Energie und Rohstoffe aus dem Meer
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WOR 7 Lebensgarant Ozean – nachhaltig nutzen, wirksam schützen | 2021

Tiefseebergbau: Die Pläne nehmen Gestalt an

Tiefseebergbau: Die Pläne nehmen Gestalt an - Abb. 5.4 Science Photo Library/Charles D. Winters

Tiefseebergbau: Die Pläne nehmen Gestalt an

> Seit mehr als 140 Jahren weiß der Mensch, dass in der Tiefsee der Ozeane wertvolle Rohstoffe wie Nickel, Kupfer, Kobalt und Seltene Erden lagern. Diese abzubauen aber war bislang technisch kaum möglich und zudem unrentabel. Mit dem Kampf gegen den Klimawandel steigt jedoch die Nachfrage nach diesen Metallen und Mineralien enorm, und es stellt sich die Frage, ob diese weiterhin nur an Land oder bald auch im Meer abgebaut werden. Erste Fördertests in der Tiefsee hat es bereits gegeben, allerdings sind die Folgen für die Umwelt noch nicht ausreichend erforscht.

Das Fundament des technologischen Fortschritts

Mobiltelefone, Internet und Streaming-TV sind mittlerweile genauso wenig aus unserem Alltag wegzudenken wie Autos mit E-Motor, Windkraftanlagen und der Batteriespeicher für den Strom aus der hauseigenen Photovoltaikanlage. Die zunehmende Digitalisierung und Elektrifizierung unseres Lebens haben jedoch ihren Preis. Für die Herstellung der notwendigen Technik und den Ausbau der Netze werden jede Menge Metalle und insbesondere jene aus der Gruppe der Seltenen Erden benötigt. Wolfram lässt Telefone vibrieren, Gallium und Indium sind für die Leuchtdiodentechnologie (LED) in Lampen erforderlich, Halbleiter brauchen Siliziummetall und Wasserstoffbrennzellen benötigen Metalle der Platingruppe.
Hinzu kommen mineralische Rohstoffe wie Kupfer, Nickel, Kobalt, Lithium und Tellur, die wie alle anderen auch in aufwendigen Bergbauverfahren dem Erdreich entnommen werden müssen. Im Zuge dessen wird in der Regel nicht nur die Umwelt in großem Ausmaß zerstört; in so manchen Ländern führt der Abbau von Rohstoffen auch zu Korruption, Krieg und Vertreibung mit schwerwiegenden Folgen für die einheimische Bevölkerung – vor allem, wenn der Bergbau auf unkontrollierte oder illegale Weise erfolgt.
5.1 > Die Europäische Union muss viele der in Europa benötigten kritischen Rohstoffe importieren und ist dabei auf Lieferungen aus einigen wenigen Ländern angewiesen. Besonders groß ist die Abhängigkeit von Nationen wie China (99 Prozent aller leichten Seltenen Erden) und der Türkei (98 Prozent der benötigten Borate).
Abb. 5.1 nach Europäische Kommission, COM(2020) 474 final
Abb. 5.2 nach Hund et al., 2020

5.2 > Die globale ­Energiewende kann nur gelingen, wenn ausreichend mineralische Rohstoffe ­vorhanden sind. Für den Bau von Wind­turbinen, Photo­voltaikanlangen und Energiespeichern werden bis zu elf verschiedene Metalle benötigt.
Diese Folgen wiegen umso schwerer, wenn man bedenkt, dass die Nachfrage nach diesen Metallen und Mineralien im Zuge der Klima-, Energie- und Verkehrswende steigen wird. Nur zwei Beispiele: Bereits heute ist absehbar, dass die Europäische Union im Jahr 2030 bis zu 18-mal mehr Lithium und fünfmal mehr Kobalt für die Herstellung von Elektrofahrzeugen und für die Energiespeicherung benötigen wird als im Jahr 2020. Die Nachfrage nach Seltenen Erden, die in Permanentmagneten, etwa für Elektrofahrzeuge, digitale Technologien oder Windgeneratoren zum Einsatz kommen, könnte sich nach Angaben der Europäischen Kommission bis 2050 verzehnfachen. Wie aber soll dieser steigende Bedarf gedeckt werden?
Bislang gibt es nur zwei Gebiete auf der Erde, in denen der Mensch bislang noch keinen kommerziellen Bergbau betreibt. Das eine Areal umfasst die Antarktis, also alle Gewässer und Landmassen südlich des 60. Breitengrades Süd. Für diese Region verbietet das Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag (Protocol on Environmental Protection to the Antarctic Treaty) sowohl den Abbau mineralischer Rohstoffe als auch die Förderung sogenannter Energierohstoffe. Zu Letzteren gehören fossile Rohstoffe wie etwa Kohle, Erdöl und Erdgas. Das zweite noch vom kommerziellen Bergbau verschonte Gebiet ist der Meeresboden in der Tiefsee – gemeint ist hier der Untergrund der Weltmeere in einer Wassertiefe von mehr als 200 Metern.
Die weltweit steigende Nachfrage nach mineralischen Rohstoffen aber lässt die Ozeane zunehmend in den Fokus der Bergbauindustrie rücken. In der Tiefsee kommen nämlich gleich mehrere Metalle und auch Seltene Erden in kommerziell vielversprechenden Mengen vor. Geologen unterscheiden drei verschiedene Arten abbauwürdiger Tiefsee-Erzvorkommen, die im Gegensatz zu Lagerstätten an Land allesamt eine Vielzahl verschiedener Metalle enthalten: Manganknollen, kobaltreiche Eisen-Mangan-Krus­ten und sogenannte Massivsulfide.
5.3 > Will die Menschheit die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf zwei Grad Celsius begrenzen, muss sie ihren Energiesektor komplett umbauen. Nach Angaben der Weltbank wird infolgedessen vor allem der Bedarf an Grafit, Lithium, Kobalt und Indium für die Herstellung von Energietechnologien bis zum Jahr 2050 deutlich ansteigen.
Abb. 5.3 nach Hund et al., 2020

Abb. 5.4 Science Photo Library/Charles D. Winters

5.4 > Manganknollen wachsen, indem sich über einen Zeitraum von Jahrmillionen im Meer- oder ­Porenwasser gelöste Metalle in konzentrischen ­Ringen um einen Nukleus herum anlagern. Auf diese Weise entstehen ihre rundliche Form und der zwiebelschalenartige Aufbau.

