Mit den Küsten leben
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WOR 5 Die Küsten – ein wertvoller Lebensraum unter Druck | 2017

Küsten unter Druck

Küsten unter Druck © Reuters/Damir Sagolj

Küsten unter Druck

> Die größte Gefahr für die Küsten besteht heute in der Übernutzung durch den Menschen. Küstengebiete werden immer enger bebaut, Gewässer durch Schadstoffe oder übermäßige Nährstoffeinträge verschmutzt. Aufgrund von anhaltendem Bevölkerungswachstum und Migration wird der Druck auf die Küsten wohl auch in Zukunft nicht abnehmen.

Abb. 2.27: Wie hier im mexikanischen Cancún haben viele Küstenregionen durch den Massentourismus ihre ursprüngliche Gestalt verloren. Eine solche Form der Übernutzung kann den Erholungswert dieser Gebiete einschränken. © Robert Harding Productions/robertharding/laif

2.27 > Wie hier im mexikanischen Cancún haben viele Küstenregionen durch den Massentourismus ihre ursprüngliche Gestalt verloren. Eine solche Form der Übernutzung kann den Erholungswert dieser Gebiete einschränken.

Übernutzung schädigt Lebensräume

Die Attraktivität der Küsten liegt nicht zuletzt in der gro­ßen Zahl an Ökosystem­leistungen begründet, die sie erbringen. Diese Zugkraft hat dazu geführt, dass viele Küstenregionen in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker besiedelt und über ihre Belastungsgrenzen hinaus beansprucht wurden – sei es durch übermäßige Fischerei oder die Entsorgung von Abwässern. Durch eine nicht nachhaltige Nutzung schadet sich der Mensch letztlich aber selbst, da die Küsten bestimmte Ökosystemleistungen dann nicht mehr erbringen können.
Ein Beispiel ist die Entwicklung des Massentourismus vielerorts. Küstenregionen wollen Urlauber mit attraktiven Landschaften und sauberem Wasser an ihre Strände locken, doch wird durch den Bau von Hotels das ursprüngliche Landschaftsbild gravierend zerstört. Immense Abwassermengen aus den Hotelanlagen verschmutzen die Gewässer. Die Übernutzung beeinträchtigt also den Erholungswert einer Landschaft und damit deren kulturelle Ökosystemleistung.

Schwer fassbare Bedrohungen

Formen der Übernutzung zu identifizieren und zu messen ist nicht immer einfach. Mensch und Umwelt sind eng miteinander in sozioökologischen Systemen verwoben, und die Küstenregionen erstrecken sich über weite Bereiche zwischen Land und Meer und sind räumlich nur schwer fassbar. Auch kann es sein, dass Ursache und Wirkung zeitlich weit auseinanderliegen.
Ein Beispiel ist der industrielle Einsatz von polychlorierten Biphenylen (PCB), von Chlorverbindungen, die bis Ende des vergangenen Jahrhunderts in Transformatoren, in Hydraulikflüssigkeiten sowie als Weichmacher in Dichtungsmassen und Kunststoffen verwendet wurden. Aufgrund der vielfältigen Einsatzgebiete gelangten relevante Mengen in die Umwelt. Erst Anfang der 1970er-Jahre erkannte man, dass die Substanzen giftig sind und krebsauslösende Wirkung haben. Zudem stellte man fest, dass sie bei Meeressäugern wie etwa Seehunden zu krankhaften Veränderungen der Gebärmutter führen, was zur Folge hatte, dass die Zahl erfolgreicher Seehund­geburten in der Nord- und Ostsee insbesondere seit den 1970er-Jahren stark abnahm. Im Jahr 2001 schließlich wurde der Einsatz von PCB durch das sogenannte Stockholmer Übereinkommen, eine internationale Vereinbarung zum Schutz vor besonders gefährlichen Chemikalien, verboten. Zwischen der eigentlichen Ursache, dem Auftreten des Umweltproblems, dem Erkennen und dem konsequenten ­Verbot der Substanzen lagen also mehrere Jahrzehnte.

Megacitys dehnen sich immer weiter aus

Besonders komplex und teils schwer erkennbar sind die Verflechtungen innerhalb sozioökologischer Systeme dort, wo viele Menschen leben beziehungsweise der Druck mannigfaltig ist. Das betrifft heute insbesondere die küstennahen Megacitys mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. Solche Regionen sind durch eine hohe Bevölkerungs- und Bebauungsdichte charakterisiert. Viele Menschen müssen mit Frischwasser, Nahrungsmitteln und Strom versorgt werden, was hohe Anforderungen an Infrastruktur, Logistik und Abfallentsorgung stellt. Weil permanent Menschen aus armen, ländlichen Regionen im Binnenland in die Küstenmetropolen ziehen, um dort Arbeit oder eine Ausbildung zu finden, werden diese Gebiete auch in Zukunft weiter wachsen – vor allem in Afrika, Südamerika und Südostasien.
2.28 > Viele der künftigen Mega­citys mit mehr als 10 Millionen Einwohnern liegen in Asien und Afrika.
Abb. 2.28: Viele der künftigen Mega­citys mit mehr als 10 Millionen Einwohnern liegen in Asien und Afrika. © UN

Aquifer Als „Aquifer“ werden im Untergrund liegende Gesteinskörper mit Hohlräumen bezeichnet, in denen Grundwasser fließt. Der Begriff war zunächst im Englischen gebräuchlich, wird inzwischen aber auch in Deutschland regelmäßig verwendet. Er löst damit langsam den traditionellen Fachausdruck „Grundwasserleiter“ ab.

Abb. 2.30: In Tokio konnte die Landabsenkung ab Mitte der 1970er-Jahre gestoppt werden, in anderen Städten nicht. © Deltares

2.30 > In Tokio konnte die Landabsenkung ab Mitte der 1970er-Jahre gestoppt werden, in anderen Städten nicht.
Eines der größten Probleme, das diese kontinuierliche Verstädterung mit sich gebracht hat, sind immer häufigere Überschwemmungen ganzer Stadtgebiete, die in Küstenstädten sowohl durch starke Regenfälle als auch durch Stürme mit hohen Wasserständen des Meeres ausgelöst werden können. Neben dem immensen wirtschaftlichen Schaden, den Überschwemmungen anrichten, stellen sie eine ganz konkrete Gefahr für Leib und Leben dar. Interessanterweise sind bislang weniger der globale Klimawandel und der Meeresspiegelanstieg dafür verantwortlich, sondern vielmehr städtebauliche Fehlplanungen. Folgen- de Ursachen konnten identifiziert werden:
  • Absinken aufgrund dichter Bebauung: Durch den Bau von Hochhäusern und anderen großen Gebäuden hat sich die Last auf den Boden deutlich erhöht. Das hohe Gewicht führt dazu, dass die eng bebauten Areale langsam absinken.
  • Absinken aufgrund der Entnahme von Grundwasser: Weil Teiche, Seen und Flüsse an der Erdoberfläche in vielen Küstenmetropolen durch ungeklärte Abwässer und Unrat stark verschmutzt sind, können sie nicht für die Trinkwassergewinnung genutzt werden. Trinkwasser für viele Millionen Einwohner muss daher aus dem Grundwasser in der tiefer gelegenen Gesteinsschicht, dem Aquifer, gewonnen werden. Da das Grundwasser normalerweise wie ein natürliches Widerlager gegen die aufliegende Last der Gebäude wirkt, verstärkt sich das Absinken der dicht bebauten Gebiete, wenn es in großen Mengen abgepumpt wird. Auch Baumaßnahmen selbst führen zu einem Sinken des Grundwasserspiegels. So werden für große Ge- bäude tiefe Baugruben ausgehoben und eindringendes Wasser wird abgepumpt, was dazu führt, dass sich der Boden in den Baugruben setzt und der Porenraum, der vorher von Grundwasser gefüllt war, schrumpft. Die Land­oberfläche senkt sich.
  • Bebauung tief liegender Fluss- und Marschgebiete: Viele der aus ärmeren, ländlichen Regionen zugezogenen Menschen siedeln an der wachsenden Peripherie der Städte in sogenannten informellen Siedlungen. Diese liegen oftmals in tief liegenden Gebieten, die für eine Bebauung nicht geeignet sind. Häufig handelt es sich dabei um die Uferbereiche von Flüssen, aber auch um Marschen und Wiesen, die besonders durch Überflutungen gefährdet sind.
  • Schlechte Kanalisierung: In vielen Städten wurden natürliche Wasserläufe oder Überschwemmungs­gebiete wie etwa Flussauen bebaut. Dadurch sind ­vielerorts natürliche Abflüsse für Regenwasser verschwunden. Zudem wurden durch die Bebauung Flächen versiegelt, sodass Regenwasser kaum noch versickern kann, sondern schwallartig abfließt.
  • Natürliches Absinken: In manchen Küstenregionen sinkt das Land auf natürliche Weise langsam ab. Das kann mehrere Ursachen haben. So kann die Landmasse in manchen Gebieten durch die Bewegung einer Kontinentalplatte allmählich absinken. In anderen Küstengebieten, insbesondere in Flussdeltas, sinkt der Boden, weil sich Sedimentschichten mit der Zeit verdichten und unter ihrem eigenen Gewicht absacken.
Neben dem generell deutlich erhöhten Risiko einer Überschwemmung resultieren aus dem Absinken des Landes aber auch ganz konkrete städtebauliche Probleme und Schäden. Dazu zählen Risse in Straßen und Gebäuden, gebrochene Gas- und Wasserleitungen und Leckagen in der Kanalisation.
2.29 > Viele Metropolen der Welt sinken heute vor allem wegen der Entnahme von Grundwasser und der starken Bebauung. Dieses Absinken wird sich auch in Zukunft in vielen Städten fortsetzen.
Abb. 2.29: Viele Metropolen der Welt sinken heute vor allem wegen der Entnahme von Grundwasser und der starken Bebauung. Dieses Absinken wird sich auch in Zukunft in vielen Städten fortsetzen. © Del- tares

Abb. 2.31: Im November 2011 steht ein ganzes Gewerbegebiet in der Provinz Ayutthaya, nördlich der thailändischen Hauptstadt Bangkok, unter Wasser. Auch ein dort ansässiger japanischer Automobilhersteller ist von der Flutkatastrophe betroffen. © Reuters/Damir Sagolj

2.31 > Im November 2011 steht ein ganzes Gewerbegebiet in der Provinz Ayutthaya, nördlich der thailändischen Hauptstadt Bangkok, unter Wasser. Auch ein dort ansässiger japanischer Automobilhersteller ist von der Flutkatastrophe betroffen.

