Fisch und Mensch
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WOR 2 Die Zukunft der Fische - die Fischerei der Zukunft | 2013

Fisch als Handelsgut

Fisch – ein geschätztes Gut

> Fisch war und ist die Lebensgrundlage für Millionen von Menschen – als Nahrung und als Verdienstquelle. In den Industrienationen haben viele Fischer aufgeben müssen. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern aber bleibt der Fischfang ein Haupterwerbszweig. Fisch hat sich dort zu einem wichtigen Exportgut entwickelt. Als Haupt­importeure haben die Industrienationen die Verantwortung, auf eine schonende und sozial gerechte Fischereiwirtschaft dort zu drängen.

Fisch – Speise und Sagengestalt zugleich

Für den Menschen ist Fisch seit Jahrtausenden eine wichtige Nahrungsquelle. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass der Mensch schon mindestens seit der Steinzeit Fisch fängt. So hat man beispielsweise in norddeutschen Flussniederungen Angelhaken aus Knochen und Zähnen sowie erste Speere mit Widerhaken gefunden. Doch Fisch ist mehr als Nahrung. In vielen Kulturen wird der Fisch geradezu mythisch verklärt. Die neuseeländischen Maori nennen die Nordinsel Neuseelands Te Ika-a-Maui – „Der Fisch von Maui“. Der Sage nach zog der Halbgott Maui einen mächtigen Fisch aus dem Wasser, der sich dann in die Insel verwandelte.
2.1 > Ein traditioneller Angelhaken aus Neuseeland. © online: http://en.wikipedia.org/wiki/File:MAP_Expo_Maori Hame%C3%A7on_ 13012012_4.jpg, Stand: 28.12.2012/Vassil 2.1 > Ein traditioneller Angelhaken aus Neuseeland.
Zur Zeit Alexanders des Großen verehrten die Bewohner der Mittelmeerstadt Askalon die Göttin Derketo, ein nixengleiches Halbwesen, so inständig, dass es verboten war, Fisch zu essen. Die Christen erhoben den Fisch gar zum Symbol ihrer Glaubensgemeinschaft. Sie verwendeten das griechische Wort für Fisch, ichthys, als Akronym. Es steht für Iesous Christós Theoú Hyiós Sõtér (Jesus Christus Gottes Sohn Erlöser). Von mythischer Verklärung ist heute wenig zu spüren. Der Fisch ist Lebensmittel und schlichte Handelsware. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization of the United Nations, FAO) sind heute insgesamt 660 bis 820 Millionen Menschen direkt oder indirekt von der Fischerei abhängig. Dazu zählen auch die Familien der Fischer oder der Zulieferer, zum Beispiel der Hersteller von Fanggeräten. Die Zahl der Fischer selbst schätzt die FAO auf rund 54 Millionen, von denen allein 87 Prozent in Asien leben. Viele von ihnen arbeiten in Kleinbetrieben, und die Fischproduktion pro Kopf ist dementsprechend gering. Sie beträgt gerade einmal durchschnittlich 1,5 Tonnen pro Kopf. Zum Vergleich: In Europa liegt sie bei circa 25 Tonnen pro Kopf.
2.2 > Der Maori-Halbgott Maui fängt einen Fisch, der sich in die Nordinsel Neuseelands, Te Ika-a-Maui, verwandelt.
2.2 >  Der Maori-Halbgott Maui fängt einen Fisch, der sich in die Nordinsel Neuseelands, Te Ika-a-Maui, verwandelt. © Wilhelm Dittmer, 1866–1909, Te Tohunga. London, Routledge, 1907/
National Library of Newzealand

Groß gegen Klein?