Manganknollen

Als Manganknollen werden schwarzbraune, rundliche und meist zwiebelschalenartig aufgebaute mineralische Körper bezeichnet, die einen Durchmesser von ein bis 15 Zentimetern besitzen. Sie bilden sich in erster Linie in den von Sedimenten (Partikelablagerungen) bedeckten Tiefseeebenen der Ozeane in einer Wassertiefe von 3500 bis 6500 Metern. Für ihre Entstehung bedarf es sauerstoffreichen Tiefenwassers sowie eines Kerns oder eines Nukleus, an dem sich dann über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren sowohl Eisen- und Manganoxide als auch zahlreiche Neben- und Spurenmetalle wie Nickel, Kobalt, Kupfer, Titan, Molybdän und Lithium in vielen Schichten anlagern.
Als Nukleus dient in der Regel ein Stück verfestigtes Sediment oder ein Knollenbruchstück, gelegentlich auch Basalt- und andere Gesteins- oder Muschelschalenbruchstücke. Wissenschaftler haben allerdings auch schon Knollen gefunden, die sich um den ausgefallenen Zahn eines Hais herum gebildet hatten oder deren Kern aus den Innenohrknöchelchen eines Wales bestand. Die Metalle wiederum sind auf natürliche Weise im Meerwasser und im Porenwasser der Sedimente gelöst und werden durch sogenannte diagenetische und hydrogenetische Prozesse auf den Manganknollen abgelagert.
Bei der diagenetischen Anreicherung geschieht dies durch Ausfällung der Metalloxide aus dem sogenannten Porenwasser, welches durch die oberen Sedimentschichten des Meeresbodens zirkuliert. In diesem Porenwasser ist unter anderem Mangan gelöst, das infolge von Konzentrationsunterschieden nach oben diffundiert und aus dem Meeresboden austritt. Bei Kontakt mit dem sauerstoffreichen Ozeanwasser wird es oxidiert, was zur Ausfällung von Manganoxiden führt. Diese reichern sich dann in konzentrischen Ringen um den Nukleus an. Andere im Porenwasser gelöste Metalle, einschließlich Kupfer und Nickel, werden in das Manganoxid eingeschlossen. Sie stammen vor allem aus der mikrobiellen Zersetzung des organischen Materials im Meeresboden. Außerdem werden sie freigesetzt, wenn sich die im Sediment abgelagerten Kalk- oder Silikatschalen abgestorbenen Planktons auflösen. Manganknollen beziehen in der Regel mehr als 80 Prozent ihrer Metalle aus dem Porenwasser. Diese stete Materialzufuhr erlaubt ihnen, zu wachsen – allerdings nicht mehr als einige Zentimeter in einem Zeitraum von einer Million Jahre.
5.5 > Manganknollen wachsen zum einen durch die Ausfällung von Metalloxiden aus dem Porenwasser der Meeressedimente (dia­genetische Anreicherung), zum anderen durch die Ausfällung von Mangan- und Eisen­oxiden direkt aus dem Meerwasser (hydrogenetische Anreicherung). Beide Prozesse können gleichzeitig stattfinden.
Abb. 5.5 nach Koschinsky, Jacobs University, ­Bremen
Die meisten Manganknollen wachsen aber auch infolge hydrogenetischer Prozesse, das heißt durch die Ausfällung sogenannter Kolloide (Teilchen mit einer Größe von einem Nanometer bis einem Mikrometer) aus hydratisierten Mangan- und Eisenoxiden direkt aus dem Meerwasser. Manganknollen, die nur oder größtenteils durch hydrogenetische Bildung entstehen, treten an Hängen oder Gipfeln untermeerischer Vulkane (englisch: seamounts) auf. Ihre Zusammensetzung wird durch die Chemie des Wassers und durch biogeochemische Prozesse zwischen Meerwasser und den darin enthaltenen Partikeln gesteuert. Hydrogenetisch gebildete Knollen wachsen sehr langsam. Ihr Durchmesser nimmt nur um einige Millimeter pro einer Million Jahre zu. Sie reichern jedoch mehr Kobalt und Seltene Erden an als Knollen diagenetischen Ursprungs.
Die Manganknollen liegen lose auf dem Meeresboden, meist zu ein bis zwei Dritteln im Sediment eingesunken. In einigen Gebieten finden sich nur einige wenige Knollen pro Quadratmeter Fläche; in anderen sind es bis zu 1000 Stück. Das größte und wirtschaftlich interessanteste Vorkommen befindet sich im sogenannten Manganknollengürtel der Clarion-Clipperton-Zone (CCZ). Diese liegt im äquatornahen Bereich des Nordpazifiks, zwischen Hawaii und Mexiko. Andere bedeutende Manganknollenvorkommen finden sich im Perubecken (Südostpazifik), im Penrhynbecken (Westpazifik) sowie im zentralen Indischen Ozean.
5.6 > Die wirtschaftlich interessantesten Manganknollenvorkommen befinden sich in der nordpazifischen Clarion-Clipperton-Zone, im Perubecken, im westpazifischen Penrhynbecken sowie im zentralen Indischen Ozean.
Abb. 5.6 nach Hein et al.
Der pazifische Manganknollengürtel in der Clarion-Clipperton-Zone ist mit einer Fläche von etwa fünf Millionen Quadratkilometern (ca. 5000 Kilometer lang und 1000 Kilometer breit) größer als die Europäische Union. Etwa drei Viertel dieses Tiefseeareals bestehen aus flachem Meeresboden. Auf der restlichen Fläche ragen Unterseevulkane empor, einige in Höhen von bis zu 1000 Metern. In den Tiefseeebenen wiederum gibt es Gebiete, in denen nahezu ausschließlich große Knollen mit einem Durchmesser von vier bis 15 Zentimetern liegen, und andere, in denen fast alle Knollen kleiner als vier Zentimeter sind. Die kleinen Knollen bedecken etwa 85 Prozent der Tiefseeebenen in der Clarion-Clipperton-Zone. Gebiete mit großen Knollen machen rund zwölf Prozent aus, und die restlichen drei Prozent der Fläche sind frei von Knollen. In besonders knollenreichen Arealen liegen die Erzklumpen so dicht an dicht, dass sie pro Quadratmeter Fläche in der Regel ein Nassgewicht zwischen 15 und 30 Kilogramm auf die Waage bringen. Schätzungen zufolge lagern in der Clarion-Clipperton-Zone Knollenvorkommen mit einem Gesamtgewicht von 25 bis 40 Milliarden Tonnen Nassgewicht.
Wirtschaftliches Interesse erregen diese wegen ihres hohen Gehaltes an Mangan (30 Gewichtsprozent), Nickel (1,4 Gewichtsprozent), Kupfer (1,1 Gewichtsprozent) und Kobalt (0,2 Gewichtsprozent). Alle vier Metalle werden unter anderem für die Herstellung von Kommunikationstechnik sowie für die Stahlveredelung und die Herstellung von Elektroautos benötigt. Neben Nickel und Mangan ist vor allem Kobalt ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Lithium-Batterien und wird bislang vor allem in der Republik Kongo abgebaut. Im Vergleich zu allen bekannten Lagerstätten an Land aber finden sich in den Manganknollen der Clarion-Clipperton-Zone allein etwa 3,4- bis fünfmal mehr Kobalt; 1,8- bis dreimal mehr Nickel und 1,2-mal mehr Mangan. Außerdem enthalten die Knollen vergleichsweise hohe Anteile der Spurenmetalle Titan, Molybdän und Lithium.

Kobaltreiche Eisen-Mangan-Krusten

Kobaltreiche Eisen-Mangan-Krusten sind harte Überzüge aus Eisen- und Manganoxiden, die sich auf den Hängen von Unterseevulkanen bilden und wie hydrogenetisch wachsende Manganknollen ihre Metalle überwiegend aus dem umgebenden Meerwasser aufnehmen. Im Gegensatz zu den flachen Tiefseeebenen lagert sich an den Vulkanhängen nämlich keine Sedimentschicht ab. Meeresströmungen spülen herabsinkende Partikel ziemlich schnell davon, sodass die Eisen-Mangan-Krusten nur äußerst langsam wachsen können – pro eine Million Jahre etwa ein bis fünf Millimeter.
In den Krusten reichern sich verschiedene Metalle an, die für die Herstellung moderner Energieversorgungs-, Computer- und Kommunikationssysteme benötigt werden. Dazu gehören Kobalt, Titan, Molybdän, Zirkon, Tellur, Bismut, Niob, Wolfram, Seltene Erden sowie Platin. Das seltene Halbmetall Tellur beispielsweise wird sowohl für die Cadmium-Tellur-Legierungen in der Dünnschichtphotovoltaik eingesetzt als auch für Bismut-Tellur-Legierungen in Computerchips.
5.7 > Eisen-ManganKrusten gibt es vor allem in jenen Meeresregionen, wo die ozeanische Kruste am ältesten ist und die Erzverkommen demzufolge am längsten wachsen konnten. Das ist zum Beispiel im Westpazifik der Fall.
Abb. 5.7 nach Hein et al.
Rund zwei Drittel der für den Tiefseebergbau interessanten Vorkommen kobaltreicher Eisen-Mangan-Krusten befinden sich im Pazifischen Ozean, 23 Prozent im Atlantik und rund elf Prozent im Indischen Ozean. Als wirtschaftlich interessant gelten Vorkommen in Wassertiefen von 800 bis 2500 Metern. Die bekannten Krusten sind in der Regel drei bis sechs Zentimeter dick, im Ausnahmefall auch mal bis zu 26 Zentimeter, sodass Experten von 60 bis 120 Kilogramm Erz pro Quadratmeter Hangfläche ausgehen. Das weltweite Gesamtvorkommen kobaltreicher Eisen-Mangan-Krusten wird auf 40 Milliarden Tonnen geschätzt, wobei nach bisherigem Stand des Wissens jedoch nur die Hälfte gewinnbringend abgebaut werden könnte. Detailliert untersucht sind bislang allerdings weit weniger als ein Zehntel der bekannten Vorkommen.