Eine Metropole versinkt

Ein extremes Beispiel für eine absinkende Stadt ist Jakarta, die Hauptstadt Indonesiens, die derzeit am schnellsten versinkende Metropole weltweit. Sie ist insbesondere seit den 1980er-Jahren stark gewachsen, sowohl im Hinblick auf die Bevölkerung als auch auf den Bau von Straßen und Häusern – vor allem Hochhäusern. Im Jahr 2015 hatte Jakarta bereits gut 10 Millionen Einwohner. Für das Jahr 2030 sind 13,8 Millionen Einwohner prognostiziert.
Jakarta liegt in einer sehr flachen Region mit teils torfhaltigen Böden. Vor allem der dicht bebaute Nordteil mit seinen vielen Hochhäusern und dem Wirtschaftszentrum sinkt in dem weichen Untergrund ab – derzeit um bis zu 10 Zentimeter jährlich. Zu diesem Effekt trägt auch die Entnahme von Grundwasser für die Trinkwassergewinnung bei, und es wird befürchtet, dass sich das Absinken noch verstärkt. Wenn nicht gegengesteuert und die Entnahme reduziert wird, könnten Teile Jakartas bis zum Jahr 2025 um weitere 180 Zentimeter abgesunken sein.
Immer häufiger kommt es zu Überschwemmungen, die sowohl bei starken Regenfällen als auch bei hohen Wasserständen im Meer die Hauptstraßen und das Wirtschaftszentrum der Stadt gut einen halben Meter unter Wasser setzen. Natürliche Wassereinzugs- und Überschwemmungsgebiete sind in der Vergangenheit immer weiter überbaut worden, sodass Regenwasser kaum mehr versickern kann. Alarmierend ist, dass heute mehr und mehr Menschen von den Überschwemmungen betroffen sind. Die, die neu hinzuziehen, siedeln überwiegend in der Nähe des wirtschaftlich attraktiven Stadtnordens. Das erhöht ihre Chance, Arbeit zu finden, beziehungsweise reduziert die Fahrtzeit zu den Arbeitsstellen.
2.32 > Jakarta ist die derzeit am schnellsten versinkende Metropole weltweit. Da die Stadt in großem Stil Grundwasser für die Trinkwassergewinnung abpumpt, sackt das moderne Stadtzentrum stark ab.
Abb. 2.32: Jakarta ist die derzeit am schnellsten versinkende Metropole weltweit. Da die Stadt in großem Stil Grundwasser für die Trinkwassergewinnung abpumpt, sackt das moderne Stadtzentrum stark ab. © Didier Marti/Getty Images
Auch die finanziellen Folgen einer Überschwemmung sind gravierend, wie zum Beispiel im Jahr 2007, als nach heftigen Regenfällen gut ein Drittel der Stadtfläche von Jakarta unter Wasser stand. Rund 300 000 Menschen verloren ihre Häuser. Die Schäden an Infrastruktur und Gebäuden beliefen sich auf umgerechnet etwa 860 Mil­lionen US-Dollar.
Von den Überschwemmungen ist nicht allein das Stadtgebiet betroffen, sondern indirekt auch die Umgebung. So ist die Stadt Jakarta Teil eines urbanen Großraums, zu dem zusätzlich die angrenzenden Städte Bogor, Depok, Tangerang und Bekasi gehören. Dieses Gebiet ist eine der weltgrößten Agglomerationen, was auch in der heute gebräuchlichen Bezeichnung deutlich wird: „Jabodetabek“, ein Akronym. Jedes Jahr ziehen rund 250 000 Menschen in diesen Ballungsraum, sodass dort im Jahr 2020 rund 35 Millionen Menschen leben werden.
Überschwemmungen in Jakarta führen jedes Mal auch zu Verkehrszusammenbrüchen in den angrenzenden Gebieten. Und noch ein weiterer Umstand betrifft die ­ganze Region: Wenn in den überschwemmten Bereichen wegen des stehenden schmutzigen Wassers Krankheiten oder Epidemien ausbrechen, können sich diese in kurzer Zeit in ganz Jabodetabek ausbreiten.

Ein riesiger Vogel zum Schutz Jakartas

Um die Stadt Jakarta in Zukunft vor größeren Fluten zu bewahren, planen die indonesischen Behörden derzeit, Inseln aufzuspülen, die wie ein Schutzwall die etwa 35 Kilometer breite Bucht von Jakarta abriegeln und mit Wohn-, Büro- und Hotelkomplexen bebaut werden sollen. Allein die größte Insel ist 10 Kilometer lang und soll die Form eines Garudas bekommen, des Wappenvogels Indonesiens, der seine Schwingen weit ausbreitet. Doch regt sich in der Bevölkerung Widerstand. Abwässer könnten sich in der künstlichen Lagunenwelt sammeln, weil diese kaum mehr ins offene Meer abfließen können, Krankheiten könnten sich ausbreiten, so die Befürchtungen. Die Kleinfischer sind besorgt, dass sie ihre Lebensgrundlage verlieren, weil sie zukünftig viele Kilometer weiter hinausfahren müssen, um Fischgründe zu erreichen. Das wiederum sei nicht möglich, argumentieren die Fischer, da sie nur über einfache Boote verfügten, die häufig in einem schlechten Zustand und nicht für längere ­Ausfahrten geeignet seien.
2.33 > Zum Schutz vor Überschwemmungen soll vor Jakarta eine künstliche Inselwelt aufgespült werden. Die größte Insel soll 10 Kilometer lang sein und die Form des indonesischen Wappenvogels erhalten. Doch das Projekt ist umstritten. Es wird befürchtet, dass sich Abwässer in der künstlichen Lagune sammeln könnten und Fischer ihre Lebensgrundlage verlieren.
Abb. 2.33: Zum Schutz vor Überschwemmungen soll vor Jakarta eine künstliche Inselwelt aufgespült werden. Die größte Insel soll 10 Kilometer lang sein und die Form des indonesischen Wappenvogels erhalten. Doch das Projekt ist umstritten. Es wird befürchtet, dass sich Abwässer in der künstlichen Lagune sammeln könnten und Fischer ihre Lebensgrundlage verlieren. © Image: © Consortium NCICD/Design: © KuiperCompagnons
Erhebliches Konfliktpotential bergen auch Baumaßnahmen an Land, die im Zuge der Aufspülungen geplant sind. Denn auch am Ufer sollen neue Büro-, Geschäfts- und Wohnviertel entstehen. Inzwischen werden die Bewohner, die in diesem Gebiet bislang in einfachen ­Hütten und Häusern gelebt haben, umgesiedelt. Zwar erhalten sie in anderen Vierteln Jakartas günstigen Wohnraum in Hochhäusern, doch wie will man sie für den drohenden Kultur- und Identitätsverlust entschädigen? Wenn die Fischer ins Landesinnere umgesiedelt werden, in die Nähe von Industrieanlagen und Fabriken, können sie kaum noch ihrem angestammten Beruf nachgehen. Aus Fischern werden Fabrikarbeiter.

Doppelt bedroht – durch Regen und Sturmflut

Ein anderes Beispiel für eine sinkende, von Überschwemmungen geplagte Küstenmetropole ist die philippinische Hauptstadt Manila. Sie ist gleichermaßen durch starke Regenfälle und sturmbedingte hohe Wasserstände des Meeres bedroht. Zwischen 1900 und 2013 sind Teile Manilas um 1,5 Meter abgesunken. Bis zum Jahr 2025 rechnet man mit einem weiteren Absinken um etwa 40 Zentimeter. Das ist beängstigend, weil Manila in einem Gebiet liegt, das oft von Taifunen, großen Wirbelstürmen, heimgesucht wird. Sie bringen große Mengen an Regen mit sich und wühlen das Meer so stark auf, dass große Brandungswellen entstehen. Ein Wirbelsturm katastrophalen Ausmaßes war 2009 der Taifun Ketsana. Durch den Regen und die Sturmflut stand das Wasser in manchen Vierteln Manilas 2 Meter hoch.
Dass von Überschwemmungen zunehmend auch Küstenmetropolen betroffen sind, die nicht nennenswert absinken, zeigt das Beispiel Mumbai. Eine Überschwemmung von großem Ausmaß traf die indische Megacity am 26. Juli 2005. Innerhalb von 24 Stunden fielen beinahe 950 Millimeter Regen. Das entspricht in etwa der Gesamtmenge, die in Mumbai normalerweise während des ganzen Monats Juli fällt. Allein in der Stunde von 15.30 bis 16.30 Uhr waren es 190 Millimeter. Da zur selben Zeit die Flut im Meer einen relativ hohen Wasserstand erreichte, konnte das Regenwasser kaum abfließen und staute sich in den Zuflüssen und insbesondere im Fluss Mithi, der durch die Stadt fließt. Waren bei bisherigen Überschwemmungen meist nur die Siedlungen am Stadtrand betroffen, so traf es diesmal auch die Innenstadt. Innerhalb kürzester Zeit stieg das Wasser dort um mehr als 1 Meter an. Straßen, Läden, Bürogebäude wurden überschwemmt, und der Verkehr kam völlig zum Erliegen. Am Ende waren 22 Prozent der Fläche Mumbais über­flutet. Die traurige Bilanz der Überschwemmung an diesem Tag: über 400 Tote und rund 100 000 stark beschädigte Wohn- und Geschäftsgebäude. 30 000 Kraftfahrzeuge waren schrottreif.
Die Analyse der Ereignisse machte deutlich, dass die Überschwemmung in Mumbai deswegen ein solches Ausmaß erreichen konnte, weil große Flächen der natürlichen Überschwemmungsflächen entlang der Flüsse nach und nach versiegelt worden waren, teils durch den Bau informeller Siedlungen, teils durch offizielle Projekte wie den Ausbau des Flughafens. Auch waren viele Wasserläufe mit Abfällen und Bauschutt verstopft, sodass der Abfluss des Regenwassers behindert wurde. Andernorts waren Regenwasserkanäle schlecht gewartet, die Ufer abgerutscht und Betonwände eingestürzt.

