Fischereipolitik
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WOR 2 Die Zukunft der Fische - die Fischerei der Zukunft | 2013

EU-Politik

Kehrtwende in der Fischereipolitik?

> In der Europäischen Union wird 2013 eine neue Gemeinsame Fischereipolitik beschlossen, die die Regeln für das künftige Fischereimanagement vorgibt. Die Europäische Kommission hat viele Vorschläge gemacht, wie sich die desolate Fischereipolitik der letzten Jahrzehnte verbessern lässt. Noch wird diskutiert. Jetzt bleibt zu hoffen, dass die anspruchsvollen Ziele in verbindliches Recht umgesetzt werden.

Klare Ziele, große Erwartungen

Die Fischereipolitik der Europäischen Union hat versagt. Viele Fischbestände sind überfischt. Die Flotte ist überdimensioniert. Zu viele Schiffe machen Jagd auf zu wenig Fisch. Jahrzehntelang wurde mehr Fisch gefangen als von den Wissen­schaftlern empfohlen. Doch jetzt soll sich die Situation ändern. Die EU-Kommission hat sich dazu durchgerungen, die Fischerei und das Fischereimanagement zu reformieren. Dazu soll das für alle EU-Staaten bindende Regelwerk, die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP), 2013 erneuert werden. Folgende Ziele will man erreichen:
  • Die Fischbestände der EU sollen künftig nicht mehr nach dem Vorsorge­ansatz, sondern nach dem Prinzip des maximalen nachhaltigen Ertrags (maximum sustainable yield, MSY) befischt werden.
  • Die Überkapazitäten der Fischereiflotte sollen abgebaut werden.
  • Die Menge des unerwünschten Beifangs und der Rückwürfe soll verringert werden.
  • Der Fischfang soll so ausgerichtet werden, dass nicht nur die Fischbestände vernünftig genutzt, sondern die Meereslebensräume möglichst wenig beeinträchtigt werden. Das Ziel ist es, die Fischerei nach dem Ökosys­temansatz auszurichten.
  • Die Regionen sollen selbstständiger werden. Fischer in den verschiedenen Nationen und Regionen sollen stärker in das Management der Bestände einbezogen werden. In Brüssel sollen nur noch Rahmenbedingungen festgelegt werden.
In anderen Staaten hat man viele dieser Ziele bereits erreicht. In Europa hingegen konnte eine nachhaltige und wirtschaftliche Fischerei bis heute nicht realisiert werden. Es hat sich gezeigt, dass es in einem Staatenverbund wie dem europäischen offensichtlich schwierig ist, die vielen unterschiedlichen Nationalinteressen aufeinander abzustimmen. Man kann es aber auch schon als Erfolg werten, dass sich die europäischen Staaten überhaupt auf eine gemeinsame Fischereipolitik einigen konnten. Schon in den Römischen Verträgen, mit denen im Jahr 1957 die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der Vorläufer der EU, geschaffen wurde, hatte man festgelegt, dass die Fischereipolitik gemeinsam gestaltet werden soll. Allerdings war der Fischereisektor damals noch relativ klein, von industrieller Fischerei konnte oftmals noch ­keine Rede sein. Zudem war die EU-Fischereipolitik auf die damals geltende 12-Seemeilen-Zone beschränkt. Seit dieser Zeit hat sich allerdings viel geändert. Zum einen traten der EWG nach und nach große Fischereinationen wie Dänemark, Großbritannien, Portugal und Spanien bei. Zudem dehnte sich der Geltungsbereich der Fischereipolitik durch die Einführung der 200 Seemeilen breiten Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) aus. Die Nationalstaaten durften damit deutlich größere Meeresgebiete exklusiv befischen. 1982 wurde die erste GFP beschlossen. Mit ihr führte man auch das System einer Quotenverteilung ein: Die EU beschließt Gesamtfangmengen für die verschiedenen Fischarten und teilt dann jeder einzelnen Nation nach einem festen Schlüssel zu, wie viel Prozent des Gesamtfangs (Quote) sie fangen darf.