Massivsulfide

Als marine Massivsulfide (englisch: Seafloor Massive Sulfides) bezeichnet man Metall-Schwefel-Verbindungen (Metallsulfide), die an heißen Quellen am Meeresboden in Wassertiefen von 1600 bis 4000 Metern entstehen. Diese Hydrothermalvorkommen sind an vulkanische Strukturen gebunden und kommen daher vor allem an tektonischen Schwachstellen der Erdkruste vor – so zum Beispiel an Mittelozeanischen Rücken, in sogenannten Backarc-Spreizungszonen sowie an Inselbögen. Sie entstehen durch das Zirkulieren von Meerwasser durch die oberen drei Kilometer der ozeanischen Kruste. Das Meerwasser wird dabei durch tiefer liegende Wärmequellen (Magmakammern) aufgeheizt und verwandelt sich in eine heiße, saure und hochkonzentrierte Lösung, die Metalle aus den vulkanischen Gesteinen lösen kann.
Die heiße Hydrothermallösung steigt anschließend an gewissen Stellen aus dem Meeresboden auf. Kommt sie in Kontakt mit dem kalten, sauerstoffreichen Meerwasser, werden die gelösten Metalle in Form von Metallsulfiden ausgefällt. Dazu gehören zum Beispiel Pyrit, Chalkopyrit und Sphalerit.
Durch das fokussierte, nach oben gerichtete Ausströmen der Hydrothermallösung an den heißen Quellen entstehen spektakuläre schornsteinartige Gebilde, die sogenannten Schwarzen Raucher (englisch: Black Smoker). Diese erreichen eine Höhe von 20, 30 oder sogar noch mehr Metern. Irgendwann aber werden die Schornsteine instabil und brechen zusammen; anschließend bildet sich ein neuer Schlot, der abermals in die Höhe wächst, bis auch dieser zusammenbricht. Durch diese stete Abfolge bilden sich Metallsulfidhügel am Meeresboden, die durch interne chemische Reaktionen bei der Vermischung der Hydrothermallösung mit eindringendem Meerwasser weiter verändert und verfestigt werden. Diese Erzvorkommen können bis zu mehrere Hundert Meter im Durchmesser und einige Zehner Meter dick werden. Darüber hinaus können die hydrothermalen Lösungen ihre Metallfracht aber auch unterhalb des Meeresbodens ausfällen. Sie bilden dann sogenannte Stockwerksvererzungen.
5.8 > Massivsulfide bilden sich an heißen Quellen, die wiederum nur an tektonischen Schwachstellen der Erdkruste auftreten – so zum Beispiel an Mittel­ozeanischen Rücken, in sogenannten Backarc-Spreizungszonen sowie an Inselbögen. Als abbaufähig gelten bislang nur die Erzvorkommen an erkalteten Hydrothermalquellen.
Abb. 5.8 Geomar
Die marinen Massivsulfide bilden das moderne Gegenstück zu den fossilen vulkanischen Massivsulfid­lagerstätten an Land. Letztere sind wichtige Lieferanten für Kupfer, Zink, Blei, Silber und Gold. Die gleichen Metalle finden sich auch in den Massivsulfidlagerstätten am Meeresboden. Darüber hinaus enthalten die Vorkommen im Meer weitere Neben- und Spurenmetalle, die für moderne Hochtechnologieanwendungen wichtig sind. Dazu gehören Kobalt, Antimon, Indium, Selen, Tellur, Gallium, Germanium, Bismut und Molybdän.
Wissenschaftler kennen bislang mehr als 630 aktive Hydrothermalquellen, an denen sich nachweislich Metallsulfide anreichern. Allerdings setzen sich Hydrothermalfelder immer aus aktiven und inaktiven Bereichen zusammen. Inaktiv bedeutet hierbei, dass keinerlei hydrothermale Lösungen aus dem Meeresboden austreten. Für einen möglichen Abbau von Massivsulfiden kommen aus zwei Gründen nur diese inaktiven Bereiche infrage: Zum einen geht man bislang davon aus, dort weniger Gefahr zu laufen, seltene Ökosysteme der Tiefsee zu zerstören als an aktiven Quellen; zum anderen würden die in aktiven Bereichen austretenden, mehrere Hundert Grad Celsius heißen und stark sauren Lösungen wahrscheinlich die Abbaugeräte schnell beschädigen.
Bisher sind nur wenige ausschließlich inaktive Massivsulfidvorkommen bekannt. Dies liegt daran, dass inaktive Vorkommen viel schwieriger zu finden sind als die aktiven Quellen. Letztere können vergleichsweise leicht anhand der chemischen Signatur und der Partikel lokalisiert werden, welche die austretenden hydrothermalen Lösungen im umgebenden Meerwasser erzeugen.

Wächterin über das Erbe der Menschheit

Rund 81 Prozent aller bekannten Manganknollenfelder, 46 Prozent der Eisen-Mangan-Krusten und 58 Prozent der Massivsulfide befinden sich in internationalen Gewässern und fallen somit nicht in die Zuständigkeit einzelner ­Nationen. Sie gehören stattdessen zum gemeinsamen Erbe der Menschheit, als welches Artikel 136 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (United Nations Convention on the Law of the Sea, UNCLOS) den Meeresboden außerhalb jeder Ausschließlichen Wirtschaftszone definiert.
Verwaltet wird dieses Erbe, das rund 42 Prozent der Erdoberfläche umfasst, von der Internationalen Meeresbodenbehörde (International Seabed Authority, ISA) mit Sitz in Kingston, Jamaika. Sie reguliert und überwacht alle Aktivitäten zur wirtschaftlichen Nutzung des internationalen Meeresbodens und dessen Untergrundes. Außerdem obliegt es der ISA, den im Seerecht verankerten ­Interessenausgleich zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern voranzubringen. Da bislang noch kein Tiefseebergbau im industriellen Maßstab stattfindet, bestehen ihre zwei Kernaufgaben derzeit darin, Lizenzen zur Exploration der Tiefseelagerstätten zu vergeben und zu über­wachen sowie die Regeln zum künftigen Abbau zu erarbeiten und verabschiedete Rechtsgrundlagen stetig zu aktualisieren. Bis heute sind 167 Staaten und die Euro­päische Union der ISA beigetreten.
5.9 > Wo heiße Hydrothermallösung aus dem Meeresboden aufsteigt und sich mit kaltem, sauerstoffreichem Meerwasser vermischt, werden Metallsulfide ausgefällt. Diese lagern sich ab und bilden mit der Zeit spektakuläre schornsteinartige Gebilde, die sogenannten Schwarzen Raucher.
Abb. 5.9 MARUM – Center for Marine ­Environmental Sciences, University of Bremen (CC-BY 4.0)
Einen Antrag auf eine Explorationslizenz können sowohl staatliche als auch private Unternehmen stellen. Voraussetzungen sind allerdings, dass der Antragsteller eine Gebühr von 500 000 US-Dollar zahlt und der Heimatstaat des Unternehmens – der sogenannte Sponsoring State – diesen Antrag unterstützt. Außerdem muss der Staat ein eigenes Meeresbergbaurecht verabschiedet und in Kraft gesetzt haben, mithilfe dessen er die Einhaltung der Lizenzpflichten sowie die finanzielle und technische Leistungsfähigkeit des Unternehmens jederzeit überprüfen kann. Die nationalen Regelungen zum Meeresbergbau dürfen dabei nicht hinter den internationalen Regelungen zurückstehen. Der Sponsoring State haftet nämlich für Tätigkeiten des von ihm unterstützten Lizenzinhabers. In Deutschland ist das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) mit Sitz in Hannover für die Über­wachung der Explorationstätigkeiten zuständig.
Deutschland selbst besitzt durch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) Explorations­lizenzen für zwei Gebiete in internationalen Gewässern. Die erste Lizenz gilt seit dem Jahr 2006 für die Erkundung von Vorkommen von Manganknollen. Das dazugehörige Gebiet besteht aus zwei Flächen, die sich beide in der Clarion-Clipperton-Zone im Pazifik befinden. Das erste Areal liegt im zentralen Bereich des Manganknollengürtels; eine zweite, etwa 60 000 Quadratkilometer große Fläche im östlichen Teil der Zone. Von Letzterer kommen etwa 20 Prozent des Gebietes für einen Abbau der Manganknollen infrage, weil nur dort der Meeresboden flach genug ist und die Knollen in ausreichend hoher Dichte vorkommen, sodass sich ein Abbau lohnen würde.
Die zweite deutsche Explorationslizenz umfasst ein 10 000 Quadratkilometer großes Tiefseegebiet am Zentral­indischen und Südostindischen Rücken im südwestlichen Indischen Ozean, in dem viele Sulfidvorkommen vermutet werden. Geologinnen und Geologen der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe führen seit dem Jahr 2015 gemeinsam mit Tiefseeexperten anderer deutscher Forschungsinstitute regelmäßig Expeditionen in das Lizenzgebiet durch, um den Umfang der jeweiligen Rohstofflagerstätten zu bestimmen sowie die Artenvielfalt und Auswirkungen eines möglichen Abbaus zu untersuchen. Im deutschen Lizenzgebiet haben sie mittlerweile zwölf Sulfidvorkommen mit 30 aktiven und 34 inaktiven Lokationen (zum Beispiel Sulfidhügel mit mehreren Schornsteinen) entdeckt. Durch chemisch-physikalische Untersuchungen der Wassersäule wurden zudem Hinweise auf zwölf weitere Vorkommen gefunden.
5.10 > Seit dem Jahr 2002 hat die Internationale Meeresbodenbehörde 31 Lizenzen zur Erkundung des Meeresbodens nach mineralischen Rohstoffen vergeben: 19 Lizenzen für die Exploration von Manganknollen, fünf Lizenzen für die Erkundung von Eisen-Mangan-Krusten sowie sieben Lizenzen für die Exploration von Massivsulfiden.
Abb. 5.10 nach Levin et al., 2020