Hausgemachte Probleme auch in den USA

Im weltweiten Vergleich von Küstenmetropolen wird deutlich, dass heute vor allem Megacitys in Schwellenländern von Überschwemmungen betroffen sind. Experten führen das darauf zurück, dass bei der Planung von Bauten erforderliche Standards nicht immer berücksichtigt werden – insbesondere im Hinblick auf eine vorausschauende Bebauungsplanung, Katastrophenvorsorge und funktionierende Infrastruktur, zu der unter anderem Flutrinnen, eine funktionierende Kanalisation, Deiche und Schutzwände zählen. Andererseits haben durchaus auch Großstädte in den Industrienationen mit dem Absinken zu kämpfen. Das zeigt sich zum Beispiel im Großraum New Orleans, in dem etwa 1 Million Menschen leben.
New Orleans liegt im US-Bundesstaat Louisiana direkt im Mississippidelta. Die Stadt ist zwischen 1900 und 2013 bereits um gut 1 Meter abgesunken und sackt jedes Jahr um weitere 6 bis 26 Millimeter ab. Gründe dafür gibt es gleich mehrere. Wie in anderen betroffenen Küstenmetropolen auch trägt die Entnahme von Grundwasser zum Absinken bei. In welchem Maß, ist allerdings sehr schwer abzuschätzen, denn aufgrund der besonderen Bodenbeschaffenheit in New Orleans tritt noch ein weiteres Phänomen zutage. Sinkt nämlich das Grundwasser ab, gelangt Luftsauer­stoff in tiefere Schichten, wodurch dort ansässige Bodenbakterien aktiv werden. Diese bauen das im Boden enthaltene organische Material ab. Da der Boden große Mengen an organischem Material enthält, das im Laufe der Jahrhunderte durch den Mississippi ins Delta getragen wurde, werden durch die Bakterien entsprechend große Mengen abgebaut. Dieser Verlust an organischer Substanz trägt erheblich zum Ab­sinken bei.
Zusätzlich hat in der Region um New Orleans die Förderung von Erdöl und Erdgas und das damit einher-gehende Leeren der Lagerstätten den Boden absacken lassen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Verlust von Sediment, das früher durch den Mississippi ins Delta transportiert wurde. Weil der Mississippi durch zahlreiche Staustufen gebremst wird, trägt er heute deutlich weniger Sediment ins Meer. Die im Delta lagernden alten Sedimentpakete sind so schwer, dass das Delta auf natürliche Weise langsam absinkt. Wurde dieses Absinken früher durch frisches Sediment aus dem Mississippi ausgeglichen, so reicht die heute deutlich verringerte Sedimentfracht bei Weitem nicht mehr aus, dieses Absinken zu kompensieren.
2.34 > Hurrikan Katrina traf Ende August 2005 den Südosten der USA. Spuren der Verwüstung waren auch Monate danach noch zu sehen.
Abb. 2.34: Hurrikan Katrina traf Ende August 2005 den Südosten der USA. Spuren der Verwüstung waren auch Monate danach noch zu sehen. © Stanley Greene/Noor
Diese Probleme waren seit Jahrzehnten bekannt, ebenso wie die Tatsache, dass New Orleans schon bei mäßig starken Stürmen für Überschwemmungen anfällig ist. Zuletzt hatten Experten 2003 in einer Fachzeitschrift vor den Folgen schwerer Hurrikans gewarnt, die am Golf von Mexiko in den Sommermonaten häufig die Küste bedrohen. Die bestehenden Hochwasserschutzanlagen seien zu niedrig, andere schlecht konstruiert, gewartet oder gebaut, hieß es darin. Tatsächlich hatten die Behörden ein Hurrikan-Schutzsystem geplant, das allerdings aus Geldmangel nicht gebaut worden ist. Nach Ansicht von Experten hätte aber selbst dieses Schutzsystem versagt, weil es nach veralteten und zu niedrigen Bemessungs­kriterien errichtet worden wäre.
Damit war New Orleans relativ schlecht geschützt, als der besonders starke Hurrikan Katrina Ende August 2005 auf die Stadt traf. Er ließ das Wasser an der Küste um 7 Meter ansteigen. In der Folge brachen die Deiche an etwa 50 Stellen. Die Stadt, die in einer Senke liegt, lief voll. Erst danach hat man reagiert und den Bau eines modernen und leistungsfähigen Hochwasserschutzsys­tems beschlossen, das Hurricane and Storm Damage Risk Reduction System (HSDRRS, System zur Verringerung des Hurrikan- und Sturmschadenrisikos). Dieses wurde im Jahr 2011 fertiggestellt. Dazu gehören höhere und widerstandsfähigere Deiche und Hochwasserschutzwände sowie Sperren und Notfallpumpen an den Enden der Ablaufkanäle, die New Orleans entwässern. Mit diesen Maßnahmen konnte das Risiko großer Überschwemmungen deutlich reduziert werden.
Des Weiteren haben die US-Behörden 2012 einen Masterplan zum Schutz des Deltas verabschiedet, mit dem nicht nur die Stadt New Orleans, sondern die ganze Deltaregion künftig vor Hurrikans und insbesondere Überflutungen geschützt werden soll. Durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen, etwa durch Baggerarbeiten oder das Umpumpen von Sediment, soll das Delta im Laufe der nächsten 50 Jahre wieder wachsen. Gut 700 Quadratkilometer Delta sollen so neu geschaffen werden. Hinzu sollen 500 Quadratkilometer an Salzwassermarschen kommen, die bei Stürmen und Hurrikans die Gewalt der Brandung dämpfen sollen.

Das Versinken stoppen

Dass sich das Absinken einer Stadt durch entsprechende Maßnahmen stoppen lässt, zeigen die Beispiele Tokio und Shanghai. Nachdem Teile der japanischen Stadt seit 1900 um rund 4 Meter abgesunken waren, entschied man bereits Ende der 1960er-Jahre, die Entnahme von Grundwasser stark einzuschränken. Daraufhin füllten sich die Grundwasser führenden Bodenschichten langsam wieder auf, sodass das Absinken bereits gegen Mitte der 1970er-Jahre gestoppt werden konnte. Vor ähnlichen Problemen stand die chinesische Metropole Shanghai. Dort wurde nicht nur die Entnahme von Grundwasser stark reglementiert, sondern darüber hinaus eine Pumpentechnologie eingesetzt, mit der die Grundwasserspeicher schneller wieder mit Wasser aufgefüllt werden konnten.

Abb. 2.35: In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Perl­flussdelta in China von einer landwirtschaftlichen zu einer hoch industriellen und bevölkerungsreichen Region ent­wickelt. Der linke Teil der Fotomontage ist eine Satellitenaufnahme aus dem Jahr 1979, der rechte stammt aus dem Jahr 2003. Rote Bereiche umfassen die Vegetation, graue die Bebauung. Blau erkennbar sind Wasserverläufe. © [M] mare, Fotos: © NASA image created by Jesse Allen Landsat 3 MSS data provided by the University of Maryland’s Global Land Cover Facility. Landsat 7 ETM+ data provided courtesy of the Landsat Project Science Office, NASA/ GSFC

2.35 > In den vergangenen 40 Jahren hat sich das Perl­flussdelta in China von einer landwirtschaftlichen zu einer hoch industriellen und bevölkerungsreichen Region ent­wickelt. Der linke Teil der Fotomontage ist eine Satellitenaufnahme aus dem Jahr 1979, der rechte stammt aus dem Jahr 2003. Rote Bereiche umfassen die Vegetation, graue die Bebauung. Blau erkennbar sind Wasserverläufe.