Effizienter fischen mit weniger Schiffen

Während Dänemark und Deutschland ihre Flotten bereits stark reduziert haben, sind vor allem die holländischen, portugiesischen und spanischen Flotten immer noch überdimensioniert. In Regionen wie Galizien ist die Fischerei nach wie vor eine wichtige Einkommensquelle, denn außerhalb der Fischerei gibt es kaum Arbeitsplätze. Politiker schrecken daher vor einem Abbau der Flotte zurück, die noch dazu aus strukturpolitischen Gründen stark subventioniert ist. In den strukturschwachen Fischereiregionen wurden und werden EU-Gelder genutzt, um neue Schiffe in Dienst zu stellen oder alte zu modernisieren. Das Wohl der Region wird damit über das große Ziel einer insgesamt nachhaltigen Fischerei gestellt. Hohe Subven­tionen aber führen die Fischerei in einen Teufelskreis. Staatliche Kredite für den Aufbau der Flotte müssen getilgt werden. Das führt dazu, dass man intensiv fischen muss und auf den Zustand der Bestände keine Rücksicht nimmt. Dies ist ein Grund dafür, dass sich der Rat der EU-Fischereiminister, der jedes Jahr die Gesamtfangmenge in Tonnen neu festlegt, dazu hinreißen ließ, die Menge regel­mäßig deutlich höher anzusetzen als von Fischerei­­wissenschaftlern empfohlen – in Extremfällen bis zu 48 Prozent höher.
5.18 > Tierschützer demonstrieren in Brüssel gegen den maßlosen Fischfang.
5.18 > Tierschützer demonstrieren in Brüssel gegen den maßlosen Fischfang.  © Yves Logghe/AP Photo/ddp images

Handelbare Quoten Handelbare Quoten werden weltweit in verschiedenen Ländern als Instrument des Fischereimanagements eingesetzt. 1986 setzte Neuseeland als erste Nation diese Methode in nationales Recht um. Allgemein spricht man von individuell transferierbaren Quoten. In der EU werden diese künftig als transferierbare Fischereilizenzen (transferable fishing concessions, TFCs) bezeichnet.

Die Überdimensionierung der Flotte macht den Fischfang zudem ineffizient. Es sind zu viele Fahrzeuge für die verfügbare Fischmenge vorhanden. Will man die Fangquoten wenigstens annähernd einhalten, darf jedes einzelne Schiff nur einen kleinen Teil des erlaubten Gesamtfangs fischen. Sinnvoller wäre es, weniger Schiffe zu betreiben und diese voll auszulasten. Eine Lösung für den Abbau von Über­kapazitäten soll die Einführung handelbarer Quoten sein – zunächst auf Länderebene, später europaweit. Fischer können diese individuell transferierbaren Quoten (individual transferable quotas, ITQs) an andere Unternehmen gewinnbringend verkaufen. Weniger profitabel operierende Betriebe verkaufen, profitabel operierende Unternehmen kaufen. Damit scheiden nach und nach Betriebe und somit auch Schiffe aus der Fischerei aus. In Dänemark wurde eine Quotenregelung bereits eingeführt. Um zu verhindern, dass sich Monopole bilden und einige wenige Fischereibetriebe den Großteil der Quoten aufkaufen, darf ein Fischereiunternehmen dort nicht mehr als 4 Schiffe betreiben. Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission vor, den ITQs-Handel nach Schiffsgröße zu unterteilen, in Fahrzeuge über 12 Meter und unter 12 Meter Länge. Besitzer kleinerer Fahrzeuge sollen ihre Quoten nicht an Besitzer größerer Boote verkaufen. So soll die handwerkliche Küstenfischerei mit kleinen Booten geschützt werden.

5.19 > In Dänemark noch heute ein praktiziertes Handwerk: die Reusenfischerei. © R. Nagel/ WILDLIFE/picture alliance

5.19 > In Dänemark noch heute ein praktiziertes Handwerk: die Reusenfischerei.

