Die Polargebiete als Teil des globalen Klimasystems
2
WOR 6 Arktis und Antarktis – extrem, klimarelevant, gefährdet | 2019

Warum es in den Polarregionen so kalt wird

Warum es in den Polarregionen so kalt wird © [M] mare, Foto © Jacob Aue Sobol/Magnum Photos/Agentur Focus

Warum es in den Polarregionen so kalt wird

> Das Klima der Polargebiete ist das Ergebnis eines sich selbst verstärkenden ­Prozesses. Wo wenig Sonnenwärme ankommt, gefriert Wasser zu Eis, das wie ein Spiegel jede weitere Einstrahlung reflektiert. Ein vielschichtiges, komplexes Windsystem, das maßgeblich mitverantwortlich ist für das Wetter- und Klimageschehen auf unserer Erde, wird von Temperatur- und Druckunterschieden angetrieben, die zwischen warmen und eisigen Regionen herrschen.

Kälter wird es nicht

Als kältester Ort der Erde gilt laut Definition der Welt­organisation für Meteorologie (World Meteorological Organization, WMO) die russische Antarktisforschungsstation Wostok. Sie wurde im Jahr 1957 mitten auf dem Ostantarktischen Eisplateau errichtet, in einer Höhe von 3488 Metern über dem Meeresspiegel. Bis zum geografischen Südpol sind es vom Stationsgebäude aus nur rund 1300 Kilometer. Am 21. Juli 1983 notierte der Stations­meteorologe hier in der Standardmesshöhe von zwei Metern über dem Boden eine Tiefsttemperatur von minus 89,2 Grad Celsius – die offiziell kälteste je gemessene Temperatur auf der Erde.
Wenige Zentimeter über der Oberfläche des Ostantark-tischen Eisschilds aber sinkt die Lufttemperatur noch weiter. Wie Satellitendaten aus den Jahren 2004 bis 2016 zeigen, kann sich die bodennahe Luft in einer südlicher und höher gelegenen Region des Eisschilds auf bis zu minus 98 Grad Celsius abkühlen.
2.1 > Lang gezogene Schneewellen auf dem Ostantarktischen Eisschild. Sie heißen Sastrugi und entstehen, wenn der Wind über den Boden fegt, die losen Schneekris­talle mit sich reißt und aus der vorher höheren Schneedecke an Stellen mit etwas härterem Schnee stromlinienförmige Erhebungen oder Rillen herausfräst.
Abb. 2.1 © Ted Scambos, NSID

Zusatzinfo Die Stockwerke der Atmosphäre

Der Wärmemotor des Erdklimas

Ausschlaggebend für die extreme Kälte in den Polar­gebieten ist das besondere Zusam­men­spiel von Sonne, Eis, Luft­feuch­tigkeit und Wind. Die Sonne ist die treibende Kraft des Wetters und des Klimas auf der Erde. Mit ihrer Strahlung erwärmt sie die Kontinente, die Ozeane und die Atmosphäre. Die Intensität, mit der die Sonnen­strahlen auf den äußeren Rand der Erdatmosphäre treffen, ist seit Beginn der Satel­liten­messungen im Jahr 2000 annähernd konstant geblieben. Aufgrund der Kugel­form der Erde ist die Menge der einfallenden Sonnen­strahlung oder Lichtenergie jedoch nicht an allen Stellen gleich. Dort, wo die Strahlung senkrecht auf die Atmos­phäre trifft, fällt eine Lichtenergie von 1361 Watt pro Quadrat­meter (Solar­kon­stan­te) ein. In Regionen, wo die Sonnenstrahlen in einem viel flacheren Winkel auf die Erdatmosphäre treffen, dazu zählen auch die Polargebiete, ist dieser Wert deutlich kleiner. Außerdem erreicht die Sonnenstrahlung stets nur den der Sonne zugewandten Teil der Erde. Errechnet man also den globalen Durch­schnitt der Sonnen­ein­strahlung am oberen Rand der Atmosphäre, so beträgt dieser ungefähr 340 Watt pro Quadratmeter. Wie viel weniger Wärme die Polar­regionen erreicht, verdeutlicht ein kleines Rechenbeispiel: Fällt das Sonnenlicht an einem wolkenlosen Sommertag in einem Winkel von 30 Grad auf Teile des antarktischen Kontinents, so kommt dort die Hälfte jener Energie an, die im selben Augenblick in Äquator­nähe im Winkel von 90 Grad auf die Erdoberfläche trifft.
Ein wesentlicher Grund dafür, dass es Unterschiede im Wärmeeintrag über das Jahr gesehen gibt, ist die Tatsache, dass sich die Erde wie ein Kreisel im Weltall dreht und ihre Drehachse bei ihrer Wanderung um die Sonne nicht vollkommen senkrecht zur Umlaufbahn steht. Stattdessen neigt sich die Erdachse in einem Winkel von ­derzeit 23,4 Grad zur Seite. Stünde die Erdachse im rechten Winkel zur Umlaufbahn, gäbe es auf der Erde keine ­Jahreszeiten. Aufgrund der Neigung aber ist die Nordhalbkugel der Erde im Nordsommer der Sonne zugewandt und erhält viel Sonnenlicht, im Nordwinter jedoch neigt sie sich von der Sonne weg und wird dementsprechend weniger stark bestrahlt – auf der Südhalbkugel ist es immer genau umgekehrt.
2.3 > Die Eis- und Schneeflächen der Polarregionen strahlen bis zu 90 Prozent der einfallenden Sonnenstrahlung zurück ins Weltall und kühlen auf diese Weise die Erde.
Abb. 2.3 © NASA/GSFC/Science Photo Library

Wetter + Klima
Unter „Wetter“ verstehen Mete­oro­logen den augenblicklichen Zustand der unteren Atmosphäre (Tropo-sphäre) sowie dessen kurzfristige Ver­änderung zu einer bestim­mten Zeit an einem bestim­mten Ort. Um diesen Zustand zu beschrei-ben, messen sie die Temperatur, den Niederschlag, die Windrichtung und andere Wetterparameter. Der Begriff „Klima“ dagegen steht für die Statistik des Wetters. Er beschreibt mithilfe statistischer Mittel- und Extremwerte den Wetterverlauf an einem Ort über einen Zeitraum von 30 Jahren.