Der größte Ballungsraum der Erde

Die Bebauung und Besiedlung der Küstengebiete ist die wohl augenfälligste Veränderung dieser Lebensräume. In vielen Fällen wurden und werden durch Baumaßnahmen artenreiche Feuchtbiotope wie Wattflächen und Salz­wiesen, Marschen und Torfböden entwässert und unwiederbringlich zerstört. Ein extremes Beispiel für diese Verstädterung in küstennahen Feuchtgebieten ist das ­Perlflussdelta in der Mitte der Küstenprovinz Guangdong im Süden Chinas. Hier liegt ein riesiger Ballungsraum, der aus elf Städten gebildet wird, zu denen auch Hongkong und Macau gehören. Die gesamte Region ist mit einer ­Fläche von knapp 40 000 Quadratkilometern fast so groß wie die Niederlande.
Die Region umfasst mehrere Sonderwirtschaftszonen und hat seit den 1970er-Jahren einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg erfahren. Damals noch durch kleinere ­Dörfer und ausgedehnte Feuchtgebiete geprägt, nahm der zunehmend urbane Raum im Delta im Jahr 2000 durch das Zusammenwachsen der Städte bereits 3500 Quadratkilometer ein, was in etwa der vierfachen Fläche Berlins entspricht. Heute beträgt die trockengelegte Fläche sogar circa 4500 Quadratkilometer, und die Bevölkerungsdichte ist enorm. So leben im Perflussdelta derzeit mehr als 60 Millionen Menschen – etwa 3,5-mal mehr als in den für europäische Verhältnisse dicht besiedelten Niederlanden. Damit hat es sich innerhalb weniger Jahrzehnte zum bevölkerungsreichsten Ballungsraum der Erde entwickelt. Experten gehen davon aus, dass das Wachstum in dieser Region weiter anhält und das Perlflussdelta bis 2030 Heimat von etwa 100 Millionen Menschen sein wird.
Mit der Trockenlegung und Bebauung der Feuchtgebiete ist auch der Lebensraum vieler Amphibien und Vögel verschwunden. Ferner hat die Verschmutzung der Gewässer dazu geführt, dass heute rund 90 Fischarten in dem Gebiet bedroht sind. Außerdem führen viele Flussarme in der Re­gion vor allem während der trockenen Monate weniger Wasser, da für die Gewinnung von Trinkwasser und für die Stromerzeugung viele Staudämme und Kraftwerke errichtet wurden. Insgesamt gelangt so deutlich weniger Süßwasser ins Delta, und Meerwasser kann bei hohen Wasserständen wie etwa Springtiden oder Sturmfluten tiefer in das Delta eindringen. Pflanzen und Tiere, die nicht an Brackwasser beziehungsweise höhere Salzgehalte angepasst sind, ziehen sich aus den betroffenen Bereichen zurück. Der Lebensraum verändert sich massiv.
Abb. 2.36: Der Chinesische Stör Acipenser sinensis gilt als akut vom Aussterben bedroht. © efishalbum.com

2.36 > Der Chinesische Stör Acipenser sinensis gilt als akut vom Aussterben bedroht.
Der Bau von Dämmen hat auch dazu geführt, dass die Wanderrouten mancher Fischarten zwischen Meer und Laichgebieten flussaufwärts unterbrochen worden sind, und er hat – nach Meinung der Experten – maßgeblich zum Zusammenbruch der Bestände des bedrohten Chinesischen Störs Acipenser sinensis beigetragen. Die Gewinnung von Sand und Steinen für Baumaßnahmen stellen einen weiteren extremen Eingriff in die Natur dar. Mit Baggern und Spezialschiffen wird das Baumaterial aus den Flussbetten geholt. Dadurch verändern sich die dortigen Strömungsverhältnisse, was wiederum zu Veränderungen in der Zusammensetzung der Arten führt. Auch verlieren viele Wasserorganismen durch die Baggerarbeiten ihre Brut- und Laichplätze.

Zusatzinfo Verbau einer Lebensader

Große Geschäfte, auf Sand gebaut

Sand und Mineralien werden nicht nur in China gewonnen, sondern in vielen Regionen der Erde. Nach Schätzungen des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Environment Programme, UNEP) werden jährlich weltweit zwischen 47 und 59 Milliarden Tonnen Mineralien abgebaut, wovon Sand, Kies und Schotter zwischen 68 und 85 Prozent ausmachen. Da die Zahlen nicht einheitlich erfasst werden, können die Mengen nur relativ grob geschätzt werden. Allein für die Zementindustrie werden zwischen 25 und 30 Milliarden Tonnen Sand benötigt. Dieser gigantische Bedarf geht aber vielerorts mit bedeutenden Eingriffen in die Landschaft einher. Daher wird der Abbau in vielen Regionen auch sehr kritisch gesehen. In Südafrika etwa wird Dünensand für die Bauindustrie gewonnen. Kritiker fürchten, dass die Küsten dadurch weniger gut geschützt sind, weil Dünen ein natürliches Bollwerk gegen die Meeresbrandung darstellen. In Indien protestieren Fischer gegen den Sandabbau an Stränden. Sie kritisieren, dass durch die aufgewirbelten Schwebstoffe Fische vertrieben werden. Für die Kleinfischer könnte das den Verlust ihrer Arbeit bedeuten.

Lebensraum Seegraswiese
Seegraswiesen sind charakteristische pflanzliche Lebensgemeinschaften auf Sandböden in küstennahen Gewässern und in Wattenmeeren. Seegrasgewächse wachsen länglich und krautartig und ähneln damit den Gräsern an Land, sind mit diesen aber nicht näher verwandt. Seegraswiesen sind bedeutende Lebensräume, weil in ihnen Jungfische Schutz vor Feinden und Nahrung finden. Verschiedene Fischarten legen ihre Eier direkt an Seegraspflanzen ab, weshalb Seegraswiesen auch als Kinderstube der Fische bezeichnet werden. Darüber hinaus sind Seegräser als Nahrung für Zugvögel von Bedeutung – beispielsweise für die Ringelgänse während ihres Herbstzuges durch das westeuropäische Wattenmeer.

Zusatzinfo Rifffischerei am Limit – der Spermonde-Archipel

Auch in Indonesien und Kambodscha hat die Entnahme großer Sandmengen – vor allem für den Export nach Singapur – zu starken Zerstörungen der Küste geführt, sodass die Regierung von Indonesien die Ausfuhr von Sand 2008 ganz verboten und die Regierung von Kambod­scha 2009 den Export offiziell deutlich eingeschränkt hat. In Kambodscha geht der Sandabbau trotzdem im großen Stil weiter. Kambodschanische Naturschutzverbände weisen darauf hin, dass Sand zum Teil von mafiösen Gruppen gehandelt wird. Eine Kontrolle durch kambodschanische Behörden finde nicht statt, so die Kritik. Inwieweit die Regierung unter der Hand Lizenzen für diesen Abbau vergeben hat oder Korruption von Beamten im Spiel ist, bleibt offen. Der Sand wird unter anderem in einem Küstenschutzgebiet in der Region Koh Kong westlich der Hauptstadt Phnom Penh mit Saugbaggern abgebaut. Dadurch werden Mangroven und Seegraswiesen zerstört – wichtige Lebensräume für die Dugongs, eine Seekuhart.
Der südostasiatische Stadtstaat Singapur wiederum ist ein Extrembeispiel für Sandimport. Singapur ist eine Insel und benötigt permanent Sand für die Erweiterung des Stadtgebiets. Zwischen 1995 und 2014 wurden rund 500 Millionen Tonnen Sand importiert – zu einem großen Teil aus den Ländern Indonesien und Kambodscha. Seit den dort erlassenen Exportbeschränkungen sei Sand illegal nach Singapur eingeführt worden, sagen die kambodschanischen Naturschutzverbände.

Übernutzte Fischreviere

Besonders deutlich wird die Übernutzung der Küsten bei der Fischerei. Den Meeren wird nicht nur zu viel Fisch entnommen, sondern es werden auch Meereslebensräume zerstört wie beispielsweise Korallenriffe. Der Mensch entnimmt dem Meer mehr Fisch als nachwachsen kann, sodass die Bestände mit der Zeit abnehmen. Zwar lässt sich nicht exakt beziffern, wie stark Küstengebiete überfischt sind, da die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) nicht im Detail zwischen Küstenfischerei und Fischerei auf hoher See unterscheidet. Doch da die Küstengewässer weltweit die produktivsten Meeresregionen sind, liefern sie zweifellos die größte Menge an Fisch und werden nach Einschätzung von Fischereiexperten auch am intensivsten befischt. Nach aktuellen Angaben der FAO sind weltweit gut 30 Prozent aller kommerziell genutzten Bestände überfischt. Angesichts der 38 Millionen Fischer weltweit ist dieser Umstand mehr als bedenklich, da viele ihre Arbeit oder Nahrungsquellen verlieren könnten. Insbesondere die Kleinfischerei, von der etwa 20 Millionen Fischer allein in Entwicklungsländern leben, wo sie einen wesentlichen Beitrag zur Ernährung und zum Lebensunterhalt der Küstenbevölkerung leistet, ist gefährdet. In den Tropen wird die Kleinfischerei vor allem in Korallenriffen betrieben. Man schätzt die Zahl der Korallenrifffischer auf etwa 6 Millionen, wovon allein auf Indonesien 1,7 Millionen, auf Indien rund 950 000 und auf die Philippinen rund 910 000 Fischer entfallen. Etwa die Hälfte der 6 Millionen Fischer taucht vor allem nach Seegurken. Diese wurstförmigen Stachelhäuter sind mit den Seesternen verwandt und werden insbesondere nach Hongkong exportiert, wo die getrockneten Tiere als Arznei geschätzt und gehandelt werden. In vielen Gebieten wird die Korallenrifffischerei heute nicht nachhaltig betrieben. Zum einen werden die Bestände überfischt, zum anderen die Riffe auf verschiedene Art geschädigt. Das ist tragisch, weil die Menschen sich damit langfristig ihre Lebensgrundlage zerstören.
2.38 > Besonders viele Rifffischer gibt es in Südostasien, vor allem in Indonesien. Den größten Anteil an der ländlichen Küstenbevölkerung stellen sie hingegen auf den Inseln im Westpazifik, da es dort kaum alternative Arbeitsmöglichkeiten gibt.
Abb. 2.38: Besonders viele Rifffischer gibt es in Südostasien, vor allem in Indonesien. Den größten Anteil an der  ländlichen Küstenbevölkerung stellen sie hingegen auf den Inseln im Westpazifik, da es dort kaum alternative Arbeitsmöglichkeiten gibt. © Teh et al.