Aus Plänen wird langsam Wirklichkeit

Seit dem Jahr 2002 hat die Internationale Meeresbodenbehörde 31 Lizenzen zur Erkundung (Exploration) des Meeresbodens nach mineralischen Rohstoffen vergeben – 19 Lizenzen für die Exploration von Manganknollen in Gebieten von jeweils etwa 75 000 Quadratkilometern, einer Fläche etwas größer als das Bundesland Bayern; fünf Lizenzen für die Erkundung von Eisen-Mangan-Krusten auf einer Fläche von jeweils 3000 Quadratkilometern sowie sieben Lizenzen für die Exploration von Massivsulfiden auf Flächen von jeweils 10 000 Quadratkilometern. Fasst man alle Lizenzgebiete zusammen, hat die ISA bislang eine Meeresbodenfläche von rund 1,5 Millionen Quadratkilometern für die Rohstofferkundung freigegeben – ein Areal, das so groß ist wie Frankreich, Spanien und Deutschland zusammengenommen.
Jede Lizenz hat eine Laufzeit von 15 Jahren und enthält die Option, sie mehrfach um jeweils fünf Jahre zu verlängern, sofern der Lizenznehmer die Explorationsarbeiten aus unverschuldeten Gründen nicht beenden konnte (zum Beispiel aufgrund einer Pandemie) oder wenn die weltwirtschaftliche Lage gegen einen Rohstoffabbau in der Tiefsee spricht. Inhaber einer Explorationslizenz haben außerdem ein Vorrecht auf den späteren Abbau und dürfen Technik zur Rohstoffförderung in der Tiefsee testen. Dazu benötigen sie jedoch eine Umweltverträglichkeitserklärung, die von der Rechts- und Fachkommission der ISA geprüft und anerkannt wurde.

Technik für den Tiefseebergbau

Manganknollen: Bislang gibt es noch keinen Manganknollenabbau. In den zurückliegenden zehn Jahren aber haben mindestens fünf verschiedene Unternehmen und staatliche Institutionen die technische Entwicklung vorangetrieben und erste in Größe und Gewicht noch verkleinerte Prototypen künftiger Abbaugeräte getestet. Das koreanische Forschungsinstitut KIOST beispielsweise hat einen Kollektor für Manganknollen sowie ein Förder­system für den Transport der Knollen zur Meeresoberfläche entwickelt und beide bereits in Wassertiefen von 1200 und 1400 Metern getestet.
In eine Tiefe von 4400 Metern ging es im Jahr 2017 für das Fahrwerk des Manganknollen-Kollektors Patania I, den die belgische Firma DEME-GSR entwickelt und erfolgreich getestet hat. Sie besitzt eine Explorationslizenz in der Clarion-Clipperton-Zone und stellte ihren um ein Aufnahmesystem für Manganknollen erweiterten Kollektor Patania II im September 2018 erstmals der Öffentlichkeit vor. Ein erster Tiefseeeinsatz dieses Prototypen im Lizenzgebiet (ebenfalls 4400 Meter Wassertiefe) scheiterte im Jahr 2019 aufgrund technischer Probleme mit dem Verbindungskabel zum Schiff. Ein zweiter Test im Frühjahr 2021 aber verlief erfolgreich und wurde eng­maschig von europäischen Forschern überwacht, um Informationen über die Auswirkungen des Knollenabbaus auf die Meeresumwelt zu sammeln und Beobachtungs­systeme zu testen.
5.11 > Zwölf Meter lang, 4,5 Meter hoch, vier Meter breit und 25 Tonnen schwer ist Patania II, ein raupenähnlicher Manganknollen-Kollektor der belgischen Firma DEME-GSR. Der Prototyp wurde im Frühjahr 2021 erstmals in der Clarion-Clipperton-Zone in 4500 Meter Wassertiefe getestet.
Abb. 5.11 DEME Group
Sowohl der belgische als auch der südkoreanische Manganknollen-Kollektor sind vom Ansatz her raupenähnliche Fahrzeuge, die mithilfe eines hydraulischen Aufnahmesystems in der Lage sind, die lose auf dem Meeresboden liegenden Knollen einzusammeln. Der indische Lizenznehmer MoES dagegen verfolgt ein mechanisches Konzept zur Knollenaufnahme und entwickelt einen beweglichen Rechen mit Widerhaken, der die Knollen künftig zusammenharken soll. Nach der Aufnahme werden die Knollen gereinigt, zerkleinert und an ein vertikales Fördersystem übergeben. Je nach Konzept werden die Knollen dann über ein Lufthebeverfahren oder mithilfe von Dickstoffpumpen zur Förderplattform an der Wasseroberfläche transportiert. Dort werden sie entwässert und für den Transport an Land auf Massengutfrachter ­verladen.
Kobaltreiche Eisen-Mangan-KrusteN: Für den Abbau von Eisen-Mangan-Krusten hat die China Merchants Industry Holdings (CMI) einen Prototyp entwickelt, der im Südchinesischen Meer in 1300 Metern Wassertiefe erfolgreich getestet wurde. Das Gerät konnte sich nachweislich nicht nur auf dem Meeresboden bewegen, sondern auch Eisen-Mangan-Krusten schneiden und zerkleinern. Eisen-Mangan-Krusten vom Meeresuntergrund zu lösen, ist eine technische Herausforderung, denn oft bilden die Krusten die Oberflächengestalt des Untergrundgesteins nach. Befinden sich zum Beispiel Gerölle, abgerundete Blöcke und Gesteinsplatten oder die Fließstrukturen ehemaliger Lava unter den Krusten, so formen diese genau jene Strukturen nach. Auf besonders unebenem Grund können Abbaufahrzeuge demzufolge schnell stecken bleiben. Das chinesische Fahrzeug wiederum scheint sich schreitend fortzubewegen, um Unebenheiten auszugleichen. Für das Schneiden und Zerkleinern der Krusten setzen Ingenieure auf Verfahren mit einem Hochdruckwasserstrahl oder aber rotierende Rollenmeißel, wie man sie aus der Steinkohleförderung kennt.
5.12 > Für den Abbau einer Massivsulfidlagerstätte in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea hatte die inzwischen insolvent gegangene kanadische Firma Nautilus Minerals drei ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge entwickelt: eine Fräse (rechts), einen Schüttgutschneider (Mitte) und einen Kollektor (links).
Abb. 5.12 Photo courtesy of SMD Soil Machine Dynamics
Massivsulfide: Ebenso schwierig dürfte es sein, Massivsulfide abzubauen, doch auch hier gibt es bereits erste Ansätze. Die inzwischen insolvent gegangene kanadische Firma Nautilus Minerals beispielsweise hat für den Abbau einer Lagerstätte von Massivsulfiden in 1600 Meter Wassertiefe in der Bismarcksee vor Papua-Neuguinea ein Verfahren mit drei ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugen entwickelt und diese auch bauen lassen. Der Fahrzeugpark besteht aus einer Fräse zur Einebnung des Meeres­bodens, einem Schüttgutschneider (dem Hauptabbaufahrzeug) und einem Kollektor.
Fachleute bezweifeln jedoch, ob sich diese drei Fahrzeuge gleichzeitig sinnvoll einsetzen lassen. Die Fläche des anvisierten Erzvorkommens ist mit einem Durchmesser von wenigen Hundert Metern vergleichsweise klein. Außerdem besitzt die Lagerstätte die Form eines Kegels. Das heißt, ihre Fläche wird mit zunehmender Tiefe immer kleiner, wodurch die Bewegungsfreiheit der Abbaugeräte stark eingeschränkt wäre. Ein weiteres Hindernis sehen die Experten in dem harten vulkanischen Gestein, welches sich in der Umgebung der Massivsulfide befindet und abgetragen werden müsste. Nautilus Minerals wollte dazu eine Rollenmeißeltechnik einsetzen; Experten stufen dieses Verfahren jedoch als schwer durchführbar ein. Dennoch: Die Japan Oil, Gas and Metals National Corporation (JOGMEC) verfolgt einen vergleichbaren Ansatz. Das Unternehmen hat im Jahr 2017 einen ersten erfolgreichen Abbauversuch von Sulfiden im Okinawatrog im japanischen Hoheitsgebiet unternommen. Die Pläne zum marinen Bergbau im Okinawatrog sehen nach weiteren mehrjährigen Ent­wicklungs- und Erprobungsphasen eine Jahresproduktion von 1,3 Millionen Tonnen Erz vor.
Auf ein einzelnes Gerät zum Abbau von Massivsulfiden setzt ein Konsortium der deutschen Unternehmen Harren & Partner, Combi Lift und Bauer. Dessen Fachleute entwickeln ein vertikales Abbausystem, das auf dem Prinzip einer Schlitzwandfräse basiert, wie sie für rechteck­förmige Gründungen im Tiefbau, aber auch im Pipeline-, Hafen- und Kanalbau angewendet wird. Die Schlitzwandfräse besteht aus einem Stahlrahmen mit gegenläufig rotierenden Schneidradtrommeln an der Unterseite. Eine solche Konstruktion wurde im Meer bereits erfolgreich für den Abbau von Diamanten in einer Wassertiefe von 165 Metern eingesetzt. Mit dieser Methode könnte bei einem zukünftigen Sulfidabbau weitestgehend auf den Abraum des vulkanischen Nebengesteins verzichtet und der Förderprozess auf das Erz konzentriert werden. Die Technik würde es ermöglichen, an ausgewählten Stellen bis zu mehrere Dutzend Meter tief in die Massivsulfide zu schneiden und dabei nur einen sehr kleinen Abdruck von wenigen Quadratmetern pro Schnitt auf dem Meeresboden zu hinterlassen. Experten erwarten daher deutlich geringere Umweltauswirkungen. Es käme zum Beispiel kaum zur Freisetzung von Bohrklein oder Abraum am Meeres­boden. Das heißt, es könnte ein gezielter Erzabbau am Meeresboden erfolgen, ohne eine nennenswerte Suspensionsfahne zu erzeugen. Außerdem entfällt die Installa­tion eines vertikalen Förderstranges und damit der umweltschädliche Transport von Tiefenwasser an die Wasseroberfläche. Die Erprobung eines Prototyps dieses Gerätes im Testmaßstab in einer Wassertiefe von 2400 Metern ist im deutschen Lizenzgebiet im Indischen Ozean jedoch frühes­tens für das Jahr 2026 geplant.