Der Erdneigung verdanken wir aber nicht nur die ­Jahreszeiten, welche umso ausge­prägter sind, je weiter man sich vom Äquator entfernt. Sie ist auch der Grund, warum die Sonne in den Polargebieten zu bestimmten Zeiten des Jahres entweder gar nicht untergeht (Polartag) oder aber hinter dem Horizont verborgen bleibt (Polarnacht). Am geografischen Nord- und Südpol dauert die Polarnacht fast ein halbes Jahr. Verlässt man den Pol Richtung Polarkreis, nimmt der Zeitraum, in dem es die Sonne nicht über den Horizont schafft, so lange ab, bis er am Polarkreis selbst nur noch 24 Stunden beträgt.
Während der Polarnacht ist das entsprechende Polargebiet demzufolge vollständig vom Wärmestrahler Sonne abgekoppelt. Doch auch während des Polartags, der ­Phase dauerhafter Einstrahlung, erreicht aufgrund des ­flachen Einfallswinkels nur relativ wenig Sonnenenergie die Arktis oder Antarktis. Beide Phänomene bilden also das Fundament für eine anhaltende Kälte im Nord- und im Süd­polargebiet. Es gibt allerdings noch zwei weitere ­wichtige Faktoren: die Albedo und den Wasserdampf.

 

Weiß reflektiert

Einer dieser verstärkenden Faktoren ist das Rückstrahlvermögen der Erdoberfläche, die sogenannte Albedo. Sie besagt, wie viel der einfallenden Sonnenstrahlung von der Erdoberfläche reflektiert wird. Ganz grundsätzlich gilt dabei: Je dunkler oder rauer eine Fläche ist, desto weniger Strahlung reflektiert sie. Ein frisch gepflügter Acker vermag etwa zehn Prozent der Sonnenenergie wieder abzustrahlen; grüne Wiesen und Weiden kommen auf rund 25 Prozent. Helle Flächen wie Wüstensand besitzen eine Albedo von rund 40 Prozent, erreichen aber bei Weitem nicht jene Rückstrahlwerte, wie sie Schnee- und Eisflächen haben. Frisch gefallener Schnee beispielsweise reflektiert bis zu 90 Prozent der einfallenden Sonnenenergie. Das Meereis erreicht je nach Alter und Oberflächenstruktur eine Albedo von 50 bis 70 Prozent. Diese ziemlich große Spanne entsteht unter anderem dadurch, dass sich vor allem in der Arktis mit der Zeit Staub- und Rußpartikel auf der Eisoberfläche ablagern und ihren Farbton somit verändern. Eisschollen, denen der Wind die Schneeschicht davongeweht hat, besitzen außerdem eine andere Oberflächenrauigkeit als Schollen, auf denen der Schnee verharscht ist. Schneefreies Gletschereis beispielsweise reflektiert bis zu 60 Prozent der Strahlungsenergie – mit frischer Schneedecke wäre die Albedo größer.
Für die Arktis und die Antarktis stellt sich die Situa­tion also wie folgt dar: In beiden Regionen erreicht aufgrund der Kugelform der Erde und ihrer Neigung über einen langen Zeitraum nur relativ wenig Sonnenenergie die Erd­oberfläche. Energie, die jedoch ankommt, trifft auf vorwiegend weiße Eis- oder Schneeflächen und wird von diesen großflächig reflektiert. Das heißt, die abgestrahlte Energiemenge wird nicht als Wärmeenergie im Erdboden oder Ozean gespeichert und kann demzufolge auch nicht zur Erwärmung der boden- oder meeresnahen Luftschichten beitragen. Das hohe Rückstreuvermögen der Schnee- und Eisflächen verstärkt auf diese Weise die Auskühlung der Polarregionen. Diese trägt außerdem dazu bei, dass im Zuge der zunehmenden Kälte noch mehr Meereis entsteht, welches dann wiederum die Gesamtalbedo erhöht. Es wird am Ende also noch mehr Sonnenstrahlung reflektiert. Klimaforscher bezeichnen einen solchen sich selbst verstärkenden Prozess als positive Rückkopplung.
2.4 > Die Oberflächentemperaturen der Meere verdeutlichen den starken Gegensatz zwischen der warmen Äquatorregion und den kalten Polargebieten. Wo Meer und Luft warm sind, verdampft viel Wasser – Wolken entstehen. In den kalten Gebieten dagegen ist die Verdunstung gering.
Abb. 2.4 © nach NASA/Goddard Space Flight ­Center, Scientific Visualization Studio