Stärkere Motoren, stärkere Zerstörung

Wie stark die intensive Fischerei küstennahe Meeresgebiete beeinflusst, lässt sich auch am Beispiel der belgischen, deutschen und niederländischen Nordseeküste verdeutlichen. Dort hat die Fischerei im Laufe des vergangenen Jahrhunderts die Lebensräume am Meeresboden sehr stark verändert. Plattfische wie die Kliesche, Scholle und Seezunge, die zur Tarnung flach vergraben im weichen Meeresboden liegen, werden hier mit beutelartigen Grundschleppnetzen, die an einem schweren Metallgestänge über den Meeresboden geschleift werden, gefangen. Diese mit zusätzlichen Ketten ausgestatteten sogenannten Baumkurren dringen während des Schleppens mehrere Zentimeter tief in den weichen Meeresboden ein und durchpflügen diesen gewissermaßen.
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde der Plattfischfang vielerorts noch mit kleinen Ruder- oder Segelbooten und entsprechend kleinen Baumkurren betrieben. Mit der Einführung größerer motorbetriebener Kutter kamen in der Nordsee aber immer mächtigere Baumkurren zum Einsatz. Wegen ihres hohen Gewichts und der Ketten durchpflügen sie den Meeresboden und zerquetschen viele zumeist größere Bodenlebewesen. Untersuchungen in Belgien, Deutschland und den Niederlanden zeigen, dass aus diesem Grund seit Mitte des letzten Jahrhunderts die Zahl großer, langlebiger oder empfindlicher Bodenlebewesen deutlich abgenommen hat. Zu letzteren zählen beispielsweise winzig kleine Moostierchen. Diese Organismen leben in filigranen Kolonien am Meeresboden, deren Gestalt zum Teil der von Korallen ähnelt.
2.42 > Die englische Hafenstadt North Shields im Jahr 1904. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Fischfang in der Nordsee meist noch mit Segelbooten betrieben.
Abb. 2.42: Die englische Hafenstadt North Shields im Jahr 1904. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Fischfang in der Nordsee meist noch mit Segelbooten betrieben. © Summerhill Books
Beeinträchtigt werden auch die Bestände der Islandmuschel. Diese Muschelart lebt nur wenige Zentimeter tief im Meeresboden vergraben, sodass ihre Schalen leicht durch die Baumkurren zertrümmert werden. Normalerweise werden Islandmuscheln mehr als 10 Zentimeter groß und bis zu 120 Jahre alt. Wegen der starken Baumkurrenfischerei aber wurden sie in den küstennahen Gebieten der Nordsee dezimiert, da die Bestände angesichts mehrerer Fänge mit Baumkurren pro Jahr und Gebiet kaum eine Chance haben, sich wieder zu regenerieren. Heute werden die stark befischten Gebiete von schnell nachwachsenden Borstenwürmern und kleinen Muscheln dominiert wie der nur 1 bis 2 Zentimeter großen Tellmuschel. Zudem hat die Zahl von Seesternen und Einsiedlerkrebsen zugenommen. Beide ernähren sich auch von den Resten der von den Baumkurren getöteten Organismen. Da Einsiedlerkrebse in dickwandigen Schneckenhäusern leben, sind sie vor den Baumkurren geschützt. Die Seesterne überleben, weil sie relativ robust sind. Werden ihnen durch die Baumkurren Arme abgetrennt, können sie neue bilden und überleben.

Das Ende eines Muschelparadieses

Wie die Fischerei einen geradezu paradiesischen Lebensraum zerstören kann, konnten Meeresbiologen anhand einzigartiger historischer Datensätze für die Doggerbank dokumentieren, ein vergleichsweise flaches Gebiet in der Nordsee. Die Doggerbank wird erst seit Mitte des vorigen Jahrhunderts durch die Fischerei genutzt, vor allen Dingen zum Fang von Sandaalen, die zu Fischmehl verarbeitet werden. Dank einer ausführlichen Studie britischer Forscher aus den 1920er-Jahren ist der damalige unberührte Zustand dieser Region bekannt. Damals fanden die Forscher am Meeresboden der Doggerbank ausgedehnte Muschelbänke vor, in denen eine Vielzahl von großen Muschelarten lebte: die dickschalige Gedrungene Trogmuschel oder die bis zu 6 Zentimeter lange Bunte Trogmuschel. Auch die Glänzende Mondschnecke, die sich als Räuber von den beiden Muschelarten ernährt, kam häufig vor. Auf den Muschelbänken siedelten in großer Zahl Moostierchen und bunt schimmernde Seeanemonen. Hinzu kamen verschiedene Krebs- und Fischarten, die in diesem Lebensraum auf Jagd gingen. Durch die intensive Sandaalfischerei sind die Muschelbänke verschwunden, stattdessen herrschen monotone sandige Gebiete vor. Vergleichende Untersuchungen aus den vergangenen Jahren zeigen, dass beide Trogmuschelarten heute höchstens noch als Jungtiere vorkommen. Diese entwickeln sich aus Larven, die mit der Strömung aus anderen Gebieten der Nordsee zur Doggerbank getragen werden. Ausgewachsene Individuen findet man so gut wie gar nicht mehr. Stattdessen werden die Lebensgemeinschaften heute von kleinen unempfindlichen Arten dominiert, kleinen Flohkrebsen, der kleinen Tellmuschel oder von Schlangensternen, einer besonderen Form von Seesternen mit langen dünnen Armen.
2.43 > Baumkurren sind Grundschleppnetze, die an einem schweren Metall­gestänge über den Meeresboden geschleift werden. Viele auf und im Boden lebende Tiere werden dadurch getötet.
Abb. 2.43: Baumkurren sind Grundschleppnetze, die an einem schweren Metall­gestänge über den Meeresboden geschleift werden. Viele auf und im Boden lebende Tiere werden dadurch getötet. © maribus

Funktionseinheit Lebensgemeinschaft

Inwieweit solche Veränderungen als intolerabel oder als vertretbar zu betrachten sind, ist eine Frage der Perspektive. Einerseits kann man den Verlust ursprünglicher Lebensgemeinschaften durchaus bedauern. Andererseits, sagen Ökologen, sei es in erster Linie wichtig, dass ein Lebensraum in seiner Gesamtheit weiter funktioniert. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von Biodiversity and Ecosystem Functioning (BEF) – dem Funktionieren eines Lebensraums samt seinem sich möglicherweise verändernden Arteninventar. Ein Beispiel für eine solche Funktion ist die Reinigungsleistung, die Muscheln erbringen, indem sie das Meerwasser einsaugen und filtern. Diese Reinigungsleistung können sowohl kleine als auch große Muscheln erbringen. Für die Doggerbank bedeutet das, dass heute viele kleine Tellmuscheln die Reinigungsleistung der deutlich größeren Trogmuscheln von damals übernehmen. Die Funktion „Reinigung“ bleibt erhalten, obwohl sich der Lebensraum stark verändert hat. Wie die aktuellen Untersuchungen auf der Doggerbank zeigen, werden die Lebensgemeinschaften dort inzwischen aber nicht mehr nur durch die Fischerei, sondern auch durch den Klimawandel verändert. Arten aus südlichen Breiten wandern langsam in kühlere nördliche Meeresgebiete wie die Nordsee ein. Inwieweit so eine Einwanderung das BEF des Gebiets beeinflusst, bleibt abzuwarten.
2.44 > Muschelgrab in der finnischen Ostsee: Nachdem der Sauerstoffgehalt des Wassers unter einen kritischen Wert gesunken war, haben sich Sandklaffmuscheln aus dem Boden gegraben, um an frisches Wasser zu gelangen. Wegen der niedrigen Sauerstoffwerte aber sind die Tiere trotzdem verendet.
Abb. 2.44: Muschelgrab in der finnischen Ostsee: Nachdem der Sauerstoffgehalt des Wassers unter einen kritischen Wert gesunken war, haben sich Sandklaffmuscheln aus dem Boden gegraben, um an frisches Wasser zu gelangen. Wegen der niedrigen Sauerstoffwerte aber sind die Tiere trotzdem verendet. © Alf Norkko/Publication: © A. Norkko, A. Villnäs, J. Norkko, S. Valanko, C. Pilditch. 2013. Size matters: © impli- cations of the loss of large individuals for ecosystem function.

Nährstoffe bringen das Ökosystem aus dem Gleichgewicht

Lebensräume verlieren ihre Funktion, wenn durch Veränderungen Belastungsgrenzen überschritten werden. Eine starke Belastung stellt heute in vielen Gebieten die Eutrophierung dar – die Überdüngung der Gewässer mit Nährstoffen. Diese stammen aus Abwässern, die mit Fäkalien belastetet sind, oder gelangen in Form von Pflanzendüngern von Feldern über die Flüsse ins Meer. Da sich beim Überangebot an Nährstoffen Algen stark entwickeln, kommt es zu Algenblüten. Je mehr Algen vorhanden sind, desto mehr sterben später ab und desto intensiver ist der Abbau durch Mikroorganismen, die Sauerstoff zehren, mithin der Sauerstoffverbrauch. Dadurch können in den Küstengewässern sauerstoffarme oder gar -freie Zonen entstehen, in denen Fische, Krebse oder Muscheln nicht mehr leben können.
Solche Zonen treten seit einigen Jahrzehnten an vielen Stellen weltweit auf – an der Westküste Indiens, in der Chesapeake Bay an der Ostküste der USA oder im Golf von Bohai an der Ostküste Chinas. Oftmals bilden sich die sauerstofffreien Zonen in größerer Wassertiefe, weil dort Wind und Wellen das Wasser nicht durchmischen und mit Sauerstoff aus der Atmosphäre anreichern können. An der deutschen Ostseeküste findet man diese Zonen seit einigen Jahren im Sommer aber auch in nur wenigen Meter Wassertiefe in Küstennähe. Woran das liegt, ist noch nicht geklärt. Die Sauerstoffarmut in den flachen Küstenbereichen aber ist besonders problematisch, weil auch Lebewesen im Meeresboden absterben, die durch ihre Aktivität normalerweise zum Abbau von Nährstoffen im Meer beitragen und damit der Eutrophierung entgegenwirken. Dazu gehören Muscheln und Würmer, die im Boden vergraben in Gängen leben und frisches Wasser einstrudeln. Durch die vielen Gänge vergrößert sich die Fläche, an der Mikroorganismen im Boden die Stickstoffverbindungen abbauen. Sterben die Würmer und Muscheln nun aber ab, versagt auch diese Filterfunktion. Dadurch ergibt sich für die sauerstoffarmen Gebiete an der Küste eine negative Rückkopplung: Die Sauerstoffarmut führt zum Absterben der Bodenorganismen, wodurch die Reinigungsleistung des Bodens beeinträchtigt wird und sich die Wasserqualität weiter verschlechtert.