Technische Entwicklung noch nicht am Ziel

In der Theorie mögen all diese technischen Abbaukonzepte vergleichsweise einfach und machbar klingen; in der Praxis aber warten viele Herausforderungen, welchen die Abbautechnik dauerhaft standhalten muss. Dazu gehören unter anderem ein Wasserdruck von 400 bis 600 bar am Tiefseeboden, korrosives Salzwasser sowie Umgebungstemperaturen dicht am Gefrierpunkt. Die Fräsen, Knollenkollektoren und Fördersysteme sollten zudem über lange Zeiträume hinweg ohne Wartung auskommen, weil es einen großen Aufwand bedeuten würde, sie für Reparaturen an die Meeresoberfläche zu holen.
Alle bisherigen Testläufe wurden mit Prototypen im Kleinformat durchgeführt. Für eine Rohstoffförderung im industriellen Maßstab müssen nun Abbaugeräte in vier- bis fünffacher Größe gebaut und getestet werden. In den Kinderschuhen stecken auch noch Verfahren zur metall­urgischen Verarbeitung von Manganknollen und -krusten. Ein weltweit erstes Konzept zur vollständigen Verhüttung und Nutzung von Manganknollen wurde von Wissenschaftlern der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe sowie der Technischen Hochschule Aachen (RWTH) entwickelt und bereits im erweiterten Labormaßstab erfolgreich getestet. Derzeit überführen die Projektpartner das Verfahren in den industriellen Maßstab, um zum einen die Machbarkeit einer nahezu rückstandslosen metallurgischen Verarbeitung nachzuweisen. Zum anderen wollen die Fachleute herausfinden, wie ein Verhüttungswerk aussehen müsste und wie teuer es am Ende wäre, wirklich alle in den Manganknollen enthaltenen Rohstoffe zu extrahieren und zu verkaufsfähigen Zwischenprodukten zu verarbeiten.
Schätzungen zufolge werden die Kosten für die Aufbereitung und Verarbeitung der Knollen voraussichtlich die Hälfte bis zwei Drittel der gesamten Investitions- und Betriebskosten eines Tiefseebergbauprojektes umfassen. Die Investitionskosten belaufen sich auf etwa 1,5 Milliarden US-Dollar – eine Summe, die auch für die Erschließung landgebundener Vorkommen anzusetzen ist. Die Betriebskosten betragen schätzungsweise 160 bis 400 Millionen US-Dollar pro Jahr, was den Tiefseebergbau angesichts der gegenwärtigen Weltmarktpreise für Metalle vermutlich noch unrentabel macht. Die steigende Rohstoffnachfrage dürfte das Preisniveau jedoch langfristig anheben. Aufgrund dieser finanziellen und der genannten technischen Unwägbarkeiten gehen Experten davon aus, dass es mindestens weitere fünf, eher zehn Jahre dauern wird, bis marine mineralische Rohstoffe erstmals im gro­ßen Stil abgebaut werden könnten. Wie realistisch diese Annahme ist, bleibt abzuwarten.

Fortschritt oder schmutziges Geschäft?

Die zunehmende technische Machbarkeit des Tiefseebergbaus hat dazu geführt, dass der Streit über die Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit der Förderung von Erz­vorkommen im Meer neu entbrannt ist. Befürworter argumentieren, dass der Rohstoffbedarf der Menschheit angesichts der Umstellung von fossilen Energieträgern auf erneuerbare Energien (Stromspeicher, E-Mobilität) enorm steige. Würden die Staaten diese Nachfrage nicht befriedigen, wären ihre wirtschaftliche Entwicklung und der Wohlstand ihrer Bevölkerung in Gefahr. Um den Rohstoffbedarf zu decken, müssten bestehende Bergwerkskapa­zitäten an Land ausgebaut oder aber neue Bergwerke eröffnet werden.
5.13 > Der Schlangenstern Amphiophiura bullata ist eine von mehreren neuen Tiefseearten, die Forschende in den zurückliegenden Jahren in der Clarion-Clipperton-Zone entdeckt haben. Genetische Analysen ergaben zudem, dass einige der bislang unbekannten Schlangensterne zu neuen Abstammungslinien gehören, die sich seit mehr als 70 Millionen Jahren in der Tiefsee entwickelt haben.
Abb. 5.13 Dr. Magdalini Christodoulou/Senckenberg am Meer
Beide Maßnahmen wären mit großen Umweltauswirkungen verbunden. Unterstützer des Tiefseebergbaus verweisen daher darauf, dass:
  • für den Tiefseebergbau keine Wälder gerodet, Grundwasserspiegel gesenkt und Menschen umgesiedelt oder vertrieben werden müssten; man bräuchte zudem keine aufwendigen Infrastrukturen wie etwa Straßen, Stromtrassen, Gebäude und Systeme für die Entwässerung;
  • keine großen Abraumhalden entstünden, weil die Erzvorkommen direkt zugänglich wären – und nicht erst viele Tonnen Erdreich umgeschichtet werden müssten;
  • beim Abbau im Meer keine Schadstoffe oder Schwermetalle freigesetzt würden, welche beim Erzabbau an Land oftmals zu großen Umweltschäden führen;
  • Lagerstätten in der Tiefsee wie Manganknollen oftmals drei oder mehr Metalle in wirtschaftlich interessanten Mengen vereinen und somit verschiedene Rohstoffe an ein und demselben Ort abgebaut werden könnten; an Land müsste für jedes Metall eine eigene Lagerstätte erschlossen werden;
  • nur Maschinen den Rohstoffabbau im Meer bewältigen könnten; im Gegensatz zum Bergbau an Land bestünden somit deutlich geringere Gefahren für Minenarbeiter; Kinderarbeit, die vor allem in Entwicklungsländern noch Alltag ist, könnte ausgeschlossen werden;
  • der Abbau mariner Vorkommen die zunehmende Angebotskonzentration auf den internationalen Rohstoffmärkten entspannen würde. Bei vielen Metallen stammt ein Großteil der Produktion aus nur einem Land – teilweise auch aus politisch instabilen oder undemokratischen Staaten, die ihre Marktmacht als politisches Druckmittel einsetzen. Rohstoffe aus der Tiefsee würden die Abhängigkeit von diesen Nationen verringern, da ihr Abbau in internationalen Gewässern internationalem Recht unterliegt und damit auch der Kontrolle der Weltgemeinschaft.
Die Gegner des Tiefseebergbaus überzeugt diese Argumentation wenig. Sie sorgen sich zum einen um die Umweltauswirkungen der Rohstoffförderung in der Tiefsee. Zum anderen kritisieren sie die Rolle und Regelungen der Internationalen Meeresbodenbehörde und bezweifeln, dass die Einnahmen aus dem Verkauf des gemeinsamen Erbes der Menschheit vor allem auch den Menschen aus den ärmsten Entwicklungsländern zugutekämen.