Zusatzinfo Der Wärme- und Strahlungshaushalt der Erde

Wasserdampf – der unsichtbare Wärmeregulator

Ein dritter Faktor, der bei der Frage nach der Herkunft der polaren Kälte eine Rolle spielt, ist Wasserdampf. Wasser ist ein ausgesprochen wandlungsfähiges Element unseres Klimasystems. Es kann verdampfen, kondensieren und gefrieren und kommt in der Natur in drei verschiedenen Aggregatzuständen vor: in flüssigem Zustand (Wasser), in gefrorenem Zustand (Eis) und in gasförmigem Zustand – dem Wasser­dampf.
Das geruchlose und unsichtbare Gas entsteht, wenn flüssiges Wasser verdunstet. Die Erdatmosphäre enthält etwa 13 Billionen Kubikmeter Wasser. Diese Menge entspricht in etwa 0,001 Prozent des auf der Erde verfügbaren Wassers, wobei sich der größte Teil des Wassers in der Atmosphäre im gasförmigen Zustand befindet. Würde der gesamte Wasserdampf der Atmosphäre kondensieren, als Regen fallen und an der Erdoberfläche verweilen, wäre der gesamte Globus von einer etwa 25 Millimeter dicken Wasser­schicht überzogen. Dennoch macht der Massen­anteil des Wasser­dampfs an der Zusammen­setzung der Luft im Mittel nur 0,25 Prozent aus.
Dieser Durchschnittswert täuscht allerdings darüber hinweg, dass der Wasserdampf sehr ungleichmäßig in der Lufthülle verteilt ist. Seine Konzentration nimmt in der Höhe stark ab, was unter anderem daran liegt, dass warme Luft viel mehr Wasserdampf enthalten kann als kalte Luft. Dementsprechend kann in warmen Regionen viel Wasser in Wasserdampf umgewandelt werden, in kalten Regionen weniger. In den Polarregionen ist aufgrund der niedri­gen Temperaturen die Verdunstung sowie der Wasserdampfanteil in der Atmosphäre im Winter minimal. Ein Beispiel: Der Wasser­dampf­gehalt der Atmosphäre steigt mit jedem Grad Celsius Lufttemperatur. Ein Kubikmeter Luft kann bei einer Temperatur von minus 20 Grad Celsius bis zu 1,1 Gramm Wasserdampf speichern. Erwärmt sich das­selbe Volumen dagegen auf plus 20 Grad Celsius, kann es bis zu maximal 17,2 Gramm Wasserdampf enthalten.
2.5 > Über den Ozeanen verdunstet ständig eine große Menge Wasser, vor allem in den warmen Meeresregionen. Diese Feuchtigkeit verbleibt jedoch nicht lang in der Atmosphäre. Sie fällt innerhalb von zehn Tagen wieder als Niederschlag zur Erde.
Abb. 2.5 © nach Buchal et al.
Die Menge des in der Atmosphäre enthaltenen Wasserdampfs wird auch mit dem Begriff „Luftfeuchtigkeit“ oder „Luftfeuchte“ beschrieben. Berichten Meteorologen von einer hohen Luftfeuchte, bedeutet dies, dass die Luft viel Wasserdampf enthält. Die gebräuchlichste Maßzahl ist die relative Luftfeuchtigkeit in Prozent. Da bei gegebenen Temperaturen und Drücken ein bestimmtes Luftvolumen nur eine bestimmte Höchstmenge an Wasserdampf aufnehmen kann, spricht man bei Erreichen dieser Höchstmenge von 100 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit.
Wenn Wasser über dem Meer oder auf dem Land verdunstet, vergehen in der Regel nicht mehr als zehn Tage, bis der Wasserdampf die Atmosphäre als Niederschlag wieder verlässt. Im Gegensatz zu Kohlendioxid, welches mehrere Jahrhunderte lang in der Atmosphäre verweilen kann, verschwindet Wasserdampf also recht schnell wieder aus der Luft und wird deshalb als kurzlebig bezeichnet. Nichtsdestotrotz gilt Wasserdampf als das wichtigste natürliche Treibhausgas: zum einen, weil er in höherer Konzentration in der Atmosphäre vorkommt als Kohlendioxid, Methan oder Distickstoffmonoxid (Lachgas), zum anderen, weil er im Vergleich zu Kohlendioxid zwei- bis dreimal so stark zum natürlichen Treibhauseffekt beiträgt.
Das Klima der Erde – und hier vor allem das Klima der Polarregionen – ist stark geprägt vom Vorhandensein oder Fehlen des Wasserdampfs. Die Atmosphäre muss Wasserdampf enthalten, damit sich daraus Nebel oder Wolken bilden können. Der Wasserdampf kondensiert allerdings erst, wenn die Luft mit dem Gas übersättigt ist – also mehr Wasserdampf enthält, als sie eigentlich aufnehmen kann. Zu einer solchen Übersättigung kommt es, wenn warme, feuchte Luftmassen aufsteigen, sich dabei abkühlen und ihre Fähigkeit, Wasserdampf aufzunehmen, sinkt. Das Gas kondensiert zu kleinen Tröpfchen oder unter bestimmten Umständen auch zu kleinen Eispartikeln, die frei in der Luft schweben und vom Erdboden aus in der Regel als Wolken oder Nebel sichtbar werden.
Wolken spielen auf zweierlei Weise eine wichtige Rolle im globalen Klima. An ihren Abermillionen Wassertröpfchen bricht sich zum einen das von oben einfallende Sonnenlicht, wodurch verhindert wird, dass diese Strahlen direkt auf die Erdoberfläche treffen. Stattdessen werden sie in viele verschiedene Richtungen abgelenkt. Ein Teil entweicht sogar wieder in das Weltall. Am Ende kommt also weniger Sonnenstrahlung am Erdboden an, als dies ohne Wolkendecke der Fall gewesen wäre. Die Wolken­decke kühlt demzufolge die Erde. Zum anderen lassen Wolken aber auch die vom Erdboden kommende langwellige Wärmestrahlung der Erde nicht durch. Sie absorbieren einen Großteil der Wärmestrahlen und geben die aufgenommene Wärme in alle Richtungen wieder ab. Auf diese Weise können Wolken zur Erwärmung der Atmosphäre beitragen. Welche der beiden Eigenschaften überwiegt, hängt davon ab, um welchen Wolkentypus es sich handelt. Meist werden Wolken nach der Höhe ihres Vorkommens und nach ihrer Gestalt voneinander unterschieden. Optisch dicke, tief hängende Wolken reflektieren vor allem das einfallende Sonnenlicht und kühlen die Erde. Hohe, dünne Wolken dagegen lassen die Sonnenstrahlung passieren. Stattdessen blockieren sie der aus­gehenden Wärmestrahlung der Erde den Weg und absorbieren einen Großteil der Wärmeenergie. Hinzu kommt der Tag-Nacht-Effekt. Bekanntlich garantiert ein wolkenfreier Himmel tagsüber in der Regel wärmere Temperaturen, weil die Sonne ungehindert scheinen kann. Nachts aber wird es ohne Wolken eher kalt, weil die Erde die absorbierte Wärmeenergie dann ungehindert wieder abstrahlen kann.