Nährstofffrachten aus der Aquakultur

Während es in den meisten Ländern vor allem Nährstoffe aus der Landwirtschaft sind, die in die Küstengewässer gelangen, trägt in vielen Regionen zusätzlich eine intensive Aquakultur zur Überdüngung bei. Dies ist vor allem in den Küstengebieten Chinas der Fall, wo sich eine Aquakulturanlage an die andere reiht – beispielsweise auf der Insel Hainan, einer Sonderwirtschaftszone, die im tropischen Süden Chinas liegt und das Ziel vieler inländischer Touristen ist.
Hainan ist mit einer Fläche von rund 34 000 Quadratkilometern größer als Sizilien und die größte Insel der Volksrepublik. Natürlicherweise befindet sich an der Küste ein breiter Mangrovengürtel, an den sich zum Meer hin flache sandige Bereiche mit Seegraswiesen anschließen. Davor liegen ausgedehnte Korallenriffe. Diese natürliche Zonierung von Mangroven, Seegras und Korallen wurde in den vergangenen Jahren durch den Ausbau der Aquakultur teils massiv verändert. Dadurch, dass die Mangroven gerodet wurden, ging nicht nur ein ganzer artenreicher Lebensraum verloren, auch die Nährstoffe aus den Aquakulturanlagen, vor allem Kot und Futterreste, können jetzt direkt ins Meer fließen. Wo normalerweise Mangroven sehr viele Nährstoffe über ihre Wurzeln aufnehmen, strömt die Nährstofffracht jetzt unmittelbar in die Areale der Seegraswiesen.
Bekannt ist, dass sich bei starker Nährstoffzufuhr kleine Algen vermehren, die das Seegras überwuchern und absterben lassen. Zudem führt der durch Eutrophierung verursachte Sauerstoffmangel dazu, dass nicht nur in der Wassersäule, sondern auch im Meeresboden der Sauerstoffgehalt sinkt. Unter diesen Bedingungen bilden sich dann im Sediment giftige Schwefelverbindungen, die das Seegras zugrunde gehen lassen können. Welches Ausmaß das Sterben der Seegraswiesen im Raum Hainan bereits erreicht hat oder künftig erreichen könnte, wird aktuell untersucht.
Eine offene Frage ist auch, wie viel von der Nährstofffracht die Seegraswiesen überhaupt aufnehmen können. Denn diese Aufnahmekapazität ist für die Korallenriffe überlebenswichtig, weil die Seegraswiesen wie ein Puffer zwischen ihnen und dem Land wirken. Korallen könnten durch ein Zuviel an Nährstoffen und vor allem durch ein daraus resultierendes Übermaß an Algenwachstum geschädigt werden und absterben. Da die Korallenriffe von Hainan, ähnlich wie im Spermonde-Archipel, ohnehin von Über­fischung, Zynanid- und Dynamitfischerei betroffen sind, sind sie dadurch zusätzlich gefährdet.

Abb. 2.45: Jahrzehntelang wurden quecksilberhaltige Abwässer In die Bucht vor dem japanischen Fischerort Minamata geleitet. Über die Nahrungskette gelangte das Gift bis in menschliche Körper. © W. Eugene Smith/Magnum Photos/Agentur Focus

2.45 > Jahrzehntelang wurden quecksilberhaltige Abwässer In die Bucht vor dem japanischen Fischerort Minamata geleitet. Über die Nahrungskette gelangte das Gift bis in menschliche Körper.

Küstengewässer als Klärbecken

Die Küstengewässer werden nicht nur durch ein Zuviel an Nährstoffen belastet, sondern auch durch ungeklärte Abwässer und Schadstoffe aus der Industrie. Während die Klärtechnik in den Industrieländern heute meist hoch entwickelt ist und einen großen Teil der Verschmutzungen aus dem Abwasser entfernt, ehe es in die Flüsse oder ins Meer gelangt, gibt es in den Entwicklungsländern viele Regionen, in denen die Abwasserreinigung unzureichend ist.
So werden in Afrika nach Angaben der Weltbank nur etwa 10 Prozent der Abwässer in Klärwerken aufbereitet. Für die ghanaische Hauptstadt Accra zeigen Studien, dass durch ungeklärte Abwässer vor allem Flüsse und Gewässer, aus denen die Bevölkerung ihr Trinkwasser bezieht, mit Bakterien und Viren belastet sind. Häufige Durchfallerkrankungen sind die Folge. Etwa ein Viertel aller Sterbefälle von Kindern unter fünf Jahren im Großraum Accra wird darauf zurückgeführt. Zudem gibt es immer wieder Fälle von Cholera.
Zur Bedrohung durch Krankheitserreger kommt in vielen Regionen eine Belastung durch Schadstoffe hinzu, die über die Flüsse oder über Abwasserleitungen direkt ins Meer gelangen. Dazu zählen Schwermetalle, beispielsweise aus Minen oder aus der Metallproduktion, und zahlreiche Verbindungen aus der chemischen Industrie. Mehrere Umweltkatastrophen haben deutlich gemacht, wie gefährlich diese Substanzen sein können. Das zeigt das Beispiel von Minamata, einer Hafenstadt im Westen Japans. In den 1950er-Jahren wurden quecksilberhaltige Abwässer aus einer Fabrik vor Ort ins Meer geleitet. Zunächst nahmen Algen das Gift auf. Die Algen wiederum wurden von Fischen gefressen, die bei den einheimischen Menschen als Speisefische besonders geschätzt waren. Die Quecksilberkonzentration in den Fischen war so hoch, dass mehr als 10 000 Menschen eine Quecksilbervergiftung erlitten. Tausende Menschen starben daran. Diese Art der Quecksilbervergiftung wird heute als Minamata-Krankheit bezeichnet.

Weit mehr als ein Dreckiges Dutzend

Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) werden weltweit etwa 100 000 unterschiedliche chemische Substanzen produziert, allein in Europa circa 10 000 in einer Größenordnung von jeweils mehr als 10 Tonnen pro Jahr. Schätzungsweise bis zu 3 Prozent der weltweiten Produktion sind problematisch. Zu diesen umweltrelevanten Schadstoffen zählen beispielsweise Verbindungen mit Blei, Quecksilber und anderen Schwermetallen, die im Bergbau, in industriellen Herstellungsprozessen oder bei der Verbrennung von Heizöl anfallen.
Besonders kritisch sind auch die persis­tenten, organischen Schadstoffe, die sogenannten POPs (persistent organic pollutants). Sie sind dadurch definiert, dass sie folgende problematische Eigenschaften haben: Sie sind langlebig (persistent), giftig, reichern sich in Organismen an und können sich außerdem über die Luft und über weite Strecken verbreiten. Da POPs in der Natur kaum abgebaut werden, können sie über viele Jahre aus der Umwelt in die Nahrungskette gelangen. Zwölf besonders gefährliche Verbindungen dieser Art, die als Dreckiges Dutzend (englisch: Dirty Dozen) bezeichnet werden, waren die ersten, die nach dem Stockholmer Übereinkommen weltweit verboten wurden. Zu ihnen zählen auch die polychlorierten Biphenyle (PCB). Insgesamt sind heute nach dem Übereinkommen 24 Substanzen verboten.

Den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?