Abb. 5.14 imago/Bluescreen Pictures/David Shale

5.14 > Die Meeresschnecke Chrysomallon squamiferum ist die erste Tiefseeart, die aufgrund bevorstehender Bergbauarbeiten zur Roten Liste der gefährdeten Tierarten hinzugefügt wurde. Die Schnecke lebt an drei Hydrothermalquellen östlich Madagaskars. Zwei davon liegen in Gebieten, für die bereits Explorationslizenzen vergeben wurden.

Auswirkungen auf die Meeresumwelt

Über die möglichen Folgen des Tiefseebergbaus für die Artenvielfalt und die Lebensgemeinschaften am Meeresgrund ist nach 30 Jahren Forschung bereits einiges bekannt, auch wenn Forschende die Funktionsweise der Ökosys­teme der Tiefsee und deren Rolle für die vielen Dienstleis­tungen des Meeres noch nicht vollständig ergründet haben. Auf und im Boden der an Manganknollen reichen Tiefseeebenen beispielsweise lebt eine Vielzahl beweglicher und sesshafter Organismen – angefangen bei wenige Zehntel Millimeter kleinen Fadenwürmern, die den Hauptteil der Artenvielfalt ausmachen, über Seegurken bis hin zu meterlangen Fischen. Auf den Knollen wachsen Schwämme und Tiefseekorallen, die vielen anderen Tieren Nahrung und Schutz bieten.
Wer wo am Meeresboden lebt, hängt von den jeweiligen Bedingungen am Meeresboden ab. Im deutschen Lizenzgebiet in der Clarion-Clipperton-Zone beispiels­weise können sich die sedimentologischen und geochemischen Bedingungen am Meeresgrund über Entfernungen von weniger als 1000 Metern ändern. Außerdem durchsetzen Unterseevulkane und Hügelketten die gro­ßen Tiefseeebenen. Entsprechend angepasst sind dann auch die jeweiligen Lebensgemeinschaften.
Die Vielfalt des Lebens in der Tiefsee ist viel größer als ursprünglich gedacht. In den zurückliegenden Jahren haben Wissenschaftler nicht nur zahlreiche Arten aus der Clarion-Clipperton-Zone identifizieren und beschreiben können. Es gelang ihnen auch, mithilfe molekulargenetischer Untersuchungsmethoden einen ersten Eindruck von der Diversität der Tiefseeorganismen zu gewinnen. Diese ist so hoch, dass gern Vergleiche mit der Artenvielfalt von Regenwäldern angestellt werden. Allerdings ist die Individuendichte der meisten Arten am Meeresgrund gering, weshalb bislang nur geschätzte zehn Prozent der kleinsten Lebewesen (Meiofauna, bodenlebende Organismen, die 0,32 bis 1,0 Millimeter klein sind) und 30 Prozent der mittelgroßen Tiere (Makrofauna, Körpergröße von zwei bis 20 Millimeter) wissenschaftlich beschrieben wurden.
5.15 > Kraken gehören zu den vielen Tiefseebewohnern, die unmittelbar auf Manganknollen angewiesen sind. Sie heften ihre Gelege an Schwämme, die auf den Manganknollen wachsen.
Abb. 5.15 o. © Jason 2 ROV team

 

Abb. 5.15 u. Alfred-Wegener-Institut/OFOS Launcher team
Bekannt sind dagegen die aus menschlicher Sicht unwirtlichen Lebensbedingungen in der Tiefsee, an die sich deren Bewohner angepasst haben: Nahrung gibt es nur selten; der Wasserdruck ist hoch, die Wassertemperatur dagegen niedrig. Außerdem ist es rund um die Uhr stockdunkel. Die meisten Organismen ernähren sich von den wenigen Partikeln, die aus den oberen Meeresschichten herabsinken. Das spärliche und vor allem kurzfristig verfügbare Nahrungsangebot nach dem Absinken von Planktonblüten im Oberflächenwasser führt dazu, dass die Tiere am Meeresgrund langsam wachsen, sich erst sehr spät im Leben fortpflanzen und unter Umständen extrem lange Brutpflege betreiben.
Im Zeitraum von 2007 bis 2011 beispielsweise beob­achteten US-amerikanische Wissenschaftler vor der Küste Kaliforniens ein Tiefseekraken-Weibchen der Art Graneledone boreopacifica, dessen Nachwuchs erst aus dem Ei schlüpfte, nachdem es sein Gelege viereinhalb Jahre lang bewacht hatte. Wenig später wiederum konnten deutsche Tiefseeforscher im Perubecken nachweisen, dass Tiefseekraken ihre Gelege auch direkt an Manganknollen legen. Die Tiere hatten ihre Eier in einer Tiefe von rund 4000 Metern an Schwämme geheftet, die auf den Manganknollen wuchsen.
Andere Forscher fanden heraus, dass im östlichen Teil der Clarion-Clipperton-Zone in etwa jeder zweite Tiefseebewohner mit einer Größe von mehr als zwei Zentimetern (Megafauna) auf die Manganknollen angewiesen ist, weil diese den nahezu einzigen harten Untersatz bilden, auf dem sich Schwämme, Korallen & Co festsetzen können. Sollten die Knollen durch riesige Förderraupen abgebaut werden, würde dort anschließend das Substrat für eine Wiederbesiedlung fehlen – es sei denn, der Mensch führt Restaurationsmaßnahmen durch und ersetzt die Knollen durch andere Hartsubstrate. Aktuell prüfen europäische Forschende mit einer Reihe von Experimenten die Machbarkeit solcher Maßnahmen.
Größere Organismen kommen in der Clarion-Clipperton-Zone vergleichsweise selten vor. Bei Zählungen fanden Forscher gerade mal 0,5 Tiere pro Quadratmeter Fläche. Viel häufiger sind die hauptsächlich im Sediment lebenden Kleinsttiere (Mikrofauna, kleiner als 0,3 Millimeter). Sie machen mit einer durchschnittlichen Dichte von rund 300 000 Organismen pro Quadratmeter bei Weitem den Hauptbestandteil der Tiere aus. Bei einem Abbau würden allerdings nicht nur die Knollen selbst entfernt, sondern auch die oberen etwa zehn Zentimeter des Meeresbodens samt allen darauf oder darin lebenden Organismen. Wie lange die Natur anschließend bräuchte, um sich von diesem massiven Eingriff zu erholen, ist nur in Ansätzen bekannt.
In sogenannten Störungsexperimenten konnten Wissenschaftler zeigen, dass Eingriffe in das Leben am Tiefseeboden lang anhaltende, aber durchaus verschiedene Veränderungen in der Häufigkeit und Zusammensetzung der Tiere nach sich ziehen. Um den Manganknollenabbau zu simulieren, hatten Wissenschaftler beispielsweise im Jahr 1989 im Perubecken den Tiefseeboden auf einer Fläche von wenigen Quadratkilometern mit einer Egge umgepflügt. 26 Jahre später kehrten sie zurück, um das Leben auf und im umgepflügten Boden zu untersuchen. Ihr Ergebnis: Die Spuren waren noch immer deutlich zu sehen. Die biogeochemischen Bedingungen im Meeres­boden hatten sich verändert, sodass überraschenderweise sogar die dort lebenden Mikroorganismen noch stark beeinträchtigt waren und laut Prognose mindestens 50 Jahre bräuchten, um sich nahezu vollständig zu erholen.
Eine Überblicksstudie aus der Clarion-Clipperton-Zone wiederum kam zum Schluss, dass nach einem Eingriff einige im Sediment lebende Arten schnell, das heißt innerhalb von Monaten bis Jahren, wieder einwandern und in ihrer Individuenzahl den ursprünglichen Zustand sogar übertreffen, während andere Arten Jahrzehnte und damit deutlich länger brauchen. Experten ziehen daher das Fazit, dass die Wiederbesiedlung gestörter Flächen viele Generationen dauern kann. Die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaft am und im Meeresboden bleibt auch Jahrzehnte nach dem Ereignis verändert, wobei sich jedoch die Forschungsergebnisse aus einem bestimmten Gebiet nicht übertragen lassen – weder auf andere Tiefseeregionen noch auf andere Mineralvorkommen (Sulfide, Krusten) im Meer.
Abgesehen vom Abtragen der obersten Meeresbodenschicht erwarten Experten allerdings noch weitere Umweltauswirkungen der bislang entwickelten Abbauverfahren für Manganknollen. Zum einen wären da Störungen durch den Lärm, die Vibrationen und den Lichtschein der riesigen Förderraupen. Zum anderen ist abzusehen, dass durch das Einsammeln der Manganknollen sowie durch das Reinigen und den Abtransport des Erzes Sediment- oder Trübewolken vor allem am Meeresboden, aber auch in der Wassersäule entstehen werden. Forscher gehen davon aus, dass die derzeit in Bau befindlichen hydraulischen Knollenkollektoren pro Stunde 500 bis 1000 Tonnen Sediment am Meeresboden aufwirbeln werden. Diese Menge an Material wird vor allem dann zum Problem, wenn es sich wieder absetzt. Unter natürlichen Bedingungen beträgt die Sedimentationsrate in der Tiefsee nämlich nur wenige Millimeter pro 1000 Jahre. Die Aufwirbelungen durch den Knollenabbau aber würden diese Rate drastisch in die Höhe schnellen lassen.
Aus Versuchen und Computerberechnungen weiß man bereits, dass sich 90 bis 95 Prozent der durch die ­Förderraupen aufgewirbelten Sedimente in einem Umkreis von bis zu zehn Kilometern zügig wieder absetzen. Allerdings hat die neu gebildete Sedimentoberfläche eine andere Struktur und Zusammensetzung als der ursprüngliche Meeresboden und entspricht deshalb nicht mehr dem natürlichen Lebensraum. Die restlichen Partikel werden durch Meeresströmungen verdriftet und außerhalb des Abbaugebietes abgelagert. Experten gehen davon aus, dass ein industrieller Abbau der Manganknollen auch in 20 oder 30 Kilometer Entfernung zu deutlich erhöhten Sedimentationsraten führen wird.
Die Auswirkungen dieser Trübewolken und Sediment­ablagerungen auf die Lebensgemeinschaften der Tiefsee sind wahrscheinlich von Art zu Art unterschiedlich und bisher nur unzureichend erforscht. Erste Untersuchungen dazu zeigen, dass die Kleinsttiere im Sediment eine bis zu ein Zentimeter dicke Wiederbedeckung mit aufgewirbeltem Sediment vertragen. Ist diese Sedimentlage dicker, überleben weniger Tiere. Sesshafte Tiere wie Schwämme und Korallen hingegen, die in unmittelbarer Nähe zum Abbaugebiet auf dem Meeresboden siedeln und für ihre Ernährung das sonst sehr klare Bodenwasser filtrieren, werden durch die Masse der herabsinkenden Sedimentpartikel bedeckt und haben deshalb nur geringe Überlebenschancen. Aber auch Kraken, Fische und die Larven vieler anderer Tiefseearten könnten unter den Sedimentwolken leiden. Wissenschaftler können zudem nicht ausschließen, dass tiefseebergbaubedingte Trübewolken die Fischerei beeinträchtigen.
Das Fazit der Wissenschaft lautet daher in Kürze: Da bis heute kein Tiefseebergbau in industriellem Maßstab stattgefunden hat und entsprechende Begleit­untersuchungen fehlen, können auch noch keine realistischen Angaben zur tatsächlichen Intensität und Dauer des störenden Eingriffes sowie zu seinen Langzeitfolgen für die Lebensgemeinschaften der Tiefsee gemacht werden. Aufsichtsgremien wie die Internationale Meeres­bodenbehörde haben daher nur die Möglichkeit, Regula­rien einzuführen, welche die Folgen von Anfang an so weit wie möglich eingrenzen. Die Minimierung groß­flächiger Konsequenzen erfordert die Entwicklung von Geräten mit geringen Auswirkungen und eine sorgfältige und anpassungsfähige Raumplanung für den Bergbau. Das aktuelle Wissen reicht jedoch noch nicht aus, um wirksame Schutzvorkehrungen zu treffen. Viele Gebiete der Tiefsee gelten nach wie vor als unentdeckt. Außerdem kann ­niemand genau sagen, welche Rolle die unterste ­Etage des Ozeans beispielsweise für die vielen Stoffkreisläufe der Meere und damit letztendlich auch für das Klima der Erde spielt.
Die Internationale Meeresbodenbehörde begegnet diesem Wissensdefizit, indem sie die Einhaltung des Vorsorgeprinzips und höchster Umweltstandards verlangt sowie regionale Umweltmanagementpläne erstellt. In der Clarion-Clipperton-Zone hat sie zum Schutz der Artenvielfalt zudem neun jeweils 160 000 Quadratkilometer große Schutzgebiete am Meeresboden eingerichtet, also rund 30 Prozent der Gesamtfläche. Allerdings ist wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen, ob deren Fläche, Lage und Artenvielfalt ausreichen würde, gestörte Abbauflächen wieder zu besiedeln. Aus diesem Grund diskutiert die Rechts- und Fachkommission der ISA derzeit, ob weitere drei bis vier Schutzgebiete eingerichtet werden sollen, die bislang nicht berücksichtigte Lebensräume einschließen. Darüber hinaus wird international verhandelt, wo entsprechende Schutzzonen in allen anderen rohstoffreichen Gebieten auf Hoher See eingerichtet werden sollen und welche Pflichten sich dadurch für die Lizenzinhaber er­geben. Das oberste Ziel ist es, verbindliche Regularien zur sorgsamen und anpassungsfähigen Raumplanung des Tiefseebergbaus zu schaffen und effektive Umweltschutzmaßnahmen auf regionaler Ebene zu treffen.