Gefriergetrocknete Luft

Die Arktis und die Antarktis unterscheiden sich hinsichtlich des Einflusses von Wolken grundlegend. Während dichter Nebel und Bewölkung in der Arktis oft beobach­tete Sommerphänomene sind – sehr zum Leidwesen der Polarforscher, die meist im Sommer auf Expedition gehen –, kommen sie in der Antarktis in der Regel nur im Küstenbereich vor. Die Luft über der zentralen Antarktis ist aufgrund der minimalen Sonneneinstrahlung einfach zu kalt und enthält deswegen zu wenig Wasserdampf, als dass dieser ­flächendeckend kondensieren und eine dicke Wolkendecke bilden könnte. Stattdessen kondensiert mit zunehmender Kälte alle Restfeuchtigkeit in Eiskris­talle und ­rieselt als sogenannter Diamond Dust (Diamantstaub) zu Boden. Die Luft wird also quasi gefriergetrocknet, ­weshalb die Antarktis auch als trockenster Kontinent der Erde gilt.
Zum Vergleich: In Deutschland fallen pro Jahr rund 700 Liter Niederschlag pro Quadratmeter. Dieselbe Menge verzeichnen auch die Wetterstationen an der Antarktischen Halbinsel. Im Küstenbereich des Weddellmeers, also auf Höhe der deutschen Antarktis-Forschungs­station Neumayer III, sind es nur noch 300 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, was umgerechnet einer Schnee­schicht von etwa einem Meter Höhe entspricht. In der zentralen Antarktis hingegen liegen die Jahres­nieder­schlags­raten großflächig unter 50 Liter pro Quadrat­meter – so trocken ist die Luft. Nur in Ausnahme­fällen berichten Meteorologen von einer dünnen Schleier­bewölkung über dem Antarktischen Eisschild. Sie kann allerdings nicht verhindern, dass die Eis­oberfläche die wenige einfallende Wärme ­wieder in das Weltall abstrahlt, was zu einer weiteren Abkühlung der Luft über der Antarktis führt.
In der Arktis dagegen tragen Wasserdampf, Wolken und Nebel vor allem im Sommer zur Erwärmung bei. Eine Ursache dafür ist das sommerliche Schrumpfen der Meer­eis­decke auf dem Arktischen Ozean. Wo im Winter und Frühjahr weiße Eisschollen treiben, welche die Sonnen­strahlung zu großen Teilen reflektieren, befindet sich im Sommer die dunkle Meeresoberfläche. Sie absorbiert bis zu 90 Prozent der Sonnenenergie, sodass die Oberflächentemperatur des Meeres steigt. Weil sich gleichzeitig auch die Luft erwärmt, kann die Atmosphäre mehr Wasserdampf aufnehmen. Die Luftfeuchtigkeit steigt, weshalb es jetzt nur noch kleiner Ruß-, Staub- oder Salzpartikel in der Luft bedarf, damit der Wasserdampf kondensieren kann und Wolken oder Nebel entstehen.
Neben der Eigenschaft, dass sich aus Wasserdampf Wolken bilden können, ist noch eine zweite Eigenschaft des Wasserdampfs prägend für den Wärmehaushalt und das Wettergeschehen: Er speichert Wärmeenergie. Sie ist weder für ein Thermometer noch für uns Menschen fühlbar. Meteorologen sprechen deshalb von latenter Wärme. Mancherorts wird sie auch als Verdampfungswärme bezeichnet, denn ihre Menge entspricht genau jener Wärme, die zuvor für das Verdampfen des Wassers benötigt wurde. Das Besondere am Wärmespeicher Wasserdampf aber ist: Sowie der Dampf in der Atmosphäre wieder zu Wassertröpfchen kondensiert, wird die gespeicherte Verdampfungswärme als Kondensationsenergie wieder freigesetzt und erwärmt die umgebende Luft. Für Regionen mit hohem Wasserdampfgehalt in der Atmosphäre bedingt dieser Effekt eine zusätzliche Erwärmung. In Gebieten mit geringer Luftfeuchte oder wenig Wasserdampf in der Atmosphäre stellt sich der Effekt in weitaus gerin­gerem Maß ein.
Der Mangel an Wasserdampf ist einer der Gründe, warum es in kleinen Senken am Südhang des Ostantark­tischen Eisschilds noch kälter wird als an der Forschungs­station Wostok. Im Juli und August kühlt sich die Luftschicht direkt über dem Eisschild so weit ab, dass es nach Erkenntnis der Wissenschaftler nicht mehr kälter werden kann. Minus 98 Grad Celsius scheint die größte Kälte zu sein, die unter natürlichen Umständen auf der Erde möglich ist.
Damit die Luft in den Senken so weit abkühlt, müssen mehrere Voraussetzungen erfüllt sein. Die Sonnenstrahlung muss wochenlang ausbleiben, was nur im Zuge der Polarnacht gegeben ist. Die Luft über dem schnee­bedeckten Eisschild darf zudem keinen Wasserdampf ­enthalten, der im Fall von Kondensation Wärme abgeben oder vom Schnee reflektierte Strahlungsenergie absor­bieren und somit in der Atmosphäre halten würde. Den Forschern zufolge enthält die Luft in der Region im Winter so wenig Wasserdampf, dass die Menge, als Wassersäule gedacht, gerade mal 0,04 bis 0,2 Milli­meter hoch wäre. Perfekt ist ein Wasserdampfgehalt von weniger als 0,1 Milli­metern. Ferner darf der Wind nur äußerst schwach wehen und der Himmel muss mehrere Tage lang frei von Wolken sein.
Unter diesen Bedingungen kühlt die Luftschicht direkt über dem Schnee Stück für Stück aus. Sie wird immer dichter und schwerer, fließt langsam den Hang hinab und sammelt sich in den Senken, wo Forscher sie dann via Satellit detektieren konnten.

Abb. 2.6 © Babak Tafreshi/Science Photo Library

2.6 > Im antark­tischen Spätfrühling steigt die Sonne wieder über den Horizont und läutet das Ende der Polarnacht in der Antarktis ein. Diese dauert in den meisten Küstenregionen des Südkontinents nur etwa zwei Monate. Je weiter man sich jedoch dem Südpol nähert, desto länger hält die Zeit der Dunkelheit an.