Um die Menschen und die Umwelt künftig besser vor der Verschmutzung durch chemische Stoffe zu schützen, trat in der Europäischen Union (EU) 2007 die Chemikalienverordnung REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals; Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe) in Kraft, nach der Industrieunternehmen chemische Substanzen, die sie produzieren oder einsetzen möchten, registrieren lassen und deren Unbedenklichkeit nachweisen müssen. Substanzen, die bereits seit Längerem auf dem Markt sind, dürfen Firmen hingegen ohne weitere Nachweise für neue Einsatzgebiete verwenden.
Stoffe, die heute wegen ihrer Giftigkeit verboten werden, können somit durch etablierte Substanzen ersetzt werden, die ähnliche Eigenschaften aufweisen. Doch auch die Ersatzstoffe können problematisch sein. Das zeigt das Beispiel der polybromierten Diphenylether (PBDE), Verbindungen, die lange als Flammschutzmittel verwendet wurden und das Element Brom enthalten. Experten hatten festgestellt, dass PBDE langlebig sind und Krebs auslösen können. Daher wurden sie vor einiger Zeit verboten. Als Alternative für die Industrie griff man dann auf die etablierte Substanz Dechloran Plus zurück, die ursprünglich in den 1970er-Jahren als Insektenvernichtungsmittel verwendet, dann aber in der EU für den Einsatz im Freien verboten worden war. Dechloran Plus ist ebenfalls langlebig, bindet sich im Wasser an Schwebstoffe und lagert sich mit diesen vor allem in den Sedimenten der Küstengewässer ab. Forscher konnten nachweisen, dass Aale in europäischen Küstengewässern mit Dechloran Plus belastet sind.
Das Beispiel zeigt die Schwäche der herkömmlichen Praxis, bei der verbotene Stoffe durch etablierte Substanzen ersetzt werden können, die ebenfalls problematisch sind. Als Konsequenz wird derzeit diskutiert, ob Dechloran Plus nicht auch nach dem Stockholmer Übereinkommen international verboten werden sollte. Dänemark hat eine entsprechende Initiative gestartet.
In der Regel gehen einem Verbot umweltgefährdender Chemikalien Diskussionen voraus, die sich über viele Jahre hinziehen. So sperren sich oftmals jene Länder gegen ein Verbot, in denen die entsprechenden Substanzen produziert oder verarbeitet werden. Allerdings gibt es im Rahmen des Stockholmer Übereinkommens eine Regelung, nach der besonders gefährliche POPs auch schon innerhalb kürzerer Zeit verboten werden können, wenn sie sich extrem stark in Lebewesen anreichern und extrem persistent sind. Diese Stoffe werden als very P/very B (very persistent/very bioaccumulative; sehr persistent/sehr bioakkumulierend) bezeichnet.
Ein Beispiel für solche Substanzen ist die chemische Verbindung PFOS (Perfluoroctansulfonat). Sie wurde vor allem in der Textilindustrie verwendet, beispielsweise in der Herstellung atmungsaktiver Membranen für Outdoorjacken. Aber auch in der Papierindustrie wird sie zur Produktion von schmutz-, fett- und wasserabweisenden Papieren wie Fast-Food-Verpackungen benutzt. Darüber hinaus kam sie bei der Imprägnierung von Möbeln, Teppichen und Bekleidung zum Einsatz. Wegen seiner Lang­lebigkeit hat sich PFOS stark in der Natur angereichert. Es lässt sich in Wasser, Boden, Luft und Lebewesen auf der ganzen Welt nachweisen. In vergleichsweise hohen Konzentrationen kommt es in den Endgliedern der Nahrungskette vor, beispielsweise in Fischen, Robben, Seevögeln oder Eisbären und natürlich auch im Menschen. Nachdem Ende des vergangenen Jahrhunderts deutlich wurde, dass PFOS zu den „very P/very B“-Ver­bindungen zählt, wurde die Substanz verboten. Auch die chemisch eng verwandte Verbindung PFOA (Perfluoroctansäure) wurde vom Markt genommen. Zwischen dem Nachweis der potenziellen Gefährlichkeit, den verschiedene Forschergruppen erbracht hatten, und dem Verbot lagen nur fünf Jahre. Für andere POPs, die nicht zu den „very P/very B“-Verbindungen zählen, kann dieser Prozess bis zu 20 Jahre dauern.

Verlagerung von Problemen

PFOS und PFOA lagern sich vor allem im Blut und in der Leber ab. Sie wurden deshalb nach ihrem Verbot durch chemisch nahe verwandte Verbindungen aus der Gruppe der Perfluorcarbone (PFCs) ersetzt, Fluor-Kohlenstoffverbindungen, zu denen auch PFOS und PFOA zählen. In der Industrie werden jetzt PFCs verwendet, die sich weniger in Blut und Leber ablagern und damit weniger bioakkumulierend sind. Das aber bringt ein neues Problem mit sich: Diese PFCs lösen sich recht gut im Wasser. Studien zeigen, dass die Konzentration dieser wasserlöslichen PFCs inzwischen vor allem in den Flüssen und Küstengewässern in China stark zugenommen hat. Mit der Einführung der neuen PFCs hat sich das Umweltproblem also verlagert, von der Anreichung in den Lebewesen hin zu einer stärkeren Konzentration im Wasser. Unabhängig von der Art der Schadstoffe kann man für viele problematische Substanzen feststellen, dass deren Konzentrationen in den Flüssen und Küstengewässern Europas und der USA in den vergangenen Jahren abgenommen haben. Das ist einerseits auf eine bessere Klärtechnik und Aufbereitung industrieller Abwässer zurückzuführen, andererseits darauf, dass die Produktion und Verarbeitung vieler Chemikalien aus den westlichen Industrienationen in Länder wie China und Indien ausgelagert worden ist. Insofern überrascht es nicht, dass sich dort die Situation verschlechtert hat – und das, obwohl dabei durchaus teils moderne Klärtechnik zum Einsatz kommt.
Doch selbst moderne Technik kann nicht alle Schadstoffe restlos aus den Abwässern entfernen. Da beson-ders große Mengen an Chemikalien produziert werden, gelangen in China in der Summe dennoch relevante Schadstoffmengen in die Umwelt, so auch PFCs. Viele Küstengebiete, in die Flüsse einmünden, sind mit PFCs belastet, etwa das Delta des Flusses Jangtse im Osten Chinas. Dort werden die PFCs produziert und von mehreren Textilfirmen verarbeitet. Auch andere Flüsse an der chinesischen Ostküste sind stark belastet. So ist etwa die PFC-Konzentration im Delta des XiaoqingFlusses heute etwa 2000-mal höher als in der Elbmündung, was insbesondere auf die Verlagerung der Produk­tion nach China zurückgeführt wird. Welche Umweltauswirkungen die hohen Konzentrationen im Wasser haben und wie gravierend diese Anreicherung ist, ist noch nicht genau untersucht.

Zusatzinfo Schlammfluten verschmutzen die Küste – der Fall Rio Doce

Der Tagebau vergiftet ganze Regionen

Zur Verschmutzung von Flüssen und Küstengewässern tragen in erheblichem Maße auch große Minen bei. Meist werden dort wirtschaftlich interessante chemische Elemente gewonnen, etwa Eisen, Kupfer oder auch Gold. Da diese Elemente nicht in reiner Form, sondern gebunden an andere chemische Elemente vorliegen, müssen sie abgetrennt und konzentriert werden. Die Reste der Produktion werden in trockener Form auf Abraumhalden oder mit teils giftigen Abwässern und Schlämmen in Becken oder Sickergruben deponiert. Immer wieder kommt es vor, dass diese Becken und Gruben leckschlagen und die Substanzen in die Umwelt gelangen.
Mitunter werden die Abwässer auch direkt in Flüsse abgegeben wie in Papua-Neuguinea, wo die Ok-Tedi-Mine seit den 1980er-Jahren direkt in die Flüsse Ok Tedi und Fly entwässert, die zusammen mit ihren Nebenflüssen eines der größten tropischen Flusssysteme weltweit bilden. Zeitweise wurden aus der im Binnenland gelegenen Mine so große Mengen an Schlamm in die Flüsse geleitet, dass dieser sich an den Ufern abgelagert hat. Dadurch wurde nicht nur das Flusswasser, sondern auch die Umgebung belastet, vor allem mit Kupferrückständen. Man geht davon aus, dass der Rückgang der Fischpopulationen im Fluss auf diese Belastungen zurückzuführen ist.
Eine ähnliche Umweltbelastung ist auch in der südwestindischen Küstenregion um die Gemeinde Panmana im Bundesstaat Kerala zu beobachten. Dort werden seit 1922 schwermetallhaltige Mineralseifen abgebaut, mineralienreiche Sedimente, die sich über Jahrmillionen abgelagert haben. Anfangs baute man die Mineralseifen ab, um Metalle zu gewinnen. Seit den 1980er-Jahren ist vor allem die Substanz Ilmenit von Interesse, eine Verbindung aus Eisen, Titan und Sauerstoff. Aus ihr wird das weiße Pigment Titandioxid gewonnen, ein verbreiteter Weißmacher, der Wandanstrichen, Autolacken oder auch Zahncremes beigemischt wird. Das Ilmenit wird seit 1984 direkt vor Ort in einer Fabrik verarbeitet. Die dabei anfallenden Schwermetalle werden heute nicht mehr genutzt. Sie werden zusammen mit anderen chemischen Elementen mit dem Abwasser in Speicherbecken geleitet, die aber seit mehr als einem Jahrzehnt undicht sind. In dieser Zeit hat das versickernde Abwasser nach und nach die Brunnen und Böden in einem 16 Quadratkilometer großen Gebiet um die Fabrik verseucht. Die Konzentration an Schwermetallen übersteigt hier internationale Grenzwerte um ein Vielfaches. Die Vergiftung von Boden und Wasser führt nicht nur dazu, dass an vielen Stellen die Pflanzen absterben, sondern mehr und mehr Menschen in der Region Ekzeme aufweisen und an Krebs erkranken. Viele Bewohner haben ihre Heimat deshalb verlassen.
2.47 > In der Gemeinde Panmana im indischen Bundesstaat Kerala sind die Böden vielerorts durch Schwermetalle verseucht. Pflanzen wachsen hier kaum noch.
Abb. 2.47: In der Gemeinde Panmana im indischen Bundesstaat Kerala sind die Böden vielerorts durch Schwermetalle verseucht. Pflanzen wachsen hier kaum noch. © Photo by India Today Group

Das Rätsel um den Müll im Meer

Besonders viel Beachtung haben Forscher und Medien in den vergangenen Jahren der Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll geschenkt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass diese Bedrohung oftmals direkt sichtbar ist und der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung leicht nachvollziehbar ist. Diskutiert wird aktuell, welche Gefahr von den Plastikteilen ausgeht und wie viel Müll eigentlich im Meer treibt. Mehrere Gruppen von Plas­tikmüll werden dabei unterschieden:
  • Makroplastik mit einer Größe von mindestens 25 Millimetern,
  • Mesoplastik mit einer Größe von 5 bis 25 Milli­metern,
  • großes Mikroplastik mit einer Größe von 1 bis 5 Millimetern,
  • kleines Mikroplastik mit einer Größe von wenigen Mikrometern bis 1 Millimeter.
Je nach Größe und Art der Abfälle wirken sich diese unterschiedlich auf Lebewesen aus. Makroplastik kann für Meereslebewesen zu einer tödlichen Falle werden. In alten Fischernetzen etwa können sich Meeresschildkröten verheddern und ersticken. Derzeit wird diskutiert, ob das Makro- und Mesoplastik im Meer nicht mehr nur einzelne Individuen tötet, sondern möglicherweise ganze Populationen von Meerestieren gefährden könnte. Eine aktuelle Studie zeigt, dass schon heute 90 Prozent aller Seevögel Plastikteile verschlucken. Je nach Fressverhalten sind verschiedene Seevogelarten unterschiedlich stark gefährdet.
Untersucht wird seit einiger Zeit auch, wie sich Mikroplastik auf Meeresorganismen auswirkt. In einem Laborex­periment hat man Muscheln Mikro­parti­kel­konzen­trationen ausgesetzt, die sehr hoch waren. Die Partikel gelangten aus dem Verdauungstrakt bis ins Gewebe, wo sie Entzündungsreaktionen auslösten. Bemängelt wird an diesen Untersuchungen, dass die verwendeten Partikelkonzentrationen extrem hoch waren – deutlich höher als die Konzentration in den Meeren. Zum Vergleich wurden ähnliche Experimente durchgeführt, die Muscheln dabei aber in Wasser gehalten, das deutlich geringere Parti­kelkonzen­trationen aufwies – Konzentrationen, die denen in der Nordsee entsprachen. Bei diesen Experimenten konnten keine Schäden festgestellt werden.