Kritik an der Internationalen Meeresbodenbehörde

Umweltschützer bezweifeln allerdings, dass die ISA ihrer Mehrfachrolle als Lizenzgeber, Bergbau-Wegbereiter, Abgabeneintreiber und oberste Kontroll- und Umweltschutzinstanz wirklich gerecht werden kann. Um alle Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen, seien die ISA-Gremien, vor allem aber ihr Schlüsselorgan, die Rechts- und Fachkommission, die für juristische und technisch-wissenschaftliche Fragen zuständig ist, mit viel zu wenig Mitteln und Fachpersonal für Umweltfragen ausgestattet. Außerdem gebe es fundamentale Interessenkonflikte innerhalb der Behörde, die aus den unterschiedlichen Anforderungen resultieren. Wie beispielsweise solle eine Behörde die Umwelt effektiv schützen, wenn sie gleichzeitig daran gemessen werde, in welchem Maß sie Tiefseebergbau ermögliche?
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace wirft der ISA vor, Explorationslizenzen an verschiedene Unternehmen vergeben zu haben, die im Auftrag einiger weniger Gesellschaften aus Industrienationen agieren. Ein anschließender möglicher Tiefseebergbau in internationalen Gewässern käme so vor allem diesen Unternehmen ­zugute. Die vielen Risiken des Rohstoffabbaus wiederum würden vor allem Entwicklungsländer tragen: zum einen, weil diese als Sponsoring State der privaten Bergbauunternehmen auftreten; zum anderen, weil große Erzvorkommen in deren nationalen Gewässern liegen. Über deren Abbau hat die ISA nicht zu entscheiden, aber denkbare Bergbaufolgeschäden wie ein Zusammenbruch der Ökosys­teme oder aber Auswirkungen auf die Fischerei würden somit in erster Linie die Küstenbevölkerung dieser Nationen treffen. Andere Experten widersprechen Greenpeace: Vor allem bei Massivsulfiden und Eisen-Mangan-Krusten gebe es derzeit keine privaten Investoren und auch bei den Manganknollen seien etwa die Hälfte staatliche Lizenznehmer aus Industrie- und Entwicklungsländern. Firmen, die in internationalen Gewässern Bergbau betreiben ­wollen, müssten sich zudem gegen Umweltschäden ver­sichern und in einen Umweltkompensationsfonds ein­zahlen. Hinsichtlich der Kritik an der ISA wird darauf ­verwiesen, dass die Behörde selbst alle Mitgliedstaaten auffordert, weitere Fachleute zu entsenden, um die Umweltexpertise der Kommission zu stärken.
Diese Experten loben auch die internationale Zusammenarbeit in der ISA und die Fortschritte, welche die Meeresbodenbehörde in den zurückliegenden Jahren gemacht habe. Im Juli 2000 wurden die Rechtsgrundlagen zur Prospektion und Erkundung der Manganknollen verabschiedet; im Mai 2010 wiederum folgte das Regelwerk für Massivsulfide und im Juli 2012 jenes für Eisen-Mangan-Krusten. Seit Juli 2016 verhandeln die ISA-Mitgliedstaaten nun die Abbauregularien, die Teil des sogenannten Mining Code sein werden – ein übergreifendes Regelwerk zur Erkundung und zum industriellen Rohstoffabbau, welches nach Ansicht vieler Beobachter die seltene Gelegenheit bietet, bereits im Vorfeld tatsächlicher Bergbau­aktivitäten wissenschaftsbasierte Umweltschutzmaßnahmen festzulegen.
Der Mining Code reguliert die formalen Aspekte der Antragstellung, den Schutz der Umwelt über Umweltverträglichkeitserklärungen inklusive Umweltmanagement und -monitoring sowie die Öffentlichkeitsbeteiligung, den Arbeitsschutz, die Überwachung des Abbaus durch Inspektoren und den Stilllegungsplan. Außerdem soll in dem Regelwerk festgeschrieben werden, welche Gebühren und Kompensationsabgaben Bergbauunternehmen an die ISA zahlen müssen, wenn sie Rohstoffe aus inter­nationalen Gewässern abbauen und somit allein vom gemeinsamen Erbe der Menschheit profitieren. Daran knüpft sich dann unmittelbar die Frage, wie die möglichen Einnahmen gerecht auf alle Länder verteilt werden könnten. Das Seerechtsübereinkommen enthält nämlich die wichtige Klausel, dass der Rohstoffabbau im Meer der Förderung an Land nicht schaden dürfe. Sollten einer oder mehreren Nationen dennoch Nachteile aus dem Tiefseebergbau entstehen – etwa, weil aufgrund dessen die Rohstoffpreise sinken oder deren Erzvorkommen dann nicht mehr ausgebeutet werden und dem Staat somit ­Steuereinnahmen entgehen –, so müssten diese nach dem Seerechtsübereinkommen finanziell durch die ISA entschädigt werden. Wie und von wem, ist bisher ebenfalls noch nicht abschließend geklärt.