Winde – die Triebkräfte des Wetters

Wenn man mit den Augen eines Physikers auf die Polar­regionen schaut, dann stellen die Arktis und Antarktis Re­gionen dar, in denen die fehlende Sonnen­einstrahlung und die hohe Wärme­ab­strahlung aufgrund der Albedo zu weitaus niedrigeren Temper­aturen führen als in anderen Re­gionen der Welt. Mit den Tempe­ratur­unter­schieden gehen Dichte­unterschiede einher, denn kalte Luftmassen sind dichter und schwerer als wärmere. Kalte Luft sinkt herab, während warme Luft aufsteigt. Diese Dichte­unter­schiede und Bewegungen der Luft werden durch unterschiedlich hohe Luftdrücke an unterschiedlichen Orten erzeugt. Wo Luft sich abkühlt und absinkt, entsteht in Bodennähe ein Hochdruckgebiet, wie man es als Polar- oder Kältehoch sowohl aus der zentralen Arktis als auch aus der Antarktis kennt. In einem Tief­druck­gebiet wie den Tropen dagegen steigt warme Luft auf.
Diese Temperatur- und Luftdruckunterschiede zwischen den warmen Tropen und den kalten Polargebieten sind die eigentlichen „Wettermacher“ auf der Erde. Sie treiben die großen Wind- und Strömungssysteme der Erde und damit die globale Luftzirkulation an. Alle Abläufe in der Atmosphäre sind nämlich darauf ausgerichtet, diese Temperaturunterschiede und Luftdruckgegensätze auszugleichen. Das heißt, die warmen Luftmassen aus den Tropen wandern in der Höhe polwärts, während die kalten Luftmassen aus den Polargebieten in Bodennähe Richtung Äquator strömen.
Würde die Erde sich nicht um ihre eigene Achse drehen, könnte man sich die Wanderpfade der verschiedenen Luftmassen sowohl in Bodennähe als auch in der Höhe auf einer Karte als gerade Linien vorstellen. Weil sich die Erde aber dreht, wird jeder Luftstrom auf seinem Weg vom Hochdruck- zum Tiefdruckgebiet auf der Nordhalbkugel jeweils nach rechts abgelenkt, auf der Südhalbkugel nach links. Dieser Effekt wird durch die Corioliskraft ver­ursacht – eine Scheinkraft, die durch die Erddrehung entsteht. Sie wirkt auf Luft- und Meeresströmungen gleichermaßen, nimmt mit jedem Breitengrad zu und ist der Grund, warum zum Beispiel der Passat auf der Nordhalbkugel nicht auf direktem Weg vom Hochdruckgebiet auf 30 Grad Nord zum Äquator strömt. Stattdessen wird er in Strömungsrichtung nach rechts abgelenkt und fegt demzufolge als Nordostwind über Afrika und auch den Atlantik hinweg.
2.7 > Die atmosphärische Zirkulation der Luftmassen um den Erdball ist so komplex, dass sich Forscher mit diesem stark vereinfachten Modell behelfen. Es zeigt die sechs Zirku­lations­zellen und Windsysteme, die durch abgelenkte Luft­massen­ströme entstehen und in beiden Hemisphären nahezu identisch sind.
Abb. 2.7 © nach Hamburger Bildungsserver, Klimawandel
Die Corioliskraft ist auch der Grund, warum die Luft hoch über dem Äquator auf ihrem Weg zu den Polen mit jedem Meter Entfernung stärker nach rechts abgelenkt wird. Ungefähr auf Höhe des 30. Breitengrads ist diese Ablenkung so groß, dass der Luft­strom als Höhenwestwindband oder Subtropen-Jetstream parallel zum Breitengrad verläuft und er seine eigentliche Aufgabe, den ­Wärmeausgleich zwischen Äquator und Pol, nicht mehr erfüllen kann. Stattdessen sinkt die inzwischen kühler gewordene Luft ab und strömt über der Erdoberfläche als Passatwind zurück Richtung Äquator. Auf diese Weise entsteht zwischen dem Äquator und dem 30. Breitengrad der Nord- und Südhalbkugel die sogenannte Passatzirkulation oder auch Hadley-Zirkulation, deren Name auf den britischen Hobbymeteorologen George Hadley (1685–1768)zurückgeht. Sie wird in einfachen, idealisierten Beschreibungen als eine geschlossene Zelle dargestellt.
Eine ganz ähnliche Zirkulation, die sogenannte Polarzelle, bildet sich über dem Nord- und Südpolargebiet. Hier sinkt aufgrund der Auskühlung kalte, schwere Luft im Zentrum ab (Hochdruckgebiet) und strömt anschließend in Bodennähe Richtung Polarkreis (Tiefdruckgebiet). Dabei wirkt abermals die Corioliskraft, sodass die Luftströme zu polaren Ostwinden werden. Auf ihrem Weg zum Polarkreis aber erwärmt sich die Luft so weit, dass sie auf­steigen kann und in der Höhe als Gegenstrom Richtung Pol zurückkehrt.
Zwischen den beiden gleichläufigen Systemen Hadley- und Polarzelle ist Platz für ein drittes System, die sogenannte Ferrel-Zelle, benannt nach dem amerikanischen Meteorologen William Ferrel (1817–1891). In ihr wandern die Luftmassen in ent­gegen­gesetzter Richtung. Das heißt, hier wird Luft in Bodennähe polwärts verlagert und nach rechts abgelenkt, sodass der Wind von Westen her weht. Die Zone wird daher auch Westwindzone genannt. Durch Verwirbelungen der Luftmassen in dieser Zone entstehen jedoch anders als in der Polarzelle oder der Hadley-Zelle sogenannte Tiefdruckzellen, die als Wellen hin und her- wandern und für eine gewisse Instabilität der Zirkula­tion sorgen. Diese Instabilität ist auf die hohen Temperaturgegensätze zwischen den Tropen und den Polarregionen zurückzuführen, welche aber aufgrund der stark wirkenden Corioliskraft nicht auf direktem Wege ausgeglichen werden können. Stattdessen bedient sich die Natur der Hoch- und Tiefdruckgebiete, die wie Schaufel­räder warme Luft nach Norden und auf der Rückseite der Tiefs Polarluft nach Süden schaufeln. Aus diesem Grund gibt es nur im Bereich der Ferrel-Zelle das, was Meteoro­logen typischerweise als Wetter bezeichnen. In den ­anderen Zellen bestim­men eher die Jahres­zeiten das ­meteoro­logische Geschehen, nicht so sehr das Wetter.
Wissenschaftler haben in Laborversuchen einmal getestet, wie sich die atmos­phärische Zirkulation der Erde verändern würde, wenn sich unser Planet schneller um seine eigene Achse drehen würde. Ihr Ergebnis: Die Corioliskraft würde derart zunehmen, dass auf jeder Erdhalb­kugel fünf Zellen entstünden. Würde sich die Erde deutlich langsamer drehen, gäbe es zwischen Pol und Äquator nur eine Zelle, in welcher die Luftmassen dann direkt aus den Tropen zum Pol und zurück strömen würden. Eine solche Ein-Zellen-Zirkulation gibt es beispielsweise auf der Venus.