Fachleute differenzieren grob zwischen industrieller Fischerei, die mit Fabrikschiffen betrieben wird, und der handwerklichen Fischerei. Darüber hinaus gibt es von Land zu Land verschiedene Abstufungen. In Deutschland und anderen Ländern Europas zum Beispiel wird die Fischerei in die folgenden 3 Flottensegmente eingeteilt:
  • kleine Küstenfischerei: Sie wird mit kleinen Motorbooten betrieben, die meist nur für einen Tag hinausfahren. Die Heimat- und Anlandehäfen befinden sich meist in kleineren Küstenorten.
  • kleine Hochseefischerei: Hier kommen Fahrzeuge zwischen 18 und 40 Metern zum Einsatz. Die Boote bleiben für mehrere Tage auf See und landen im Wesentlichen Frischfisch in großen Häfen an.
  • große Hochseefischerei: Die Schiffe sind meist mehr als 40 Meter lang und auch außerhalb der EU-Gewässer unterwegs. Die Fänge werden bereits an Bord gefrostet und in die ganze Welt verkauft.
2.3 > Massenabfertigung: In Vietnam wird Pangasius für den Export nach Europa filetiert. © LookatSciences/laif 2.3 > Massenabfertigung: In Vietnam wird Pangasius für den Export nach Europa filetiert.
Im westafrikanischen Mauretanien beispielsweise unterscheidet man zwischen folgenden Arten der Fischerei:
  • Kleinfischerei: Dazu zählen Fahrzeuge unter 14 Meter Länge ohne Aufbau (Steuerhaus). Vielfach handelt es sich um Holzboote. Die Boote werden mit Segel oder Motor betrieben.
  • Küstenfischerei: Dazu zählen unmotorisierte Fahrzeuge zwischen 14 und 26 Meter Länge sowie mo-torisierte Fahrzeuge mit Aufbau, die kleiner als 26 Meter sind.
  • industrielle Fischerei: Dazu zählen alle größeren Schiffe, die nicht zu den ersten beiden Kategorien gehören. Mauretanien verfügt über eine eigene industrielle Flotte, die ausschließlich Oktopus fängt. Dabei handelt es sich meist um Trawler chinesischen Ursprungs, die alt und in schlechtem technischem Zustand sind.
2.4 > Mit der Industrialisierung der Fischerei nimmt die Pro-Kopf-Produktion zu. In Asien ist sie gering, in Europa hingegen hoch. Durch intensive Fütterung und eine Optimierung des Futters ist die Produktivität der Aquakultur wiederum höher als beim Wildfischfang. Die Zahlen für Nordamerika sind wahrscheinlich zu hoch.
2.4 > Mit der Industrialisierung der Fischerei nimmt die Pro-Kopf-Produktion zu. In Asien ist sie gering, in Europa hingegen hoch. Durch intensive Fütterung und eine Optimierung des Futters ist die Produktivität der Aquakultur wiederum höher als beim Wildfischfang. Die Zahlen für Nordamerika sind wahrscheinlich zu hoch. © nach FAO (2012)
Wie Mauretanien haben viele Entwicklungs- oder Schwellenländer eine alte oder gar keine eigene Hochseeflotte. In solchen Ländern wird die Hochseefischerei vor allem durch Fabrikschiffe anderer Nationen betrieben, die an den Staat Lizenzeinnahmen zahlen. Diese industriell betriebene Fischerei wird der ursprünglichen, handwerklichen Fischerei oftmals als ausbeuterisch gegenübergestellt. Doch muss man hier differenzieren. Für kleine pelagische Fische, die vor Mauretanien beispielsweise von Holländern gefischt und an Bord tiefgefroren werden, gibt es in Europa kaum einen Markt. Dort werden die kleinen Fische lediglich in Dosen- und Glaskonserven verpackt vermarktet. Stattdessen werden die vor Westafrika gefangenen pelagischen Fische zu einem großen Teil direkt in afrikanische Länder verkauft. In vielen Orten werden die tiefgefrorenen Fische auf Märkten direkt aus den Eisblöcken herausgebrochen. In anderen Ländern wie dem Senegal hingegen vergeben die Regierungen zu viele Fanglizenzen an ausländische Flotten. Dadurch werden die Fischbestände überfischt. Die einheimischen Kleinfischer fürchten zu Recht um ihre Einkommensquelle. Einen vorbildlichen Weg in der Fischereipolitik hat man in Namibia eingeschlagen. Zur Zeit der Apartheid fischten hier zum großen Teil ausländische Fangflotten, bis die Bestände überfischt waren. Nach der Apartheid und der Unabhängigkeit von Südafrika 1990 bemühte sich die Regierung, eine eigene Fischerei- und Fischverarbeitungsindustrie aufzubauen, die nicht von ausländischen Investoren und Betreibern abhängig sein sollte. Und das, obwohl Namibia eigentlich kein Land mit Fischfangtradition ist. Innerhalb von nur 10 Jahren nach der Unabhängigkeit stieg der Anteil der namibischen Fischereischiffe im eigenen Hoheitsgebiet von etwa 50 auf 71 Prozent. Darüber hinaus wurden Fisch verarbeitende Betriebe aufgebaut. Vor der Unahängigkeit gab es keinen einzigen. Gut 10 Jahre später waren es bereits 20. Die Fischerei vor Namibia zeichnet sich heute auch dadurch aus, dass die Behörden bemüht sind, die Fischbestände nachhaltig zu bewirtschaften.