Der Kampf gegen den Rückwurf

Die EU-Kommission macht in ihrem aktuellen GFP-Entwurf auch eine Reihe von Vorschlägen, mit denen das Problem des Rückwurfs von Fischen gelöst werden soll. Weltweit werden jedes Jahr viele Millionen Tonnen frisch gefangener Fische und Meerestiere wieder zurück ins Meer geworfen. Die meisten zurückgeworfenen Tiere sind bereits verendet. Dieser Rückwurf ist nicht nur eine enorme Verschwendung natürlicher Ressourcen. Da die Rückwürfe nicht systematisch erfasst werden, fehlen den Fischereiwissenschaftlern darüber hinaus wichtige Daten, um den wahren Zustand mancher Fischbestände besser einschätzen zu können. Bei der Seezungenfischerei in der Nordsee etwa werden sehr viele Schollen und andere Plattfische wie Klieschen als Beifang gefischt. Zum Teil macht der unerwünschte Beifang bis zu 70 Prozent des Fangs aus. Da viele Schollen zu klein sind, um legal angelandet werden zu dürfen, und die übrigen Plattfische als Speisefisch eher unbeliebt sind, landen die Tiere bis auf wenige große Exemplare wieder im Meer. Da der Rückwurf nicht erfasst wird, können Forscher den Zustand der übrigen Plattfischbestände außer Seezunge und Scholle derzeit kaum einschätzen.

Für Rückwürfe gibt es verschiedene Gründe:
  • Die Tiere, zum Beispiel Krebse, Seesterne oder kleine Fische wie Aalmuttern und Grundeln, lassen sich nicht vermarkten.
  • Die Fischer sortieren aus dem Fang nur die wert­vollsten Anteile heraus, also zum Beispiel die größten und schwersten Exemplare einer Fischart. Der Rest wird zurückgeworfen. Dieses High-Grading ist in der EU seit 2010 verboten, wird aber dennoch praktiziert.
  • Die Fische sind zu jung beziehungsweise zu klein. Solche sogenannten untermaßigen Fische dürfen nach den geltenden Regeln nicht angelandet werden.
  • Fische, für die der Fischer keine Quote besitzt oder seine Quote bereits ausgeschöpft hat, dürfen nicht angelandet werden. Dieses Problem tritt in gemischten Fischereien auf, bei denen verschiedene Fischarten, die eine ähnliche Größe haben und im selben Lebensraum vorkommen, im selben Netz landen. Ein Schellfischfischer darf zum Beispiel keinen Kabeljau anlanden, den er als Befang gefischt hat. Nach den derzeitigen Bestimmungen muss er den Kabeljau zurückwerfen.
Vor allem die in der bisherigen GFP manifestierten Anlandeverbote tragen dazu bei, dass der Rückwurf in der EU bis heute in großem Stil betrieben wird. Als eine Lösung schlägt die EU-Kommission vor, das alte System der Quotenverteilung zu verändern. Bis heute werden für viele Fischarten einzelne Quoten vergeben, obwohl diese ausschließlich in gemischten Fischereien gefangen werden. Zukünftig soll es möglich oder verpflichtend sein, zusätzlich Beifangquoten zu erwerben, beispielsweise für Kabeljau und Schellfisch. Diese Beifangquoten sollen flexibel und zügig vergeben werden, also nicht zwangsläufig für ein ganzes Jahr, sondern auch im Verlauf einer Fangsaison, je nach Zustand und Entwicklung der Fischbestände. Damit sollen Fischer dazu gedrängt werden, Beifänge unerwünschter Arten zu vermeiden – beispielsweise durch den Einsatz von besserem und selektiverem Fanggeschirr. Gelingt es ihnen nicht, die Beifänge entsprechend zu verringern, werden sie verpflichtet, die Beifangquote zu erwerben. Ein Fischer muss dann künftig für jede Art, die im Fanggebiet zu erwarten ist, eine eigene Quote vorweisen können. Dabei soll sich der Fischer bei einer gemischten Fischerei an jener Art orientieren, von der am wenigsten Tiere vorhanden sind. In der Nordsee ist beispielsweise der Schellfischbestand gut entwickelt, der des Kabeljaus hingegen weniger gut. Heute darf ein Fischer Schellfisch fangen, bis er seine Schellfischquote vollständig ausgeschöpft hat. Dabei geht unweigerlich Kabeljau mit ins Netz, der als Beifang weggeworfen werden muss. Besitzt der Fischer 2 Quoten, darf er sowohl Kabeljau als auch Schellfisch anlanden. Allerdings muss er den Fang beenden, sobald er seine Kabeljauquote abgefischt hat. Das aber bedeutet, dass er auch den Schellfischfang stoppen muss. So wird der Kabeljaubestand vor einer Überfischung bewahrt und der Rückwurf ausgeschlossen. Darüber hinaus sollen nach dem Willen der EU-Kommission zukünftig selektivere Fanggeschirre zum Einsatz kommen, denn auch durch eine verbesserte Fangtechnik lässt sich der Beifanganteil verringern. Ferner wird vorgeschlagen, den Beifang dadurch zu reduzieren, dass Fischer zu bestimmten Jahreszeiten bestimmte Meeresgebiete meiden, in denen sich Beifangarten in großer Zahl auf-halten. Diskutiert wird derzeit auch, ob auf den Schiffen in der EU künftig elektronische Erfassungssysteme mit Kameras eingesetzt werden sollen, um Rückwürfe zu verhindern. So ließe sich kontrollieren, ob oder welche Fische über Bord geworfen werden. Auch ein verstärkter Einsatz von Beobachtern ist denkbar. Für den Einsatz von Kameras spricht, dass diese erheblich billiger sind.
5.20 > Der Rückwurf von Beifang ist nicht nur in der EU, sondern weltweit ein Problem. Dieser mexikanische Garnelenfischer schippt für ihn wertlose Fische über Bord.
5.20 > Der Rückwurf von Beifang ist nicht nur in der EU, sondern weltweit ein Problem. Dieser mexikanische Garnelenfischer schippt für ihn wertlose Fische über Bord. © Naomi Blinick/Marine Photobank