Die schützenden Wirbel

Die Wind- und Strömungsmuster der atmosphärischen Zirkulation sind für die Polar­gebiete von großer Bedeutung. Bislang verhindern sie ziemlich zuverlässig, dass warme Luftmassen das Zentrum der Arktis oder Antarktis erreichen. Um zu verstehen, wie Winde die Polargebiete schützen, muss man sich die Atmosphäre der Polar­regionen etwas genauer ansehen.
Die Luft über den Polargebieten kühlt sich im Herbst und im Winter (Polarnacht) stark ab und sinkt zur Erd­oberfläche. Während in Bodennähe nun ein Hochdruck­gebiet, das Kältehoch, entsteht, bildet sich darüber in einer Höhe von etwa acht bis zehn Kilometern ein Tiefdruck­gebiet. Dieses kann bis in eine Höhe von 50 Kilometern ­reichen und wird als stratosphärischer Polarwirbel bezeichnet. Die Luftmassen dieses Wirbels werden durch einen starken Westwind zusammengehalten, den sogenannten Polar Night Jet. Er entsteht, weil in der Stratosphäre dieselben Strömungsgesetze gelten wie in der darunterliegenden Troposphäre.
Das heißt, Luft strömt immer vom Hoch­druckgebiet – in diesem Fall das Höhen-Hochdruckgebiet über dem Äquator – zum Tief­druck­gebiet, hier das Höhen-Tief­druck­gebiet über den Polar­regionen. Der Luftstrom wird auf ­seinem Weg Richtung Pol jedoch durch die Erdrotation nach rechts abgelenkt, was die Luftströmung auf der Nordhalbkugel zu einem Westwind macht. Der Polar Night Jet weht also ab einer Höhe von zehn Kilometern aufwärts aus Westen kommend Richtung Osten und umkreist dabei den Nordpol vollständig. Seine Maximalgeschwindigkeit erreicht der Wind auf Höhe des 60. Breitengrads. Dort stellt er auch eine Art Barriere dar, die das polare Höhen-Tiefdruckgebiet von den Luftmassen aus dem Äquator­gebiet trennt und auf diese Weise verhindert, dass in der Höhe wärmere Luftmassen von dort Richtung Pol vor­stoßen können.
Im Lauf des Winters gewinnt der Polar Night Jet an Kraft, weil mit zunehmender Abkühlung der Stratosphäre die Luftmassen des Tiefdruckgebiets in sich zusam­men­sinken und mehr Luft nachströmen kann, was den Wind anfacht. Sowie jedoch im Frühling die ersten Sonnenstrahlen die Polarregion erreichen, erwärmt sich die Luft innerhalb des Tiefdruckgebiets. Die Dichte- und Druckunterschiede relativieren sich – und der Wind schwächt sich wieder ab.
Vergleicht man den stratosphärischen Polarwirbel über der Arktis mit jenem über der Antarktis, so weht der Wind im Süden auf kreisförmigeren Bahnen und deutlich stärker als im hohen Norden. Der Polar Night Jet in der Antarktis erreicht an einem normalen Wintertag eine Geschwindigkeit von bis zu 80 Meter pro Sekunde. Das sind umge­rechnet 288 Kilometer pro Stunde. Auf der Nordhalbkugel hingegen weht er durch­schnitt­lich mit nur 180 Kilometer pro Stunde. Hinzu kommt: Der stratosphärische Polarwirbel über der Antarktis ist deutlich größer und die Temperaturen in seinem Innern kälter als jene im Norden.
Dass die beiden stratos­phärischen Polarwirbel so unter­schiedlich in ihren Aus­prägungen sind, ist unter anderem auf soge­nannte Rossby-Wellen zurück­zu­führen, die in der Fachliteratur auch als planetare Wellen bezeichnet werden. Gemeint sind große Luftpakete, die in der Troposphäre mit dem Westwind über den Globus wandern. Ein solches Luftpaket trägt aufgrund der ­Corioliskraft eine bestimmte Wirbelstärke (Vortizität) mit sich, was einer Eigendrehung entspricht. Wie schnell sich das Luftpaket dreht, hängt von der geografischen Breite ab, auf der es wandert, denn die Corioliskraft nimmt mit zunehmender Entfernung vom Äquator zu. Luftpakete, die in höheren Breiten entstanden sind, drehen sich grundsätzlich schneller als jene aus niedrigeren Breiten.
Stößt ein solches sich drehendes Luftpaket im Zuge ­seiner Wanderung nun auf ein Gebirge oder ein Hoch­plateau wie zum Beispiel die Rocky Mountains in den USA, den Ural in Russland oder den hohen Eispanzer Grönlands, muss es dem Hindernis nach oben hin ausweichen. Das heißt, das Luftpaket steigt auf und schiebt alle Luftmassen über sich mit in die Höhe. Bei diesem Aufstieg ändert sich die Wirbelstärke des Luftpakets und es wird zum Äquator hin abgelenkt. Hier ist der Abstand zur Erdachse größer als auf der ursprünglichen Wanderroute des Luftpakets. Die Wirbelstärke des Luftpakets passt nicht mehr zur breitenabhängigen Wirbelstärke an diesem Ort. Infolgedessen dreht sich die Bewegungsrichtung des Luftpakets zurück in Richtung Pol. Es überschreitet seine ursprüngliche geografische Breite in umgekehrter Richtung und dreht nun durch die umgekehrten Effekte wiederum zurück – es beginnt zu pendeln.
2.8 > Der Polar Night Jet ist ein Windband in der Stratosphäre, welches sich aus Luftmassen speist, die in großer Höhe aus der Äquatorregion in den hohen Norden strömen. Der Polar-Jetstream dagegen mäandriert in der Troposphäre – also ein atmosphärisches Stockwerk tiefer.
Abb. 2.8 © maribus
Ein Luftpaket, welches ursprünglich auf 50 Grad ­nördlicher Breite unterwegs war, pendelt dann in der Troposphäre beispielhaft zwischen 40 und 60 Grad Nord hin und her und erscheint in der Draufsicht wie eine Welle, die sich um den gesamten Erdball schlängelt, die Rossby-Welle, benannt nach dem US-amerikanischen Meteorologen Carl-Gustaf Arvid Rossby (1898–1957).
Weil sich die Rossby-Welle auch in die Höhe ausbreitet, kann es nun unter Umständen passieren, dass ihre Wirkung bis in die Stratosphäre hinaufreicht und dort den Polarwirbel so stark stört, dass er geschwächt wird oder gar völlig zusammenbricht. Fällt diese natürliche Barriere nun weg, kann warme Luft aus den mittleren Breiten einströmen, sodass es innerhalb kurzer Zeit zu einer ­plötzlichen Erwärmung des stratosphärischen Polargebiets kommt. In der Arktis beobachten Wissenschaftler einen solchen Welleneinschlag und den damit verbundenen sprunghaften Temperaturanstieg in der Stratosphäre etwa alle zwei Jahre. Die Gebirge sowie die deutlichen Tempera­tur­unter­schiede zwischen den Land- und Meeresflächen auf der Nordhalbkugel lassen starke planetare Wellen entstehen.
Bislang gelingt es den Forschern aber nicht vorherzusagen, welche Wellen dem stratosphärischen Polarwirbel gefährlich werden können und wann mit einem Einschlag zu rechnen ist. In der südlichen Hemisphäre dagegen gibt es bis auf die Anden keine bedeutsamen Hochgebirge. Auch sind Großteile der Südhalbkugel von Meer bedeckt, was die Bildung planetarer Wellen erschwert. Seit Beginn der Beobachtungen wurde erst einmal eine sprunghafte Erwärmung der antarktischen Winter-Stratosphäre beobachtet – das war im September 2002.
2.9 > Die zwei Gesichter des Polar-Jetstreams: Rotiert der Polarwirbel in der Stratosphäre in voller Stärke, weht der Wind in der Troposphäre parallel zum Äquator und versperrt warmen Luftmassen den Weg in die Arktis. Schwächt sich der Polarwirbel dagegen ab, verfolgt der Jetstream einen Schlän­gel­kurs. Infolgedessen dringt über Nordamerika und Sibirien kalte Polarluft nach Süden vor, während über dem Nordatlantik feucht-milde Luft in die Arktis einwandert.
Abb. 2.9 © nach Martin Künsting/Alfred-Wegener-Institut

