Viele Tierarten sind dadurch entstanden, dass eine Population einer Art aufgespalten wurde. Im Laufe der Evolution entwickelten sich diese getrennten Populationen dann unterschiedlich weiter, sodass neue Arten mit unterschiedlichen Merkmalen aus ihnen hervorgingen. Hauptgründe für solche Aufspaltungen waren eiszeitliche Gletscher, die ganze Regionen voneinander abschnitten, oder die Kontinentaldrift, die Landmassen auseinanderriss. Auch Populationen von Meeresorganismen wurden durch die Kontinentaldrift getrennt. Das zeigt das Beispiel des Aals. Heute gibt es weltweit etwa 15 Aalarten, unter anderem den Amerikanischen Aal (
Anguilla rostrata), der an der Ostküste der USA lebt, den Europäischen Aal (
Anguilla anguilla) oder den Japanischen Aal (
Anguilla japonica). Man nimmt an, dass alle Aalarten von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Dessen Revier lag wohl östlich des Großkontinents Pangaea, im damaligen Tethysmeer, etwa in der Region des heutigen Indonesiens. Zudem soll der Uraal, wie die modernen Aalarten auch, regelmäßig große Wanderungen zwischen seinem Laichgebiet im Meer und seinem Aufzuchtgebiet in den Flüssen unternommen haben.
Als sich der nördliche Teil Pangaeas (Laurasia) vom südlichen Teil (Gondwana) trennte, öffnete sich erstmals eine Meerenge, die in Ost-West-Richtung verlief und nun das Tethysmeer im Osten mit dem Meer im Westen verband. Damit konnte sich der Uraal bis in das westliche Meer ausbreiten. Doch die Kontinentalwanderung setzte sich fort. Vor etwa 140 Millionen Jahren begann Gondwana sich in die Landmassen aufzuspalten, aus denen das heutige Afrika, Südamerika, Indien und Australien hervorgingen. Afrika und die Landmasse der Arabischen Halbinsel wanderten nordwärts und kollidierten schließlich mit der Eurasischen Platte. Damit schloss sich die Verbindung zwischen dem westlichen und dem östlichen Meer wieder. Die Aalpopulationen wurden getrennt und entwickelten sich separat voneinander weiter. Diese Theorie wird auch als Tethys-Korridor-Hypothese bezeichnet. Zwar werden zur Artentstehung bei den Aalen noch andere Hypothesen diskutiert, diese gilt unter Experten aber als die wahrscheinlichste.
Auch die Aufspaltung in die zwei atlantischen Arten, den Europäischen und den Amerikanischen Aal, wird auf die Kontinentaldrift zurückgeführt. Zwar sind sich die Tiere äußerlich sehr ähnlich, doch unterscheiden sie sich im Detail, sodass man von zwei Arten sprechen kann. Beide leben bis zur Geschlechtsreife in Küstengewässern und Flüssen. Zum Laichen wandern sie aus den Gebieten in Amerika beziehungsweise Europa bis in die Sargassosee im Westatlantik. Hier geben sie Eier und Samenzellen ins Wasser ab. Aus den befruchteten Eiern schlüpfen noch in der Sargassosee die Larven, die dann den Rückweg gen Europa beziehungsweise Amerika antreten. Während der ein- bis dreijährigen Wanderung nach Europa wachsen die Larven von einer ursprünglichen Länge von 3 Millimetern auf bis zu 70 Millimeter heran. Auf dieses erste Larvenstadium folgt ein zweites. Noch im Meer nehmen die Larven die Gestalt eines Weidenblatts an, weshalb man von Weidenblattlarven spricht. Aus diesen entwickeln sich dann durchscheinende Jungtiere, die als Glasaale bezeichnet werden. Diese wandern in die Küstengewässer und Flüsse, wo sie sich zum erwachsenen Tier weiterentwickeln. Da sich die jeweiligen Laichgebiete in der Sargassosee nur zu einem geringen Teil überlappen, kreuzen sich die beiden Arten nur selten. Hybride findet man daher nur vereinzelt.
Vermutlich hat sich der atlantische Aal in zwei Arten aufgespalten, weil sich der Atlantik geweitet hat. Dadurch entwickelten sich zwei Populationen, eine im westlichen und eine im östlichen Teil. Auch heute noch weitet sich der Atlantik jedes Jahr um einige Zentimeter. Das liegt daran, dass sich in der Mitte des Atlantiks zwei Kontinentalplatten langsam voneinander entfernen. Heute beträgt die Distanz, die der Europäische Aal bis zur Sargassosee zurücklegen muss, bereits etwa 5000 bis 6000 Kilometer.
Abb. 1.7 > Bevor Europa und Afrika über eine Landbrücke verbunden waren, konnten sich die Aale von Osten her bis in den entstehenden Atlantik ausbreiten.