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Kreislaufwirtschaft plus X – die bessere Alternative

Ob der industrielle Tiefseebergbau eines Tages Wirklichkeit wird, bleibt abzuwarten. Umweltschützer fordern ein generelles Verbot und den flächendeckenden Schutz der Tiefsee; Unternehmen und Regierungen wiederum argumentieren mit der steigenden Rohstoffnachfrage und der Notwendigkeit, die Rohstoffversorgung ihrer jeweiligen Industrie und damit auch Arbeitsplätze zu sichern. Bei all dem schwingt außerdem die Angst mit, dass einzelne rohstoffreiche Nationen eine zu große Marktmacht erhalten und diese für eine politische Einflussnahme nutzen könnten. Ein denkbarer Ausweg aus dieser Zwickmühle wäre eine Kombination verschiedener Strategien, die jedoch voraussetzt, dass sich das globale Wirtschaftssystem und das Konsumentenverhalten grundlegend ändern und beide nicht mehr ausschließlich auf Wachstum und Verbrauch angelegt sind.

Am Anfang stünde dabei immer eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft. Diese setzt unter anderem voraus, dass:
  • genügend Metalle in der Kreislaufwirtschaft enthalten sind, um den Bedarf zu decken;
  • Produkte so weiterentwickelt werden, dass bei ihrer Herstellung möglichst wenig mineralische Rohstoffe verwendet werden;
  • Waren und Güter eine lange Haltbarkeit und Lebensdauer haben;
  • alle entsorgten Geräte und die darin verbauten Materialien recycelt und wiederverwendet werden.
5.17 > Diese Bilder zeigen zwei der Korallen­atolle im Südchinesischen Meer, die China durch Sandaufschüttungen in Inseln verwandelt hat. Sowohl auf dem Fiery-Cross-Riff (oben) als auch auf dem Subiriff ist seit dem Jahr 2017 Militär stationiert. Die Atolle als Lebensraum für Korallen und Riffbewohner sind weitestgehend zerstört worden.
Abb. 5.17 Digital­ Globe/CSIS/Asia Maritime Transparency Initiative, ­https://amti.csis.org/constructive-year-chinese-building/

 

Abb. 5.17 Digital­ Globe/CSIS/Asia Maritime Transparency Initiative, ­https://amti.csis.org/constructive-year-chinese-building/
Kreislaufsysteme schonen nicht nur die Umwelt, sie bringen auch wirtschaftliche Vorteile. Durch das Recycling metallischer Abfälle und Schrotte etwa reduzieren sich die durch den Bergbau geförderten Rohstoffmengen, und in der Produktion wird sehr viel Energie eingespart. Auch wachsen die Abfallberge nicht weiter an. Recht viele Metalle lassen sich außerdem weitestgehend ohne Qualitätsverlust wiederverwerten.
Weltweit werden Rohstoffe wie Eisen, Zink, Kupfer, Gold und Silber heute schon zu 50 bis 90 Prozent wiederverwertet. Bei vielen anderen Metallen besteht noch großes Ausbaupotenzial. Fakt ist aber auch, dass elektronische Produkte und anfallende Schrotte immer komplexer werden, was das Recycling einzelner Materialien erschwert und es teilweise unwirtschaftlich macht. Eine Kreislaufwirtschaft kann zudem nur dann funktionieren, wenn die Menge der wiederaufbereiteten Rohstoffe ausreicht, um die weltweite Nachfrage zu decken.
Fachleute gehen jedoch davon aus, dass angesichts des rapiden Bevölkerungswachstums und des zunehmenden Technologiewandels in allen Teilen der Welt Metallrohstoffe auch künftig aus natürlichen Lagerstätten abgebaut werden müssen. Verbessern ließe sich die Versorgungslage aber, indem Rohstofflagerstätten umfassender erschlossen werden.
Vor diesem Hintergrund beauftragte die Europäische Kommission vor wenigen Jahren Wissenschaftler, herauszufinden, welche Mengen wertvoller Mineralien und Metalle sich in den Abraumhalden ehemaliger Bergwerke oder Tagebaue noch befinden und wie sich diese gewinnen ließen. Das Ergebnis: Die Chancen, Rohstoffe wie Chrom, Niob oder auch Vanadium in den Halden zu finden, sind groß, gerade weil in den Bergwerken an Land früher immer nur ein oder zwei Rohstoffe abgebaut wurden. Einkalkuliert werden müsste allerdings, dass einiger Aufwand zu betreiben wäre, die bislang unberücksichtigten Metalle und Mineralien bergen zu können. Am sinnvollsten wären Methoden, mit denen sich verschiedene Rohstoffe gleichzeitig extrahieren ließen, selbst wenn diese Ansätze in der Regel sehr energieintensiv sind.
Andere Forschende suchen nach Wegen, mit denen sich im Meerwasser gelöste Metalle direkt gewinnen lassen – so zum Beispiel Lithium, welches die Ozeane in einem Umfang von schätzungsweise 180 Milliarden Tonnen speichern. Die tatsächliche Konzentration des Stoffs im Meerwasser aber beträgt lediglich 0,2 parts per million. Um diesen winzigen Anteil zu extrahieren, setzen Wissenschaftler speziell beschichtete Elektroden ein, welche sie wiederholt unter Strom setzen. Als Reaktion auf die elektrische Spannung wandern die Lithiumionen aus dem Wasser in die Elektrode. Diese Methode funktioniert im Versuchsaufbau. Bis zu einer industriellen Anwendung aber ist es noch ein weiter Weg.

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Einige deutsche Geologen stellten deshalb im Jahr 2017 die Frage, ob es nicht denkbar wäre, vor einer Aufnahme des technisch aufwendigen und folgenschweren Tiefseebergbaus zunächst im Untergrund der flachen, küstennahen Schelfmeere nach Erzvorkommen zu suchen. Deren Meeresgrund, der sogenannte Kontinentalschelf oder Festlandsockel, stellt eine Verlängerung des Kontinents dar, was vermuten lässt, dass Metall- oder Mineralvorkommen, die an Land in unmittelbarer Küstennähe ­vorkommen, auch im Meeresgrund zu finden sind. Und wahrscheinlich ließen sich diese küstennahen Ressourcen vergleichsweise einfach und mit deutlich geringeren Risiken abbauen als die Erzvorkommen in der Tiefsee. Die Geologen prognostizieren zum Beispiel große Goldvorkommen vor der Westküste Afrikas, Nickellagerstätten im Arktischen Ozean und Blei-Zink-Vorkommen im Golf von Mexiko und dem Mittelmeer. Neu wäre eine Rohstoffförderung in vielen dieser Regionen nicht. Seit mehr als 70 Jahren werden in einigen Schelfmeeren Erdöl und Erdgas gefördert; andernorts werden im Küstenbereich Sand und Kies abgebaut – allerdings auch nicht folgenlos für die empfindlichen Ökosysteme der Küstengewässer.
Das heißt: Solange der Rohstoffbedarf steigt und wirklich nachhaltige Alternativen fehlen, bleibt die Gewinnung mineralischer Rohstoffe stets eine Interessenabwägung, bei der sich die Frage stellt, wie der Nutzen im Verhältnis steht zu den teilweise nicht absehbaren Folgen für Umwelt und Mensch. Die Staatengemeinschaft steht zudem auch erstmals vor der Entscheidung, ob ein industrieller Bergbau tatsächlich auch in der internationalen Tiefsee statt­finden soll. Textende