 

Eine Mauer aus Wind

Neben dem stratosphärischen Polarwirbel und seinem Polar Night Jet besitzen die Polargebiete noch einen zweiten atmosphärischen Schutzschild, den sogenannten ­troposphärischen Polarwirbel mit dem dazugehörigen Starkwind, welcher auch als Polarfront-Jetstream, Polarjet oder einfach nur als Jetstream bezeichnet wird. Dieses Windband verläuft in etwa acht Kilometer Höhe je nach Wetterlage zwischen dem 40. und 60. Breitengrad, also über der Westwindzone. Der Wind erreicht auf der Nord­halb­kugel Geschwindigkeiten von 200 bis 500 Stunden­kilometern und weht das ganze Jahr hindurch.
Solange der nördliche Jetstream mit voller Kraft parallel zum Äquator um die Arktis weht, verhindert er auf gleiche Weise wie der Polar Night Jet in der Stratosphäre, dass feucht-warme Luftmassen aus dem Süden in das Nord­polargebiet wandern. Gleichzeitig blockiert er kalter Polarluft den Weg aus der Arktis in die mittleren Breiten. Der Jetstream ist zudem immer den Rossby-Wellen ausgesetzt. Diese tragen letztendlich dazu bei, dass wir wöchentlich wechselnde Witterung haben, da sie mal stärker oder mal schwächer sind oder auch ihre Lage verändern. In den Bergen oder Tälern der Welle bilden sich nämlich Hochdruckgebiete und Tiefdruckgebiete, die unser Wetter an und für sich ausmachen.
2.10 > Atmosphärische Ausnahmesituation: Ende Februar 2018 kam zu einem ungewöhnlichen Wärmeeinbruch in der Arktis. Der Polarwirbel hatte sich geteilt, weshalb der Jetstream an Kraft verlor und warme Luft weit in die Arktis vordringen konnte. In der Labradorsee und im sibirischen Teil des Arktischen Ozeans stieg die Lufttemperatur bis zu 15 Grad Celsius über normal. Mitteleuropa litt derweil unter extremer Kälte.
Abb. 2.10 © nach ClimateReanalyzer.org
Die Kraft und Ausdauer des Jetstreams in der Troposphäre hängen im Winter unter anderem von der Beständigkeit des Polarwirbels in der darüberliegenden Stratosphäre ab. Rossby-Wellen, welche den stratosphärischen Polarwirbel zerstören und zu einer plötzlichen Erwärmung der polaren Stratosphäre führen, verändern somit auch den Jetstream in der Troposphäre. Der Wind in der Troposphäre schwächt sich ab und verfolgt nun einen Schlängelkurs über die Nordhalbkugel. Das heißt, über Nord­ame­rika und Nordeuropa reicht der troposphärische Wirbel dann weiter Richtung Süden, sodass kalte Polarluft weit nach Nordamerika und Mitteleuropa vordringen kann. Über Ostgrönland zieht er sich hoch in den Norden zurück und erlaubt auf diese Weise, dass feucht-warme Luft in die Arktis wandern kann.
Eine solche atmosphärische Ausnahmesituation erlebte die Nordhalbkugel zum Beispiel im Februar 2018. Damals gelang es Rossby-Wellen, den stratosphärischen Polarwirbel zu teilen, weshalb sich die Stratosphäre über der Arktis innerhalb kurzer Zeit um bis zu 50 Grad Celsius erwärmte. Infolgedessen schwächte sich in der darunterliegenden Troposphäre der Polarfront-Jetstream ab – mit weitreichenden Folgen: Während Mitteleuropa im Fe­bruar unter großer Kälte litt, selbst in Rom fiel Schnee, herrschten in der Arktis trotz der Polarnacht milde Frühlings­temperaturen. In Sibirien lag die Temperatur zeitweise sogar bis zu 35 Grad Celsius über dem normalen Mittelwert für den Monat Februar. Die Wetterstation am Kap Morris Jesup, dem nördlichsten Punkt Grönlands, verzeichnete zehn Wintertage in Folge, an denen das Thermometer nicht unter den Gefrierpunkt sank. Und vor der Westküste Alaskas schmolz innerhalb von acht Tagen ein Drittel des Meereises, welches zu dieser Jahreszeit normalerweise vorhanden ist.