Das Sterben der Kleinen

Dass die handwerkliche durch die industrielle Fischerei in ihrer Existenz bedroht ist, ist nicht nur ein Phänomen der Entwicklungsländer. Auch in vielen Industrienationen mussten in den vergangenen Jahren kleinere Familienbetriebe aufgeben. In vielen Fällen fanden sie für diese harte Arbeit keine Nachfolger mehr. Zudem trieben steigende Treibstoffkosten kleine Unternehmen in die Enge, sodass die Fischerei oftmals von größeren und effizienter arbeitenden Betrieben übernommen wurde. Vor der kanadischen Ostküste war die Überfischung des Kabeljaus schuld daran, dass Anfang der 1990er Jahre Hunderte kleiner Familienbetriebe schließen mussten. Die Küstenfischer hatten lange gemahnt, dass die Fische seltener würden, etwa in den kanadischen Meeresbuchten. Die Großunternehmen fischten dennoch mit ihren industriellen Trawlern draußen auf See weiter. Ihr Argument: Die küstennahen Fische und die Bestände auf hoher See hätten nichts miteinander zu tun.
2.5 > Europa, die USA und Japan sind die wichtigsten Importeure von Fisch- und Fischereiprodukten weltweit. China ist wichtigster Exporteur. Dass Norwegen zweitgrößter Exporteur ist, liegt vor allem daran, dass das Land besonders wertvolle Fische wie zum Beispiel Lachs ausführt.
2.5 > Europa, die USA und Japan sind die wichtigsten Importeure von Fisch- und Fischereiprodukten weltweit. China ist wichtigster Exporteur. Dass Norwegen zweitgrößter Exporteur ist, liegt vor allem daran, dass das Land besonders wertvolle Fische wie zum Beispiel Lachs ausführt. © nach FAO (2012)
Heute weiß man, dass dieses Argument auf falschen Annahmen beruhte, denn in Wahrheit handelte es sich um einen einzigen großen Bestand, der schließlich Ende der 1980er Jahre endgültig überfischt war. Die Küstenfischer verloren ihre Lebensgrundlage. Einige stiegen auf Hummerfang um. Etliche verließen ihre Heimat. Als Folge dieser Landflucht schrumpfte die Einwohnerzahl in vielen Orten an der kanadischen Ostküste dramatisch. Ähnlich war die Situation der Heringsfischer an der Nordsee. Auf den Zusammenbruch des Bestands reagierte man in den 1970er Jahren mit einem mehrjährigen Fangverbot. Der Heringsbestand konnte sich dadurch erholen. Viele Familienbetriebe aber überlebten die Zwangspause nicht. Heute wird die Fischerei von wenigen großen Unternehmen dominiert. Um solche für die Betroffenen dramatischen Konsequenzen zu vermeiden, drängen Sozialwissenschaftler darauf, beim Fischereimanagement künftig nicht nur den Schutz der Fischbestände und der Meeresumwelt, sondern auch soziologische Aspekte zu berücksichtigen. Sie kritisieren, dass Fachleute der verschiedenen Disziplinen – Biologie, Ökonomie und Soziologie – bislang viel zu selten zusammenarbeiten. Natürlich ist der soziologische Ansatz arbeitsintensiv und teuer, sagen die Forscher, denn er setzt voraus, dass Feldforscher in die Küstengebiete reisen, um die Betroffenen vor Ort, die Fischer, zu befragen und deren Situation zu analysieren. Doch so ließen sich zukünftige Probleme vermeiden oder frühzeitig lösen.
2.6 > Für viele Entwicklungsländer ist der Fischexport wichtiger als der Handel mit Kaffee und Kakao.
2.6 > Für viele Entwicklungsländer ist der Fischexport  wichtiger als der Handel mit Kaffee und Kakao. © nach FAO (2012)

Die Verantwortung der Industrienationen

In den letzten Jahren wurden Arbeitsplätze in der Fischerei in den europäischen Ländern unterschiedlich stark abgebaut. Vor allem deshalb, weil es an alternativen Arbeitsplätzen mangelt, betreiben Nationen wie Portugal oder Spanien nach wie vor eine große, oftmals durch staatliche Subventionen am Leben erhaltene Fischereiflotte. Dänemark oder Deutschland hingegen haben ihre Flotten stark verkleinert. Die in den letzten Jahren gestiegene Nachfrage nach Fisch wird in diesen Ländern verstärkt durch Importe gedeckt. Europa ist heute die wichtigste Fischimportregion der Welt. Allerdings unterscheidet sich die Fischnachfrage von Land zu Land sehr stark. 2010 führte Europa Fisch im Wert von 44,6 Milliarden US-Dollar ein, rund 40 Prozent des weltweiten Warenwerts. Zweitgrößter Importeur sind die USA, an dritter Stelle steht Japan. Damit kommt diesen 3 Regionen eine besondere Rolle beim Schutz der weltweiten Fischbestände zu: Die Konsumenten in diesen Industriestaaten sollten ein Zeichen setzen und verstärkt Ware aus einer nachhaltigen Fischerei und umweltverträglichen Aquakultur nachfragen. Für Einkäufer des Handels wiederum werden bei der Wahl ihrer Zulieferer die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern wichtiger. Arbeiter in Entwicklungs- und Schwellenländern sind heute noch häufig unterbezahlt und erhalten keine Sozialleistungen. Auch gibt es nach Angaben der FAO in diesen Staaten oftmals Kinderarbeit. Vor allem in der handwerklichen Fischerei, in kleinen Familienbetrieben, aber auch auf Schiffen kommen Kinder zum Einsatz. Zudem werden sie als billige Arbeitskräfte zum Netzeflicken, beim Fischverkauf oder auch beim Füttern und Ernten von Zuchtfischen eingesetzt. All diese Probleme hat man inzwischen erkannt. Zu hoffen ist, dass erste Projekte und Initiativen, die mit gutem Beispiel vorangehen, Schule machen. Textende