environmental Impact Assessment, EIA);
  • zum Wissens- und Technologietransfer.
7.13 > Kleinstfischer wie diese Männer aus Myanmar gehören häufig zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen. Das derzeit verhandelte Übereinkommen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der marinen Biodiversität in internationalen Gewässern muss sicherstellen, dass am Ende auch sie von möglichen biotechnologischen Lösungen profitieren.
Abb. 7.13 Markus Mauthe
Oftmals überschneiden sich diese Verhandlungspakete, beispielsweise beim Wissenstransfer und der Diskussion um einen Vorteilsausgleich bei marinen genetischen Ressourcen. Die Verhandlungsführenden stehen demzufolge vor der Aufgabe, einen Interessenausgleich über alle vier Themen zu erreichen. Im Hinblick auf marine genetische Ressourcen wird dabei entscheidend sein, dass es zum einen gelingt, allen Nationen die Möglichkeiten zu geben, genetische Forschung zu betreiben, auf internationale Datenbanken zuzugreifen und deren riesige Datenmengen zum Wohl aller zu nutzen. Gleichzeitig müssen die Regeln so ausgestaltet sein, dass Forschung weiter betrieben werden kann und nicht durch einen überbordenden technischen und administrativen Aufwand verhindert wird. Zudem muss die Staatengemeinschaft sicherstellen, dass:
  • Forschung und Entwicklung in der marinen Biotechnologie nachhaltig betrieben werden,
  • dabei keine ethischen und sozialen Grenzen überschritten werden und
  • tatsächlich alle Bevölkerungsgruppen von biotechnologischen Lösungen wie zum Beispiel pharmazeutischen Wirkstoffen profitieren – also auch die Ärmsten und marginalisierte Gruppen wie zum Beispiel indigene Völker.
Diese Ziele können nur dann erreicht werden, wenn sowohl Erkenntnisse und Forschungsergebnisse als auch die kommerziellen Erfolge, die aus der genetischen Vielfalt des Meeres resultieren, fair geteilt werden; wenn aktuelle Regularien zum Patentschutz reformiert werden und die politischen Entscheidungsträger noch enger mit den Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft konstruktiv zusammenarbeiten. Ihre gemeinsame und wichtigste Mission muss es sein, Entscheidungen zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung der biologischen Vielfalt des Meeres auf Basis des aktuellen Wissens zu treffen, sie an den Bedürfnissen aller Menschen auszurichten und vor allem die gemeinsame Verantwortung für das Meer und seine Lebensgemeinschaften dabei nie aus den Augen zu verlieren. Textende