Unmessbare Müllmassen

Grundsätzlich gilt, dass sich die Menge des Mülls, der sich in den Meeren befindet, nicht genau messen und bestimmen lässt. Dennoch haben US-amerikanische Forscher 2015 im Rahmen einer Studie versucht, dies zu überschlagen. Dafür haben sie die Produktionsseite beleuchtet und ausgerechnet, dass bei einer jährlichen weltweiten Kunststoffproduktion von rund 300 Millionen Tonnen etwa 275 Millionen Tonnen Abfall anfallen – gut 90 Prozent. Für ihre Studie hatten die Forscher analysiert, wie gut die Infrastruktur für die Müllbeseitigung und das Recycling in verschiedenen Ländern entwickelt sind – und daraus abgeleitet, dass ungefähr 4,8 bis 12,7 Millionen Tonnen ins Meer gelangten. Inzwischen wurden diese Zahlen oft zitiert, doch wurde an der Studie kritisiert, dass man von den Produktionsdaten und Informationen zur Müllverwertung nicht darauf schließen kann, wie viel Müll letztlich ins Meer gelangt. Denn Müll kann auf ganz verschiedene Arten seinen Weg ins Meer finden: über Flüsse, durch direkte Entsorgung ins Meer, oder er wird von Müllkippen an Land ins Wasser geweht. Es ist nicht möglich, all diese Wege quantitativ zu erfassen. Auch ist es unmöglich zu ermitteln, wie viel Müll bis heute bereits in die Meere gelangt ist. Vor allem, weil ein großer Teil des Plastikabfalls in tiefere Meeresschichten gesunken ist und dort nicht mehr entdeckt werden kann.

Überzogene Schätzungen?

Mikroplastik gelangt aus vielen verschiedenen Quellen in die Meeresumwelt: aus dem Zerfall großer Plastikteile im Meer, die durch das Salzwasser und die UV-Strahlung der Sonne langsam zerbröseln, aus Schiffsanstrichen, aus dem Abrieb von Plastikgegenständen oder Autoreifen, aber auch aus Peelings, in denen die Partikel als Putzkörnchen dienen. Dass die Bestimmung der Gesamtmenge so schwierig ist, liegt vor allem daran, dass die verschiedenen Forschergruppen das Mikroplastik bislang mit unterschiedlichen Methoden und Geräten erfasst und untersucht haben. Manche rechneten die Partikelkonzentration im Wasser auf Kubikmeter hoch, andere auf Quadratkilometer. Manche gaben die absolute Zahl gemessener Partikel an, andere das Gewicht in Milligramm pro Kilogramm. So gibt es heute kaum eine Vergleichbarkeit der Zahlen.
Um dies künftig zu erreichen, werden aktuell in einem EU-Projekt erstmals einheitliche Messstandards für Mikroplastik entwickelt. Dabei geht es nicht nur um das Zählen von Partikeln im Wasser, sondern vor allem um ihre richtige Bestimmung. Lange hat man versucht, unter dem Mikroskop die genaue Zahl der Partikel zu erfassen.
2.48 > Seit Jahren wächst die Menge der weltweit produzierten Kunststoffe. Es ist anzunehmen, dass dadurch auch die Menge der Plastikabfälle zunimmt, die in die Meere gelangt. Verlässliche Zahlen gibt es aber nicht.
Abb. 2.48: Seit Jahren wächst die Menge der weltweit produzierten Kunststoffe. Es ist anzunehmen, dass dadurch auch die Menge der Plastikabfälle zunimmt, die in die Meere gelangt. Verlässliche Zahlen gibt es aber nicht. © Plastics Europe
Mit dieser optischen Methode wurde die Menge um bis zu 70 Prozent überschätzt, weil sehr häufig auch Quarzsand als Plas­tik interpretiert worden ist. Mit neuen Messgeräten, die mit Infrarotlicht arbeiten und Kunststoffe genau bestimmen können, will man derartige Fehler in der Zukunft vermeiden.

Erholung auf Kosten der Küstenlebensräume – der Tourismus

Während heute noch weitgehend unklar ist, welche Bedrohung der Plastikabfall für die Lebensräume der Küsten darstellt, sind die negativen Folgen des Tourismus seit Jahren bekannt. Besonders in den touristisch stark frequentierten Feriengebieten hat der Bau von Hotels und Straßen die Küstenlandschaft zum Teil massiv verändert. Feuchtgebiete wurden trockengelegt und bebaut, Strände intensiv genutzt. Stark betroffen sind davon jene Organismen, die direkt auf den Küstenstreifen angewiesen sind, also den unmittelbaren Übergangsbereich zwischen Wasser und Land. So sind viele Vogelarten für ihre Brut oder Rast auf Feuchtgebiete entlang der Küste angewiesen, etwa Lagunen oder Flussmündungen. Auch Robben nutzen die Küstenstreifen für die Jagd oder als Ruhezone. Meeresschildkröten wiederum benötigen unberührte Strände, um im Sand ihre Eier zu vergraben. Solche Plätze sind heute in manchen Gebieten aber sehr rar geworden.
2.49 > Intensiver Tourismus kann Korallenriffe stark beschädigen – beispielweise wenn Urlauber Meeresorganismen ritzen.
Abb. 2.49: Intensiver Tourismus kann Korallenriffe stark beschädigen – beispielweise wenn Urlauber Meeresorganismen ritzen. © OK Divers, Padangbai, Bali
Gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts in vielen Regionen des Mittelmeers noch große Bestände an Suppenschildkröten, Unechten Karettschildkröten und Lederschildkröten, so sind sie heute wegen der Transformation natürlicher, sandiger Küstengebiete in touristische Resorts fast restlos verschwunden. Suppenschildkröten sind im Mittelmeer nur noch vor Zypern, die Unechte Karettschildkröte in wenigen Gebieten in Griechenland und der Türkei und Lederschildkröten nur noch in Ausnahme­fällen vor Syrien und Israel anzutreffen.
Die Wandlung natürlicher Küstensäume in touristische Gebiete mit teils städtischem Charakter wirkt sich auf die Küstenumwelt noch auf andere Weise aus. So sind an vielen Stellen Wände und Hafenanlagen aus Beton entstanden, die dem Schutz der Küste dienen oder als Promenaden und Marinas genutzt werden. Damit hat sich der Lebensraum für viele Wasserorganismen völlig verändert. Höhlen und Verstecke sind ebenso verloren gegangen wie Nahrungsgründe. Selbst dort, wo das Ufer aus Felsen besteht, verändert die Verbauung mit Betonstrukturen die Artengemeinschaften. Betonoberflächen haben eine andere chemische Zusammensetzung als Natursteine. Viele Meeresorganismen, die auf festen Untergründen siedeln, meiden daher Betonstrukturen, sodass diese insgesamt meist deutlich artenärmer sind.

Hoher Druck auf die Korallenriffe

Nicht nur die Verbauung, auch die intensive Nutzung durch Touristen führt zur langsamen Zerstörung von Küstenlebensräumen. Zu diesen stark frequentierten Lebensräumen gehören auch die Korallenriffe. Für das Great Barrier Reef an der Ostküste Australiens wurde genauer untersucht, welche Folgen die intensive Nutzung durch Tauchtouristen hat. Verschiedene Arten der Zerstörung konnten festgestellt werden:
  • In Bereichen, in denen Boote ablegen, werden Korallen durch Urlauber zerstört, die zwischen Land und Boot hin und her waten. In stark frequentierten Bereichen werden die Korallen komplett zerstört.
  • Durch vertäute Pontons, schwimmende Restaurants und dergleichen werden Bereiche der Riffe permanent verschattet. In diesen Bereichen sterben Korallen ab.
  • Zu Wasser gelassene Anker von Ausflugs- und Tauchbooten können Korallen zerstören.
  • Durch das Anfüttern von Fischen zum Zweck der Beob­achtung können sich in den Riffen Krankheiten aufgrund von falschem oder verdorbenem Futter ausbreiten. Zudem können große räuberische Fische angelockt werden, die gewöhnlich nicht in eben diesen Riffen vorkommen. Das kann dazu führen, dass manche Arten dezimiert werden.
  • Insbesondere ungeübte Taucher berühren bei ihren Tauchgängen die Riffe und brechen vor allem feinverästelte Korallen ab.
Während die australischen Forscher betonen, dass sich all diese Schäden durch ein optimiertes Management vor Ort vermeiden lassen, gehen andere Experten davon aus, dass Tauchtourismus in Korallenriffen grundsätzlich Schäden verursacht, ganz gleich, wie gut die Touristen informiert oder geführt werden. Betont wird auch, dass leichte Schädigungen durch Tauchtouristen zusammen mit anderen Stressfaktoren, wie etwa einer Erwärmung des Wassers im Zuge des Klimawandels, zu noch größeren Schäden führen können. Textende