Abb. 2.12 © [M] mare, Foto © Jacob Aue Sobol/Magnum Photos/Agentur Focus

2.12 > Ein Piteraq weht durch die grönländische Siedlung Tiniteqilaaq. Dieser katabatische Wind kann in Sturmböen Geschwindigkeiten von bis zu 300 Stundenkilometern aufweisen

Die Heimat der Blizzards

Die Antarktis gilt nicht nur als kältester Kontinent der Welt, sie führt auch die Liste der windigsten Regionen an. An der französischen Forschungsstation Dumont d’Urville beispielsweise dokumentierten Wissenschaftler im Juli 1972 eine Spitzen­wind­geschwin­digkeit von 327 Kilometern pro Stunde. Das entspricht mehr als der doppelten Orkanstärke. Als Orkan werden Winde bezeichnet, die eine mittlere Windgeschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde und mehr aufweisen.
Dass solche Spitzenwerte ausgerechnet in der Küstenregion der Antarktis verzeichnet werden, ist kein Zufall. Abgesehen von den globalen Windsystemen produziert der vereiste Kontinent genauer gesagt sein eigenes lokales Windsystem, welches Forscher vor allem im Winter in ihren Stationen gefangen hält und das maßgeblich für die Entstehung des Meereises im Südpolarmeer verantwortlich ist.
Normalerweise entstehen Winde, wenn Luftmassen von einem Hochdruckgebiet in ein Tiefdruckgebiet strömen, um einen vorhandenen Druckunterschied auszugleichen. Ein Luftpaket kann allerdings auch aufgrund seines Eigengewichts in Bewegung geraten – zum Beispiel, wenn es kälter und damit schwerer wird als alle umgebenden Luftmassen und aus diesem Grund herabsinkt. Die bodennahe Luftschicht über dem Antarktischen Eisschild ist wegen der Höhe, der geringen Sonneneinstrahlung und der großen Abstrahlung durch das Eis ganz besonders dicht und schwer. Die ausge­kühlten Luftmassen liegen wie ein 300 Meter dicker, bleierner Mantel auf dem ­zentralen Eispanzer. Weil der Eisschild aber keine ebene Oberfläche besitzt, sondern an seinen Rändern hin abfällt, beginnt diese extrem kalte, schwere Luft aus der zentralen Antarktis irgendwann die Hänge Richtung Küste hinunterzurutschen. Geschwindigkeit erlangt sie dabei nur durch ihr Eigengewicht und den Grad der Hangneigung.
2.11 > Die französische Forschungsstation Dumont d’Urville auf der Pétrelinsel im Adélieland gilt als einer der windigsten Orte der Antarktis. Vor allem im Winter rasen hier Luftmassen, die über dem Ostantarktischen Eisschild abgekühlt sind, als Fallwind auf das Meer hinaus.
Abb. 2.11 © Yann Arthus-Bertrand/Getty Images

Whiteout
Als „Whiteout“ ­bezeichnen Polar­forscher jenen Moment, in dem Nebel, Wolken oder aber ein Schneesturm die Sicht so einschränkt, dass ringsherum weder Konturen noch der Horizont mehr zu erkennen sind.

So richtig an Fahrt gewinnt die rutschende Kaltluft allerdings erst, wenn ihr auf dem Weg Richtung Küste ­Berge den Weg versperren. In diesem Fall muss sich die gesamte Luft durch schmale Täler quetschen, was den Luftstrom enorm beschleunigt. An der Küste angekommen, haben diese sogenannten katabatischen Winde in extremen Fällen dann Sturm- oder Orkanstärke. Der ­Fachbegriff beinhaltet das griechische Präfix kata, das soviel heißt wie „herab“ oder „abwärts“.
Polarforscher berichten, dass katabatische Winde wie aus dem Nichts auftreten können. Waren die Arbeitsbedingungen auf dem Gletscher oder Schelfeis eben noch windstill, kann fünf Minuten später ohne Vorankündigung ein Orkan über das Eis fegen und zu einem sogenannten Whiteout führen.
Ebenso schnell aber flaut der Wind dann auch wieder ab – je nachdem, wie groß die Eisfläche war, über der die kalte Luft entstanden ist. In Ausnahmefällen kann ein solcher Wind allerdings auch mehrere Tage lang mit anhaltender Spitzengeschwindigkeit wehen.
2.13 > Katabatische Winde entstehen, wenn bodennahe Luft über einem Eisschild auskühlt und dabei dichter und schwerer wird (1). Rutscht das Luftpaket dann aufgrund seines Eigengewichts einen Abhang hinab (2), gewinnt es auf seinem Weg durch schmale Täler an Fahrt (3) und schiebt lose Eisschollen vor der Küste auf das Meer hinaus, bevor es dann durch Küstenwinde abgelenkt und ausgebremst wird (4).
Abb. 2.13 © maribus
Solche außergewöhnlichen Winde treten vor allem in der Küstenregion des Adélie­lands auf, dem windigsten Gebiet der Antarktis und Standort der französischen Forschungsstation Dumont d’Urville. Verantwortlich dafür ist die Topografie der Region. Hier gleitet die Kaltluft aus einem großen Gebiet der Ostantarktis den Eis­schild hinab, was bedeutet, dass vor allem im Winter jederzeit neue Kaltluftmassen nachrutschen. Außerdem lenken Berge die Luftströme durch schmale Täler, wodurch diese jedes Mal an Kraft gewinnen.
Katabatische Winde entstehen übrigens auch in anderen Regionen außerhalb der Antarktis – so zum Beispiel an den Rändern des riesigen Grönländischen Eisschilds, über dessen hochgelegenen Plateaus die bodennahe Luftschicht im Winter auf eine Temperatur zwischen minus 20 bis minus 40 Grad Celsius abkühlt. Die stärksten katabatischen Winde Grönlands wehen an der ­Südostküste, in der Region rund um die Stadt Tasiilaq. Sie können in Sturmböen eine Geschwindigkeit von bis zu 300 Stundenkilometern erreichen und werden ihrer Gefährlichkeit wegen von den Einheimischen als „Piteraq“ bezeichnet, was im Grönländischen so viel wie „Der, der dich angreift!“ bedeutet.
Am 27. April 2013 wehte ein solcher Wind nicht nur den Schnee großflächig vom Eisschild. Auf seinem Weg durch den 85 Kilometer langen Fjord Sermilik drückte der Piteraq auch alles im Fjord treibende Meer- und Gletscher­eis hinaus auf das Meer, sodass der Fjord nach dem Sturm quasi eisfrei war. Textende