Mehr Macht für die Fischer

Bislang ist die Fischereipolitik in der EU weitestgehend eine Top-down-Politik. Alle Regeln werden in Brüssel auf höchster Ebene beschlossen und müssen von allen Fischern gleichermaßen befolgt werden. Nationale oder gar regionale Ansätze für das Fischereimanagement gibt es bislang kaum. Damit sind Konflikte vorprogrammiert. Viele der teils widersprüchlichen Regeln, die in Brüssel beschlossen wurden, wurden von den Fischern als überzogen oder praxisfern betrachtet. Manche wurden ganz missachtet. Die Kommission schlägt vor, die Situation zu entschärfen, indem man die Fischer in das Fischereimanagement und die Entscheidungsprozesse stärker einbindet. Sie erhofft sich, dass die Regeln so eher akzeptiert werden. Wie sich die Fischereipolitik stärker regional ausrichten lässt, hat der Rat der EU-Fischereiminister in seinem Vorschlag zur GFP-Reform ausgeführt. Darin heißt es, dass sich die Mitgliedsstaaten eine Verlagerung von Entscheidungen auf regionale Ebenen vorstellen könnten. In den vergangenen Jahren wurden in den EU-Mitgliedsstaaten bereits sogenannte Regionale Beratungsgremien (Regional Advisory Councils, RACs) gebildet, wie zum Beispiel für die Ostsee oder die Arktis und Island. Diese haben Änderungsvorschläge für die GFP erarbeitet. In diesen Beratungsgremien sitzen zu zwei Dritteln Experten aus dem Fischereisektor und zu einem Drittel Experten aus anderen Interessengruppen wie Naturschutzorganisationen oder Ge­­werkschaften. Die RACs könnten zukünftig zusammen mit den nationalen Behörden das Fischereimanagement in einer Region gestalten und Vorschläge nach Brüssel senden. Widersprechen weder das EU-Parlament noch einzelne Länder, kann das vorgeschlagene Fischereimanagementkonzept in Kraft treten.

Ende offen

Welche der Reformvorschläge der EU-Kommission man umsetzt, wird sich im Jahr 2013 zeigen, wenn die neue GFP verabschiedet wird. Letztlich werden der EU-Minister­rat und das EU-Parlament darüber entscheiden, welche Vorschläge der EU-Kommission als Regeln und Vorgaben in der neuen GFP verankert werden. Es ist zu hoffen, dass es beiden gelingt, sich zu einer Fischereipolitik durchzuringen, die ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. Tatsächlich gibt es Grund zur Hoffnung, dass sich genau das erreichen lässt: Mit der sogenannten Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie hat die Europäische Union 2002 den Schutz, die Erhaltung und die Wiederherstellung der Meeresumwelt bis zum Jahr 2020 für alle EU-Staaten zur Pflicht gemacht. Insofern ist auch der Minister­rat in der Pflicht, mit der neuen GFP nicht nur für eine nachhaltige Fischerei zu sorgen, die den Ertrag langfristig maximiert, sondern gleichzeitig auch den Einfluss der Fischerei auf die Meeresumwelt zu minimieren. Textende